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Perspektivenwechsel

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Monsieur verspricht mir das Blaue vom Himmel. Tatsächlich ist zwischen den grauen Wolken hier und da ein Zipfelchen Blau zu entdecken. Damit wir aber erst gar nicht auf die Idee kommen Frühlingsgefühle zu entwickeln, bläst ein bitter kalter Wind. Trotzdem ist Brügge ohne Regen, mit ein bisschen Sonne eine so neue Erfahrung, dass wir einen weiteren Perspektivenwechsel wagen. Die gestern bei Regen und Sturm zwar von meinem Bruder als Gastgeber angebotene, von seinen Gästen aber als wenig verlockend geschmähte Bootstour, wird plötzlich attraktiv. Unsere kleine Familiengruppe besteigt also mit übermütig-heiterer Erwartung den niedrig im Wasser liegenden offenen Kahn, nach uns steigen zwei weitere Dutzend Fahrgäste dazu. Das wird eng, das wird gemütlich, frieren wird schon mal keiner. Mein Bruder, Ex-Pilot, gibt uns die Sicherheitsanweisungen: die Notausgänge befinden sich rechts und links entlang der gesamten Länge des Bootes. Im Falle einer Notwasserung seien zwar Schwimmwesten vorhanden, es sei aber wohl einfacher, wenn die Männer unserer Gruppe, alle so um die zwei Meter, Kleinkinder über ihren Kopf haltend ans Ufer tragen würden. Dass wir Frauen die zwei Meter nach rechts oder links aus eigener Kraft schaffen, traut er uns völlig zu. Die Fahrt geht los, erste holländische und französische Begrüßungsworte gehen im Motorenlärm einer Brückendurchfahrt unter, da kommt in ausgezeichnetem Deutsch, allerdings mit weit hallendem, gerrrrollten RRRRR, dass er auch ganz herrrrrrzlich die frrrrrröhliche deutsche Grrrruppe im Heck begrrrrrrüße.

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Vorbei geht es an Backsteinfassaden, an Holzgiebeln und an verzauberten winzigen Gärtchen an Anlegestellen. Allerdings touren mit uns ein gutes halbes Dutzend Boote, in die gleiche Richtung und als Gegenverkehr, durch die schmalen Kanäle, alle mit laut tuckerndem und tüchtig rußendem Dieselmotor. So ganz idyllisch werden die Gärtchen nicht sein. Vor niedrigen Brücken werden wir eindrücklich gewarnt, die Köpfe einzuziehen. Einziger Grund natürlich, dass wir die mittelalterlichen Brücken nicht beschädigen sollen. Die Langhälse betrachten die Boote mit majestätischer Verachtung. Während Entchen in Panik vor der Bugwelle wegpaddeln, reiten die Schwäne die Wellen aus. Außerdem sind einige der Tiere so intensiv damit beschäftigt, in Maximilians Sinn dafür zu sorgen, dass Brügge auch zukünftig an Herrn Langhals erinnert wird, dass sie sich von ein paar Booten mit ein paar Dutzend Touristen doch nicht stören lassen.

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Eine halbe Stunde dauert die launige Tour, die uns auch zeigt, dass es noch viel zu erkunden gäbe in Brügge. Vielleicht ein anderes Mal? Bei wärmerem Wetter?

Auf dem Rückweg zum Hotel läuft uns doch tatsächlich ein Flohmarkt über den Weg und beschert meinem Bruder beim Packen ein paar logistische Probleme. Ich halte mich mit spöttischen Bemerkungen und hilfreichen Ratschlägen zurück. Schließlich reise ich seit einer Woche mit drei großen Blumentöpfen (Passionsblumen: weiß, blau, dunkel-violett) durch halb Europa.

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Die sind aber nicht der Grund, warum ich Monsieur vom kurz mal angeplanten Übernachtungsstopp in Metz abbringe. Ich will einfach nach Hause.

Also packen wir Koffer und Taschen ins Auto. Durch Brügges Gassen und Besuchermassen geht es noch im Schritt. Vor den Toren der Stadt lassen wir den Blauen angaloppieren und geben ihm dann die Zügel frei. Sein Stallinstinkt wird ihn und uns schon nach Hause bringen.