Startseite » Beitrag verschlagwortet mit 'Berlin'

Schlagwort-Archive: Berlin

Ganz köstlich amüsiert

 

a00

Bolle reiste jüngst zu Pfingsten, Udo wollte mit dem Sonderzug dahin und unsere U 2 fährt jeden Tag dorthin – nach Pankow. Da reizt es mich schon, mal selber nachzuschauen, warum Pankow für Udo und Bolle so faszinierend ist. Hinzukommt, dass jedes Mal, wenn ich „Einfahrt Zug nach Pankow“ höre, sich entweder Bolle oder Udo als Ohrwurm im Kopf einnisten.

Im Internet finde ich Bilder von Parks und Seen, gerade richtig für eine kleinen Ausflug ins Grüne.

Nur spielt heute Morgen das Wetter so gar nicht mit. Dunkle Regenwolken, böiger Wind, ach nein, das ist nicht, was ich mir vorgestellt habe. Also hole ich mir meinen Sonnenschein woanders, bei den sonnen- und lichtdurchfluteten Bildern der Impressionisten in der Alten Nationalgalerie. Die werben zur Zeit massiv mit Herrn Caillebotte, dessen Industrie-Bilder wir im Barberini-Museum kennen gelernt hatten.

a01

Es ist allerdings ein bisschen ungeschickt, dass sie von ihm eigentlich fast nur das große „Regenbild“ ausstellen, dazu eine Menge Skizzen eleganter, gut gekleideter Damen und Herren – alle mit Regenschirmen oder gegen den Wind geneigten Zylindern. Muss ich mir meinen Sonnenschein woanders suchen, z.B. in den kleinformatigen Spitzwegs eine Etage höher.

Um 13 Uhr habe ich ein Rendezvous – mit dem „Mönch am Meer“. Virtual Reality, auch ein bisschen gehyped, aber offensichtlich nicht richtig angekommen. Denn als ich um 11 Uhr nachfrage, erhalte ich sofort mein Zeitfenster im ersten Kontingent. Mit einem Helm ausgestattet, kann ich mich im Bild bewegen, die bei der letzten Restaurierung unter der obersten Farbschicht gefundenen Schiffe bewundern und ein paar wohl gewählten Zitaten lauschen, unterlegt mit Musik und Möwengeschrei. Das Ganze dauert zehn Minuten, ist ganz nett, aber nun auch nicht gerade ein umwerfend neues Erlebnis, was die Frau neben mir auch knapp zusammenfasst: „Und dett wa alles?“ Dann werde ich noch freundlich aufgefordert, einen Fragebogen zu dieser Erfahrung auszufüllen. Wirkt auf mich, als ob da jemand Daten sammelt für eine Masterarbeit in Museologie, aber nein: „Das ist Forschung für die Initiative Museum 4.0, das Museum der Zukunft.“ Da ich Zweipunkt bis Dreipunkt nicht mitbekommen habe, bin ich ganz klein und still davon gegangen.

Dann stehe ich vor der Nationalgalerie, mein Kombiticket in der Hand. Das kostet – alle Museen der Museumsinsel zusammen für einen Tag – 18€, Pergamonmuseum allein 19€. Die Logik dahinter sehe ich nicht, die riesige Schlange vor eben diesem Museum schon. Ticket in der Hand frage ich einen Kontrolletti, ob es eine Sonderausstellung gebe. „Nö“, meint der, „dett is Samstag in Balin, Museum is voll.“ Und nein, mein Ticket gäbe mir kein Anrecht an der Schlange vorbeizuziehen, da hätte ich schon ein Zeitfenster buchen müssen. Habe ich natürlich nicht, also wird das diesmal nichts mit Löwen streicheln. Damit das Kombiticket dann auch Kombiticket wird, schaue ich rasch noch bei Nofretete vorbei.

a02

Gehe für Monsieur am Stadtschloss vorbei – immer noch nicht fertig- , weil der von 8 – 19 Uhr in seiner Tagung sitzt. Freue mich auf einen Kaffee im Restaurant auf der Terrasse des Humboldtforums und ärgere mich dann ein ganz kleines bisschen, auf die vollmundigen Versprechen dieser Werbebanner hereingefallen zu sein. Die vergessen haben zu erwähnen, dass das erst 2020 möglich sein wird.

a06.jpg

Den Rest des Tages verbringe ich weitgehend im Berliner Nahverkehr, auf den Strecken von und zu den Hacke’schen Höfen, dem Brandenburger Tor, Kurfürstendamm – was man halt so anschaut in Berlin.

Ich stehe am Alexanderplatz, suche einen Anschluss, will den Trambahnfahrer fragen und sehe, dass der in einem geschlossenen Führerhäuschen sitzt. Drehe mich weg, da geht die Tür auf: „Junge Frau [Junge Frau! Ha!], wat kann ick für Se tun?“ Ich schildere meine Suche, er schlägt den S-Bahnhof, ganz weit da hinten, vor. Meine Füße und ich seufzen auf und er grinst: „Steigen Se ein, junge Frau, ick fahr Ihnen zum Bahnhof.“ Und fährt los zu seiner nächsten Haltestelle am S-Bahnhof.

Mit der 100 mache ich dann Sightseeing light aus dem Oberdeck des Buses, die letzten Haltestellen neben einer Familie mit sehr wissbegierigen Kleinen. „Papa, wie nennt man nochmal die Leute, die so nackt in der Gegend rumstehen?“ Der Vater ist überfordert, bis der Kleine auf ein Denkmal zeigt. „Ah, Statuen meinst du!“

Natürlich macht so viel Touristerei hungrig, denn ich habe weder bei Nofretete noch Herrn Friedrich einen Kaffee getrunken, also halte ich in einem der Bahnhöfe an einem Sandwichstand, beäuge die Brötchen und frage den Mann hinter der Theke: „Was ist denn das auf diesem Brötchen, Fisch oder Fleisch?“ – „Fleisch“, kommt die Antwort. „Hmmm, welches Tier?“ Er hebt langsam die Schultern: „Schnitzeltier?“

 

Morgen geht es nach Genf zurück und ich fahre mit dem Refrain meines Ohrwurms:

… und trotzdem hat sich Bolle ganz köstlich amüsiert.

 

Wobei das in meinem Fall natürlich „Paonia“ heißen müsste…

 

 

Ohne Titel

Leben ist lernen, Reisen ist lernen und ich komme in Berlin nicht aus dem Staunen heraus.

bh01

 

Oder im Bus:

Gestern zum Beispiel unterhalten sich zwei ältere Damen hinter mir über das Schicksal der armen Menschen in „Änthopien“, dass sie in Änthopien ja so viele Rohstoffe hätten, die korrupte Regierung Änthopiens das Geld aber für sich behielte, empört sich die eine. „Echt jetzt?“, kommt von der anderen. „Ja, all der Kaffee, der kommt aus Änthopien, der ganze Kaffee, alles aus Änthopien.“ Kurze Pause, dann wird korrigiert: „Nur der Tchibo-Kaffee, der kommt aus Kenia.“

Wieder was gelernt.

