Carl Ludwig mit Likörchen

Natürlich sei es eine Liebesheirat gewesen, sagt „Charlotte“ mit verzücktem Lächeln. Ihr Carl Ludwig sei aber auch ein ganz besonderer Mensch. Vom Bäckergesellen zum Königlich Preußischen Oberhüttenbauinspektor, das solle man sich erst einmal vorstellen, solch einen Werdegang. Leider sei das aber auch der Grund, weswegen ihr werter Herr Gemahl, Carl Ludwig Althans, uns nicht selbst empfangen könne, hier im Herzstück seines Schaffens, er sei auf Inspektionsreise zu den Siegerländischen Eisenhütten und Gießereien.

Wir sind auf einer Kostümführung in der Sayner Hütte, allerdings nicht zu den trockenen Fakten wie Baujahr, jährlicher Ausstoß oder Spannweite der beeindruckenden Werkhalle. Uns führt – in prachtvoller bodenlanger Robe – „Charlotte“, die werte Gemahlin des Gründers, der es natürlich mehr um den Menschen hinter der Leistung geht.

Welcher aber leider verhindert ist, weshalb sie uns als kleine Entschädigung erstmal ein Likörchen kredenzt. Nicht ohne vorher seufzend über das Personal zu klagen, das doch tatsächlich den letzten Rest Pfirsichlikör ausgesüffelt hätte, weshalb sie uns nun leider den Traubenlikör kredenzen müsse.

Eigentlich müsste sie es ja entlassen, das Dienstmädchen, aber wir wüssten ja selber, wie schwierig es sei, gutes Personal zu bekommen. Wir nicken verständnisvoll.  

„Charlotte“ führt uns über den Hof zur Gießerei von 1830, Industriearchitektur vom Feinsten. In der lichten Halle bekommen wir erst den erstaunlichen Werdegang eines einfachen Bäckerjungen dargelegt, der über Stipendien Mathematik und Bergbauwesen studieren konnte und eine rasante Karriere hinlegte. Der, ein verzückter Augenaufschlag „Charlottes“, solch eine Persönlichkeit sei, dass er vor Antritt der Stelle in Bendorf-Sayn seinem Arbeitgeber eine sechsmonatige Studienreise durch Europas Industriegebiete abringen konnte. Auf der er fleißig skizzierte und Ideen sammelte, die er später in seinem eigenen Werk umsetzte in neue Erfindungen und Maschinen. Hier kommt der erste Missklang, denn ihr Carl Ludwig habe diese Erfindungen immer stolz im „Technischen Journal“ – dass wir ja sicher auch lesen würden, selbstverständlich, nicken wir, jeden Morgen, zum Frühstück – veröffentlicht. Leider ohne sie vorher patentieren zu lassen, weshalb andere, weniger ehrenhafte Menschen… „Carl Ludwig, habe ich immer gesagt, Carl Ludwig, du musst Patente anmelden!“ Wir können uns die Diskussionen am Abendbrottisch lebhaft vorstellen.

Aber bald ist wieder alles verliebtes Entzücken, denn ihr Carl Ludwig ist auch Sozialreformer. Schafft mit der luftigen Architektur einen lichterfüllten Arbeitsplatz, lässt in einer eigenen Werksschule Nachwuchs heranziehen und Fachkräfte ausbilden.

Natürlich ist nicht alles nur eitel Sonnenschein. Ein während der Führung immer mal wieder anspringendes Tondokument erfüllt den Raum mit dem ohrenbetäubenden Tosen der Hochöfen. Auch die Tatsache, dass oben, auf dem hohen Hochofen, mechanische Hämmer Kalkgestein für den Schmelzprozess zerschlagen, lässt „Charlotte“ schaudern. Auf der ungesicherten Plattform sitzen 5- bis 6-jährige Kinder, denn nur ihre Hände sind klein und flink genug, um zwischen den zwölf Mal pro Minute herunterfallenden Hämmern die Gesteinsbrocken zu bewegen.

Zum Abschluss bringt „Charlotte“ uns ins Magazin, sozusagen der Katalog der Sayner Hütte. Dass nur Sayn mit einer acht Meter tiefen Gießgrube ­– natürlich eine Erfindung ihres Carl Ludwigs – in der Lage war, ebenso lange Kanonenrohre zu gießen, erfüllt sie mit Stolz, dass der preußische König die Sayner Kanonenrohre denen seiner eigenen Berliner Gießerei vorzog, mit diebischer Freude.

Ein bisschen zynisch finde ich dann schon, dass die Sayner Hütte neben Kanonenrohren auch filigranen Trauerschmuck in schwarzem Gusseisen herstellte. Beides genoss in Preußen, das ja praktisch ständig irgendwo mit irgendwem im Krieg war, sicher große Nachfrage.

Mit einem letzten verliebten Augenaufschlag zeigt uns „Charlotte“ noch eine andere Facette ihres Carl Ludwigs, der eben auch Bolleröfen gießen ließ, den Schinkel seine Entwürfe zu Wendeltreppen und Gartenstühlen umsetzen ließ und der das Leben der Hausfrauen am Herd einfacher machte mit so innovativen Haushaltsgeräten wie dem im Herd integrierbaren Waffeleisen oder dem Kaffeeröster.

Sie entlässt unsere sehr kleine Gruppe, wir sind zu fünft, Monsieur der einzige Mann, mit einem weiteren bezaubernden Lächeln: wir sollten uns ruhig umschauen, sicherlich würde uns doch das eine oder andere hochwertige Objekt gefallen – natürlich nur echt mit dem Stempel der Sayner Hütte.

Eine Viertelstunde später sehen wir sie, in Jeans und Turnschuhen, vor einer Dreißiger-Gruppe im Hof stehen und trockene Fakten zu „der letzte Trierer Kurfürst 1796“ weitergebend.

Kein verliebtes Lächeln weit und breit und ein Likörchen schon gar nicht.

Im Lande des doppelgeschweiften Löwen

Ja, ich weiß, das klingt jetzt recht exotisch, Richtung Südostasien oder zumindest Seidenstraße.

Deutlich fremdländischer jedenfalls als „Westerwald“. Ist aber der offizielle Titel dieser „E-Bike-Traumtour“ von und bis Hachenburg. Das Städtchen soll sehr schön sein, weiß Monsieur, allerdings springt zuerst so gar kein Funke über. Kein Wunder, parken wir doch am Bahnhof, an der Industriezone. Die liegt aber schnell hinter uns und schönste gelbgetupfte Wiesenlandschaften vor uns.

Das Kloster Marienstatt imponiert mit der weisen Entscheidung, den barocken Bauwillen nur an den Wohngebäuden auszutoben.

Was mir aber noch viel mehr zusagt, ist der Klostergarten mit seinen Heilkräutern, die Grünflächen mit den hineingetupften blühenden Apfelbäumen – und mein heimlicher Held des Tages (neben Monsieur natürlich). In geradezu philosophisch-stoischer Ruhe zieht ein Mähroboter seine Bahnen über die sehr großen Rasenflächen. Zieht und stoppt und wendet und mäht weiter, unbeirrt und unverzagt, wohl ahnend, dass er, kaum mit dem einen Teilstück fertig, am anderen Ende wieder anfangen kann. Ein kleiner tapferer Sisyphus der Gartenarbeit.  

