Startseite » Beitrag verschlagwortet mit 'Bilbao'

Schlagwort-Archive: Bilbao

La Galea

f1

In dem Bemühen, dass seine Besucher auch nur ja alle Highlights kennen lernen, gibt das Touristenbüro, nur wenige Meter von unserem Hotel entfernt, eine Karte mit „Touristic walks“ heraus, sechs an der Zahl. Die ersten beiden, am Strand entlang und dann zur Marina, haben wir, ohne es zu ahnen, am ersten Abend auf der Suche nach Essbaren absolviert. Da diese Suche dort nicht zum gewünschten Erfolg führte, haben wir – mit einem leichten Schaudern, wie ihr Euch vielleicht erinnert – den „Paseo de las grandes Villas“ drangehängt. Nummer vier war dann die Verlängerung der ersten drei zur Biskaya-Brücke, den Weg bin ich gegangen, um mich mit meiner Freundin dort zu treffen. Wirklich schön war der fünfte Weg durch die kleinen Gässchen des Fischerdorfes Puerto Viejo, wo man sich in einer netten Bar mit Meerblick unter Platanen bei einem Weißwein vom Treppensteigen erholen konnte. Die letzte und bei weitem „superlativste“ Tour haben wir gestern gemacht. Sie führte von einer „Molino (1726)“ zu einem eher banalen gleichaltrigen „Fuerte (1742)“ bzw. zu dem, was davon noch übrig ist. Halt, ich vergaß: zuerst kommt noch als Sightseeing-Stopp: „Cementario (1908)“, wirklich, so steht es auf dem Flyer. Wir ließen Friedhof , Mühle und Fort rechts bzw. links liegen und hielten Kurs auf den Leuchtturm an der Spitze der Klippen.

f3

Als Leuchtturm ist er nicht sehr beeindruckend, aber er markiert den Punkt, wo man das Delta der Ria de Bilbao verlässt und nun dem atlantischen Ozean gegenüber steht. Und ab hier wird es so schön, dass einem schnell die Superlative ausgehen. Die Klippen aus jenem hochgefalteten Sediment, das wir in Zumaya bewundert hatten, bieten dramatische Ausblicke nach unten, wo der Atlantik seine Brecher gegen das Hindernis wirft. Wie bröselig dieses Gestein ist, hatten wir gestern am Strand aus der Nähe gesehen. Hier oben konnte man an Rissen und Spalten im Boden sehen, wo der nächste oder übernächste Wintersturm einen Teil des Geländes, der Pfade mit sich nehmen wird. Gelegentlich zeigten Reste eines Gebäudes, dass die Kräfte der Natur unterschätzt worden waren. Besonders eindrücklich wirkten zwei verrostete T-Träger, die im schiefen Winkel zueinander standen und im Wind leicht vibrierend seltsam klagende Töne von sich gaben.

f2

Es gibt einen breiten betonierten Wanderweg etwa 10 Meter landeinwärts, aber natürlich läuft man lieber auf einem der vielen Trampelpfade an der Kante der Klippen. Oder, wenn die Risse und Spalten zu suggestiv werden, einen Meter weiter landeinwärts. In eine der Buchten, in die man sich vorsichtig vorlehnend hineinschauen kann, führte eine Treppe hinunter, zur Hälfte von einem Erdrutsch verschüttet, im unteren Teil wahrscheinlich von der Wucht der Winterstürme weggespült. So ein Weg, den man vielleicht noch nach unten schafft – aber wieder hoch? Wir haben natürlich verzichtet – und das hat nichts mit Angst zu tun. Nur mit Fantasie. Ich habe nämlich festgestellt, dass ich zuviel Fantasie habe: ich kann mir einfach zu gut vorstellen, was alles schief gehen könnte.

Auf unserem Rückweg ging jedenfalls alles gut. Wir kamen dann nach fast 8 km doch etwas erhitzt und müde in den Gassen des Alten Hafens an. Monsieur dachte an einen kühlen Wein, ich eher an die Dusche im Hotel. Da sahen wir just in „unserer“ Bar Freunde sitzen. So kam Monsieur dann doch noch zu seinem Wein – und ich natürlich auch.

f7

Und die Dusche, die wartete auch  noch eine Stunde später geduldig auf uns.