 

Noch faszinierender auf der Heimfahrt heute im Bus: drei pubertäre Knaben, Migrationshintergrund in der dritten Generation.

„Ey, Alter, was machst du morgen?“ –

„Geh ich zum Frisör!“

„Ey, bist du verrückt! Doch nicht Samstag!“

„Warum?“

„Ey, gehst du Dienstag. Hast du Mittwoch Schule. Sieht jeder sofort, dass du beim Frisör warst. Gehst du Samstag, hast du erst Montag Schule, ist alles schon wieder nachgewachsen.“

 

Ich finde es faszinierend, welch wichtige Rolle der Schulbesuch in diesen Überlegungen spielt.

Blindflug in Steglitz

b05

Es hält sich das Gerücht, dass ich Museen nur besuche, um da Kaffee zu trinken. So eine Aussage verletzt mich natürlich sehr, denn sie entwirft ein völlig falsches Bild von mir, viel zu eng, zu klein und zu einseitig. Ich gehe nämlich auch in Botanische Gärten, um da einen Kaffee zu trinken. War eine ziemlich spontane Entscheidung, hat aber sehr gutgetan, nach der doch stellenweise etwas dunklen Tempelhof-Führung heute Morgen. War auch nicht ganz einfach, denn meine Berlin-Karte hört weit vor Steglitz auf. Allerdings hat sie das BVG-Netz auf der Rückseite und da ist die Linie S1 nach Wannsee mit der Haltestelle Botanischer Garten eingetragen. Von da an ist das dann Blindflug (Tempelhof wirkt noch nach), aber wenn die Hortensienstraße die Lilienstraße kreuzt und diese dann die Tulpenstraße, würde ich das mal als deutliche Hinweise betrachten. Tatsächlich taucht auch bald eine hohe Mauer mit Zaun auf, dahinter überbordendes Grün. Das Ganze wirkt ziemlich abweisend, der Eintrittspreis von 6,50€ erklärt das ansatzweise.

b02

Direkt hinter dem Tor gibt es ein Restaurant, aber das will ich nicht, ich will zum Café vor den Gewächshäusern laufen, meinen Kaffee – und wie sich herausstellt Apfelkuchen – im Schatten der Metall- und Glaskonstruktionen genießen mit Blick auf den Park, unter Vogelgezwitscher. Letzteres geht etwas unter im Lärm der Bagger zwei Wege weiter, das gibt leider Punktabzug in der B-Note.

Die Bagger sind jedenfalls leiser als die Klasse, die gerade um die Ecke kommt. Finde ich mutig von ihrem Lehrer, auf einer Klassenfahrt nach Berlin den Besuch des Botanischen Gartens vorzuschlagen. Vielleicht ist es ja ein Bio-Leistungskurs. Wenig später sehe ich sie wieder, die meisten mit dem Lehrer vor einer Pflanze mit Luftwurzeln, intensiv mit Lernen beschäftigt. Nur zwei, die stehen etwas versteckt hinter dem nächsten Dschungelgestrüpp, auch sehr intensiv – wenn auch nicht mit Lernen – beschäftigt.

b03

Vom Café kommt man in die Brunnenhalle, der offizielle Zugang zum Großen Tropenhaus. Jugendstilelemente in der Zugangshalle, Terrarien an den Wänden. Allerdings ist es schon ein bisschen traurig, dass sie „Kuba“ ausgeräumt und „Amazonas“ trockengelegt haben. Auch das große Tropenhaus selber ist erstmal nur sehr grün, aber nicht überwältigend so. Doch dann entdecke ich, dass der ovale Bau kleine Auswüchse hat, Ableger-Tropenhäuschen, Ausläufer, knollenförmige Glasgaleriechen zu bestimmten Pflanzenthemen und die sind zum Teil sehr interessant. Gut, zu erfahren, dass es mehr Begonienarten gibt als ich mir je träumen ließ, macht mein Leben jetzt nicht unbedingt reicher, aber der Ableger mit den fleischfressenden Pflanzen, die geniale Biestigkeit der Pflanzen, den finde ich schon wieder richtig gut. Auch dass der große Linné es nicht glauben wollte und selbst Darwin es erst nach eigenhändigen Experimenten tat, macht mir die Blümchen sympathisch.

Auf der anderen Seite der Victoria-Halle geht es dann in das Gewächshaus mit den Stars. Wenn Monsieur und ich uns langweilen, bauen wir in Gedanken an unser Haus ein Gewächshaus an, zweistöckig mit Wasserfall-Wand und beheiztem Teichbecken. Neben den Wasserfall kommen Farne und Orchideen und in das Becken kommt sie – die Victoria-Seerose. Mein Schwiegervater meinte zu diesem Spinnereien immer trocken: „Ihr braucht ein Goldsch..ßerchen. Oder einen kleinen Hund, der eure Pläne frisst.“

Hier hatten sie das Geld und keine Hunde und so thront sie da in ihrer Pracht.

b01

Ich glaube, wir müssen in unseren Spinnereien noch ein bisschen anbauen…

 

b04

… und Humor haben sie auch …

Street Art

c0

Gemischtwaren mit Revolutionsbedarf, kreuzberg

 

Die Street Art Führung erinnert mich stark an den Besuch des Sake-Museums in Kobe. Sake mag ich immer noch nicht, aber ich kann ihn in kleinen Mengen genießen. Vor allen Dingen habe ich eine Menge über seine Herstellung gelernt und kann schätzen, wieviel Aufwand und Arbeit dahintersteckt. Außerdem macht Sake, in Maßen genossen, fröhlich. Und dann nachdenklich. Street Art auch. Die Parallelen zwischen Sake und Street Art sind wirklich verblüffend.

