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The road not taken oder „ungereiste Reisen“

Robert Frost und ich haben eines gemeinsam: das Bedauern darüber, zwischen zwei Wegen wählen zu müssen. Und anders als Frost kann ich mich nicht immer zu so einer abgeklärten Haltung gegenüber dem nicht gegangenen Weg abfinden. Das führt dazu, dass ich eine Menge „ungereister Reisen“ im Kopf habe, Alternativ-, Man-könnte-doch-auch-mal-, Eigentlich-wäre-das-doch-auch- Strecken.

saline1Deshalb gab es diesmal auf dem Weg nach Deutschland einen Umweg – ausgesucht aus dem Archiv der nicht gegangenen Wege, der ungereisten Reisen – über den Jura und französische Landstraßen, statt über die Schweizer Autobahn. „Les salines royales“ in Arc-et-Senans sind genauso schön wie die Geschichte(n) dahinter. Öko-Katastrophen, absolutistische Macht, königliche Favoritinnen, viel Geld, eine Prise Frühkommunismus, Wirtschaftskriminelle und mit harter Hand unterbundene Polygamie. Sieht man den Gebäuden so nicht an, auf den ersten Blick.

Angefangen hat es mit einer kleineren Öko-Katastrophe: für die Salzsiederei im benachbarten Salins-les-Bains waren alle Waldbestände im Umkreis abgeholzt worden. Gleichzeitig war der Salzgehalt der Salinen so stark gesunken, dass das Salzsieden nicht mehr rentabel war. Allerdings war der Salzabbau königliches Monopol und die Salzsteuer ein großer Posten im Staatshaushalt, auf den der absolutistische König nicht verzichten wollte. So wurde das Privileg der Salzgewinnung also an ein Konsortium reicher Privatleute abgegeben, die eine Lösung finden sollten. Die bestand dann darin, dass man die ganze Geschichte umdrehte. Wenn man den Wald nicht mehr zum Salz bringen konnte, so brachte man das Salz eben zum Wald. Und da das alles im „siècle des lumières“ spielte, wollte man seinen aufgeklärten, liberalen Geist durch eine Art „Muster-Industrieanlage“ demonstrieren. Das Geld war da, die Geisteshaltung war da und den guten Geschmack kaufte man sich halt ein. Mit dem besten und teuersten Architekten der Zeit, dem Star-Architekten Ledoux, von der königlichen Maîtresse en titre wärmstens empfohlen. So wurde im waldreichen saline4Nichts bei Arc-et-Senans eine kreisrunde, klassisch schöne Anlage geplant, von der allerdings nur ein Halbrund realisiert wurde. Neben den Verwaltungsgebäuden und der Salzsiederei entstanden großzügige Werk- und Wohnstätten für die Arbeiter. Jede Familie erhielt einen großen Wohnraum, im Erdgeschoss gab es eine gemeinsame Kochstelle um einen riesigen Kamin. Im anschließenden Garten stand das Klohäuschen. Die liberalen Förderer der Anlagen wollten neue Gesellschaftsstrukturen propagieren, die Familien auflösen und ihre Arbeiter in fröhlichen Großkommunen in Polygamie leben lassen. Das war dann aber doch zuviel des Liberalismus und König und Architekt unterbanden das strikt.

saline2Mit einer über 20 km langen „pipe-line“ , dem „saumoduc“ – heute übrigens ein Wanderweg – aus ausgehöhlten Baumstämmen wurde die Salzlake aus Salins-les-Bains in ein Sammelbecken gebracht und von dort auf vier große Öfen verteilt, die zwischen 24 und 72 Stunden brauchten, um das Wasser zu verkochen und das Salz zu gewinnen. Auf diesem Salz lagen dann extrem hohe Steuern. In Frankreich. Nicht jedoch auf den Salzsäcken, die – steuerfrei – über den Jura nach Genf exportiert wurden. Was dazu führte, dass so mancher Sack aus Genf „rückimportiert“ wurde – ohne Wissen des königlichen Salzsteueramtes natürlich.

Die Anlage war etwas über 100 Jahre in Betrieb, verfiel gegen Ende 1800 aber zunehmend und wurde dann verkauft. Nach sehr wechselvollen Erlebnissen (Blitzeinschlag und Brände, Wegsprengen der klassischen Säulen) übernahm der französische Staat das Ensemble und baute es zu einem Museum mit Kulturzentrum aus. Unesco Welterbe ist es ebenso wie Hotel, was dazu führt, dass außer den Außenmauern nur noch wenige Originalelemente erhalten sind.

saline3Man kann also im Museum der Geschichte der Salzgewinnung auf verschiedenen Erdteilen nachgehen, man kann in den Gartenanlagen über Sinn und Unsinn französischer Gartenbaukunst sinnieren, man kann in der Mitte der Anlage stehend über den Weitblick und die Großzügigkeit der damaligen Wirtschaftskapitäne nachdenken.

Was man nicht kann, ist die – für damalige Verhältnisse – revolutionär großzügigen Lebens- und Arbeitsverhältnisse besichtigen. Und nett essen war auch etwas schwierig.

Aber immerhin kann ich diesen Weg    “ less travelled by“ nun mit Ruhe ablegen im Archiv der gereisten Reisen.