Das Konferenzdinner, zu dem ein Bus uns am Abend brachte, fand in einem historischen Bauernhaus von 16irgendwas statt. Unter den kritischen Blicken eines Pfaus gab es Weißwein und Häppchen vor dem Gebäude. Später wurden wir in den mächtigen Dachstuhl geführt, wo es Pastete, Auberginenröllchen, gefüllte Tintenfische und Steaks gab. Der Nachtisch war wohl die baskische Variante des Bienenstichs. Weißwein und Rotwein waren auch gut vertreten und zum Schluss sollte man aus drei verschiedenen baskischen Digestifs zum Glück nur einen auswählen.

f8

Die Stimmung auf der Heimfahrt war sehr beschwingt und endete damit, dass eine italienische Physikerin einen ganzen Bus voller ernsthafter Wissenschafter verabschiedete mit einem begeisterten: „Ciao, ragazzi!“

Kleine Ursache – große Wirkung

e4

Unterwegs: Getaria

Im späten Mittelalter produzierte das Baskenland hauptsächlich Apfelwein und Söhne. Da nur der Älteste das Familienerbe übernehmen konnten, heuerten die anderen Söhne auf Schiffen an, so dass man sagen kann, dass das Baskenland Apfelwein und Seeleute produzierte. Diese Seeleute nahmen statt Wasser ihren einheimischen Apfelwein mit auf die Schiffe. Der war schmackhafter und haltbarer als simples Wasser und – aber das wussten sie damals natürlich noch nicht – reich an Vitamin C, was gegen Skorbut schützt. Diese Entscheidung hatte dann weit reichende Konsequenzen. Die erste war, dass die fitten und vitaminstrotzenden baskischen Seefahrer auf ihren Walfangtouren immer weiter nach Norden vorstießen. Wodurch sie vor der Küste Kanadas mit den Wikingerschiffen der Isländer in Konflikt kamen, kurz bevor beide – so unser Führer – den unbekannten Kontinent betraten. Unsere Fragen zu Columbus tat unser Führer – Baske – mit einer Handbewegung ab. Die baskische Walfangkonkurrenz vor Kanada war den Isländern ein solcher Dorn im Auge, dass sie – weitreichende Konsequenz – auf Thingvellir ein Gesetz erließen: Jeder Isländer durfte jeden Basken, dessen er ansichtig wurde, einfach totschlagen. Dieses Gesetz hat das isländische Parlament natürlich wieder aufgehoben – vor zwei Jahren. Jetzt wird der baskische Islandtourismus sicher ungeahnte Steigerungsquoten erfahren.

e6

Das wurde uns erzählt als Einstimmung auf die Besichtigung (mit Verkostung!) einer Apfelwein-Kellerei, der Sagardotegi Petritegi. Vor den Apfelwein hatten die Organisatoren allerdings den pädagogischen Teil gesetzt, eine Einführung in die Herstellung desselben. Wir wurden in zwei Gruppen geteilt und wir erwischten leider den etwas – hm – uninformativeren Führer. Ein Großteil seiner Ausführungen bestand darin, uns bei jeder Etappe (Apfelbaum, Apfelschütte, Apfelwaschtrommel, Apfelzerquetscher und -presse) zu erklären, dass Apfelwein immer nur 6% Alkohol habe und dass man, je nach Testergebnis mehr süße oder mehr saure Äpfel zur Maische geben müsse. Dies wurde mit solch mantra-artiger Häufigkeit wiederholt, dass sicher heute Nacht einige Konferenzteilnehmer aus dem Schlaf hoch geschreckt sind mit dem Gedanken: „Oh nein, unter 6%, wir brauchen mehr süße Äpfel!“

e5

Endpunkt der Führung war ein Keller mit riesigen Holzfässern. Einige der Fässer waren mit Zapfhähnen versehen. Die Kunst war jetzt folgende: Der Zapfhahn wird geöffnet, der Apfelwein schießt im weiten Bogen heraus und landet im Glas des ersten Gastes, den der Führer mit entsprechender Erfahrung in etwa anderthalb Meter Entfernung vom Fass positioniert hat. Andere Gäste halten ihre Gläser genau unter das erste Glas. Zieht der Erste nun sein Glas weg, fällt der Strahl in das Glas des Zweiten, bis dieser wiederum sein Glas wegzieht usw. usw. Beim anschließenden Essen im Raum neben dem Keller waren alle Fässer mit Hähnen zum Verkosten freigegeben. Das einzige worauf man achten sollte war, dass mehr „Sidra“ in den Gläsern als auf dem Boden landete.

