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Reisearchiv: J wie Jordanien – Petra

 

p2008_11_07_09h09_31Schuld ist nur das Internet. Ganz klar. Eindeutig. Dort sieht man diese Traumfotos. In Kalenderbilderqualität abgelichtete Traumziele. Geschossen von professionellen Fotografen, zum idealen Zeitpunkt und vom optimalen Blickwinkel aus. Und du denkst dir: das ist so schön, da will ich hin. Ich möchte genau da stehen und genau das schauen. Und manchmal werden solche Träume tatsächlich wahr. Und du bist fast da und weißt: nur noch ein Schritt, nur ein Schritt noch und du stehst genau da und kannst schauen. Schauen und staunen und die Freude spüren, die mit dem Schauen und Staunen kommt. Und dann dieser magische Moment, das innere „Ahhhh“, wenn du spürst, wie sich etwas in dir öffnet, ganz weit und licht und leicht wird. Wie das Geschaute dich tief berührt und dich ein ganz kleines bisschen verändert. Magie!

Und dann tust du diesen Schritt in der Wirklichkeit und schaust und staunst und spürst – gar nichts. Nur diese kleine Stimme im Hinterkopf, die nörgelt: „Und das ist alles?“

Ich weiß nicht, ob wir Pech mit Petra hatten oder Petra Pech mit uns. Dabei hat Petra sich wirklich Mühe geben. Aber jedes Mal, wenn so etwas wie Staunen, wie Magie aufzuflackern begann, wenn du dachtest: JA! Gleich! Jetzt! holte das Leben kräftig aus und die Realität trat uns ganz gepflegt gegen das Schienenbein.

Die Magie gab es auch, Momente, die bleiben. Aber das war eher trotz und nicht wegen Petra.

 

p2008_11_07_10h14_33Mit Petra ist es wie mit Kolumbus und Amerika. Lawrence of Arabia und vor ihm der Schweizer Forschungsreisende Burckhardt entdeckten etwas, das die Einheimischen seit Jahrhunderten schon kannten. Nicht nur kannten, die Beduinen hatten sich in den Grabhöhlen ihre Behausungen eingerichtet und weideten ihre Herden zwischen den römischen Ruinen. Richtig erforscht wurde die Stadt dann ab den 1920ern und man stellte fest, dass die berühmten Häuser nur Fassaden waren. Die Nabatäer hatten Häuser für die Ewigkeit in den Fels gemeißelt. Da kann der Mensch mit seiner kurzen Lebensspanne nicht mithalten. Detailreich und gelegentlich über drei bis vier Etagen hoch als Relief in die Felswand gearbeitet, bargen diese Häuser als einzigen Raum eine Grabstätte. Die Häuser für die Lebenden waren aus kurzlebigerem Material: Stein, Ziegel, Mörtel und Holz. Von ihnen sind nur wenige Reste erhalten.

 

Nach der Grüp2008_11_08_08h56_16ndung des Staates Jordanien erklärte die Regierung in den 1970ern das Gebiet zum Kulturgut. Die Beduinen wurden aus ihren Behausungen vertrieben und in eine moderne Siedlung umgezogen, wo sich nicht nur die Esel an einen neuen Lebensstil gewöhnen mussten. Selim stammt aus Petra, seine Eltern bewohnte einst eine solche Grabhöhle in einem Nebenarm des Canyons.

Petra war die Hauptstadt der Nabatäer. Eine sehr reiche Stadt und eine gut versteckte Stadt. Der Zugang lag in einem engen Canyon, dem Siq, so schmal, dass stellenweise ein beladenes Kamel nur knapp hindurchpasste. Petras Reichtum kam vom Weihrauchhandel, auf den die Nabatäer ein Monopol hatten. Nur sie kannten die Karawanenwege, auf denen der kostbare Stoff gehandelt wurde. Und das war auch der Grund, weshalb die reiche Stadt nicht überfallen wurde. Die Völker der Region, gleich welcher Religion sie angehörten, brauchten den Weihrauch für die Anbetung ihrer Götter. Die Logik war bestechend: Ich brauche Weihrauch, um meine Götter gnädig zu stimmep2008_11_07_09h37_44n. Und ich brauche die Nabatäer, um an den Weihrauch zu kommen. Oder umgekehrt: verärgere ich die Nabatäer, gibt es keinen Weihrauch mehr. Gibt es keinen Weihrauch mehr, verärgere ich meine Götter. So wuchs und gedieh die Stadt und wurde zu einem kulturellen und politischen Zentrum. Bis die Römer kamen, deren Götter mit Weihrauch wenig zu tun hatten, deren Macht- und Expansionspolitik aber mit der Petras kollidierte. Die Nabatäer, die den Ruf und die Schlagkraft der römischen Armee kannten, gaben sehr geschmeidig einfach nach. Und wieder gewann Petra. Denn die Römer zogen zwar in die Stadt ein. Aber anstand der Stadt einen römischen Stempel aufzudrücken, veränp2008_11_07_09h53_54derte Petra die Römer. Zwar bauten die Römer – wie fast überall – ihr Amphitheater und ihre Säulentempel. Für ihr Nachleben aber ließen sich die Römer auf der der römischen Stadt gegenüber liegenden Felswand große Grabmäler bauen, in einer Mischung aus römischen und nabatäischen Stilelemente. Die Säulen der Tempel sind zerfallen, die Gräber bestehen.