c1

Kritik eines Street-Art-Künstlers an einem Urban-Art-Künstler

Unser Führer ist ein junger schlaksiger Australier, natürlich selber aktiv in der Kunstszene. Er führt uns erst einmal in die Basics ein, die Grundbegriffe. Da gibt es als erstes Graffiti, was streng genommen nur Schriftzeichen sein dürfen. Graffiti ist wohl die meist gehasste Kunstform, diese kleinen Schrift- oder Namenszüge, mit der jeder  *** (füllt das selber ein) sich an der Wand verewigt. Street Art Künstler mögen die auch nicht, müssen aber zugestehen, dass es so etwas wie die Kinderstube ist, aus der dann vielleicht etwas gestalterisch Ausgereifteres erwächst. Unbeliebt bei den Künstlern auch deshalb, weil es zur Etikette gehört, dass man die Werke anderer nicht übersprüht oder -klebt. Es sei denn, man will eine Herausforderung aussprechen, was dann zum Duell führt. Mitunter nicht nur mit Sprühdosen, sondern auch mit Fäusten ausgetragen. Denn die Street Art Künstler brauchen eine freie Wand für ihre großflächigen Malereien. Oder Klebereien. All das ist natürlich hochgradig illegal, trägt aber dazu bei, dass graue Mauerflächen bunter und Städte fröhlicher und lebendiger aussehen. Weshalb gewiefte Mietshausbesitzer inzwischen hingehen und Street Art Künstler mit der Gestaltung ihrer Außenwände beauftragen – bevor es ein anderer tut. In dem Moment wird das Auftragskunst, legal und zu Urban Art. Was den Street-Art-Künstlern natürlich ein Dorn im Auge ist.

c3.jpg

Ich erfahre, dass nicht nur getagged wird, wheat oder paste art ist auch sehr beliebt. Da werden vom Künstler zuhause vorgestaltete Elemente aus Papier in unterschiedlichen Schichten auf die Wand geklebt. Das hat mehrere Vorteile, nicht zuletzt den, dass es sehr viel schneller als Sprühen ist und somit die Gefahr von der Polizei erwischt zu werden verringert. Sollte man wirklich erwischt werden, zahlt man etwa 18€ Ordnungsstrafe für „unerlaubtes Plakatieren“, da kostet simples Schwarzfahren schon das Dreifache. Beim Sprühen erwischt zu werden ist natürlich deutlich teurer, weil es Sachbeschädigung ist.

c4.jpg

Wir laufen von Kreuzhain Richtung Kreuzberg, halten vor Hauswänden, Bauzäunen, an Straßenecken. Bald haben wir heraus, uns genau umzusehen, wenn unser Führer mit einem Grinsen stehen bleibt. Oft bekommen wir winzige, versteckte Kunstwerke gezeigt, die einfach nur ein Lächeln auf die Gesichter bringen.

c5

Oder riesige Mahnmale gegen die Zustände der Stadt oder der Gesellschaft. Erhalten Infos zu den einzelnen Kunstwerken, fotografieren fleißig oder lachen über die kleinen Besonderheiten jedes Künstlers. Sind dann sehr dankbar für eine kurze Pause in einer Saftbar. Der Power-Drink aus Karotten, Ingwer, Apfel und rote Bete sei vegan, steht extra dran. Warum bei einem Obst- und Gemüsesaft betont werden muss, dass er vegan sei, weiß auch unser Führer nicht. Das müsse so in Kreuzberg, meint er schulterzuckend.

c2

Mit der S-Bahn geht es zum Kurfürstendamm und zum Street- und Urban Art Schwerpunkt rund um das Urban Nation Museum. Allein die S-Bahnfahrt ist so etwas wie ein Speed-Dating mit immer wechselnden, rasch an uns vorbeiziehenden Künstlern an den Hauswänden rechts und links der Strecke. Leider spielt Berlin ab da nicht mehr mit. Mit einem Donnerschlag brechen Regen und Hagel über uns herein und wir flüchten unter das Ständerwerk der – hier oberirdisch fahrenden – U-Bahn. Das führt dazu, dass die Gruppe einen recht begrenzten Blickwinkel hat und an ein paar Kunstwerken schlichtweg vorbeiläuft, bevor unser Führer uns zurückruft, die Augen heben und staunen lässt.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

 

In drei sehr vergnüglichen, wenn auch zum Schluss sehr nassen Stunden habe ich mehr über Street Art gelernt als ich je wissen wollte. Wie beim Sake hat es mir die Augen geöffnet für Dinge, an denen ich wahrscheinlich ahnungslos vorbeigelaufen wäre.

Am Museum für Urban Art entlässt unser Führer dann eine ziemlich durchnässte, aber unvermindert begeisterte Truppe in die Ausstellungsräume mit dem Tipp: „Ich weiß, dass das nicht das Wichtigste in einem Museum ist, aber vergessen Sie nicht, die Toiletten zu besuchen.“

c9

 

Leicht wie Rhabarber-Baiser

p2018_12_14_20h39_28

Ein bisschen flexibel muss man schon sein für Berlin. Gestern zum Beispiel hatten wir eigentlich einen Tag in Potsdam geplant. Morgens Barberini, nachmittags Holländisches Viertel und dann schön essen gehen in Potsdam. Das war der Plan, bis die BVB uns beiseite nimmt und erklärt, dass Barberini und Potsdam an Samstagmorgen – Holländisches Viertel macht bei dem Wetter ohnehin wenig Spaß – durchaus zu vereinbaren seien mit unserem Rückflug. Alle Museen der Museumsinsel an diesem einen Morgen – das wäre Stress für den Kopf, mal ganz zu schweigen davon, dass alle Museumscafés der Museumsinsel an einem Morgen ganz schlecht für den Magen seien.

Mit der Entscheidung gegen Potsdam handeln wir uns dann die „gesammelte Museumscafés-Tour“ ein. Trotzdem ist da am Abend so ein leichtes Hungergefühl, das Bode-Café liegt schon Stunden zurück. Wir steigen am Wittenberg-Platz aus. Die Jugendstil-Station ist leider eingerüstet. Das nimmt ihr den Charme, bleibt immer noch die Lage. Wir treten aus den Toren und stehen direkt vor dem KaDeWe, Konsum- und Fresstempel in einem. Eigentlich wollen wir immer nur in die oberste Etage, aber auf dem Weg dorthin läuft uns meistens eine Kleinigkeit zu. Diesmal nicht, im Gegenteil.

p2018_12_14_18h53_04

Es verdirbt uns etwas den Appetit, als wir im fünften Stock an diesem Design-Objekt vorbei kommen.  Eine Bank aus toten Teddybären, ein paar Meter weiter gibt es das dann auch in der Version „Totes Wildschwein“. Wer mag sich denn so etwas ins Wohnzimmer stellen? Mal ganz abgesehen vom Preis. Für 7 500€ kann ich mir eine Menge Dinge ausdenken, die mir mehr Freude bereiten.

In der siebten Etage müssen wir leider feststellen, dass nicht nur wir an diesem Freitagabend auf die KaDeWe-Idee gekommen sind. Drei, vier Reihen tief drängeln sich die Menschen um die verschiedenen Bars. Keine Chance, in der näheren Zukunft an eine Theke zu kommen.

