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Der Ton und die Musik

Das sagt man doch so: der Ton macht die Musik.

Stellt Euch also bitte einmal den Ton vor (hören geht hier ja leider nicht), zweimal der gleiche Satz, gesprochen zu unterschiedlichen Zeiten.

Ein Satz wie: Einen Impftermin? Am anderen Ende des Departements?

Ihr erkennt das Potential?

Vor 18 Monaten hätte das wahrscheinlich so geklungen: „Einen Impftermin?“ Eher gelangweiltes Anheben der Stimme am Ende des Satzes und dann das Crescendo, Stimme und Augenbrauen schießen gleichermaßen hoch beim: „Am anderen Ende des Departements?“ Betonung natürlich auf „anderen Ende“ und mit dieser Satzmelodie, die „Willst du mich auf den Arm nehmen?“ impliziert oder „Das ist doch nicht dein Ernst?“, was ja zugleich Frage und Antwort auf dieselbe ist.

Heute klingt das natürlich ganz anders: Schon bei „Einen Impftermin?“ klingt eher skeptisches Staunen mit und dann steigt die Stimme jubilierend nach oben. Macht die Frage zum fast ungläubigen Statement von Zuversicht und Optimismus: „Am anderen Ende des Departements?“ Hoffnung klingt mit, Hoffnung auf eine kleine Reise, ein kleines Abenteuer, ein kleines bisschen Freiheit und nunja, auch einen Impftermin, klar, das wollen wir nicht vergessen.

Also füllen wir das Wortungetüm der „attestation de déplacement dérogatoire“ aus, machen unser Kreuzchen beim Punkt zwei der erlaubten Gründe, die 10km Hundeleine abzulegen, die medizinisch notwendige Fahrt. Monsieur, der ja nur mitfährt, überlegt kurz, ob er nicht sein Kreuzchen bei Punkt drei machen soll: Begleitung hilfsbedürftiger Personen. Beschließt dann aber sehr weise, dass er eher den Unmut eines französischen Polizisten als den seiner Frau auf sich ziehen will.

Der Termin ist schnell vorbei und dann stehen wir da, am anderen Ende des Departements, mit unserer Reisefreiheit. Keine dreißig Kilometer nördlich von hier kennen wir mindestens zwei Sterne-Restaurants, beide geschlossen. Keine dreißig Kilometer südwestlich von hier kennen wir mehrere Winzer in Savoyen, geöffnet, da „commerces de première nécessité. Aber wir bezweifeln doch sehr, dass französischen Polizisten Weinkauf als „medizinisch notwendige Fahrt“ akzeptieren würden.

Was offen und zugänglich ist, ist das „marais de Lavour“. So ein Naturschutzgebiet mit Moor kommt nun natürlich nicht im Entferntesten an die Träume vom Inkatrail heran, die wir die letzten Monate gehegt haben, die Wasserflächen können auch nicht mithalten mit unseren Phantasien von Naxos oder – träumen darf man doch – Polynesien. Es hat aber den unbestreitbaren Vorteil, da zu sein, einladend mit seinen Stegen – errichtet von einem Team, dass sich Öko-Architekten und Natur-Interpretierende nennt – und seinen „miséricordes“ (wörtlich „Barmherzigkeit“) genannten Stehbänken. Das Moor ist noch in seiner monochromatischen Phase, herbstlichfahles Strohgelb. Ab und an durchbricht eine Sumpfdotterblume die Tristesse. Auch die versprochene Fauna von Libelle bis Hirsch tummelt sich nur auf den Erklärungstafeln.

Alles nicht so richtig beeindruckend, aber man wird ja im dritten Lockdown dankbar für die kleinen Dinge. Wie die Schoko-Ostereier, die Monsieur zum Butterbrot noch zusätzlich eingepackt hat.

So sitzen wir vergnügt auf den Miséricordes und genießen die Sonne. Und stellen fest, wir sind nicht die Einzigen…


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