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Reisearchiv: M wie Marokko – Marrakesch

Natürlich sollte es anders sein. Aber doch nicht so anders.

Manchmal können wir erschreckend spontan sein. Das Wetter im November war scheußlich, das Werbeangebot einer Airline verlockend und dann haben wir es einfach getan. Weihnachten in Marrakesch gebucht. Am 22. Dezember hin und eine Woche später wieder zurück.

p2007_12_25_16h03_24Übernachten wollten wir mitten drin in der Altstadt, in einem Riad, einem umgebauten Stadthaus. Die Internetseite sah nach 1001 Nacht aus, jedes Zimmer ein kleiner orientalischer Traum. „Unser Taxifahrer holt sie am Flughafen ab, auf unsere Kosten“, stand im Kleingedruckten. Wir sind dann bei 5°, Nebel und Nieselregen abgeflogen. In Marrakesch waren es 24° und Sonne, schon mal prima. Der Taxifahrer war auch da, auch gut. Allerdings hatte ihm keiner gesagt, dass wir zu sechst kommen, nicht so gut. Aber ein Kollege war schnell gefunden und nach kurzer, haarsträubender Fahrt standen wir auf einem Platz am Rande der Altstadt. Von hier ab ginge es nur zu Fuß weiter, die Gassen seien zu eng und verwinkelt für Fahrzeuge, erklärte der Taxifahrer und schaute uns dann an. Mit diesem erwartungsvollen Blick, der deutlich sagt, jetzt wäre der ideale Zeitpunkt, mit dem Geld rauszurücken. Wir zeigten ihm den Text des Riads, er sagte, davon wisse er nichts, wir sollten zahlen. Wir meinten, der Riad würde bezahlen. Nach einigen Hin und Her zuckte er mit den Schultern und ging. Der Riad hatte inzwischen einen Gepäckträger mit einem Handkarren geschickt, der uns durch die Gässchen führte. Im Hotel haben wir die Taxi-Frage angesprochen, so mit einem kleinen Lachen. Stellen Sie sich vor, der wollte doch tatsächlich auch von uns Geld haben, da meinte der Hotelier, das sei schon richtig, sie hätten das geändert, aber vergessen, die Website zu aktualisieren.

So bestand also unsere erste Tat in Marrakesch darin, einen Taxifahrer um seinen wohlverdienten Lohn zu prellen. Keine Angst, wir haben es wieder gut gemacht.

p2007_12_23_17h40_07Unser Riad lag um einen wunderschönen Innenhof, in dem marokkanische Tischchen, schmiedeeiserne Stühle und Bänke zum Verweilen einluden. Die beiden Heizstrahler habe ich anfangs gar nicht so richtig wahrgenommen. Wir bekamen die Zimmer gezeigt, zwei lagen am Innenhof, eines in der ersten Etage. Alle waren sehr schön eingerichtet, wenn auch die Originaltüren und –fenster doch sehr viel Spiel hatten und Frischluftzufuhr zuließen. In dem einen Zimmer roch es dann leider gar nicht nach 1001 Nacht, sondern nach defekter Kanalisation. Der Besitzer hielt uns einen kleinen Vortrag zu den Risiken einer nachträglichen Abwasserinstallation in alten Städten, Monsieur und er schraubten und drehten ein bisschen, es wurde der Geruch erträglicher, aber ideal war es nicht. Also sind wir erst mal auf die Dachterrasse geflohen, haben uns in die Liegestühle verzogen und den Blick über andere verwinkelte Dächer, Minarette und Dachterrassen bis zu den Bergrücken des Atlas bewundert.p2007_12_29_16h16_22

Dann gab es eine erste Begegnung mit dem Basar. Der Hotelier führte uns durch die Gassen zu den mächtigen Toren, mit denen der Basar nachts geschlossen wird. Auf dem Weg zeigte er immer wieder Orientierungspunkte für den Rückweg. Nun ist es in unserer Familie so, dass der Orientierungssinn sehr unfair verteilt ist. Manche brauchen einen Weg nur einmal zu gehen und finden sich sofort zurecht, andere verirren sich im eigenen Garten. Wir haben also darauf geachtet, dass unsere Spezialisten gut aufpassten und die Orientierungslegastheniker nicht aus den Augen verloren.