Dafür ist es in der Glaskuppel des Wintergartens schon fast unheimlich leer und still. Die Speisen, die in Selbstbedienung an uns vorbei getragen werden, könnten ein Erklärungsansatz sein. Da ist nichts dabei, was mich anspricht. Also heißt es wieder flexibel zu sein. Wir beschließen, bei einem Apéro den Blick auf das weihnachtliche Berlin zu genießen und den weiteren Abend zu planen. Monsieur kommt dann nicht mit einem Glas für jeden, sondern einer kleinen Karaffe Wein, viel preiswerter als zwei einzelne Gläser, erklärt er stolz. Na, dann: Prost auf die Sparsamkeit.

Berlin ohne einmal beim Brandenburger Tor gewesen zu sein, das geht eigentlich nicht. Wir bummeln die Tauentzien hinunter zum Bahnhof Zoo, nehmen den Bus 200 Richtung Reichstag. Hinter uns fragt ein besorgter Fahrgast den Fahrer, ob er auch am Brandenburger Tor hält. Der macht eine dramatische Pause und bellt dann ins Mikrofon: „Ausnahmsweise! – Weil Sie es sind und bald Weihnachten ist.“

Am Brandenburger Tor wird das mit dem Hunger langsam störend, aber fürs Adlon sind wir wirklich underdressed. Monsieur fällt ein, dass da doch so ein Steakhouse war, Nähe Bahnhof Friedrichsstraße, da hätte er jetzt Lust drauf. Und so kommt es, dass wir in der Nähe vom Bahnhof Friedrichsstraße in einer Berliner Kneipe landen und Grünkohl, Bratkartoffeln und Schinkenknacker essen. Wie gesagt, ein bisschen flexibel muss man schon sein…

plakat.jpg

Am nächsten Morgen fällt es uns schon etwas schwer früh aufzustehen. Wir wollen um 10 Uhr in Potsdam sein, dazwischen liegen Frühstück, auschecken, U- und Regionalbahn und die weit geschwungene Brücke über die Havel.

Im Barberini kümmert sich Monsieur um die Garderobe. Wir haben da zu unterschiedliche Ansätze zu den Schließfächern. Ich suche immer die einfach zu merkende Lösung – das erste rechts oben -, er sucht Zweierpotenzen. Im Neuen Museum gestern war er ganz unglücklich, dass das Fach 210  schon vergeben war und wir doch auf rechts oben ausweichen mussten. Während Monsieur also die Mäntel wegbringt, lese ich im Gästebuch den Eintrag eines amerikanischen Paares. Das sich beschwert, dass es in der gesamten Ausstellung nur zwei  sehenswerte Bilder gegeben hätte. Was bei der Höhe des Eintrittspreises für ein extrem schlechtes Preis-Leistungs-Verhältnis sorge. Unterzeichnet: „The museumoholics“.

Uns geht es nicht so. Schon das erste Bild, gleich links hinter dem Durchgang löst bei mir diesen Reflex aus. Dieses Kribbeln in den Fingerspitzen und den Wunsch Monsieur anzustiften: „Du lenkst den Aufpasser ab und ich schaue, ob das Bild unter meine Jacke passt.“ Das Bild Nummer 6, genauer gesagt, das neben den Bildern 1 – 3 hängt, gegenüber von Bild 8. Wir fragen den Aufpasser, was denn mit 5 und 4 passiert sei und er meint, er sei ja schon länger hier, hätte das Nummerierungssystem aber auch noch nicht durchschaut. Dann erzählt er uns noch, dass er auch male, allerdings nicht so luftig-leichte Bilder, sein letzter Auftrag wäre für eine Arztpraxis gewesen, das Thema Burnout. Wir geben die entsprechenden Geräusche von uns und er erzählt uns noch ein bisschen mehr zu Herrn Cross. Der ja eigentlich Delacroix heiße, seinen Namen aber verenglischt habe, um nicht dauernd mit dem berühmten Eugène verwechselt zu werden. Wahrscheinlich war es leid gefragt zu werden, wo denn die üppigen nackten Damen seien.

p2018_12_15_11h11_19

Unser Delacroix/Cross hat es mehr mit der Landschaft, helle, sonnendurchflutete Landschaften von großer Leichtigkeit. Die tupft er mit Punkten auf die Leinwand, allerdings nicht rund wie sein Kollege Seurat, mehr eckig-kantig. Weshalb einige der Bilder aus der Ferne wirken, als hätte er sie aus farbigen Post-its zusammengeklebt und aus der Nähe wie aus Mosaiksteinchen zusammengesetzt. Ein paar nackte Damen sind auch dabei, aber die sind nicht üppig. Wir stehen vor seinen Provence-Bildern und spüren förmlich die Sonne, hören die Grillen, fühlen die angenehme Leichtigkeit dieses Lebens (Villa an der Côte-d’Azur, schöner Garten, diskretes Personal im Bildhintergrund) und wundern uns noch mehr über diese „Museumoholics“.

Im dritten Stock, bei Feininger & Co fehlt die Leichtigkeit etwas, auch kann ich ohne Begehren an den Bildern vorbeigehen. Hmm, das Segelboot, das Feininger mit ein paar Dreiecken hinskizziert hat, das gefällt mir schon sehr…

p2018_12_15_12h00_21

Im Museumscafé gibt es dann eine Rhabarber-Baiser-Torte, luftig-leicht wie die Bilder des Herrn Cross, um uns für die Weiterreise zu stärken. Ein bisschen noch über den Alten Markt schlendern, zurück über die Havel und dann mit der Bahn einmal im Halbkreis um Berlin bis nach Schönefeld. Da sitzen wir ein paar Stunden später am Gate und wundern uns, wie harmonisch unser Berlin-Besuch verlaufen ist. Ich schaue aus dem Fenster in den dunkel werdenden Nachmittag und mir wird richtig weihnachtlich zumute: Leise rieselt der Schnee…

 

Nackte Weiber mit abben Armen

 

a0Gestern Abend: Wir fahren zwei Stunden früher los, um vor dem Theater dem Gendarmenmarkt die Chance zu geben, uns von Weihnachtsmärkten zu überzeugen. Das kam nämlich als Reaktion auf meinen „Schrottwichteln“-Beitrag: Warum wir ausgerechnet diesen Markt besucht hätten, wo doch jeder (außer uns eben) wüsste, dass der Gendarmenmarkt viel schöner sei. Also stehen wir eine Viertelstunde an, um unseren Euro Eintritt loszuwerden und „tauchen“ dann ein in die Magie. „Mit dem Strom schwimmen“ ist nicht der richtige Ausdruck, es ist eher ein Ankämpfen gegen zähen Sirup.

a5Aber trotzdem schön, mit einem Hauch Festival: Engel auf Stelzen, ein Mann mit einer um seinen Bauch laufenden Winter-Eisenbahnlandschaft. Sie wollen nichts verkaufen, sind einfach nur da, um den Menschen eine Freude zu machen und haben selber ganz offensichtlich auch eine Menge Spaß daran. Das ausgestellte Kunsthandwerk legt ganz deutlich Wert auf die erste Silbe, wenn auch manches ziemlich seltsam ist. Ein lebensechter Pferdekopf aus rappenschwarzem Leder, mit Glasaugen, als Handtasche – sicherlich das IT-Accessoire für die Goth-Prinzessin, aber jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit? Hmmm…

