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Reisearchiv: I wie Italien: Sardinien

Lest Ihr auch so gerne klammheimlich beim Friseur oder im Arzt-Wartezimmer diese Frau-mit-Herz-Schmerz-Magazine?  Auf den letzten Seiten gibt es da ja immer wichtige Ratschläge zu Ehe- oder Partnerschaftsproblemen. Nun, unser Sardinenurlaub hätte sehr gut den Spalten einer solchen Partnerschaftskolumne entsprungen sein können. Wir hatten alles: „die Krise“ und das „gemeinsam die Krise bewältigen“; das „auch mal eigene Wege gehen“ und das „Gemeinsamkeiten finden“; das „seiner Differenzen bewusst werden“ und das „den Anderen im Anders-Sein akzeptieren“. Und das alles vor strahlendblauem Himmel und in grandioser Natur.

Sardinien fing an in Berlin. Wie früher im Kino kam für uns vor dem Hauptfilm „Sardinien“ erst noch der Kulturfilm. Der nannte sich „Weltkongress der dt. Auslandsschulen“ und fand in diesem Jahr in Berlin statt. Und da das Auswärtige Amt diese Auslandsschulen mitträgt und –finanziert, ist unser Außen-Steinmeier sozusagen „der Chef von dat Janze“. Deshalb hatte er großzügig Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt und zum kleinen Empfang im Weltsaal geladen. Nach einer sehr kurzen, aber launigen Rede musste er dann allerdings wieder weg, im Nebenraum wartete der britische Außenminister und den wollte er nicht noch länger…

So gab es dann noch mehr Reden von anderen Funktionären und im Anschluss lapprige Häppchen und Alkoholisches und alle versuchten, um halb zehn beim ersten Shuttle zurück zum Hotel einen Platz zu bekommen.

Am nächsten Morgen gab es dann ab halb acht strammes Tagungsprogramm für Monsieur, für mitreisende Partner ein Damenprogramm. Da ich mich nun so gar nicht als Dame betrachte, habe ich darauf verzichtet und Berlin alleine unsicher gemacht. Unbedingt dabei: wieder „meine“ aramäischen Löwen im Pergamon-Museum. Den Pergamon-Tempel kann man mir ja schenken, viel zu viel Gedöns, aber diese Löwen! Bei jedem Besuch überkommt mich der fast unbezähmbare Wunsch, sie erst zu knuddeln und dann heimlich einzustecken und als Handgepäck nach Hause zu schmuggeln. Obwohl das mit dem Handgepäck dieses Mal ja – aber ich greife vor.

Freitags gab es noch ein tolles Sommerfest in einem wunderschönen alten Garten: nette Leute, tolles Essen, gute Weine. Die Shuttle-Busse um 22:00, 22:30 und 23:00 fuhren und einige sind dann (sehr viel später) zu Fuß nach Hause gelaufen.

Am Samstag wollte Monsieur auch noch etwas von der Stadt haben, also gab es einen Ausflug nach Charlottenburg und Sanssouci (gar nicht mein Stil, ehrlich!) und dann gegen 17 Uhr ein etwas hektischer Aufbruch vom Hotel nach Schönefeld.

Und dort schaute man erst auf unsere Reservierungen, schüttelte dann den Kopf und stellte schließlich fest, dass der Flug ja wohl für den Tag zuvor gebucht worden war. So was ist mir noch nie passiert in meiner langen Laufbahn als Familien-Urlaubsmanagerin, aber einmal ist ja bekanntlich immer das erste Mal.

Da war sie, die große Krise, denn Sonntag um 14 Uhr ging unser Flug nach Sardinien, von Genf. Der einzige weitere Flug nach Genf ging innerhalb von 30 Minuten von Tegel aus, illusorisch! Und alle Sonntagsflüge wären zu spät für den Sardinienflug in Genf angekommen.

Monsieur verhielt sich mustergültig. Kein Wort des Vorwurfs, nur eine müde-resigniert gehobene Augenbraue, als er seinen Laptop hochfuhr, um nach anderen Verbindungen zu suchen, während ich ergebnislos Dutzende von Autovermietern auf dem Flughafen abklapperte. Schließlich hatte Monsieur dann eine Zugverbindung gefunden und so ging es wieder zurück nach Berlin HBF. Inzwischen hatten wir uns in eine sehr merkwürdige Stimmung hineingesteigert, die pessimistisch damit rechnete, dass auch alle Züge ausgebucht sein würden, sich aber mit einer gewissen Euphorie weigerte, die Situation wirklich ernst zu nehmen. Es war so ein „Wir zwei gegen die Widrigkeiten dieser Welt“-Gefühl. Monsieur schrieb kryptische Mails an seine Kollegen, dass er wahrscheinlich nicht an der Eröffnung der Konferenz teilnehmen werden könne und ich wunderte mich über seine Gelassenheit und Ruhe. Dann hatten wir Glück im Unglück und es gab sogar noch Liegewagenplätze. In Hannover hieß es umsteigen in den Liegewagen und auch dort war uns das Glück wieder hold: wir hatten den Viererwagen für uns allein.

