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Reisearchiv: J wie Jordanien – Durch die Wüste

Er sah aus, wie ich mir seit Karl May einen edlen Beduinen vorgestellt hatte. Groß und stolz, mit dunklen Augen, das Haupt mit dem typischen Tuch verhüllt. Nur sein edles Ross stammte nicht von den Stuten Mohammeds ab, es kam aus dem Gestüt der Toyotas. Ein großer Geländewagen mit Vierradantrieb und Selims ganzer Stolz.

Selim sollte uns Vier zwei p2008_11_06_08h16_34Tage durch die Wüste fahren, einen Tag nach Petra begleiten und am nächsten Tag abends wieder in Eilat absetzen, wo Monsieurs Konferenz einen Tag später anfangen sollte.

Doch zuerst mussten wir mit unseren Freunden von Eilat an die jordanische Grenze.

Eine gefühlte halbe Ewigkeit und einige finanzielle Transaktionen weiter betraten wir jordanischen Boden und lernten Selim kennen.

 

Gebucht hatte ich diese Tour bei einem israelischen Veranstalter. In meiner Naivität hatte ich das „eco“ im Namen des Anbieters für ein Zeichen seines Umweltbewusstseins gehalten, es sollte aber wohl darauf hinweisen, dass hier die preiswertere Variante dieser Touren angeboten wurde. Deshalb erklärte Selim uns auch direkt zu Anfang, dass er nicht die „offizielle“ Wadi Rum Tour fahren würde, die damit begänne, dass man beim Visitor’s Center erstmal eine nette Summe für den Einp2008_11_06_09h51_36tritt bezahle. Er würde uns das echte, das unberührte Wadi Rum fern ab der Touristenströme zeigen. Ich war etwas skeptisch. Meist hat es ja so seine Gründe, dass Touristen sich en masse eine Gegend anschauen und eine andere meiden. Aber Selim schaute mir nur lange in die Augen, sagte „Habe ein bisschen Vertrauen!“, und mein Widerstand schmolz dahin.

Nach einer kurzen Pause am letzten Sanitär-Stopp für viele Meilen fuhr p2008_11_06_10h02_15Selim auf eine Sandpiste und erklärte uns, der Stolz eines jeden Wüstenfahrers bestehe darin, dort zu fahren, wo vorher noch keiner seine Spuren hinterlassen habe. Sprach es und bog von der Piste ab in endlose Sandflächen, hier und da von Felsen unterbrochen. Es war meine erste Wüste und ich hatte durch Karl May und Peter O’Toole so meine Vorstellungen, wie eine Wüste auszusehen habe. Diese Explosion an Rot- und Goldtönen hatte ich jedenfalls nicht erwartet.

 

Selim ließ seinem edlen Gefährt die Zügel frei und wir schossen eine Düne hoch. Kurz vor dem Kamm kamen wir zum Stehen, die Motorhaube zp2008_11_06_10h37_04eigte gen Himmel, alles, was wir sahen, war Blau. Aussteigen, tief ausatmen und die Großartigkeit der Landschaft einatmen, das hatte etwas Meditatives, wenn da nicht Selims amüsierter Gesichtsausdruck gewesen wäre. Er zeigte auf den Steilabhang der Düne vor uns und meinte: „Einsteigen!“ Und unsere abwehrenden Reaktionen waren wohl genau das, was er frech grinsend erwartet hatte. Ich will meine Karl-May-Analogien ja nicht zu weit treiben, aber ich hätte schwören können, dass der Geländewagen sich aufbäumte, bevor er die Düne hinunter schoss. Nein, das ist das falsche Wort: Er glitt wie auf einem großen weichen Kissen hinunter und Selim erklärte uns, dass der Sand wie weicher Schnee wirken würde.