Irgendwann bekundet Monsieur „un petit creux“ und wir klemmen uns mit einem Brötchen in der Hand auf eine gut gefüllte Bank. Vier weitere Gäste klemmen sich dann noch neben uns, wir kommen ins Reden und stellen eine Menge Gemeinsamkeiten fest. Sind nicht aus Berlin – Bingo! Fahren aber gerne immer mal wieder nach Berlin – Bingo. Gehen gleich in die Oper – Bingo (Theater zählt wie Oper!). Und dann sagt die eine zwischen zwei Bissen Schweinehaxe mit Grünkohl, dass sie auch an die Fishermen’s friends gedacht haben, „für vor der Oper“. Mich trifft das wie ein Schlag, die Erkenntnis, dass wir übelste Kunstbanausen sind. Kultur ohne Pfefferminz – geht gar nicht!

Dieses unser Versagen treibt mich die halbe Nacht um. (Vielleicht auch ein bisschen Herrn Kleist unglückliches Unvermögen, das eigene Streben nach Vollkommenheit mit der Unvollkommenheit unserer Welt zu versöhnen.) Im Morgengrauen sehe ich für uns zwei Möglichkeiten:

Die eine: wir kaufen Pfefferminz-Bonbons.

Die andere: wir leben ungestört unser Kunstbanausentum aus.

Wie jeder weiß, sind Bonbons schlecht für die Gesundheit.

Die BVB werden zu unseren Komplizen. Wir haben uns nämlich zur 3-Tages-Karte die Museumsinseloption aufschwatzen lassen. Und das wird es dann heute werden: Museum-Hopping.

a1

Mit einer daraus resultierenden frivolen Leichtfertigkeit betreten wir das Alte Museum. Ich gebe dem Mann an der Rezeption drei Minuten für seinen Sales Pitch: warum dieses Museum und nicht eines der anderen. Er macht seinen Job gut, aber dann setzte ich zum Todesstoß an: „Und das Museumscafé?“ Da wird er blass und stammelt, gegen das vom Bode-Museum könnten sie nicht ankommen.

Gut, so viel Ehrlichkeit muss belohnt werden und wir geben unsere Mäntel an der Garderobe ab. „Wo kommen Sie denn her?“, fragt die Dame und auf unsere Antwort Frankreich: „Ui, watt jibtett denn bei Ihnen Heilig Abend so zu essen?“ Ich fange an mit Salade chèvre chaude, gefolgt von Lachsfilet auf schwarzen Linsen, Ziegenkäsenocken auf gegrillter Rote Bete mit karamelisierten Walnüssen und schließe mit Mohnmousse mit Pflaumen im Glühweinsud. Ihre Augen werden immer runder, bis sie schließlich mit einem Seufzer über die Lippen leckt und uns die Marke gibt.

Gleich im ersten Raum verliebe ich mich, hoffnungslos, wie es aussieht. Das kleine Bronzepferd, fast 3000 Jahre alt, ist Perfektion. Zu ärgerlich, dass es nachher im Museumsshop nur Kopien der etruskischen Pferde gibt. Auch schön, kein Zweifel, aber nicht sooo schön. Wir streifen durch die Räume, beäugen mit einem kleinen Grinsen die Gruppe japanischer Damen, die mit der gleichen Faszination wie wir in Kyoto die schwarzen Buddha-Statuen bewunderten, vor einem griechischen Jüngling stehen. Als ob meine Gedanken ihn heraufbeschworen hätten, steht da plötzlich ein schlanker schwarzer Buddha zwischen all der weißen Marmorherrlichkeit. Dahlem, im Umzug ins Humboldtforum begriffen, hat einige seiner Schätze in andere Museen ausgelagert, wo sie als ironisches Augenzwinkern, als kleiner optischer Stolperstein die Aufmerksamkeit fokussieren.

a2

Die nackten Marmordamen streifen wir nur mit kurzem Blick. Vor Jahren haben wir uns da einen Rüffel eingehandelt. Wir Eltern hatten damals stinkautoritär unsere vier Kinder zu einem Bildungsaufenthalt in Rom verdammt. Die üblichen Museen, das Forum und eine Menge „gelato“, Pizza und Pasta. Den Großen hat es – glaube ich – ganz gut gefallen, dem Jüngsten eher nicht so. Mit dem ganzen Charme des tiefpubertären Knaben raunzte er uns an: „Nackte Weiber mit abben Armen angaffen, wie krank ist das denn!“ Also keine (oder kaum) nackte Damen für uns, dafür ein bisschen Frieren auf dem Weg von den Römern über die Rotunde und die Freitreppe zu den Etruskern. Es stellt sich heraus, dass das neben der Rotunde liegende Café wirklich nicht sehr einladend ist.

Im Neuen Museum verlaufen wir uns erst einmal und landen – aber das ist wirklich Zufall – beim Café. Kleine Pause bei einem Kaffee, während ich mit Faszination beobachte, wie die zwei Herren am Nachbartisch erst zwei Apfelkuchen, dann zwei Tomatensuppen, danach zwei weitere Apfelkuchen und anschließend noch zwei Tomatensuppen bestellen und verzehren. Wir sind nach der 2. Runde Tomatensuppe gegangen, so dass ich nicht weiß, wie viel da noch „ging“.

a3

Das Neue Museum bietet für mich dann eine große Überraschung. Nicht Nofretete oder Schliemanns Schatzkopien, die haben wir schon häufiger besucht. Zu meiner großen Freude haben sie im Museumsshop „mein“ Pferd, ein bisschen kleiner zwar, aber genauso schön. Und da Ehemänner immer auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken sind, muss ich das jetzt ganz schnell wieder vergessen.