Monsieur konnte dann bis Basel schlafen, aber ich war viel zu aufgedreht und genoss „Germany by night“.

Nach 14 Stunden Zugfahrt kamen wir etwas gerädert in Genf an, eine halbe Stunde später waren wir zuhause.

Dort gab es dann Koffer aus- und einpacken im Hochdruckverfahren, einmal Katze gießen und Blumen kraulen und eine Stunde später ging es wieder zum Flughafen.

Die erste Nacht in Sardinien haben wir sehr gut geschlafen.

Am nächsten Morgen haben wir uns dann getrennt. Monsieurs Weg führte ihn zu den Konferenzräumen und meiner mich zum Strand…

Zum Glück trafen wir uns wieder zum Essen in Restaurant beim Pool. Die Organisatoren hatten alles vorbestellt, es gab ein tolles Vorspeisen-Buffet und je drei Pasta- und Hauptgänge. Auf das Nachtisch-buffet haben wir meistens verzichtet. Zu der Pauschale gehörten auch 2 Flachen Wein pro 4-Personen-Tisch und so kam es an manchen Abenden zu internationalen Handelsabkommen – „Would you mind swapping your white wine against our red wine?“ oder piratenhaften Raubzügen zu anderen Tischen, meist die junger muslimischer Physikerinnen, die nur Wasser tranken. Der Beutewein wurde dann bei Vollmond auf der Terrasse genossen.

Aber auch die härtesten Physiker brauchen mal eine Pause von der Physik und so gab es „excursions“, drei zur Auswahl: römische Ruinen in Pula (Och nöö, haben wir schon so oft gehabt!), Museen in Cagliari (In die Stadt? Bei 35° am Meer? Nein danke!) oder eine Tropfsteinhöhle und Nekropolen (18° in der Höhle? Super!).

Was uns nicht gesagt wurde, war, dass man für die Höhle in gleißender Mittagshitze Hunderte von Stufen steigen musste. Dafür genoss man die Kühle nachher umso mehr. Was diese Höhle so besonders machte, waren feinste Kristallgebilde, die wie Zuckerwatte, Schnee-flocken oder Spinnennetze wirkten. Und ihre Akustik: die Führerin erklärte, dass diese Kristalle nur hier entstehen könnten, weil es nur in dieser Höhle keine Schwerkraft gäbe. Es folgte ein Moment sprachloser Stille und dann brachen 50 Physiker in schallendes Gelächter aus, das in der Höhle nur so widerhallte.

 

Nach dem Luxus des Konferenzhotels hatten wir uns für den Rest des Urlaubs einfache B&B und „agriturismo“ auf Bauernhöfen ausgesucht. Unser erstes Ziel war Su Nuraxi, eine über 3000 Jahre alte Nuraghenburg. Wir haben durch Sardinien gelernt, dass wir uns ergänzen, selbst in dem, was wir nicht wissen. Monsieur wusste nichts von diesen archaischen Rundburgen, während sie für mich ein Grund waren, nach Sardinien zu fahren. Dafür hatte ich keine Ahnung, dass Sardinien über so hohe und imposante Berglandschaften verfügte, während das für Monsieur, siehe oben…

Und diesen Differenzen zum Trotz sind wir gemeinsam herumgekraxelt, auf den Nuraghen und auf den Bergen.

 

Für die Berge hatte ich  uns etwas Besonderes geplant. Der „Selvaggio blu“ gilt als die schönste Küstenwanderung Europas, allerdings auch als die gefährlichste. Weil wir aber Angsthasen sind, haben wir beschlossen, nur den ersten, den einfachen Teil zu laufen, 16 km, 700 Höhenmeter, die Hälfte davon bergab. Und weil wir auch noch faule Angsthasen sind, wollten wir nicht vom Meer in die Berge hochsteigen. Wir dachten, es sei einfacher, durch die Schlucht nach unten zur Küste zu wandern. Ja, so kann man sich täuschen… Der Weg fing als harmloser Forstweg an, die Ziegen sprangen um uns herum. Als wir in die Schlucht einsteigen sollten, sah der Weg dann schon anders aus. Er wurde immer enger, steiler und unan-genehmer.

Links stieg die Feldwand auf, rechts fiel sie steil ab und dazwischen standen wir und überlegten, was wir bei der Beschreibung „auf alten Ziegenhirtenpfaden“ falsch verstanden hatten. Und plötzlich war uns klar, dass wir Angst hatten, einfach Angst hatten vor diesem Weg. Aber dann stellten wir fest, dass Monsieur problemlos die Stellen gehen konnte, die mir Angst machten und umgekehrt. Und da wir ja beide ziemlich stur sein können – und man so einer Angst schließlich nicht so einfach nachgeben kann –  kamen wir, wenn auch nur sehr langsam, ans Meer!