Der Basar war so überwältigend bunt und orientalisch, wie wir uns das erhofft hatten. Schuhe, Tücher, Geschirr, dazwischen Stände mit Tee und Süßigkeiten. Geschäfte mit teuren Antiquitäten und altem Berberschmuck lagen neben Läden mit „echt gefälschten“ Markenklamotten. An einer Ecke blieb unser Begleiter stehen und deutete in die Seitengasse. Das sei die Straße der Teppichhändler, da würden sich selbst die Einheimischen nicht hineintrauen, weil sie wüssten, dass sie da nicht ohne einen Teppich wieder herauskämen. Und ob wir uns zutrauen würden, bis zum Abendessen wieder nach Hause zu finden. Unsere Orientierer nickten gelassen.

Beim Abendessen verglichen wir unsere Einkäufe: jedes Kind hatte ein Schachbrett mit Achatfiguren, echt handgeschnitzt, gekauft. Da traf es sich zum Transport gut, dass die Mädels mehrere Handtaschen gekauft hatten. Auch Ketten und Schals lagen auf dem Tisch vor uns. Die Händler müssen zufrieden sein. Für einen ersten Tag nicht schlecht. Sie hätten gehandelt, wie es uns der Hotelier empfahlen hatte: niemals das erste Angebot akzeptieren.

Die Mädels hatten leuchtende Augen, „tourist angel“, Gazelle und Prinzessin hatte man sie genannt. Und den Brüdern ein Angebot über 10000 Kamele gemacht. Die hatten das natürlich abgelehnt: niemals das erste Angebot akzeptieren.

Das Abendessen wurde im Innenhof serviert und jetzt verstand ich die Heizstrahler. Es war mit dem Sonnenuntergang empfindlich kühl geworden und die meisten der weiblichen Gäste drängten sich um die Wärmequelle. Das Essen war sehr lecker: Briouats, kleine Teigröllchen mit Fleischfüllung, dann eine Pastilla mit Hühnchenfleisch und verschiedene Süßigkeiten. Man aß mit allen Gästen an einem großen Tisch und die Heizstrahler wurden fairerweise immer mal wieder verstellt.

Auch die Nacht war sehr kalt und die Kälte zog durch die Ritzen und Spalten ins Zimmer. Irgendwann fiel mir ein, dass eine Klimaanlage ja nicht nur „kalt“ kann und danach ging es.

p2007_12_24_22h30_19Am nächsten Tag bekam ich so etwas wie einen Weihnachtskater. In dieser muslimischen Stadt, die ja nun mit Weihnachten gar nichts zu tun hat, gab es aufblasbare Plastikweihnachtsbäume, kitschige Lieder und Glitter und Flitterzeug. Gleichzeitig verdoppelten bis verdreifachten die meisten Lokale ihre Preise für die Weihnachtstage. Nicht ganz uneigennützig hatte daher der Riad angeboten, „zuhause“ zu essen. Und da traf er mich dann ganz heftig, der Weihnachtsblues. Während wir uns unter die Heizstrahler drängten, dachte ich an unser Wohnzimmer zuhause, nicht nur Zentralheizung, auch noch offenes Feuer im Kamin. Während eine französisch-marokkanische Spezialität nach der anderen aufgetragen wurde, fehlte mir der Duft von Weihnachtsplätzchen. Und dann kam als Höhepunkt des Abends eine Bauchtänzerin. Aber was ist schon eine glitzernde Bauchtänzerin gegen einen schön geschmückten Weihnachtsbaum. Zum Glück ließen sich die anderen nicht anstecken von meinem Blues. Und als es dann ans Geschenkeauspacken ging, wurde es noch richtig lustig. Natürlich hatten wir die Geschenke nicht mitgeschleppt, die warteten zuhause. Jeder musste also wie bei den Montagsmalern sein Geschenk aufzeichnen und die anderen versuchten zu erraten, was es denn sei. Wie schon beim Orientierungssinn sind auch die künstlerischen Talente in unserer Familie etwas ungleich verteilt. Bei einen ging das mit dem Raten ganz fix, andere Zeichner brauchten etwas mehr Zeit, bis klar wurde, was denn da verschenkt wurde.