 

 

Die Beduinen haben das Recht, mehrmals pro Woche „Petra by Night“ anzubieten. Dieser Abend wird von ihnen organisiert und veranstaltet, sie erhalten den Gewinn, sind aber auch für die Sicherheit der Besucher verantwortlich. Ich hatte unsere Handvoll Tage in Jordanien so geplant, dass unsere erste Nacht in Petra mit dieser Veranstaltung zusammenfiel.

Die Beduinen stellen Tausende von Windlichtern auf, entlang der Rampe zum Siq, im Siq selber und auf dem Platz vor dem so genannten Schatzhaus. Dort liegen Polster und Kissen inmitten eines Lichtermeers, man bekommt Tee angeboten und lokale Musiker geben ein kleines Konzert.

Im Dunkeln diesen Lichtern zu folgen ist ein wunderbares Erlebnis. Die Eintrittskarten sind begrenzt und jeder, der mit seiner Karte eingelassen wird, bekommt Direktiven: Nicht reden, schweigend den Weg gehen, nicht fotografieren und schon gar nicht mit Blitzlicht. Während man am Besucherzentrum darauf wartet, dass die Beduinen den Weg freigeben, hört man immer und immer wieder die Bitte, den Abend schweigend zu genießen und nicht mit Blitzlicht zu fotografieren. Schließlich geht es los, vorweg eine Gruppe Beduinen, die den Schweigemarsch anführen, den Schluss bilden wiederum Beduinen, die aufpassen, dass keiner verloren geht. Die Rampe herunter geht es recht zügig bis zum Eingang des Siq. Die Atmosphäre ist richtig feierlich, doch dort wird es fast noch stiller. Eine nahezu religiös anmutende Prozession zieht schweigend an den winzigen flackernden Lichtern vorbei. Bis, ja, bis das Leben wieder zuschlägt. Diesmal in der Gestalt einer Gruppe lautstarker Italiener. „Che bello“, brüllt der eine, „Ecco la luna!“, stimmt der nächste zu und weitere banale Offensichtlichkeiten werden in Lautsprecherstärke herausgelärmt. Andere Menschen fangen an zu zischeln oder flüsternd um Ruhe zu bitten. Das Leben und die Italiener stört das nicht. Sie verbreiten sich weiterhin lautstark über ihr ganz persönliches Petra-Erlebnis. Ich spreche keine Italienisch, wünschte mir aber inbrünstig, wenigstens den einen Satz: „Jetzt haltet endlich den Mund, idioti!“ fehlerfrei aussprechen zu können. Schließlich kommen die Veranstalter und bitten nachdrücklich um Ruhe. Sind sie erfolgreich? Weit entfernt. Statt beschämt zu schweigen, beginnen die Italiener nun laut und aggressiv mit den Beduinen zu diskutieren. Die Stimmung ist im Eimer, die Disziplin bröckelt, immer mehr Menschen fangen an flüsterimg_petra_by_nightnd zu diskutieren, die ersten Blitze zucken durch den Canyon. In dem Moment, wo der Siq sich öffnet und den Blick auf das schier unwirkliche Lichtermeer vor dem Schatzhaus freigibt, gibt es kein Halten mehr. Das ehrfürchtige Raunen, das durch die Menge läuft, passt zur Stimmung, das taghelle Blitzlichtgewitter überhaupt nicht.

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Die Bilder stammen nicht von uns. Das Copyright liegt beim „Jordan Tourism Board“.