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Das nächste Ziel war ein Bauernhof. Wir mögen diese Art des Übernachtens, denn man isst am großen Tisch mit anderen Gästen, hat Kontakt und Unterhaltung. Nun, dieser Bauer saß eine halbe Stunde schweigend mit uns am Tisch und wartete auf seine Frau. Die begrüßte uns dann sehr herzlich auf Italienisch, wir antworteten genauso herzlich auf Deutsch oder Englisch, was der Kommunikation kaum Abbruch tat. Und abends trug Angela auf. Einen Gang nach dem anderen. Vier kalte Antipasti, vier warme Antipasti, hausgemachte Ravioli und einen Schmorbraten. Als wir uns übermäßig satt zurücklehnten, reichte sie noch zweierlei Nachtisch nach. Und am nächsten Morgen ging es beim Frühstück mit frischgebackenen Kuchen und Hörnchen weiter. Genossen haben wir das zwei Tage lang. Beim Abschied jammerten deutsche Mit-Gäste: „Wir haben hier fünf Tage gebucht. Wir werden platzen am Ende!“

Von dort aus wollten wir auf den Monte Arcuento (Bildmitte im Hintergrund) klettern, aber unser Sardinenurlaub spielte an diesem Tag Irlandurlaub: tiefhängende Wolken, Regengetröpfel und Stumböen. Also sind wir über kleine und kleinste Straßen und Feldwege durch die Gegend getourt, auf der Suche nach dem Startpunkt für eine kleine Strandwanderung. Wir sind an diesem einen Tag durch mehr Furten gefahren, als ich während der ganzen Island-Fahrt. Gelandet sind wir am Strand von Piscinas. Anfang des 19. Jhd hat man dort unter völliger Missachtung der natürlichen Schönheit Erz und Kohle abgebaut. Ein englischer Lord hatte dann in ein schmales Tal eine riesige Industrieanlage im Stil der Gründerzeit gebaut, mit hohen Bogenfenster und Säulen. Das alles steht ohne Dach und halbzerfallen vor den düsteren Abraumhalden. Man fühlte sich in einen Herrn-der-Ringe-Film versetzt: im Lande Mordor, wo die Schatten droh’n. Auch der dazu gehörige Ort ist fast eine Geisterstadt, ein Großteil der Häuser zerfallen. Wobei der Zahn der Zeit in schönster egalitärer Gesinnung Bonzen-Villen und Arbeiterhäuschen gleichermaßen zerfressen hat. Am Ortsende dieses fast ausgestorbenen Ortes gab es ein kleines Restaurant, das von arbeitslosen Jugendlichen betrieben wurde. Ihr Beitrag gegen die Landflucht. Eigentlich wollten wir nur auf einen Espresso halten, als wir aber den Hintergrund dieses Lokals erfuhren, haben wir die jungen Leute tatkräftig unterstützt, mit einem kleinen Menü.

 

Für unsere letzten Urlaubstage hatten wir ein besonderes Agriturismo empfohlen bekommen.

Auf dem Weg dahin ging es vorbei an Tharros, einer phönizischen Stadt. Gut, Säulen in allen möglichen Winkeln haben wir in den letzten Jahren so viele gesehen, das fand ich eher unspektakulär. Aber dann traf mich dieser Ort völlig unerwartet mitten ins Herz. Auf einem Hügel abseits der Säulen war ein kleiner Tempel, in dem in Urnen die Asche totgeborener oder sehr früh gestorbener Säuglinge beigesetzt wurde. Ein Ort, an dem die ganze Gemeinschaft mit den Eltern um diese Kinder trauern konnte. Das hat mich sehr berührt.

 

Der Bauernhof entpuppte sich dann als kleine Luxus-Mogelpackung. Die Besitzerin hielt ein Dutzend Pferde, das war ihre einzige Verbindung zur Landwirtschaft. Der „Hof“ war eine lang gestreckte Aneinanderreihung luxuriöser Suiten, mit Blick über den gepflegten Rasen und den Pool hinweg zum Meer. Einfach traumhaft schön. Natürlich kochte hier nicht die „Mamma“ selber. Abends kam der Koch und fragte, ob man „terra“ oder „mare“ möchte. Je nach Antwort wurden dann Köstlichkeiten mit Fleisch oder Meeresgetier aufgetischt.

 

Unsere letzte kleine Exkursion führte uns zu diesen drei Grazien. Steine mit Brüsten, „petra uue sunt sos thithiclos“ heißen sie im sardischen Dialekt. Sie sind fast 4000 Jahre alte Göttinnen und stehen mit den noch älteren sogenannten „Riesengräbern“ und einer viel jüngeren Nuraghensiedlung auf einem Hochplateau. Ein magischer Ort! Man spürte wirklich das Besondere dieses Platzes, der über viele Jahrtausende die Menschen angesprochen hat.

 

Am nächsten Tag ging es dann zurück nach Cagliari, wo wir dann pünktlich (!) unseren Flug zurück nach Genf bekamen.

Sardinien hat uns wirklich viel geboten: Küste, Küche, Kultur. Ein bisschen Abenteuer, viel Abstand zum Alltag.

Also, wenn es bei Euch auch immer die leidigen Diskussionen gibt: Berge versus Meer, Kultur versus Abenteuer, dann kann ich Euch Sardinien nur empfehlen.

 

 


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