Auf der alten Brücke kreuzen wir die Große Nister und ein paar steile Straßenkilometer bringen uns nach Limbach ins Tal der Kleinen Nister. Streithausen verdankt seinen Namen sicher einem uralten keltischen Ursprung, der nichts mit dem heutigen Wort … Jedenfalls können wir uns ohne Streit auf die Weiterfahrt einigen. Atzelgift gibt uns eine weitere Möglichkeit über Ortsnamen und ihre Bedeutung nachzudenken, bis wir ein paar Momente still im Ehrenhain innehalten. Kriegerdenkmäle ziehen mich an, die Zahl der Namen, oft aus ein und derselben Familie, die Tragödien und der unendliche Schmerz hinter den dürren Angaben berühren mich, auch wenn die meist sehr martialische oder kriegsverherrlichende Formsprache der Denkmäler mich eher abstößt. Hier trifft es mich unverhofft und sehr tief. Die Figuren stehen locker gruppiert auf einer Waldwiese am Bach. Zeitlos und doch – leider wieder – sehr aktuell zeigen sie das Leid aller: die wartende Frau, der traumatisierte Rückkehrer, Familien, die vergebens hoffen.

Der Weg führt uns weiter durch große Wälder und auf ein – verzeiht die Analogie – weiteres Schlachtfeld unserer Zeit. Wir fahren an langen, mehrere Meter hohen Holzstapeln vorbei, säuberlich aufgestapeltes Waldsterben, fein aufgeräumter Klimawandel. Wobei ich nicht weiß, was mich mehr belastet: die Hektar um Hektar verwüsteter, abgeholzter Fläche, auf der der eine oder andere Überlebende einsam seine Äste in den Himmel streckt oder das traurige Mahnmal der abgestorbenen Nadelholzwälder, die als graue tote Flächen im sanften Grün der austreibenden Laubwälder stehen.

Bad Marienberg hatten wir für die Mittagspause angedacht, aber nicht mit unseren Trödeleien gerechnet. Es ist also schon zu spät für die meisten Restaurants. Deshalb gönnen wir uns in einem typisch deutschen Spezialitätenrestaurant eine typisch deutsche Spezialität: „einmal Döner mit alles“.

Das gibt uns dann Kraft für den Rest der Tour. Wir kommen unbeschadet an der Schnapsbrennerei in Nistertal vorbei, aber dann ist Monsieur zu schnell mit dem Abbiegen. Ich habe den Wegweiser gesehen, aber darauf vertraut, dass Monsieur schon weiß, was er tut. Erst als wir im Hof einer Industrieanlage stehen, kommen ihm Zweifel. Dieser Abstecher gibt mir dann den Mut, Monsieur bei der nächsten Kreuzung zurückzurufen. Ja, beide Wegweiser zeigen nach Alpenrod und ja, der linke Weg ist auf der Routenführung eingeplant. Aber da steht auch Alpenrod 9 km, 13% Steigung. Rechts hingegen heißt es Alpenrod 12 km, 6% Steigung. Anbetracht der Anzeige unserer Batterien, der Quengelei unserer Wadenmuskeln und der sich doch langsam einstellenden Müdigkeit entscheiden wir uns weise für den rechten Weg. Der führt uns dann durch den niedlichen Ort Dehlingen, der über eine „Stadtstraße“ verfügt sowie einen riesigen Kreisverkehr. Daran gelegen ein Brunnen und ein Gemeinde-Backhaus. Der Termin für das nächste gemeinsame Backen ist schon angeschlagen. „Es sollte Ihnen nicht Wurst sein, wer Ihr Brot bäckt“, steht auf einem Schild.

Das andere Ende von Hachenburg empfängt uns mit viel Fachwerk und einem sehr schönen Freiluft-Museum – notiert für ein anderes Mal, denn jetzt steht uns der Sinn mehr nach einem Weizenbier auf dem Marktplatz.

Unter dem wachsamen Blicken des doppelgeschweiften Löwen genießen wir die Sonne, bis Monsieur beschließt, dass wir jetzt noch gerade zum Schloss hochfahren soll. Spricht’s, steigt auf sein Rad und sagt „Oh, Batterie tot!“ Das ist aber nicht weiter schlimm, denn vom Schloss bis zum Bahnhof geht es nur noch bergab. Allerdings muss Monsieur einen Gutteil der Strecke schieben. Pistazie-Zitrone in einem Hörnchen auf einem Fahrrad auf Kopfsteinpflaster ist eine ganz dumme Kombination, also schieben wir einträchtig bis wir wieder am Bahnhof sind, nach 52 Kilometern, 600 Höhenmetern, zwei Dönern, zwei Weizenbier und einem Eis.

Achja, eine Stunde später sitzen wir auf der Terrasse eines uns empfohlenen Golfhotels beim Apero. Da fällt mir ein und auf, dass gerade jetzt eigentlich mein Gymnastikkurs beginnen würde.

Hmmm, Aperol Spritz mit Blick auf den Golfkurs geht durch als Sport, oder?

Irgendetwas mit Wein

Monsieur erzählt mir etwas von einer Wanderung mit Wein, die Veranstalter nennen es „Mittelrheinischer Weinfrühling“, irgendetwas mit Wein, also.

„Viel zu überlaufen“, sagen die Nachbarn rechts. „Tut euch das nicht an.“

„Wir fahren hin“, sagen die Nachbarn links. „Wollt ihr mitkommen?“

Und schon sind wir überredet.

Ja, es ist voll, als wir mit dem Shuttle-Bus zum Endpunkt fahren. Es ist voll, als wir an der Schranke mit gefühlt Hunderten Wanderlustiger die Durchfahrt von zwei ICs abwarten und es ist voll, als wir uns dann am ersten Stand anstellen. Dort werden nämlich die Gläser verkauft, komplett mit einer sinnigen Halterung aus Lederkreis und Schuhriemen, die den freihändigen Transport der Gläser um den Hals ermöglichen.

Wir bekommen auch eine kleine Karte mit den 20 Ständen zu Wein und Kulinarik und treffen dort die Freunde der Nachbarn.

Dann profitieren wir von der Erfahrung der anderen, die wissen, bei welchen Ständen es lohnt zu halten und wo man das eher nicht muss. Insgesamt sind wir sehr brav, ganz besonders unser Nachbar, der sich an Mineralwasser hält. Nach dem zweiten Gläschen kommt zwischen Stand 6 und 10 eine sprichwörtliche Durststrecke, aber die hat mit dem Stand des Weingut Didinger ein Ende. Von dort aus können wir allerdings sehen, dass die Menschendichte inzwischen erheblich zugenommen hat auf den Wegen vorbei an Stand 11 bis 20. Was wir auch hören können, ist, dass ein nicht unerheblicher Teil dieser Menschen sich mit tragbaren Boxen ausgestattet hat. Die haben vom Design her nichts mehr mit den „Ghettoblastern“ unserer Jugend gemein, machen aber die gleiche Menge Krach.

Wir beschließen also auf den ein paar Höhenmeter oberhalb verlaufenden Rheinsteig auszuweichen, von wo wir die bunte Menschenmenge immer noch sehen, aber nicht mehr hören können.

Und so schließen wir den Mittelrheinischen Weinfrühling ab mit einer Wanderung oberhalb der Weinberge, was ja schließlich auch irgendetwas mit Wein ist.