p2007_12_26_14h14_24Am nächsten Tag haben wir uns quasi bei unserem Taxifahrer entschuldigt und ihn für eine Fahrt in den Atlas gep2007_12_26_13h34_59bucht. Die Alternative, selbst zu fahren erschien uns nicht wirklich verlockend. Der Verkehr ist recht chaotisch und basiert weniger auf Regeln als auf Augenkontakt und Kommunikation. Die Fahrt ins Gebirge ging zügig vonstatten, nur ein Stopp bei der Familie eines Cousins der Frau des Onkels des Schwagers…, der „zufällig“ Teppiche verkauft. Der Ruf unserer Billig-Airline reichte aus, um glaubhaft zu machen, dass wir wirklich keine Teppiche kaufen konnten.

Im Gebirge wartete ein Bergführer auf uns, der seine Ausbildung quasi bei uns zuhause gemacht hat. Alle marokkanischen Bergführer durchlaufen ihre Ausbildung in Chamonix, üben also am Mont Blanc für den Atlas.

p2007_12_23_17h51_29Auf dem Rückweg setzte der Taxifahrer uns wieder auf dem kleinen Platz ab. Inzwischen kannten wir den Weg gut, vorbei am Hamam, an der kleinen Moschee abbiegen, durch das Gewölbe, in dem immer vier, fünf junge Männer rumhängen und dann einfach links. Die kleinen Jungens, die immer vor uns herliefen, „Guide? Guide? Pour cinq euros seulement.“, waren beeindruckt. Direkt am Weg lag ein Handwerker, der diese typischen Windlichter aus Eisen und Leder herstellte. Wir hatten schon ein bisschen Marktforschung betrieben und wussten, dass er seine Ware preisgünstiger anbot als die Geschäfte im Basar. Also machte ich ihm ein Angebot, auf das er natürlich nicht einging: niemals das erste Angebot akzeptieren. Er antwortete mit einem anderen Preis, ich konterte mit dem Angebot drei Lampen zu kaufen. Das nächste Weihnachtsfest war schließlich nur noch knapp zwölf Monate entfernt. Er schwankte. In dem Moment kamen die Mädels, die ihre Mutter suchten, dazu und so einigten wir uns auf ein halbes Dutzend Leuchten zu meinem Eingangspreis.

Abends sind wir zum Essen auf den Djemaa el Fna gegangen. Der Hauptplatz Marrakesch ist tagsüber Marktplatz, wo man Gewürze in allen Farben oder Obst und Gemüse kaufen kann. Man kann sich auch einfach nur in eines der Cafés am Rand des Platzes setzen und dem Treiben zu sehen. Neben dem Markt gibt es dann auch „Attraktionen“: Schlangenbeschwörer, „Zahnärzte“, die gebrauchte, alte Gebisse anbieten (aber ihren Hauptverdienst natürlich damit machen, sich fotografieren zu lassen), Frauen, die Hände und Füße mit Henna tätowieren.