e1

Der andere Punkt der Exkursion war der Geopark von Zumaya, wo man 100 Millionen Jahre Erdgeschichte im Freien sehen kann. Die ursprünglich geplante Schifffahrt an der Küste entlang zu den Felsen wurde aufgrund des stürmischen Wetters dramatisch verkürzt. Im Prinzip fuhren wir aus der durch massive Hafenmauern geschützten Flussmündung aufs offene Meer, bekamen ein paar Brecher vor den Bug und breitseits, riefen Ohhh und Ah und dann machte der Kapitän wieder kehrt. Die Erklärungen eines Geologen zum Thema gingen im Lärmen des Meeres fast unter. Sie war sehr schön die Fahrt, Sonne, Wind, wilde Wellen, nur halt nicht sehr informativ, was den Geopark anging.

e2

Das kam dann im zweiten Teil, in dem ein kurzer Fußweg uns zu einem Strand mit spektakulären Felsformationen brachte. Eine Mitarbeiterin des baskischen Touristenbüros erklärte uns auf spanisch die ganzen 100 Millionen Jahren – eine Anhäufung von Natur- und Klimakatastrophen, Artensterben, Kontinentenkollisonen -, eine zweite übersetzte das ins Englische. Ein etwas mühsames und repetitives Verfahren, was dazu führte, dass ich nach den ersten 50 Millionen den Unterricht schwänzte und mir lieber das Ganze in Natura angesehen habe. Dadurch habe ich dann leider die entscheidende Schicht nicht mitbekommen, in der die magnetischen Erdpole mal kurz ihr Feld umpolten, mit katastrophalen Folgen für Flora und Fauna. Anscheinend machen sie das so alle 2-300000 Jahre, allerdings liegt die letzte Umpolung schon über 700000 Jahre zurück. Das wie gesagt hatte ich alles geschwänzt. Deshalb verstand ich auch nicht ganz die Sorge, mit der Monsieur die anstehenden Umpolung mit einer Kollegin diskutierte. Sie waren sich nicht sicher wann, aber über eines waren sie sich einig: es wird schlimm! Und ihr Versuch der Beruhigung, dass man nicht wisse, ob das in hundert, tausend oder hunderttausend Jahren passieren wird, klang nicht wirklich entspannend. Jedenfalls kann man das alles in den Felsen lesen wie in einem Buch, wenn man halt geologisch spricht. Und in dieses spezielle Buch hier waren zwei „Golden Nails“ versenkt worden, so etwas wie der Nobelpreis für Felsen.

e3

Diese besondere Formation der Felsen nennt sich  Flysch und sowohl der Erklärer auf dem Boot als auch die Erklärerin am Strand versuchten uns weiszumachen, dass dieses seltsame und für sie fast unaussprechliche Wort von einem deutschen Begriff für rutschen, gleiten abzuleiten wäre. Die versammelten deutschen Physiker mussten diese schöne Theorie leider zerstören. Die Erklärerin dachte kurz nach und lieferte einen neuen Lösungsansatz. Eigentlich waren es keine deutschen, nein es waren Schweizer Ingenieure, die diesen Begriff für eine bestimmte Gesteinsschicht geprägt hätten. Und da konnten wir nur zustimmen: das ist den Schweizern ohne weiteres zuzutrauen, dass sie ein Wort wie „Flysch“ haben.

Brautkleider – Reizwäsche – Umstandsmoden

The rain in Spain stays mainly in the plains

 

c4

Tja, hier irrten Professor Higgins und Eliza Dolittle. Der „rain in Spain stays“ heute Morgen mainly in der Biskaya-Bucht. Mit einem gewissen Sinn für Schönheit legt er einen Weichzeichnerfilter über die Industrieanlagen auf der anderen Seite der Bucht. Trotz alledem nicht so ganz das, was man sich unter Hochsommer in Spanien vorstellt. Dabei hatte ich so ein Gefühl bekommen, dass Getxo sich besondere Mühe gibt.

c2Die kleinen Straßen im Fischerdorf am Ende der Bucht, weit entfernt von der Protzvillen-Promenade, waren wirklich hübsch. Manches hat mich verwirrt, aber wenn ich schon die Sprache nicht verstehe, wie soll ich dann die Menschen verstehen. Und wer weiß?

c1Vielleicht wird es hier tatsächlich so kalt, dass es den Hausbesitzern ein Bedürfnis ist, ihre Zäune warm anzuziehen?  Die kleinen Gassen führen zum alten Fischerhafen mit seinem Wahrzeichen, dem Sireno. Den Wegweiser hatte ich an der Promenade schon gesehen, aber nicht weiter über die Wortendung nachgedacht. Genauso wenig wie ich – wie mir hier und jetzt auffiel – jemals darüber nachgedacht habe, ob und wie Seejungfrauen sich vermehren. Das bloße Wort legt ja schon nahe… Wieder ein schönes Beispiel dafür, wie Reisen den Horizont erweitert.

