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Reisearchiv: C wie China – Wandern auf der Großen Mauer

 

Ich hatte da jemanden kennen gelernt, im Internet. Und dem wollte ich nun mich und die Familie anvertrauen. Gut, nur für zwei Tage, dafür aber irgendwo in den Tiefen des ländlichen Chinas, ohne einen Europäer weit und breit.

Angefangen hatte es mit meinp2009_09_22_12h13_24er Neugier. Auf der Mauer zu wandern war ein großer Traum von mir. Allerdings bin ich auch bei meinen Träumen wählerisch: es sollte schon nicht Mutianyu sei, sondern ein etwas „echteres“ Stück. Anbieter gab es genug im Internet. Bei einigen konnte ich mich nicht so ganz mit der Zielgruppe identifizieren (junge Backpacker), Bei anderen konnte ich mich zwar voll mit dem philanthropischen Hintergrund identifizieren, mir die 500$ für zwei Tage inklusive der Förderung einer lokalen Schule nicht leisten. Wir reisen als sechsköpfige Familie, da wird alles dann etwas teurer.

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Schließlich bin ich auf das ganz hervorragende Greatwall-Forum http://www.greatwallforum.com/ gestoßen, das ebenso liebevoll wie kenntnisreich Informationen rund um die Mauer zu Verfügung stellt. Und da gab es dann unter „Hiking the Great Wall“ Tipps zu Mauerteilen und eben auch Anzeigen zu geführten Wanderungen.

Einige E-mails später hatten wir einen Trip gebucht: Abholung im Hotel in Beijing, Fahrt nach Jinshanling, Wanderung nach Simatei, Übernachtung in einem Youth Hostel, und am zweiten Tag eine Wanderung auf einen unrestaurierten Mauerstück. Rückfahrt nach Beijing, das Ganze für knapp 100$ pro Person, Verpflegung inklusive. Er sei neu als „Guide“, deshalb sei das sein Einführungsangebot. Ich bin ja voll und ganz dafür Jungunternehmer zu unterstützen, aber einige E-mails gehen hin und her, die mich dann doch etwas unsicher werden lassen. Wir haben jemanden mit Höhenangst in der Gruppe, daher die Frage, ob es gefährliche Höhenpassagen zu überwinden gäbe. Als Antwort kommt: die Berge, auf deren Rücken die Mauer läuft, lägen zwischen 1600 und 2000 Meter hoch, Höhenkrankheit sei nicht zu befürchten.

In Beijing versuchen wir, die Internetseite unseres Jungunternehmers aufzurufen, aber unser Virenschutzprogramm blockiert sie. Telefonnummer haben wir nicht, bezahlt allerdings auch noch nicht. Das Schlimmste, was uns passieren kann, ist also uns eine Enttäuschung und etwas Lebenserfahrung einzuhandeln.

Am verabredeten Morgen stehen wir vor unserem Hotel, ein Kleinbus fährt vor, darin neben dem Fahrer zwei Begleiter: unser Jungunternehmer und sein älterer Bruder. Wir sollen sie John und Jack nennen, das sei einfacher für unsere europäischen Ohren und Zungen. Jack ist dabei für den Fall, dass die Höhenangst am Weitergehen hindern sollte, dann würde er mit der Person zum Ausgangspunkt zurücklaufen und wir könnten die Wanderung fortsetzen. Wir sind ganz gerührt, ob dieser Fürsorge. Auch dass sich später herausstellt, dass dies nicht so ganz der Wahrheit entspricht, ändert nichts daran.

p2009_09_22_12h06_34Unser Guide bringt uns nach Jinshaling, wo wir an einem monumentalen Besucherzentrum unseren Eintritt bezahlen. In dem knapp berechneten Tour-Preis ist offensichtlich nicht das Ticket für die Seilbahn auf die Mauer enthalten, also steigen wir zu Fuß auf. Das erspart uns die Bahnfahrt mit einer Busladung sehr lauter Italiener. Da diese aber nur von der Seilbahnstation bis zum ersten Turm laufen und dann wieder umdrehen, ist die Gruppe längst weg, als wir auf der Mauer ankommen. Ein bisschen erhitzt zwar, aber voller Tatendrang. Die Mauer erstreckt sich soweit das Auge folgen mag, menschenleer, jedenfalls vor uns. Hinter uns ist eine ganze Truppe selbsternannter Führer, Begleiter und Verkäufer. Mit unerschütterlichemp2009_09_22_14h10_26 Optimismus bieten sie uns Wasser, Schokoriegel oder Sandwiches an. Und das, obwohl jeder von uns einen gut gefüllten Rucksack dabei hat. Den ersten Preis für Optimismus – allerdings nicht für Geschäftssinn – erhält ein alter Herr, der in Badelatschen und mit Mao-Kappe  zwei Stunden neben uns her läuft und fröhlich schwatzend einen großvolumigen, schweren Bildband zur Mauer anbietet. Beim 6. oder 7. Turm verabschiedet er sich mit unverminderter Fröhlichkeit und wir atmen erleichtert auf. Keine Eskorte mehr! Da tritt aus dem Mauerbogen sein Double und bietet uns wieder den gleichen Bildband an. Offensichtlich gibt es Geschäftsbezirke und die Mauer ist in genau abgegrenzte Reviere eingeteilt.