Pergamonmuseum ist wie alte Freunde besuchen. Jedes Mal, wenn ich in Berlin bin, muss ich „meine“ Löwen „streicheln“ gehen. Den Pergamonaltar, den könntest du mir schenken, den würde ich mir nicht in Wohnzimmer stellen wollen, all das Geschwurbel und die ganze Gewalt! Das Ishtar-Tor, das ist etwas ganz anderes. Allein schon dieses Blau ist so etwas wie Entspannungstherapie. Aber der Höhepunkt sind die hethitischen Löwen. Nicht die des Tores, die kleineren genau gegenüber. Die so herrlich vergeblich versuchen, groß, stark und grimmig auszusehen und durch ihr freches Grinsen all das versemmeln.

a4

Es ist längst Zeit für eine Mittagspause und eigentlich wollen wir jetzt endlich das Café des Bode-Museums austesten. Aber kaum treten wir aus der Tür des Neuen Museums, stehen wir vor dem Baustellen-bedingt schäbigen Eingang des Pergamonmuseums. Es bleibt uns quasi nichts anderes übrig als hineinzugehen. Es geht die schmutzige Bautreppe hoch und – bäng, sorry, aber mir fällt nichts Besseres ein – steht man Knall auf Fall direkt in der Prozessionsstraße. Das wohltuende Blau tut seine Wirkung, kann aber trotzdem nicht gegen den Hunger ankämpfen.  „Nööö, wir nicht, noch nicht! Aber das Bode-Museum…“, beantwortet der Aufpasser meine Frage und führt damit zum kürzesten Pergamon-Besuch aller Zeiten. Nur noch schnell die Löwen streicheln und dann…

Das Café im Bode-Museum ist wirklich sehr schön, das Essen eher mittelmäßig.

 

Ich glaube, wenn ich groß bin, schreibe ich ein Buch. Einen Reiseführer: Die schönsten Museumscafés der Welt.

44 Prozent

Keine Fotos, sorry, striktes Fotografierverbot

Eigentlich steht auf der Tafel an der Rezeption: Regenwahrscheinlichkeit 56%. Aber das klingt so negativ. Da hört sich 44 % Nicht- Regenwahrscheinlichkeit doch viel freundlicher an. Vom Hotel zur U-Bahn-Station sind es nur ein paar Schritte, vom Potsdamer Platz zum Gropius-Bau ein paar Minuten Fußweg. Das sollten wir mit 44%er Wahrscheinlichkeit trockenen Fußes schaffen. Die U2 fährt Richtung: „NICHT AUSSTEIGEN! Zug fährt zurück zum nächsten Bahnhof.“ Keinen der anderen Fahrgäste scheint das zu stören, sie steigen unbekümmert ein und aus. „Dett is Balin,“ kommt als Erklärung.

Wir kommen in der Tat problemlos zum Gropius-Bau, aber dann gibt es erst einmal Hektik. Monsieur schafft es tatsächlich auf dem kurzen Stück zwischen Kasse, Garderobe und Einlass seine Eintrittskarte zu verlieren. Das Problem bekommen wir aber in den Griff und dann dürfen wir hinein in die Ausstellung. Erst einmal den Gropius-Bau selber bewundern mit seinen Säulen und Friesen. In der Mitte der großen Halle ist die römische Stadtmauer von Köln angedeutet, davor die mächtigen Holzbohlen der Hafenmauer aufgebaut und wiederum davor haben sie all den Müll gekippt, den die Bewohner des römischen Kölns in den Rhein geworfen haben. Scherben aus Ton und Glas, Knochen, Austernschalen, kunterbunt gemischt. Drei große Haufen Verlockung, Verheißung, Versprechen. Ich möchte sofort mit beiden Händen zufassen, wühlen, suchen, die Scherben durch die Finger driften lassen auf der Suche nach dem einem kostbaren Fund. Wie zufällig hingeworfen sieht es aus, wie vom Bagger gerade aus dem Rheinschlick geholt, einmal mit dem Schlauch abgespritzt und ans Ufer gekippt. Wenn da nicht – selbst an der kleinsten und unscheinbarsten Scherbe – fein säuberlich und akkurat die Inventarnummer aufgetragen wäre.

„Bewegte Zeiten“ will zeigen, dass Deutschland schon immer ein Land war, durch das sich Menschen bewegt haben, Einwanderer, Zuwanderer, Durchwanderer. Aber nicht nur Menschengruppen haben sich bewegt, Güter, Waren wurde bewegt, Ideen genauso. Der nächste Raum ist der Infrastruktur gewidmet. Über die ganze Länge zieht sich eine Straße. Erst nur ein Karrenweg mit Spuren, dann eine Römerstraße, mittelalterliches Pflaster bis hin zu unseren modernen Straßen. Aber nicht die Technik ist, was ausgestellt wird. Mit einem Augenzwinkern zeigt die Ausstellung, dass Menschen auf ihren Reisen schon immer Dinge verloren, vergessen oder weggeworfen haben. Seien es Münzen, Hufeisen oder Kleidungsstücke. Letzteres ist eher seltsam. Die Legionärssandale sei deshalb so besonders, erläutert der Begleittext, weil da noch die Fußknochen drinstecken. Wie makaber! Das kann mir doch keiner erzählen, dass den ein Legionär am Wegesrand vergessen hat.

Auf der anderen Seite ein mir bis dahin völlig unbekanntes Stück Infrastruktur: der Karlsgraben, den Karl der Große zwischen zwei Nebenflüssen von Rhein und Donau hat graben lassen, um einen Handelsweg zwischen Nordsee und Mittelmeer zu schaffen. Zwar nur zwei Kilometer lang und manchmal nur 70 Zentimeter tief, dafür aber um 790 gebaut. Faszinierend.

Die Ausstellung hat einen gewissen Sinn für Humor. So wird ein mit allen Ehren bestattetes Mittel der Bewegung, zwei Zugochsen im Gespann, gezeigt neben einem Fürstengrab mit den aus der Ferne zum Fürsten bewegten Luxusgütern seiner Zeit.

Nach zwei Stunden tun uns die Füße weh und wir sind erst bei der Hälfte angelangt. Eine Pause ist notwendig. Hier enttäuscht das Museum etwas. Das Museumscafé ist nicht ohne Charme, aber die Bedienung mürrisch und unfreundlich. Dafür gibt es Rhabarber-Schorle, hatten wir auch noch nicht.

Nach der Pause schleichen wir uns – gegen den Rundgang – schnell in den Raum mit der Himmelsscheibe. Im Hauptraum knubbeln sich inzwischen die Gruppen, deshalb wollen wir versuchen, die Scheibe vor dem großen Andrang zu sehen. Gelingt uns fast. Die Kindergruppe sitzt um die Vitrine herum, sodass wir freie Sicht haben. Sie hören den Erklärungen eher gelangweilt zu, erst als die Führerin erzählt, wie die Polizei mit allerlei Listen die Grabräuber jagte und stellte, erwacht ihr Interesse. Im gleichen Raum stehen auch die Goldhüte, alte Mond- und Sonnenkalender, Wand an Wand mit der Venus von Hohlefels. Drei der größten archäologischen Funde aus Deutschland auf kleinstem Raum. Erspart uns die Fahrt nach Halle oder Stuttgart. Und mindert etwas das schlechte Oeko-Gewissen, „nur“ für eine Ausstellung nach Berlin geflogen zu sein. Die Venus steht zusammen mit anderen Ritzungen, die Frauen auf „das Wesentliche“ beschränken und den Fragmenten eines Kultbaus aus dem Bodensee. Als Pfahlbau vor Jahrtausenden errichtet, dann abgebrannt und im Bodenseeschlick versunken, wurde er vor kurzem geborgen und restauriert. Der ganze Bau war innen mit einer Tonschicht überzogen, aus der „fast lebensgroße“ Brüste herausragen, Hunderte. Ich muss erst lachen über diese Aussage. Brüste kommen in so vielfältigen Formen und Größen daher, dass der Autor des Textes wohl nicht viel Fantasie (oder Erfahrung) hat. Dann stelle ich mir einen Raum vor, in dem mich von den Wänden Hunderte von Brüsten anstarren. Finde ich unheimlich.