Fingergymnastik

Wetter brummelt: „Ich kann’s ja mal versuchen.“ Um dann mürrisch nachzusetzen: „Aber versprechen tu ich nix!“

Entsprechend frisch ist es am Wanderparkplatz Oberlahnsteiner Forsthaus. Der Parkplatz ist sehr groß, etwa in der Mitte, halb versteckt hinter Stapeln gefällter Bäume, stehen zwei Wegweiser verloren in der Gegend herum. Ja, sie tragen Hinweisschilder und sie zeigen auch irgendwo hin, nur ist nicht so ganz klar, welche der Wege man ihnen zuordnen soll.

Ist aber nicht weiter schlimm, Monsieurs Lebensgefährtin weiß das und so beginnt der erste Teil der Fahrradtour zur alten Nassauischen Bahntrasse, Streckenabschnitt nach Braubach.

Ich würde jetzt gerne schreiben, dass wir radeln, aber es ist mehr Fingergymnastik an den Bremsen. In die Pedale treten müssen wir nicht, nur ab und zu mal bremsen, wenn die Pfützen zu schlammig werden, der Schotter sich für Treibsand hält.

Nach kaum fünf Minuten hält Monsieur und weist nach rechts. „Der Beweis“, meint er und zeigt auf die Brückenpfeiler, die dort verloren im Bachtal stehen. Als ob ich es ihm nicht ohnehin geglaubt habe, was er auf der ersten Bahntrassen-Wanderung herausgefunden hatte. Wirklich erstaunlich ist doch eher, dass wir schon jetzt an der Stelle sind, an der wir vor ein paar Tagen kehrt gemacht am – am gegenüberliegenden Ufer. Am hiesigen Ufer beginnt die alte Bahntrasse.

Auf unseren Streifzügen durch den Taunus haben wir festgestellt, dass etwa 90% der Bäche auf den phantasievollen Namen „Mühlbach“ hören und so beschließen wir einfach, dass auch dieser, einst von der Brücke überquerte, Bach ein Mühlbach sei. Die Trasse folgt ihm in Richtung Rhein. Ein Ponyweg kreuzt – ausführlich beschildert – unseren Pfad, aber die Ardenner bleiben als Kaltblüter auf der Bahntrasse. Kurz vor Braubach biegt der breite Weg im spitzen Winkel zu einer Mühle ab. Die Bahntrasse geht natürlich geradeaus weiter, allerdings als überwachsener Trampelpfad in der Mitte der Trasse. Kniehohes Gras, noch Regen-nass vom nächtlichen Gewittersturm, schlägt gegen die Waden, gelegentlich steigt Monsieur ab, um dickere Äste aus dem Pfad zu ziehen. Schließlich mündet der Pfad auf die Straße. „Nass. Bahntrasse“ steht dort auf einem handgeschnitzten Schild. Stimmt, nass war sie, die Trasse, im letzten Abschnitt.

Braubach ist dann Rheinromantik pur. Die Marksburg thront über dem Städtchen, ein mittelalterliches Stadttor lässt uns eintreten, Fachwerkhäuser neigen ihre Giebel rechts und links über die Gassen.

Am Marktplatz gönnen wir uns eine Pause, während die Intercitys und Güterzüge gefühlt direkt an unserem Tisch vorbeibrausen. Angeblich hätten die Hoteliers der Rheinromantik-Örtchen in den 1860ern darum gebeten, die Gleise direkt vor ihren Terrassen zu verlegen, um ihren Gästen das „atemberaubende Schauspiel der vorbeibrausenden Lokomotiven“ – Inbegriff des Fortschritts – zu ermöglichen. Ja, hätten sie das noch mal zu machen…

Mit der Philippsburg zeigt Braubach, dass es auch Renaissance kann und dann sind wir auf dem Rheinradweg. Obwohl das hinter Braubach eher eine Vertrauenssache ist: rechts ist der hohe Damm der viel befahrenen Bundesstraße, links der hohe Damm, der vor Hochwasser schützen soll, da müssen wir einfach darauf trauen, dass wir am Rhein entlang fahren.

Lahnstein ist durch Großbaustellen und Umleitungen gleich chaotisch für Auto- wie für Radfahrer, aber hinter der Lahnbrücke geht es dann auf den stillen und recht romantischen Lahnradweg. Bei Friedrichssegen kreuzen wir zurück auf die andere Lahnseite und müssen uns dann den Tatsachen des Lebens stellen. Dass so ein Fluss ja meist unten, im Tal, der Ausgangspunkt unsere Radtour aber oben auf den Lahnhöhen liegt.

Vielleicht könnte man Blood, Sweat and Tears überreden eine leicht modifizierte Version des Spinning Wheel aufzunehmen. Statt “What goes up must come down” eher etwas in Richtung “What rolls down, must – ähhh -strampel up”.

Radfahrerhymne…

Nassauische K(l)einbahn

In das tolle Museum in Neapel hatten wir es ja nicht mehr geschafft, dafür wirbt in Nastätten das „charmanteste Museum der Region“ um unseren Besuch.

Charmant ist es wirklich und zwei Damen vermitteln sehr kompetent und begeistert ihr Wissen zum „Blauen Ländchen“. Wenn die Herstellung des blauen Farbstoffes auch eher abschreckend klingt – ich sage nur: Waid (ok, aber dann kommt’s:), Urin (in großen Mengen) und dicke Maden in demselben (fragt bitte nicht weiter) – bin ich jetzt angemeldet für einen Waid-Färber-Kurs.

Blaue Textilien sind einer der Schwerpunkte dieses sehr liebevoll ausgestatteten Museums, die Nassauische Kleinbahn ein anderer. Die Bahn gibt es nicht mehr, aber ihre Trasse wird als Wander- und Radweg beworben. Das wollen wir erstmal zu Fuß austesten, bevor wir die Ardenner auf den Fahrradträger hieven.

Auf dem Parkplatz am Friedhof von Becheln fotografieren wir den eingezeichneten Rundweg ab, unsere Wander- bzw. Radweg-Apps kennen ihn nicht. Die ersten Zweifel kommen uns schon nach den ersten hundert Metern. Am Wanderplatzschild hing ein fotokopierter Zettel für „Erst-Wanderer“, ein Wort, das ich bis dato auch noch nicht kannte, mit detaillierten Hinweisen zu Be01-03 als „Zuwanderungen“ zur Bahntrasse. Nur lassen sich in der realen Natur des Taunus keine Wegzeichen, ja fast keine Spuren eines Wanderweges finden. Monsieur will trotzdem diesen Pfad rechts am Feldrain nehmen, der steil nach unten führt. So etwas macht mich immer misstrauisch. „What goes up, must come down“, singen Blood, Sweat and Tears, aber in unserem Fall ist es ja eher umgekehrt: was wir bergab gehen, müssen wir später mühsam wieder hochlaufen. Unser Auto kommt leider nicht, wenn wir pfeifen.