Nach dieser Wüsten-Neuling-Taufe fuhr er einen bizarren Felsen an und verkündete: Teepause. Ging ein paar Schritte weiter und kam mit ein paar vertrockneten Disteln zurück, holte Wasser und einen Teetopf aus dem Wagen und in wenigen Minuten war der Tee fertig.

p2008_11_06_12h55_10Das gleiche wiederholte sich zwei Stunden später im Schatten eines großen Felsentores. Nur dass er diesmal nicht Tee kochte, sondern Hähnchenkeulen grillte. Auf einem Feuer, das aus drei, vier Ästchen eines mageren Gestrüpps gebaut wurde. Wir sahen erstaunt zu und erzählten ihm vom Grillen mit Grillanzünder und Grillkohle. Er nickte nur. „Ein Feuer ist immer so groß, wie der Narr, der es macht“, war seine philosophische Antwort.

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An unserem Picknickplatz zeigten halb verweste Schafschädel und -knochen, dass dort wohl häufiger gespeist wurde, wenn auch vielleicht nicht von Touristen. Tatsächlich lagerte ein paar Kilometer weiter eine Familie mit ihren Kamelen im Schatten eines Felsen. Natürlich konnte man die Kamele für einen Obolus besteigen und sich dabei fotografieren lassp2008_11_06_12h58_37en. Ich kann mir das Geschäftskonzept nicht ganz erklären, viel Laufkundschaft werden sie dort nicht haben. In der Nähe gab es Felszeichnungen, deren Alter Selim mit einem Schulterzucken abtat. Einige seien schon immer da gewesen, andere erst in den letzten Jahren auf „unerklärliche Art und Weise“ dort erschienen.

Nach unserem Wüp2008_11_06_10h13_20sten-Erlebnis ging es durch beeindruckend karge Berge in die Ebene, in der Petra versteckt liegt. Davon ein anderes Mal.

 

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Wir übernachteten in einem kleinen Hotel, das einen traditionellen Hamam hatte und „das volle Programm mit Massage“ anbot. Himmlisch entspannend.

Am Morgen unseres letzten Jordanientages fragte Selim, wann wir wieder in Israel sein wollten. Da wir viel Zeit hatten, bot er uns ein bisschen Werbung in eigener Sache an. Er ist Trekking-Guide und bietet Touren in den Canyons an, die aus den Bergen in die Jordan-Ebene laufen. Normalerweise fährt er mit seiner Gruppe an die Quelle des Baches und steigt von dort in drei bis vier Tagen ins Tal herab. Wir könnten einen „Schnupper-Canyon“ habe, aber nicht den, den alle Touristen besuchen würden. Er zeigte uns dann Prospekte anderer, nobler und teuerer Anbieter, die mit einer Jeep-Karawane in den größten Canyon hineinfahren so weit es eben mit Jeeps möglich sei. Dort würde dann angehalten, Tische, Stühle und ein edles Picknick ausgepackt. Der Tisch würde mit weißen Decken und Geschirr gedeckt, auch Gläser gäbe es, um diesen Trip zu etwas ganz Besonderen werden zu lassen.

Das alles sei sehr schön und sp2008_11_08_09h53_50timmungsvoll, wenn man denn mit 20 und mehr anderen Personen dieses Erlebnis genießen möchte. Er, Selim, könne uns das allerdings nicht anbieten, dafür aber einen Canyon ganz für uns. Dass das dann doch nicht ganz stimmte, ist ein Teil dieser Geschichte.

Also fuhren wir erst durch die Berge, wo wir am Pass anhielten und an Moses dachten, der auf diesen Bergen gestanden haben musste, um in das ferne Gelobte Land zu schauen, jenes Land, wo angeblich Milch und Honig fließen. Was wir sahen, zumindest auf der jordanischen Seite, war Wüste, karge Dünen, eine nach der anderen, in denen Selim seiner Freude am Fahren wieder freien Lauf ließ.