 

Unser Picknick auf der Mauer ist eine grandiose Enttäuschung. Grandios wegen des wirklich atemberaubenden Blickes auf Hügelkette um Hügelkette, jede mit Mauer und Türmen gekrönt. Eine Enttäuschung, weil John fertig abgepackte amerikanische Sandwichs aus dem Rucksack zieht. Lappriges Toastbrot mit Mayo und undefinrbaren Wurstscheiben dazwischen.

p2009_09_22_14h59_44Und Jack beginnt mit der Beichte. Eigentlich sei er ein Tourguide, in Beijing stationiert, mit guten Kontakten und ausreichenden Aufträgen. Sein kleiner Bruder John hätte den elterlichen Bauernhof übernommen, der aber nicht wirklich viel abwerfe. Nun habe John geheiratet und ein Baby sei unterwegs. Das alles kostet Geld, deshalb braucht er ein Einkommen, um seine zukünftige Familie zu ernähren. Die Mauer kennt er in diesem Abschnitt wie seine Hosentasche. Also habe er wie sein großer Bruder ein Tourguide werden wollen. Mama und er haben drei Zimmer mit Matratzen ausgelegt und im Hof hinter einem Paravent eine Dusche installiert. Und so bietet er Wanderungen auf der Mauer mit Übernachtung auf dem Bauernhof an. Aber, und das ist dann auch wirklich der Grund für die Beichte, das alles sei funkelnagelneu. Wir sind seine ersten Kunden. Und kleiner Bruder hat wohl Angst vor der eigenen Courage bekommen (zumal sein Englisch noch recht rudimentär ist) und großen Bruder um Hilfe und Unterstützung gebeten. Da kam die Idee mit der Höhenangst sehr gelegen. Gesicht wahren und all das.

Irgendwann sind die Sandwiches und die Geschichten alle und wir laufen weiter, gefühlte 6793 Stufen bergauf und bergab, immer auf dem Kamm der Berge. Die Mauer ist hier zum Teil restauriert, manchmal so breit, dass zwei Pferde aneinander vorbeikommen und mit Brustwehren rechts und links geschützt.

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Manchmal steht nur noch eine dieser Brustwehren mit einem schmalen Steg, der Rest ist weg gebrochen. Alle doppelte Pfeilschusslänge steht ein Turm in mehr oder weniger gutem Zustand. Am gefährlichsten sind die gut erhaltenen. Du steigst ahnungslos durch die enge Türöffnung und fällst fast über ein altes Weiblein, das sich dort vor Sonne und Wind geschützt mit seinen Waren wie Mineralwasser und Schokoriegel etabliert hat. Manche Türme sind so stark erodiert, dass man auf einem Rest der Außenmauer – zwei Ziegelbreiten, etwa 40 Zentimeter – balancieren muss.

Fotografieren, laufen, staunen, zeigen, das alles braucht seine Zeit, so ist es Nachmittag, als wir auf dem Kamm oberhalb von Simatai ankommen.

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Die Mauer stürzt sich hier förmlich in die Schlucht, verschwindet im Wasser eines Stausees und klettert auf der anderen Seite wieder steil bergan. Für uns ist das das Endstück der heutigen Wanderungen. Zwei Alternativen bieten sich: „den Express“ nehmen oder den Serpentinenweg zum Hotel.

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Die Eltern wählen den Weg, die Jungen lassen sich den Sicherheitsgurt anlegen, haken sich in die Rollen des „Flying Fox“ ein und sausen mit großem Spaß über den Stausee ins Tal. Dort wartet an der Talstation ein kleines Boot, das sie über den See zurück zum Youth hostel bringt.

 

 

 


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