Tatsächlich mündet der Pfad auf eine breite Trasse – wir haben sie gefunden, die Bahnstrecke der Nassauische Kleinbahn. Auf der Trasse ist fein wandern, unterbrochen von Tafeln zu Geschichte und Geschichten der Bahn. Dass die Bauern im Dorf A ihr Land der Bahn unentgeltlich zur Verfügung stellten, unter der Bedingung, dass Dorf A einen Bahnhof erhalte und dieser auch einen beheizten Warteraum haben müsste. Dass dafür im Dorf B ein Bollerofen im Bahnhof abgebaut worden sei, jener Ofen aber nie im Dorf A angekommen sein. Intrigen über Intrigen! Dann kommen mehrere Tafeln mit zeitgenössischen Fotos zu umgekippten, zusammengestoßenen, von den Gleisen gesprungenen Zügen. Wir bekommen den Eindruck, dass diese tolle neue Technologie noch nicht wirklich beherrscht wurde.  Von den Krawallen der betrunkenen Bahnbauarbeiter, die auch mal mit Dynamitstangen – angezündeten! –  um sich warfen, ganz zu schweigen. Sehr schön in diesem Zeitungsbericht, die Erwähnung, dass die „sehr resolute Wirtin“ die Situation in den Griff bekam – lange bevor die Polizei kam.

Die tief in den Hang eingeschnittenen Abschnitte der Trasse erklären das Vorhandensein der Dynamitstangen und lassen uns über die Arbeit der Landvermesser nachdenken, die in dieser Gegend der steilen Bachtäler eine geeignete Streckenführung suchen mussten. Um 1903 war sie fertig, die Kleinbahn, Ende der 1970er wurde sie eingestellt, also keine Bahn mehr, aber die Trassen wurden in Wirtschaftswege umgewandelt.

Wir laufen an den Be01- und Be02-Abzweigungen vorbei, wir wollen die Be03-Variante am Mühlbach entlang zurück nach Becheln nehmen. Just dort kreuzt ein Viadukt den Bach, aber der Bahntrassen-Wegweiser zeigt links auf ein paar sehr steile Holzbohlen-Treppenstufen bergab. Über den kleinen Bach suchen wir uns einen – eher feuchten – Übergang, dann geht es weitere Holzbohlen-Stufen hoch und da ist sie dann wieder, die Trasse. Monsieur – immer der kleine Forscher – will nun wissen, weshalb der Umweg und geht nachforschen. Er kommt zurück mit der Erkenntnis, dass eine Brücke, von der nur noch die Pfeiler stehen, eine Überquerung für Mensch und Fahrrad eher unangenehm gestalten würde.

Aus der Gegenrichtung kommt ein Mountainbiker angekeucht und bestätigt uns, dass diese kleine Passage die einzig unangenehme auf dem weiteren Weg nach Braubach am Rhein sei.

Das hört sich doch ganz gut an, so ein paar Treppenstufen sollten die Ardenner schaffen.

Die ersten Etappen der Radtour sind somit gesichert und wir machen uns mit Be03 auf den Rückweg zum Auto. Allerdings hat Be03 seine eigenen Vorstellungen dazu, was ein Wanderweg sein soll. Er sieht sich eher als Trimmpfad. Umgestürzte Bäume zwingen zum Drüber- oder Drunterdurch-Steigen, abgebrochene Wegränder zum Balancieren auf schmalen Pfadresten, es ist sehr kurzweilig.

Irgendwann wird der Weg dann wieder breiter, dafür bietet ein alter Stollen Höhlenforscher-Abenteuer am Wegrand. Uns ist mehr nach Waldromantik, wenn auch das Leben für Monsieur eine herbe Enttäuschung parat hält. Der hatte nämlich auf der abfotografierten Wanderkarte vier Teiche als Forellenzucht interpretiert mit Gedankenspielen, die in Richtung eventuell zu kaufender Forellen gingen mit weiterführenden Ideen zu Mandelbutter und Petersilienkartöffelchen.

Aber das Leben kann ja so uneinsichtig sein und die Forellenzucht entpuppt sich als die Kläranlage der Gemeinde mit algen- und wasserlinsenbedeckten Klärteichen. Wirklich gemein!

Der Rückweg aus dem Tal ist so steil wie befürchtet, aber irgendwie schaffen wir das, mit dem festen Entschluss, der Kleinbahn bis Braubach zu folgen. Von da aus entlang des Rheinradweges und der viel größeren – und leider auch lauteren – Trassen von Bundesbahn und Bundestraße bis Koblenz und dann wieder nach Hause.

Jetzt müssen wir nur noch das Wetter überreden mitzuspielen.

Für den Lieblingsenkel

Heute Morgen haben wir viel Zeit. Fürs Frühstücken, Packen, Schlendern, für alles Mögliche, nur eben nicht für das, was ich für heute Morgen angeplant hatte: Das sehr kleine Museum in der Sansevero Kapelle mit seinen Kunstschätzen, die von exquisit bis bizarr rangieren. Gestern Abend habe ich noch schnell die Öffnungszeiten nachgeschaut und herausgefunden, dass wir unsere Tickets vor Wochen hätten online reservieren müssen. Ja, hätte ich wissen können, habe ich aber nicht. Für heute ist eh ausverkauft.

Auf dem Weg zu dem netten Café, das ich auf der Piazza San Domenico Maggiore gesehen hatte, kommen wir am Museum vorbei. Die Warteschlange am Einlass geht um zwei Straßenecken, wirklich nicht das, was wir uns für einen entspannten letzten Morgen vorgestellt haben. Stattdessen gibt es Kaffee und luftig leichtes Hefegebäck, Orangensaft und ganz viel Sonne. Vielleicht ganz gut so: die Kunstwerke kann ich mir im Internet anschauen, Sonnenstrahlen im Gesicht tun nur im realen Leben gut.

So gestärkt tauchen wir noch einmal ein in das Gewühl und Gewimmel der Altstadtgässchen und trauen uns am letzten Tag in die Via San Gregorio Armeno, die Gasse der Krippenmacher. Neapels zweite Spezialität neben der Pizza sind die prächtig ausgestatteten Krippen. Aus Korkblöcken wird der Hintergrund gestaltet, der dann mit mannigfachem Personal ausgestattet wird. In den Geschäften kann man sich seine ganz persönliche Weihnachtsszene zusammenstellen. Dass Neapels Fußballverein – im blauen Trikot – nicht in der Weihnachtsgeschichte vorkommt, scheint niemanden zu stören.  Und dann steht neben der Queen noch ein Kerl, der in meinen Augen ganz bestimmt nicht in eine Krippe gehört.

Unser Taxi ist für zwölf Uhr bestellt, da bleibt noch Zeit, sich um etwas Verpflegung zu kümmern. Auf der Via di Tribunali hatte ich einen Laden gesehen, der sehr appetitanregend wirkte.

Ein bärtiger Hüne bastelt sehr konzentriert an kleinen Häppchen, blickt auf und strahlt uns an. Wir bestellen, er nimmt zwei panino, und schneidet sie auf. Dann ist der Mozarella dran, der Hüne reicht uns nonchalant die abgeschnittenen Endstücke und fischt gebratenen Friarielli – eine Art wilder Brokkoli – aus dem Öl. Schichtet beides übereinander und greift nach dem Teller mit dem hauchdünn aufgeschnittenen Braten. Zwei Hände voll davon drapiert er hoch auf das Gemüse, das Fleisch legt sich in üppige Falten, noch etwas Olivenöl dazu – kurzum das ist ein belegtes Brötchen, wie die „Nonna“ es ihrem Lieblingsenkel für den Wandertag mitgibt.

Das erweist sich als gut so. Unser Taxifahrer bringt uns mit lachender Gelassenheit durch teilweise haarsträubende Verkehrssituationen fast pünktlich zum Flughafen. Wo uns erst unsere Airline ihre Verspätung mitteilt und dann der Flughafen ankündigt, dass der Tower ein Computerproblem habe.