c3

Ein weiteres sehenswertes Ziel in Getxo ist die Biskaya-Brücke, Industriedenkmal vom Feinsten und Unesco-Weltkulturerbe. Ich hatte mich mit einer Freundin dort verabredet. Dummerweise ohne vorher abzuklären, wer wen auf welcher Seite trifft, denn sie kam von Santurtzi und ich von Getxo. Als diplomatischer Kompromiss wäre auch noch ein Treffen in der Mitte des Flusses, hoch oben auf der „Passerelle“ möglich gewesen. Zum Glück haben wir uns problemlos gefunden und konnten gemeinsam dieses imposante Bauwerk „erfahren“. Die Brücke ist Problemlösung vom Feinsten. Problem Nummer 1: Hafenzufahrt für große Schiffe, Problem Nummer 2: Stadtbevölkerung, die vom einen zum anderen Ufer möchte. Eine traditionelle Brücke behindert die Schiffe, eine normale Fähre ist zu langsam. Die Lösung bestand hier nicht in Hebe- oder Drehbrücken, hier hatte man eine originellere Idee. In das Tragegerüst der Brückenkonstruktion wird eine Schwebefähre eingehängt, die in der Luft über den Fluss gleitet. Dass der Erbauer ein Schüler Eiffels war, wundert einen jetzt nicht wirklich.

c9

Eine Fahrt kostet für Passagiere ganze 40 Centimes. Will man aber als Fußgänger in luftiger Höhe über den Gehweg laufen, muss man stolze sieben Euro bezahlen – und schwindelfrei sein. Ein Aufzug bringt einen in die Höhe, wo man dann auf der 160 Meter lange Tragekonstruktion der Fähre zum anderen Ufer laufen kann.

9cMithilfe eines Klingelknopfes kann man dann das Personal darüber informieren, dass man wieder nach unten möchte. Auf dem Knopf stand etwas in Spanisch, dass für meinen Französisch gewohnten Blick sehr nach „Drücken und hoffen“ aussah, aber natürlich „warten“ hieß. Allerdings konnte unser zaghafter mit „Hola!“ und „per favor“ gestammelter Versuch das Personal nicht überzeugen. Erst als zwei spanische Damen sehr bestimmt ins Mikrofon sprachen, kam der Aufzug und brachte uns alle wieder auf den Boden zurück.

Dann trennten sich unsere Wege auch wieder. Ich nahm die Fähre – das ist im 7-€-Ticket inbegriffen – zur Getxo-Seite, zögerte ganz kurz am Taxistand und beschloss, die halbe Stunde an der Strandpromenade zurückzulaufen, Augen immer fest aufs Meer gerichtet.

Und nach fünf Minuten fing es wieder zu regnen an.

So wird das nie was mit Getxo und mir!

Der Fluss fließt, das ist sein Geschäft…

b0

Frühstück war dann nicht so wirklich früh, wir mussten noch ein bisschen Schlaf nachholen. Allerdings war Herr Clooney auch noch nicht so richtig wach. Seine Kaffeemaschine brauchte jedenfalls furchtbar lange, um eine Tasse Kaffee zu produzieren. Die dann auch noch seltsam schmeckte. Das war allerdings nicht wirklich Herrn Clooneys Schuld, ich hatte im Kühlregal mit den Milchkännchen zielstrebig nach der Sojamilch gegriffen. Tja, wer lesen kann, ist klar im Vorteil!

So gestärkt machten wir uns auf den Weg zur Metro-Station. Das ist schon ein bisschen paradox. Unser Hotel liegt am Meer, die U-bahn-Station auf dem Berg. Klingt seltsam, ist aber so. Wir stiegen also den Berg hoch, gegen den Strom Dutzender von Badegästen, die ans Meer wollten. Ich kenne ja einige sehr schöne Metro-Stationen, Taschkent und Moskau ganz vorne, Berlin und Paris gleich dahinter, aber diese hier war wirklich abschreckend. Und das ist wörtlich gemeint. Eine hohe Backsteinmauer umgab den Bahnhof, gekrönt von einem Zaun. Auf unserer Seite konnte man nur Richtung Küste einsteigen, der Zugang Richtung Bilbao führte uns dann unter der Bahn hindurch, einige Hundert Meter eine Straße entlang, dann mehrmals um Ecken, über einen kleinen Platz und zum Schluss mehrere Treppen hoch. Zum Glück waren Menschen auf diesen Straßen unterwegs, die uns neben der richtigen Richtung auch noch die spanischen Begriffe für rechts, links und geradeaus beibrachten.