In dieser Einöde tauchte plötzlich am Horizont tatsächlich ein zweiter Wagen auf, der in einer Staubwolke direkt auf uns zuhielt. Rechts war Wüste, links war Wüste, vor uns und hinter uns auch, aber dieser Wagen hielt mit der Sturheit eines deutschen Mercedes-Fahrers an seiner Fahrtrichtung fest. „Verletzt bei einem Auffahrunfall in der Wüste, das glaubt dir keine Versicherung“, dap2008_11_08_12h54_39chte ich noch, als beide Wagen stoppten und die Fahrer sich lachend und schulterklopfend in die Arme fielen. Dann packten die anderen aus: einen Teppich, Fladenbrot und mehrere eingelegte Köstlichkeiten. Selim war auf dem Weg zum Canyon aufgefallen, dass er nicht genug für unser Picknick eingekauft hatte und er hatte ein paar Freunde gebeten, ihm „mal eben“ auszuhelfen. Auf unser Erstaunen, dass das mit dem Treffen, hier, mitten in der Wüste, so gut geklappt habe, meinte er nur lachend: „Wir brauchen kein GPS, wir haben BNS, Beduinen-Navigations-System.“ Alles wurde ausgeladen und die Freunde fuhren wieder, nicht ohne auf einer nahe liegenden Düne mehrmals mit viel lautstarker Freude über den Kamm zu fahren, jenes Manöver, das mir am ersten Tag so ein flaues Gefühl in der Magengegend beschert hatte.

 

p2008_11_08_13h08_05    Und dann kam der Canyon. Felswände mit rot gebänderten Mustern schoben sich immer enger zusammen. Der kleine Bach wechselte dauernd die Richtung, sodass man immer wieder von einem Ufer zum anderen springen musste. Auf halbem Weg entdeckten wir einen mächtigen Felsbrocken, der in vier Meter Höhe festgekeilt war. Im Frühling schien das kleine Bächlein etwas lebhafter zu sein. Wie eine junge Gazelle von einem Fels zum anderen springend und kletternd, kamen wir an eine Stelle, wo es dann richtig bergsteigen hieß. Die Männer wollten weiter, ich fühlte mich schon mehr wie eine ältere Gazelle und habe kehrt gemacht.

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Wenig später kam ich an die Stelle, wo wir vorher etwas Schwierigkeiten hatten, einen anderthalb Meter hohen Wall zu erklettern. Und ausgerechnet da hatte sich eine jordanische Großfamilie mit Großeltern, Tanten und Onkeln zum Picknick niedergelassen. Mein Plan, diese Stelle einfach, wenn auch wenig würdevoll auf dem Hosenboden runterzurutschen, geriet ins Wanken. Ich bin dann gesprungen. Nur weil ich vor einer mir völlig fremden Familie nicht als alternde Gazelle dastehen wollte. Ja, Hochmut kommt vor dem Fall! Und so kam es, dass ich mir zum ersten Mal seit vierzig Jahren wieder ein Loch in eine Hose gerissen undp2008_11_08_13h50_34 mir die Knie blutig geschlagen habe. Geschieht mir völlig recht!

Die Reaktionen waren wundervoll. Kräftige Arme hoben mich auf, stellten mich ab. Mein Knie wurde besorgt untersucht, das Bein abgetastet, außer ein bisschen Blut war nix Schlimmes passiert. Mein Selbstwertgefühl hatte wohl den schlimmeren Kratzer abbekommen. Nachdem man mit Tee und Gebäck sichergestellt hatte, dass ich meinen „Schock“ überwinden konnte, bot man mir einen Sohn als Begleiter für die restlichen Kilometer bis zum Ausgang des Canyons an. Das habe ich natürlich abgelehnt. Einen Rest Selbstwep2008_11_08_12h33_59rtgefühl wollte ich mir erhalten. Alternde Gazelle war ja schon schlimm genug, aber alternde Gazelle mit „Blindenhund“, das wäre wirklich zuviel des Guten gewesen.

 

Auf dem Rückweg nach Eilat ging es erst am Toten Meer entlang und dann zum Golf von Akaba. Die Sonne ging unter und ließ die Berge an der Küste aufleuchten. Und ich habe verstanden, warum dieses Meer „das Rote Meer“ genannt wird.

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