Mit mehreren Stunden Verspätung kommen wir in Genf und eine halbe Stunde später zuhause an. Noch immer so satt, dass wir die Cappellini al limone auf morgen verschieben.

Aschenputtels böse Stiefschwester

Pompeji ist für uns eine seltsame Mischung aus staunen, bewundern und ärgern. Sehr anstrengend ist es auch.

Wir treten mit einer Menge anderer Touristen aus dem Bahnhof und stehen vor einem halben Dutzend Buden, die anbieten, die Eintrittskarte hier zu kaufen, um sich Schlangestehen an der offiziellen Kasse zu ersparen. Klingt freundlich, ist aber Nepp. Was sie wirklich verkaufen, ist nicht der Eintritt für 20 Euro, sondern ihre Führung für 40 Euro.

Wir haben uns das gestern Abend lange überlegt. Drei Stunden Führung in Ercolano waren uns schon ein bisschen zu viel Fremdbestimmtheit. Die Pompeji-Führung ist noch länger und das wollen wir dann lieber selber gestalten.

Wir wollen also nur die Tickets kaufen und da werden sie pampig. Behaupten, dass man sich nicht alleine zurechtfinden würde (nun ja), weil es keine Straßennamen gäbe (stimmt nicht!), dass die einzelnen Sehenswürdigkeiten nicht gekennzeichnet wären (stimmt nicht!), dass es keine Erklärungen in den Gebäuden gäbe (stimmt nicht!). Dann verlangen sie noch zwei Euro Vermittlungsgebühr für die Karten. Ich leiste mir noch ihren Pompeji Führer für 12 Euro (Buch und Stadtplan) und stelle erst später fest, dass der Plan fehlt.

Ein ziemlich übler Start.

Es kann also nur besser werden.

Wird es!

Wir lassen die Unterstadt Thermen wörtlich links in ihrer Senke liegen und steigen hoch durch die Porta Marina zum Venustempel und zur Sonne. Unsere gerade erworbene Pizza ist noch warm. Eine junge Frau sitzt kauend auf einem Säulenrest. Wir fragen sie, ob sie dies Restaurant empfehlen kann und sie nickt lachend und deutet einladend auf die Säulenreste neben ihr. Der Blick auf dieser Picknickterrasse geht über die Kehrseite von viel heroische Nacktheit, irgendwie deutlich weniger heroisch von hinten.

Irgendwann lecken wir die Finger ab und versuchen mithilfe der Pläne im Internet und des kleinen Faltblattes, das die Dame an den Budchen doch noch herausgerückt hat, unseren Besuch zu strukturieren. Apollotempel, Jupitertempel und Forum, klar, alles ums Forum herum auch und dann sehen wir mal weiter.

Was wir danach sehen, ist die Erste Hilfe Station des Croce rossa.

Ich hatte mich sehr dumm angestellt und es geschafft, mir – trotz Wanderschuhen – einen Zeh blutig anzuschlagen, war aber der Meinung mit Zähne zusammenbeißen ginge das schon. Inzwischen komme ich mir vor wie Aschenputtels böse Stiefschwester: Ruckedigu, Ruckedigu …

In der Station ziehe ich vorsichtig den linken Schuh aus, noch vorsichtiger den Strumpf und die zwei Sanitäter ziehen die Luft ein. „Amputare!“, nickt der eine, während der andere mich zu trösten versucht, dass ich ja noch neun Zehen übrighätte. Dann brechen beide in schallendes Gelächter aus, wahrscheinlich wegen meines Gesichtsausdrucks. Nach so viel Spaß arbeiten sie sehr professionell, bis das Malheur gereinigt, desinfiziert und verbunden ist.

Monsieur hat derweil in der Sonne auf einem Mäuerchen gesessen und eine Menge „Wir könnten doch…“ ausgearbeitet. Seine Vorschläge scheitern gelegentlich an seltsamen Einbahnregelungen, die uns nicht erlauben, ein Haus auf dem gleichen Weg zu verlassen und uns in die Parallelstraße führen. Das führt dann zu langwierigen Umwegen oder aber zu kurzfristigen Planänderungen, wir sind da sehr flexibel. Die Häuser sind meist exquisit ausgestaltet, die oft bepflanzten Innenhöfe vermitteln ein anschauliches Bild des Lebens der Oberschicht.

Natürlich gibt es auch die Häuser mit den erotischen Szenen oder das berühmte Bild des Gottes mit dem Riesen-Phallus auf der Waagschale. Auf der Erklärtafel dazu steht, dass dieses Bild bis vor ein paar Jahrzehnten noch mit einer Holztafel abgedeckt war, die nur auf Anfrage geöffnet wurde und auch nur dann, wenn der Fragesteller männlich und über 21 Jahre alt war.

Irgendwann brauche ich eine Pause und wir steigen hoch zu der Kirche, die auf dem heutigen Niveau über den Ausgrabungen thront. Dort wird ein Besucherzentrum eingerichtet, aber im Augenblick muss ich mich mit den Gartenmäuerchen als Sitzplatz begnügen.

Monsieur will nun noch in das weit entfernte Amphitheater, was ich ihm von ganzen Herzen gönne – genüsslich in der Sonne sitzend und dem Trubel um mich herum lauschend. Ein halbes Dutzend französischer Schulklassen genießt Bildung, Sonne und Freiheit. Ich höre Satzfetzen wie „Eine Sache habe ich heute schon gelernt: also, das Forum…“ oder „Will jemand seine Orange gegen meine Kekse tauschen?“ oder „Madame, Madame, wissen Sie, wo der Abfalleimer steht?“ Die Stimmung ist wunderbar.

Der Weg zur Villa der Mysterien – unser vorletztes Ziel – vorbei an den prachtvollen Villen im Sektor VI ist lang und ab der Porta Ercolana auch recht steil. Die Fresken selber wirken schon fast modern, die Farben noch so frisch und strahlend, die Darstellungen wie aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts. Es gibt Interpretationen, dass hier die Mysterien des Dionysos dargestellt werden, aber die Forschung ist sich nicht einig, so dass die Villa der Mysterien nach wie vor ein Mysterium ist.

Der Weg zurück gehört nicht zu meinen Highlights von Pompeji: lang, steil, heiß, macht er mehr als deutlich, dass wir, nun ja, ich ziemlich müde bin und dass wir seit der kleinen Pizza vor langer Zeit nichts mehr gegessen haben. Das „Restaurant“ am Forum ist aber wenig ansprechend und so verzichten wir gerne auf Sandwichs aus dem Automaten.

Inzwischen sind wir fünf Stunden unterwegs und langsam ist es genug. Nur noch die Terme Suburbane, direkt neben dem Eingang, dann schließen wir „unser Pompeji“ für heute ab.

Leider schließen wir auf einer sehr verärgerten Note ab. Am Forum ist plötzlich der Weg nach unten durch die Porta Marina abgesperrt, Besucher werden durch den Museumsshop und das Antiquarum zwangsumgeleitet. Da gibt es dann keinen Ausgang, wir werden eine Viertelstunde lang von Raum zu Raum, von Etage zu Etage geleitet, nirgendswo gibt es einen Ausgang. „Ja!“, lacht die Museumsangestellte, „das ist jetzt gerade kompliziert mit dem Umbau. Sehen Sie, da ist der Ausgang – aber gesperrt!“ Dann stürzt sie sich in langwierige Erklärungen, die uns in den Kellerräumen fast wieder umkehren lassen, bis wir tatsächlich den hinter mehreren verwinkelten Ecken versteckten Not- und jetzt Hauptausgang finden.