Wir setzen uns auf die Polster, erhalten unseren Tee und versuchen, der Musik zu lauschen. Was wir hören ist das Geräusch, mit dem Digitalkameras beim Einschalten das Objektiv herausfahren, hundertfach vervielfältig. Gefolgt vom Blitzen und dem Klicken des Verschlusses. Dann das Geräusch zum Einfahren des Objektivs, um das geschossene Foto zu begutachten und ein enttäuschtes Seufzen, dass das Foto nichts geworden ist. Das alles überlagert von den immer dringlicher werdenden Versuchen der Veranstalter, die Menschen am Fotografieren zu hindern und dazu zu bringen, etwas Interesse und Respekt für die Musiker zu zeigen.

Irgendwann war es uns zu viel und sind wir gegangen, denselben Weg zurück. Einige der Kerzen waren schon ausgegangen, doch der fast volle Mond leuchtete durch den engen Kamin des Siqs auf den Boden. Es war friedlich, es war sehr romantisch und fast kitschig schön. Kurzum, es war magisch.

              

 

p2008_11_07_12h47_50Am nächsten Morgen stehen wir sehr früh am Tor des Besucherzentrums und warten auf unseren Führer. Selim ist in Petra aufgewachsen, die Stadt, ihre Canyons und Seitentäler waren sein Spielplatz. Doch er fürchtet, dass sein Englisch nicht ausreicht, um uns Geschichte und Geographie Petras zu erklären. Er hat also einen deutschen Führer organisiert. Der krank geworden sei, erfährt er nach einer Viertelstunde Wartezeit am Telefon. Man versuche aber, einen Ersatz zu finden. Das Leben nimmt schon mal wieder Anlauf. Weitere 15 Minuten später schlurft jemand missmutig auf uns zu, stellt sich mürrisch vor und nimmt von Selim Tickets und einige Gutscheine entgegen. Die Rampe vom Besucherzentrum zum Siq ist lang, heiß und steil, neben ihr läuft eine Sandpiste, auf der Einheimische (im Galopp, vier reiterlose Pferde am Zügel) oder Touristen (sehr vorsichtig, sehr langsam) reiten. In der halben Stunde, die wir zu Fuß brauchen, versucht unser Führer dreimal uns loszuwerden. Erst versucht er zwei Mal uns schmackhaft zu machen, uns einem deutschen Bus anzuschließen, was wir ablehnen. Dann will er uns einem österreichischen Freundeskreis aufschwatzen, was dieser natürlich ebenso ablehnt. Es fallen einige deutliche Worte von unserer Seite.

Am Beginn des Siqs fragt er unp2008_11_07_09h06_26s, ob wir reiten möchten. Petra ist da sehr gut durchorganisiert. Im Siq gibt es Pferde, im Tal der römischen Stadt Kamele und auf den steilen Stufen zum „Kloster“ Esel. Da nur wir Frauen mal geritten sind, lehnen die Männer in Panik ab. Unser Führer nickt und wirft die ersten Gutscheine weg. Fünf sehr heiße und anstrengende Stunden später stehen wir wieder am Fuß der Rampe und wünschen uns sehnsüchtig die Gutscheine für den Ritt hoch zurück.

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Der Führer schlurft in den Siq und wir schlurfen mit. So beeindruckend dieser gewundene Weg durch den Canyon ist, er wird doch etwas entzaubert durch die Mengen an Touristen, die alle um die besten Positionen rangeln, um eben jenen berühmten Indiana Jones Moment zu haben beim Erspähen des Khazne al-Firaun, des sogenannten Schatzhauses.

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Unser Führr leiert die altbekannte und in jedem Artikel über Petra wiederholte Geschichte herunter, dass die Beduinen das Relief einer massiven Graburne beschossen hätten, weil sie es für ein echtes Gefäß gehalten und einen Goldschatz darin vermutet haben. Dann geht es plötzlich deutlich schneller an anderen Grabdenkmälern vorbei. Unsere Bitte um Erklärung wird weggewinkt: „Das können Sie sich auf dem Rückweg in Ruhe anschauen.“ So sprinten wir fast, an den Gräbern links und Ständen mit Schmuck, Dolchen und Souvenirs rechts vorbei, ins römische Stadtzentrum. Auch Amphitheater und Tempelsäulen werden nur mit einer Handbewegung gewürdigt, die ebenfalls auf die Königsgräber auf der anderen Seite verweist.