Natürlich wird nicht verschwiegen, dass Bewegung zu Begegnungen führt und diese nicht immer friedlich verlaufen. Totenschädel mit Flintpfeilspitzen sind zu sehen neben geschmolzenen Bronzekanonen. Auch dem Thema, dass Ideen sich bewegen und die neuen Ideen die Menschen bewegen, ist ein Bereich gewidmet. Im Positiven als Kulturtransfer, im Negativen als Bildersturm, Pogrom, „Entartete Kunst“.

Nach vier Stunden sind wir erfüllt, aber rechtschaffen müde und treten hinaus in die sanft tröpfelnden 56%. Zum Glück ist der Potsdamer Platz nicht weit und da gibt es nach so viel Kultur dann Kult: Currywurst mit Pommes.

Schrottwichteln

20181212_175512

Unsere Freunde sind keine VIPs, sie sind etwas Besseres: VFP, very friendly people. So bekommen wir das volle VFP-Paket. Abholen am Flughafen, Stadtrundfahrt und Valet-Parking vorm Restaurant. Ein Glas Wein zur Speisekarte und dann gehen unsere Pläne baden. Wir sitzen und genießen und reden und reden und genießen …

Irgendwann ist es später Nachmittag. Wir sagen uns, die Sonnenscheibe und die Goldhüte sind so lange ohne uns ausgekommen, da werden sie wohl noch einen Tag warten können. Nicht nur unsere Freunde sind derselben Meinung, auch der Kellner bringt noch einen Gruß des Hauses und wir lassen Pläne Pläne sein.

Sehr viel später und „unmuseumt“ checken wir im Hotel ein und stellen fest, dass es in Berlin schon am frühen Abend stockfinster ist. Ideale Voraussetzung für einen Weihnachtsmarktbesuch. Durch das Nikolai-Viertel stromern wir zum Roten Rathaus. Von da ist es ganz einfach. Gut, das bunt beleuchtete Riesenrad ist nicht zu übersehen, aber auch Musik und Menschenmenge geben untrügliche Hinweise. Der Eingang ist mit Betonblöcken verstellt, zwar mit Lichtergirlanden optisch etwas entschärft, aber schon sehr eindrücklich. Doch dahinter bricht dann die geballte Weihnachtsmarktlichkeit über uns herein. Glühwein, klar, das haben wir erwartet, aber Stände mit Grünkohl? Und nicht nur Grünkohl allein, es gibt die Kombi „Grünkohl, Pilze, 2 Knacker, 7,50“. Etwas weiter gibt es Grünkohl und Hühnerlebern, nebendran werden Pfannkuchen in der Fritteuse ausgebacken und dann hochkant in IKEA Tellerhalter zum Abtropfen gestellt. Welch eine faszinierende fremdartige Welt. Mit ihrer eigenen Sprache. „Du, Papa, solln wa noch ne Wurst?“ klingt es neben mir. Ich warte noch auf das Verb, da kommt ein „Ja, machn wa!“

20181212_174259.jpg

 

Erzgebirge-Schmuck neben Plauener Spitze, peruanische Mützen neben live vor Ort geschmiedetem Schmuck aus Hufnägeln, Dresdner Stollen und ein ganzer Stand mit verschiedenen Ausführungen von „Kaltem Hund“. Und dazwischen ein Stand, der ist schier unglaublich. So etwas wie elektrifizierte Schneekugeln, die sich auch noch drehen beim Leuchten. In meinem kühnsten Träumen hätte ich mir so etwas nicht vorstellen können. Selbst fürs Schrottwichteln nicht. Diese Objekte sind das eine, der Preis das andere. 29,90 und dann ein Y. Ich habe keine Ahnung, wie der Yuan im Augenblick steht, gehe aber davon aus, dass hier und jetzt ein Verhältnis von 1:1 gilt und der Yuan-Preis auch der Euro-Preis ist. Zwei junge Frauen neben mir diskutieren gleichermaßen gebannt die Objekte und ihre Preise. 29,90 für solch einen Kitsch, das ist schon ungeheuerlich. Da nickt die eine triumphierend: „Hach, und ich habe die für 9,80 im Supermarkt gekauft!“

Wie gesagt, eine faszinierende fremdartige Welt.

Pssssst….

p2010_01_28_10h34_49

Könnt Ihr ein Geheimnis für Euch bewahren? Es soll nämlich eine Überraschung sein. Für Berlin. Obwohl diese Geheimniskrämerei im Falle Berlins eher so etwas wie Notwehr ist. Berlin und wir – da ist ja immer etwas. Deshalb wollen wir Berlin morgen überraschen, damit es keine Zeit hat, sich seinerseits „Überraschungen“ für uns auszudenken.

Als ich zum ersten Mal eine Woche Berlin zum Geburtstag geschenkt bekommen habe, war es das Wetter. Minus fünfzehn Grad, heulender Ostwind und Schneetreiben. Das, was einen Städtetrip besonders amüsant macht – einen schönen Platz und da ein nettes Café zu finden, um bei einem Kaffee der Stadt beim Stadt-Sein zuzuschauen -, fiel schon mal aus. Dafür lehnte ich mich in den Wind und folgte Monsieur in der vagen Hoffnung, dass die schattenhafte Gestalt, neben der ich durchs Schneegestöber stapfte, tatsächlich immer noch die selbe war, an deren Seite ich das Hotel verlassen hatte. Hinzu kam, dass ich ganz schnell lernen musste, dass ein Mann, der eine Wochenkarte der Berliner Verkehrsbetriebe erwirbt, diese deshalb keineswegs einsetzen wird. „Das sind nur zehn Minuten zu Fuß, da lohnt es sich nicht auf den Bus zu warten, das sind wir schneller gelaufen“, wurde zum Leitmotiv. Bei wie gesagt – 15°, heulendem Ostwind und Schneetreiben! Das eine Mal, dass ich müde, trotzig und verbockt auf dem Bus bestand, standen wir eine halbe Stunde in der Eiseskälte, weil just da ein Unfall den gesamten Verkehr lahm gelegt hatte.

Ja, Berlin und wir – nie ein Augenblick der Langeweile!