Zu unserer Verwunderung stehen wir fast direkt vor den Drehkreuzen des Ausgangs, keine Möglichkeit, einen Zugang zu den Thermen, quasi auf der anderen Seite des Eingangsbereichs, zu finden.

Wir versuchen jemanden vom Personal zu überreden, uns schnell hinaus und kurz – nur für die Thermen – wir haben ja ganz offensichtlich Eintrittskarten – wir wollen doch nur…

Die Dame wiegelt knallhart ab, das ginge auf gar keinen Fall. Auf unsere Bitte, uns nun einen schnellen Weg in Pompeji selbst zu den Thermen zu erklären, kommt ein ernüchterndes: „Die sind eh seit drei Minuten geschlossen.“ Vielen Dank, Zwangsumleitung.

Der Zug nach Neapel ist ziemlich überfüllt und wir sehen offensichtlich noch nicht so alt aus, dass uns Jüngere ihren Sitzplatz anbieten. Das ist ja eigentlich ein ganz positiver Aspekt, wenn auch etwas anstrengend.

Vor der Porta Nolana zückt Monsieur seine Lebensgefährtin, während ich schnurstracks auf ein Taxi zugehe. Monsieur seufzt und kapituliert.

Ho capito!

Einerseits wollten wir heute nach Pompeji, andrerseits haben wir außer den nächtlichen Altstadtgässchen und dem Bahnhof Porta Nolana noch nicht viel gesehen von Neapel.

Wir beschließen also, uns heute lieber Neapel anzusehen – mit der U-Bahn. Klingt nach einem Plan, nicht wahr?

Auf dem Weg zur Dante-Station liegt der Santa Chiara Kloster Komplex mit seinen wundervollen Bauten. Und einem netten Kloster-Shop, der neben hausgemachten Naturkosmetika auch Kaffee und Pasticcini anbietet zum Frühstück. Der Kreuzgang mit seinem Orangenhain und den Majolikasäulen ist ein sehr friedlicher Ort – im Gegensatz zur Geschichte des Klosters, das im Zweiten Weltkrieg von den Alliierten zerbombt wurde und fast gänzlich ausbrannte, core scuro, das dunkle Herz Neapels bis zum Wiederaufbau in den 1950ern.

Piazza Dante wird umtost vom ganz normalen Verkehrschaos, aber wir wollen ja U-Bahn fahren, genau eine Station weit, bis Toledo, der schönsten U-Bahn-Station Europas. Über 50 Meter unter der Stadt durchfährt man auf Rolltreppen die Schichten und die Geschichte der städtischen Besiedlungen, bis ein meerblauer Lichtschacht den Blick in die Höhe öffnet und uns ein Gefühl dafür gibt, wieviel Erde auf uns lastet. Das ist sehr schön anzusehen, aber schwierig zu fotografieren. Nachdem wir viermal rauf und runter gefahren sind, gibt Monsieur den Versuch auf. Wenn Ihr also schönere Bilder haben wollt, müsst ihr googeln.

Mit der Linie 1 (das klingt toller als es ist, es gibt genau zwei, eine weitere ist zumindest im Bau) fahren wir nach Municipio und damit ins Herz des prächtigen Bourbonen-Neapels. Monsieur hatte mir dazu einen Wikipedia-Artikel vorgelesen (wir nennen das „Bildung to go“), aber als dann der selbe Mann Karl VII. im Königreich Neapel, Karl V. im Königreich Sizilien auch noch König Karl III. von Spanien war, wurde mir das zu unübersichtlich.  Das gleiche gab es auch noch mit einem Ferdinand (III., IV. und I.) und da habe ich dann aufgegeben. Was alle diese Doppel- und Dreifach-Könige gemeinsam hatten, war der Drang zu prachtvollen Bauten.

Aber zuerst schlendern wir zum Castell Nuovo. Für Neapel-Verhältnisse nuovo/neu, weil nicht griechisch, sondern „nur“ von 1279, hat es diesen Drang nicht. Es sagt einfach nur „Don’t mess with me!“, was allerdings durch die gelben Blümchen in den Mauerritzen ein bisschen relativiert wird.

Zwischen Industriehafen, Ausfallstraße und Militärakademie ist nicht wirklich schön schlendern, also biegen wir ab. Dass es da einen Aufzug von der Via Acton hoch zur Esplanade gegeben hätte, sehen wir natürlich erst, nachdem wir zu eben dieser Esplanade hochgelaufen sind, vorbei am prachtvollen Theater, dem noch prachtvolleren Palazzo Reale (nicht mein Geschmack, aber…) und über die prächtige Piazza del Plebiscito.

Langsam wird es Zeit für eine Pause. Monsieur will nun ans Meer und einen Drink mit Meerblick genießen. Es dauert erstaunlich lange, bis wir beim Castel dell Ovo schließlich eine Hafenbar finden. Der Aperol Spritz ist gut, aber die Bedienung so unfreundlich, dass wir nicht lange sitzen bleiben wollen.

Der Blick vom Castel Sant’Elmo sei der schönste über die Stadt, habe ich gelesen, allerdings liegt die Talstation der Seilbahn ermüdend weit weg vom Meer. An der nächsten Busstation krame ich einen Satz hervor, den ich aus meinem Italienisch-Kurs von vor vier Jahren behalten habe und frage zwei Frauen, ob dieser Bus zur Piazza del Plebiscito fahre. Glaube ich jedenfalls. Die Damen schauen mich verständnislos lächelnd an. Ich wiederhole meinen Satz, da springt ein kleiner Junge auf, schreit aufgeregt: „Ho capito! Ho capito!“ und rattert meinen Satz in dreifacher Geschwindigkeit runter. Die Damen strahlen und nicken, meinen dann aber, Piazza del Plebiscito sei nur fünf Minuten zu Fuß, da lohne das Warten auf den Bus eh nicht.

So kommt es, dass wir doch die ganze Strecke zur Funicolare laufen, denn auf der Piazza wartet die prachtvolle, aber recht leere Galleria Umberto I auf uns und von deren Hintertür sind es wiederum nur die berühmten fünf Minuten bis zum Bahnhof der Bergbahn. Wir kaufen vier Tickets für Hin- und Rückfahrt und tuckern mit der Funicolare bis zum Bahnhof Augusteo, wo Neapel mich richtig glücklich macht. Neben den vielen prachtvollen Treppen, die den Berg hinauf zum Castel führen, laufen scale mobili, Rolltreppen, mit denen man, d.h. ich, ganz bequem die Treppen schwänzen kann.