p2007_12_25_15h13_27Bei Einbruch der Dämmerung verschwindet das alles und der Platz verwandelt sich in eine große Fressmeile. Holzkohleschwaden wabern durch die Luft und man kann keine zwei Schritte gehen, ohne angesprochen und zum Essen verleitet zu werden. Die Berber haben ein tolles Gespür für Sprachen und Nationalitäten. Sie sprechen jeden in seiner Sprache an. Es ist schwer sich auf dem Djemaa el Fna zu entscheiden zwischen den Köstlichkeiten, die angeboten werden. Ganz weit hinten gab es einen unscheinbaren Stand, dp2007_12_23_18h36_26er von Einheimischen umlagert wurde. Wir pirschten uns heran und beobachteten mit Erstaunen, was da zubereitet wurde. In ein Fladenbrot wurde eine Tasche geschnitten, eine Pellkartoffel und ein hart gekochtes Ei geschält, beides in die Tasche gegeben. Dann schlug der Koch einmal kräftig auf das Brot, öffnete die Tasche wieder und goss einen guten Schluck einer Vinaigrette dazu. Sehr wenig Geld wechselte die Hand und der Gast zog genüsslich kauend davon. Unsere Neugier war geweckt. Und so sind wir an diesem Abend für umgerechnet 6 x 50 cts satt geworden. Und es war so lecker, dass wir am nächsten Abend direkt zielstrebig an den Schaschlik und Döner-Ständen vorbei zu „unserem“ Stand gingen.

p2007_12_25_13h53_18Man kann ja nicht tagelang nur shoppen, also ich jedenfalls kann das nicht, also gab es ein bisschen Kultur. Einen alten und einen neuen Königspalast, der neue noch gut erhalten, aber nicht so richtig beeindruckend. Von dem alten Palast stehen nur noch die Stadtmauern, die recht imposant sind. Aber das Besondere sind hier die vielen Störche, die in und auf dem alten Mauerwerk ihre Nestep2007_12_24_15h57_19r gebaut haben.

Oder den traumhaften Garten Majorelle, den YSL hat restaurieren lassen. Eine Oase der Ruhe in einer recht lauten Stadt. Und dann dieses Blau!

Und dann sind wir doch noch in eine Touristenfalle getrappst. Vor der Medersa Ben Youssef, der Koranschule, sprach uns ein alter Mann an. „Guide? Guide?“ Er trug ein Namensschild um den Hals und sah recht seriös aus. Sagen wir mal so, „geführt“ hat er uns durch das verwinkelte Gebäude, treppauf, treppab. Dabei beschränkten sich seine Erklärungen aber auf ein mantra-artig wiedep2007_12_25_13h03_16rholtes „One thousand students. Eat, wash, pray.“ Er zeigte uns den Innenhof mit dem Wasserbecken: „One thousand students. Eat, wash, pray.“ Er zeigte uns die kargen Studierzimmer „One thousand students. Eat, wash, pray.“ Und den wundervoll verzierten Betsaal „One thousand students. Eat, wash, pray.“ Zum Schluss bot er uns noch an, ein Familenfoto von uns zu machen, vor der weltberühmten Medersa Ben Youssef: „One thousand students. Eat, wash, pray.“p2007_12_29_15h50_26

Je besser wir den Basar kennen lernten, desto mutiger wurden wir. Schließlich trauten wir uns aus dem touristischen Teil hinaus und in den „einheimischen“ Teil. Der bot neben prosaisch Alltäglichem wie Plastikwaschschüsseln auch die „Galerien“ einheimischer Künstler und die Werkstätten der Handwerker. Und da, bei den Silberschmieden, habe ich dann mein Glück gefunden.

Am letzten Abend haben wir zum krönenden Abschluss das Dar Zellj gegönnt, nur einige verwinkelte Gassen von unserem Riad entfernt. Wo unser Riad „Stadthaus“ ist, ist das Dar Zellj ein Palast. Ein wunderschön renovierter Palast, der in einem exquisiten Rahmen exzellente marokkanische Küche bietet. Auf weißen Tischdecken lagen tiefrote Rosenblätter verstreut, Kellner in langen weißen Kaftans huschten umher und stellten duftende Tajines oder knusprige Pastillas auf den Tisch.

Marrakesch hat mir sehr gut gefallen. Aber Weihnachten dann doch bitte wieder zu Hause.


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