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Schließlich kommen wir im weiten Talgrund an, der die eigentliche Stadt Petra enthielt. Hier liegen zwei Restaurants, in eines werden wir geführt. Wir werden gebeten uns zu setzen, der Führer tauscht die restlichen Gutscheine gegen ein Mittagessen ein. Als dies auf den Tisch kommt, steht er auf, sagt: „Die Stunde ist vorbei, meine Führung endet hier.“ Und ist in Sekundenschnelle in der Menge untergetaucht. Wir schauen uns sprachlos an, dann richten sich sechs Augen erwartungsvoll auf mich. Aber ich hatte meine Hausaufgaben nicht gemacht. Im sicheren Wissen, dass ein Führer uns all die nötigen Informationen liefern würde, hatte ich Petra nur flüchtig überlesen. Das einzige, was mir im Kopf geblieben war, war das so genannte Kloster. Das Kloster liegt aber sozusagen am Außenrand von Petra, auf dem Kamm der Berge, in denen Petra sich versteckt. Also heißt es über 300 steile, ausgetretene Stufen hoch zu klettern.

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Immer wieder müssen wir stehen bleiben. Um nach Luft zu schnappen, die Landschaft zu bewundern oder das Farbspiel in der Felswand einer Grabkammer. Oder um den „Omnibus“ vorbeizulassen, fünf, sechs Eselchen, hintereinander gebunden, die die Touristen nach oben transportieren, geführt von einem kleinen Jungen in Badelatschen, der die Strecke inzwischen wahrscheinlich zum fünften Mal läuft.

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Für einen Moment hatten wir im Tal auch überlegt, uns solche Eselchen zu mieten. Aber im Tal waren wir zu geizig, um den horrenden Preis zu zahlen. In der Mitte des Aufstiegs wären wir bereit gewesen, den Preis zu bezahlen, aber nun sind wir zu stolz, unsere Müdigkeit zuzugeben. Und auf dem letzten Drittel sind wir dann schlicht und einfach nur noch stur.

 

Das Kloster ist ein sehr imposanter Bau mit klassisch schöner Fassade. Der steile Aufstieg sorgt dafür, dass es deutlich leerer ist als im Tal. Dann sind wir weitergelaufen, dem Wegweiser zu Aarons Grab nach. Dort, angeblich der biblische Berg Horeb, sind wir ganz allein und lassen den Blick schweifen über diep2008_11_07_12h18_51 Jordan-Ebene hinüber in jenes Land, das das „Gelobte“ heißt. Im Dunst sind nur Hügel und Bergketten zu erkennen, kein menschliches Bauwerk. So mag es zu Moses Zeiten auch ausgesehen haben.

 

Abends nach dem Essen fragt uns Selim, ob wir müde seien oder ob er uns einladen dürfe.

Wir klettern durch die schmalen Altstadtgassen von Hotel zum Auto und Selim fährt mit uns aus Wadi Musa heraus, auf die Höhen oberhalb von Petra. Im Halbdunkel biegt er von der Strap2008_11_08_08h53_42ße ab auf einen Felsweg, der im Zickzack in ein Tal führt. Für uns verwirrend, für Selim ganz einfach, er fährt nach Hause. Schließlich halten wir vor einem Pferch aus Bruchsteinen, dahinter erhebt sich die Fassade eines einfachen Grabmales, verschlossen mit einer Holztür,

Selim schließt auf, holt zwei Kerzenstummel aus einer Nische und erwärmt mit dem Feuerzeug das Wachs. Mit einer kräftigen Handbewegung drückt er die Kerzen in die raue Felswand und zündet den Docht an. Die Kerzen flackern und tropfen. An der Wand sieht man viele solcher Kerzenreste. In Wandnischen sind Böden eingezogen, auf denen hier und da noch Vergessenes steht. Eine Ecke ist rauchgeschwärzt. Selim holt Polster und Decken aus dem Auto, breitet alles aus, verteilt Brot, Oliven und Wasserflaschen und lädt uns zum Sitzen ein.

Irgendwann erlöschen die Kerzen qualmend und es wird stickig in dem engen Raum. Wir ziehen mit den Polstern nach draußen. Selim leuchtet kurz den Boden mit dem Feuerzeug nach Skorpionen ab. Wie die Kerzen flackern auch die Gespräche nur noch kurz auf und erlöschen ebenso. In freundschaftlichem Schweigen liegen wir träumend unter den Sternen.

Bis dann viel später Selim aufsteht, aus dem Auto seinen Schlafsack holt und ihn ausrollt. Er würde heute Nacht hier schlafen, verkündet er, aber natürlich würde er uns zuerst zum Hotel fahren. Wie schade!

Wenn ich zurückdenke, so ist dieser Abend „Petra“ für mich.

 

 

 

 

 


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