Der Blick aus der Höhe ist wirklich schön, wir erkennen vorne den großen Komplex von Santa Chiara und finden irgendwo da hinten den Duomo. Links unter uns liegen die bunten Gassen des Spanischen Viertels, die wir noch auf dem Rückweg zur Metro Toledo durchschlendern wollen. Mit der Funicolare zwei Stationen bergab, dann sind wir mitten drin. Das jedenfalls war bis eben der Plan, bis wir diese verwinkelten Treppenstufen sehen. Uralt, ausgetreten und sehr steil führen sie bergab ins Viertel und führen und führen und führen…

Vielleicht hätten wir doch die Bahn nehmen sollen, sagen meine Knie so ab etwa der Hälfte. Was machen wir jetzt mit den zwei Fahrkarten? nörgelt eine Stimme im Hinterkopf und dann erweisen sich die Spanischen Viertel als ziemlich gefährlich, verkehrstechnisch. Die engen Gassen sind zugeparkt, aber es gibt Gehsteige, sogar mit hohen Pollern geschützt. Nur können wir die nicht benutzen, weil auf den Gehsteigen die Wäscheständer, die Gartenstühle oder einfach nur der Müll steht. Also schlagen wir uns mit den Autos und dem Hornissenschwarm der Rollerfahrer um ein bisschen Platz auf der Straße.

Ich bin sehr glücklich, als völlig unerwartet ein Metro-Schild auftaucht, das uns weitere Ausweichmanöver ersparen kann. Allerdings gestaltet sich das U-Bahn-Fahren etwas überraschend: wir sind fast eine Viertelstunde unterirdisch zu Fuß unterwegs, auf Rollbändern, in Gängen, auf atemberaubend steilen Rolltreppen bis wir plötzlich und für uns unerwartet in der Toledo-Station stehen – ohne einen Meter gefahren zu sein. Monsieur brummelt, dass er sich unseren Spaziergang durch die Spanischen Viertel etwas anders vorgestellt hatte.

Abends, nach einer tollen Parmigiana und einer langweiligen Pasta schlendern wir an Maradona vorbei nach Hause. Da kommt mir Monsieur abhanden. Aber das war ja abzusehen.

Übrigens: Ich hätte da noch zwei Fahrkarten für die Funicolare Centrale. Hat jemand Interesse?

Pompeji-Bashing

Frühstück heute ist eher in die Richtung „to go“, Kaffee der löslichen Sorte im Apartment und ein Sfogliatelle aus der Bäckerei an der nächsten Ecke auf die Hand. Nicht ganz einfach zu essen im Gehen, zumal Monsieur auch noch auf das Tempo drückt, weil wir den 9:40 nach Ercolano Scavi erreichen wollen.

Wir kommen tatsächlich kurz nach halb zehn auf den Bahnsteig, da steht der vorherige Zug noch und wartet darauf, dass wir die letzten Blätterteigkrümel abklopfen vorm Einsteigen.

Die Bahnhofsuhr zeigt 7:25, als der Zug sich knirschend und jammernd in Bewegung setzt, aber beim nächsten Stopp ist es immerhin schon halb zwei. In Ercolano Scavi ist es dann tatsächlich erst kurz nach zehn, Zeit für einen echten Kaffee, bevor wir unseren Führer (Sehen Sie Herculanum mit einem echten Archäologen!) an der Kasse treffen.

Dann geht es los, mit der Führung und dem Pompeji-Bashing. Zuerst beglückwünscht Luciano uns zu unserer Entscheidung, dass wir Ercolano und nicht Pompeji gewählt haben (Wir verraten ihm natürlich nicht, dass wir Pompeji für morgen geplant haben). Pompeji wäre viel zu groß, zu unübersichtlich und zu vulgär. Pompeji, das wäre eine Industriestadt gewesen, wohingegen Ercolano das Miami gewesen wäre, Yachthafen und Sommerfrische der Reichen und Schönen. Ercolano hätte eine funktionierende Kanalisation, kein Bedarf für die riesigen Trittsteine mit Hilfe derer die Bewohner Pompejis über den stinkenden Unrat in ihren Straßen hüpften. Luciano hat noch andere Bashings parat, für die italienische Regierung etwa, alles idioti, imbecille. Italienische Steuern bekommen auch ihren Teil ab und dann ist Plinius der Ältere an der Reihe, der größte idiota und imbecille von allen und Luciano schließt auch noch gleich die gesamte römische Flotte ein.

So geht es eine Zeitlang, bis er dann doch zu den liebenswerten Kleinigkeiten kommt, weshalb man so eine Führung mit Führer unternimmt. Appetithappen des Wissens sozusagen, wie die kleinen Kuhlen im Marmor der Taberna-Theken, die wir sonst sicher übersehen hätten. Der Wirt erkannte am Klang der hineingeworfenen Münze, ob sie echt war oder nicht.

Oder den gruseligen Aspekten: die Skelette, die in den Bootshäusern am Meer gefunden wurden. Das ausgegrabene Boot am Strand, unter dessen Rumpf ein Skelett verborgen lag, den Sack mit Goldmünzen und Juwelen noch fest umklammert. Luciano schildert mit offensichtlicher Faszination, wie der heiße Wind den Menschen förmlich das Fleisch von den Knochen gefräst habe, „gnädiger Weise“ erst, nachdem die Giftgase sie schon längst umgebracht hatten. Er betont immer wieder, dass Ercolano nicht von 10000 Grad („Tausend Grad!“, murmelt Monsieur) heißen Lavaströmen begraben wurde, sondern von genauso unaufhaltsamen 15 Meter hohen Schlammlawinen, die sich vom Berg in die Ebene und über die Stadt wälzten.

Das aber genau das die Holzstrukturen und Dachkonstruktionen erhalten hätte, da der unten einfließende Schlamm quasi die oberen Stockwerke abstützte gegen die nachfließenden Massen. Dass dagegen 10000 Grad („Tausend Grad!“, murmelt Monsieur) heiße Lava alles verbrannt hätte. Wie etwa die farbenfrohen Anschlagtafeln vor einer Taberna, die mit roten und weißen Amphoren ihre Angebote und die Preise zeigten.

Das darunter gezeichnete Bild versprach andere Dienstleistungen. Mit sichtlichem Vergnügen (seinem, nicht meinem) erzählt Luciano, dass ein Kunde beim Wirt seine Goldmünze gegen eine Silbermünze seiner Wahl eintauschen konnte. Eine Münze, 25 verschiedene standen zur Auswahl, auf der die jeweilige Dienstleistung der Damen detailliert und anschaulich wiedergegeben war. Die Damen konnte dann die Silbermünzen beim Wirt wieder zurücktauschen. Notwendig wurde das, weil mit der Goldmünze mit dem erhabenen Bild des Kaisers drauf nicht solch anrüchigen Dienstleistungen bezahlt werden durften.

Der erhabene Kaiser hatte allerdings nichts dagegen, auf diese Transaktion Steuern zu erheben und zwar beide Male, idota, heuchlerischer.

Luciano erklärt uns anhand der Funde von frisch geernteten, verkohlten Walnüssen – vom heißen Wind verkohlt, nicht der nichtexistenten Lava –, dass die Archäologen das Datum der Katastrophe vom 24. August auf den 24. Oktober umgelegt haben, womit dann en passant auch Plinius der Jüngere zum idiota und imbecille degradiert wird.

Irgendwann definiert Luciano die Führung für beendet, wir bedanken uns und strolchen noch ein wenig durchs Gelände und durch das von außen ziemlich hässliche Museumsgebäude mit seinen exquisiten Kunstwerken.

Und dann setze ich meinen Willen durch. Knallhart, unbeugsam und völlig egoistisch. Monsieur kann und weiß so vieles, was er einfach nicht gut kann, ist Taxi fahren. Ich hingegen kann das und ich habe keine Lust, die laute, zugemüllte und sehr uncharmante Straße zum Bahnhof Ercolano Scavi zurückzulaufen, bergauf und nach drei Stunden Führung.