 

Diesmal holen uns liebe Freunde direkt am Flughafen ab, um mit einem gemeinsamen Essen in der Innenstadt unsere Berlin-Tage einzuleiten. Ich sehe das Abholen  als einen Ausdruck ihrer Freundschaft und nicht etwa den der Sorge, dass wir es – mit unserer langen Geschichte von fast und tatsächlich verpassten Flügen, Zügen und S-Bahnen – nicht selber nach Berlin schaffen.

Dann folgen vier Tage Kunst, Kultur und Konsum. „Bewegte Zeiten“ im Gropius-Bau ist ein Muss, das Barberini schon angedacht. Ein bisschen Konsumrausch im KadeWe und Bummeln durch die Straßen. Vielleicht im Pergamonmuseum vorbeischauen, wie es mit dem Umbau steht und im Nikolai-Viertel nett essen gehen. Das alles mit dem einen oder anderen Blick über die Schulter, um schnell abzuschätzen, ob Berlin etwas in petto hat für uns.

Die ersten Theaterkarten für übermorgen, die Monsieur uns als kleine zusätzliche Überraschung organisiert hatte, – vor Wochen bestellt, vor ein paar Tagen kontrolliert – sind ein Indiz. Der Tag stimmte, der Monat – November – nicht. Aber da war es natürlich schon zu spät…

Das kann nur eines heißen: Berlin ahnt etwas!

 

Einmal Käse nach Berlin

Also, ich weiß nicht, was das ist mit uns und den Berlinflügen. Wir wollen doch nur mal eben dahin, mal eben nach Berlin. Nicht hethitische Löwen streicheln, nein, die Älteste macht ihren Abschluss und die geländegängigen Eltern sollten doch bitte eine repräsentative Auswahl französischen Käse-Schaffens zur anschließenden Feier mitbringen. Gut, sie hat die Einladung etwas anders formuliert, aber wir können ja zwischen den Zeilen lesen. So wird unser Koffer zum Käse-Transporter umfunktioniert und weil wir ja wissen, dass da so etwas ist mit uns und den Berlinflügen, fahren wir mit einer guten halben Stunde Zeitpuffer los. Eingecheckt sind wir, es muss nur der Käse-Transporter „ge-baggage-dropped“ werden, wahrscheinlich werden wir uns eine Stunde am Flughafen langweilen. Und dann steht hinter der französischen Grenze alles. Die Zeit verstreicht und nichts geht. Unser Zeitpuffer ist hin, als wir endlich auf den Flughafen-Zubringer kommen und ich dirigiere Monsieur hinter einem Bus her auf den Schleichweg zum Airport-Bahnhof. Monsieur fragt noch gestresst „Bist du dir sicher?“, was ihm eine strafend gehobene Augenbraue einbringt. Wer holt denn hier seit Jahren die Kinder vom Flughafen ab? Es klappt auch alles hervorragend, bis wir kurz vorm Bahnhofs-Parking auf die Schlange all der Autofahrer treffen, die die gleiche coole Idee gehabt haben. Ein Parkhaus ist schon besetzt, das andere zeigt vier freie Plätze und wir treffen eine Entscheidung. Besser ein Eltern mit Käsetransporter im Flieger nach Berlin als zwei Eltern mit Parkplatz in Genf. Und so erfinde ich die neue Trendsportart „Koffer-Joggen“. Durchs Parkhaus unter der Arena durch, durch die Bahnhofshalle, durch die Abflughalle, weil unsere Airline natürlich an den Schaltern 1-10 eincheckt. Ich komme die sprichwörtlichen fünf Minuten vor Schalterschluss an – vor mir Hunderte von Fluggästen, die mit dieser Airline wo anders hinwollen. Da werfe ich der nächstbesten Angestellten den Käsetransporter vor die Füße und jappse mit letzter Kraft „Berlin! Berlin!“, woraufhin sie sofort die Absperrung öffnet und mich zum nächsten Schalter bringt. Die Dame dort schaut sehr pointiert auf ihre Uhr und meint: „In drei Minuten wäre es zu spät gewesen.“ Ach nee, echt jetzt? Aber drei Minuten, drei Sekunden oder drei Tage, das ist mir jetzt so was von egal, der Käsetransporter ist schon mal gut auf dem Weg nach Berlin und ich habe Zeit mich um anderes – sprich Monsieur – zu kümmern. Der kommt mir aber schon durch die Halle entgegen, auch im Laufschritt und grinst: „Ich habe geparkt, keine Ahnung, wo. Ob wir unser Auto jemals wieder finden, weiß ich nicht!“ Aber das ist ein Problem, um das wir uns erst in drei Tagen kümmern müssen.

In Schönefeld werde ich draußen kurz an die Seidenstraße erinnert. Orientalisch aussehende Männer – allerdings in Neon-Westen mit dem Schriftzug einer Taxi-Gesellschaft – kanalisieren die Ströme der Reisenden mit Worten und Gesten: „Folgen! Follow me! Follow Sie mich!“ Unser Taxifahrer ist dann allerdings ein ganz junger Pole, der den Namen unseres Airport-Hotels in sein Handy eingibt und losfährt. Ausfahrt Adlershof ist schnell da, dann verlieren wir uns in kleineren Straßen, bis er vor einem Studiogebäude stehen bleibt und sich umdreht. „Es ist nicht hier!“, sagt er verzweifelt. „Es soll hier sein, aber es ist nicht hier!“ Nun ist ein Airporthotel ja kein Schlüsselbund, den man schon mal verlegt oder verliert. Monsieur fragt seine Lebensgefährtin, ich suche meine Buchung heraus und buchstabiere die Adresse. Der junge Pole schaltet den Taxometer aus und folgt Monsieurs Anweisungen. Das verlegte Airport-Hotel taucht dann tatsächlich auf, aber der Fahrer will uns partout vor dem Konkurrenzhotel auf der anderen Straßenseite absetzen. Als wir ihn darauf aufmerksam machen, ist er fast zerknirscht: „Ich habe eine kleine Tochter, fünf Wochen alt. Und ich kann doch nicht immer nur meine Frau nachts aufstehen lassen!“, erklärt er seinen Zustand. Da haben wir ihm noch etwas auf den Fahrpreis draufgelegt und ihn nach Hause geschickt.

All das hat uns doch recht durstig gemacht und so stehen wir kurz vor Mitternacht noch mal in der Bar in der Lobby und bestellen zwei Bier. Der junge Barkeeper schaut auf und meint: „Oh, das wird jetzt aber peinlich für mich!“ Und erzählt eine Geschichte von einer Großveranstaltung gestern und einem unzuverlässigen Lieferanten heute. Kurzum: Bier ist aus.

Ich weiß wirklich nicht, was das ist mit uns und Berlin…