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Kleine Texte: Familiengeheimnis

Jede Familie hat ihre Geheimnisse. Unseres ist besonders anrüchig.
Monsieur ist ein großer Liebhaber von – von uns so genannten – „Dicken Torten“ und ich eine begnadete Nicht-Bäckerin.
Ausgerechnet 14 Tage nach der Geburt unseres vierten Kindes hielt ich die Zeit für reif, mir mit dem Herstellen einer Prinzregenten-Torte zum Geburtstag meines Göttergatten was auch immer zu beweisen. Eine Prinzregenten-Torte ist eine im doppelten Sinne delikate Angelegenheit: mehrere Schichten feinsten Sandteigbodens gefüllt mit Vanille-Buttercreme.
Es kam, wie es kommen musste: jeder der 7 Sandteigböden brach und meine üble Flucherei darob ließ die Vanillecreme dreimal gerinnen.
Die größeren Kinder schlichen aus der Küche und versteckten sich, nicht bevor sie Ausdrücke gelernt hatten, die wir bisher als für ihre zarten Ohren unpassend erachtet hatten. Das Baby verschlief die Aufregung.
Am nächsten Morgen stand ein Prinzregententorten-ähnliches Gebilde auf dem Geburtstagstisch, ein bisschen schief, ein bisschen ausgefranst, rührendes Sinnbild dessen, wozu Liebe und Sturheit gepaart mit Inkompetenz fähig sind.
Monsieur kannte seine Rolle. „Nein!“, rief er aus, „Was ist das denn?“ Bevor ich irgendeine Entschuldigung murmeln konnte, trat unsere Große vor. „Das, Papa“, sprach sie mit dem heiligen Ernst der Sechsjährigen, „ist eine Scheißtorte. Aber du brauchst keine Angst zu haben: Mama hat geschworen, die macht sie nie wieder!“
Seitdem gehört die „Scheißtorte“ zum festen Geburtstagsritual. Wir können sie auch immer besser backen, die Scheißtorte.
Nur drüber reden wollen wir nicht…


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