Also organisiere ich mir ein Taxi und lade Monsieur großzügig ein mitzufahren.

Was er widerstrebend tut, weshalb wir gerade noch den verspäteten Zug nach Neapel bekommen.

Am späten Abend sitzen wir in einer Cantina vor einem Gericht, das sich Vesuvio di melanzane nennt: ein Bergspitzen-Gebilde aufgeschichtet aus Auberginenscheiben, über dessen Abhänge glühend heiße Tomatensoße fließt. „Tausend Grad!“, höre ich im Geiste Monsieur murmeln und überlege, wie etwas gleichzeitig so wohlschmeckend und so geschmacklos sein kann.

Die nachfolgenden Fidelini al limone sind dagegen ein solch sahnig-frischer Genuss, dass Monsieur spontan beschließt sie nachkochen zu wollen. Die benötigten Bio-Zitronen hätten wir, das Zitronenbäumchen im Winterquartier trägt fünf prachtvolle Früchte: bio, saisonal und so was von lokal.

Sündige Ausnahmen

Regen sollte nicht der einzige Grund sein, ein Museum zu besuchen. Schließlich gibt es da ja noch das Museumscafé. Das im Falle des MANN lockt mit „gesundem Essen mit den notwendigen sündigen Ausnahmen“. Das kleine Wort „notwendig“ in diesem Satz erfüllt mich mit reiner Freude.

Ein Museumscafé, das über solche Einsichten verfügt, vom Sinn für Humor ganz zu schweigen, müssen wir unterstützen. So ist unser erster Plan für Neapel ein Frühstück im MANN, direkt nach dem Eintritt, noch bevor wir uns der Kunst zuwenden.

Ganz ohne Kunst kommen wir allerdings doch nicht da hin, denn in der riesigen Eingangshalle stehen wir vor der Sonderausstellung „House of the Lobster“ von Philipp Colbert. Bilder mit bunt-knubbeligen Szenen, Szenen mit knubbelig-bunte Statuen erfüllen mich mit diesem „Hmm, irgendwie hatte ich das anders in Erinnerung“-Gefühl.

Aber da sind wir schnell durch – mit einem Lächeln – und stehen dann vor unseren ersten Sfogliatelle.

Himmlisch leichter Blätterteig umhüllt eine teuflisch gute Ricottacreme, die nach Orangenblüten duftet, ein wahrlich sündiges Vergnügen. Espresso und frisch gepressten Orangensaft gibt es auch, dazu den Blick auf die blühenden Kamelienbäume im Innenhof – wer braucht da schon Rührei und Speck?

So gestärkt widmen wir uns dem Kunstgenuss, wobei ich einen neuen Begriff kennen lerne. Die hier herumstehenden nackten Herren haben nicht zufällig vergessen sich etwas überzuziehen, nein sie stehen da im Zustand der „heroischen Nackheit“, auf ihren Speer, Bogen oder ähnliches gelehnt, den Blick mit heroischer Langeweile in die Ferne gerichtet. Nett anzusehen sind sie allemal.

Das schaut ihr euch am besten auf den Seiten des Museums an. Deren Bilder sind eindeutig besser fotografiert als meine.

Saal auf Saal ist gefüllt mit den exquisitesten Kunstwerken, von kaum fingergroßen Figürchen zu überlebensgroßen Pferden, mit oder ohne Reiter, in Bronze oder aus Marmor.

An den Wänden Fresken mit Szenen aus der Mythologie oder einfach nur des täglichen Lebens, die Farben frisch und ausdrucksstark.

Das Ganze umtost von vier bis fünf Grundschulklassen, die mit ungeheurem Lärm durch die Ausstellung toben.

Im zweiten Stock ist es etwas ruhiger, was die Schulklassen angeht. Dafür entlädt sich – fast synchron mit dem Vesuvausbruch bei der filmischen Pompeji-Rekonstruktion – ein Gewitter über uns und sorgt für einen durchaus passenden Soundtrack.

Nach all der überwältigenden Schönheit des griechisch-römischen Neapels ist die Einfachheit in den Räumen der Proto- und Prähistorie fast eine Erleichterung für die Augen. Ich finde mein Lieblingsobjekt für heute: den Anhänger, der solch eine Fröhlichkeit ausstrahlt.

Das Museumscafé lädt uns noch zu einem gesunden Mittagessen ein, bevor wir uns gründlich verirren beim Versuch in den 3. Stock zu gelangen. Nachdem wir die Weihgaben dort oben gebührend bewundert haben, verirren wir uns wieder auf dem Weg nach unten. Die Lifte gehen jeweils nur ein Stockwerk weit, die Treppen kommen nicht an der ersten Etage vorbei, sehr verwirrend, aber letztendlich schaffen wir es mit reiner Sturheit nach einigen Dutzend Treppenstufen zu den Mosaiken der „Villa des Fauns“ aus Pompeji. Mosaiksteinchen mit einer Kantenlänge von kaum einem Millimeter sind zusammengefügt zu den erstaunlichsten Kunstwerken, Porträts selbstbewusst dreinschauender Bürger entwerfen ein Bild vom Leben in der Stadt vor fast 2000 Jahren.

Und dann ist da noch im Anschluss das „Gabinetto secreto“, das ich einfach für einen Geheimgang gehalten hatte. Dem ist natürlich nicht so. Nicht das Kabinett ist geheim, sein Inhalt ist – so steht es tatsächlich am Eingang – nicht für Besucher unter 16 Jahren geeignet. Hier wird dann in sehr eindeutigen Bildern, Statuen und Spielzeugen sehr deutlich gemacht, dass exquisite Kunst nicht das einzige war, an dem sich die Bürger Pompejis erfreuten.

So viel Kunst ist einerseits anregend, rein intellektuell natürlich, macht aber auch müde, so dass wir uns eine Siesta wirklich verdient haben. Unter dem wachsamen Blick von Gina führt uns das Labyrinth der Altstadtgassen mit seinen wunderlichen kleinen Läden zu unserem Sträßchen und der Erkenntnis, dass nicht alles, was Monsieur mir beim gestrigen Spaziergang im Abendlicht als Skulptur und moderne Kunst gezeigt hat, das bei Tageslicht auch tatsächlich ist.

Abends wird es dann noch richtig unterirdisch, absolut grottig wird es, als wir uns die 147 Stufen hinab in die Treppen, Höhlen und engen, verwinkelten Tunnel von Napoli Sotterano trauen, in die unterirdischen Tuffsteinbrüche der alten, griechischen Stadt, anschließend umgewidmet zur Wasserversorgung. Tunnel, so schmal, dass ich seitwärts gehen muss, das Handy als Lampe die einzige Lichtquelle, weiten sich in riesige Kavernen, die im 2. Weltkrieg als Luftschutzkeller dienten.

Eine Stunde – und natürlich 147 Stufen aufwärts – später werden wir entlassen ins Halbdunkel des nicht so touristischen Straßengewirrs hinter dem alten römischen Theater.

Die kleine Enoteca kommt uns da gerade recht für einen Apéro und als wir den Speisesaal und dann die Speisekarte sehen, bleiben wir einfach sitzen bei Schwertfisch-Carpaccio und Spinat-Cannelloni zum Fiano di Avellino.

Dass in der Nacht ein Erdbeben mit Stärke 3,4 Neapel „erschüttert“, bekommen wir nicht mit.