b1

Im Zug hatten wir etwa 20 Minuten Zeit darüber nachzusinnen, ob dieser zweite Bilbao-Besuch wirklich eine gute Idee sei. Die erste Stippvisite – ein verlängertes Wochenende im November – war mein Geburtstagsgeschenk an Monsieur gewesen und ein wundervolles Erlebnis. Nach Getxo gestern hatten wir jetzt fast ein bisschen Angst, wie uns Bilbao nun gefallen würde. Aber Getxo ist nicht Bilbao und Bilbao nicht Getxo. Die Metro spuckte uns in der Altstadt aus und alles war gut. Hinter uns kamen diese ewig steilen Treppen von der Begona-Basilika herunter und ich konnte mich noch an meine vom Abstieg wackeligen Knie erinnern. Wie wir da hoch gekommen sind, habe ich komplett verdrängt, muss anstrengend gewesen sein. Eine der vielen Straßen, die vor uns lagen, musste zur Plaza Nueva führen und ein paar Schritte weiter sahen wir schon die Arkaden, die uns Zugang gewährten. Wir haben da so ein paar eiserne Regeln, an die wir uns auch meist halten. Eine davon ist: Sonntags vor zwölf höchstens einen Sherry. Es war fünf vor zwölf, als wir auf der Plaza Nueva ankamen, mit anderen Wörten: höchste Zeit für die Sherry-Regel. Natürlich wusste ich nicht mehr genau, in welcher Bar wir unsere ersten Erfahrungen mit Pintxos und Sherry, der hier „Xeres“ heißt und eisgekühlt serviert wird, gemacht haben, aber das war auch egal. Hier liegt eine Bar neben der anderen und was sie auf ihren Tresen ausstellen, sind wahre kleine Kunstwerke.

b4

b3b2Bilboas Altstadt ist sehr überschaubar und nur wenige Meter weiter liegt die Santiago-Kathedrale inmitten ihres Gewirrs von Altstadtgässchen. Dieser gotische Bau war mir noch im Gedächtnis, teilweise. Während ich mich zwar kaum noch an das Innere erinnerte, hatte ich noch genau jene kleinen Lädchen vor meinem Auge, die spätmittelalterliche Händler unbekümmert respektlos zwischen die mächtigen Pfeiler des Streberwerks an die Kirche angebaut hatten. Auch der überdachte Vorhof vor dem Seitenportal wurde als Marktplatz benutzt. Nicht umsonst war Bilbao als wichtige Hafenstadt Sitz mächtiger Händler- und Seefahrergilden. Und die kleinen Geschäfte dort! An ein Geschäft auf dem Platz vor der Kathedrale erinnerte ich mich besonders gut, dort gab es hausgemachten Seifen in vielen Farben, Düften und Formen. Auf dem Platz angekommen, musste man nur seiner Nase folgen, um den Laden zu finden. (Obwohl der badende Nackedei auch ein ziemlich guter Hinweis war.)

b8b7b5

Die Calle Carniceria Vieja entlang ging es zur großen Ribera-Markthalle. Der Marktteil der Halle war sonntags geschlossen, aber der „Fressmarkt“ war offen. Auch hier wetteiferten die Bars mit ihren schön angerichtete Köstlichkeiten.

b9Direkt neben der Markthalle liegt die San Antonio-Kirche. Eine Kirche, bei der von außen alle Proportionen irgendwie falsch wirken, die uns aber von innen sehr beeindruckt hatte. Nur hatten wir an diesem Sonntag kein Glück. In der Kathedrale hielt der liebe Gott gerade Messe, da wollten wir nicht, in San Antonio, eine knappe Stunde später,  hielt er Siesta, da konnten wir nicht besichtigen.b6

Also haben wir uns auf der anderen Seite des Flusses in ein Café gesetzt, einen Cappuccino bestellt und erfahren, dass das hier Cafe con leche heißt. Wir genossen den Anblick von Markt und Kirche auf der anderen Seite und schauten dem Fluss beim Fluss-sein zu. Ein kurzer Abstecher zu Wikipedia erklärte uns, dass dieser Fluss „Rio Bilbao“ hieß. Hätte man auch selber drauf kommen können, oder?

Irgendwann fiel uns auf, dass hier nicht nur der Fluss am Arbeiten war. Aus dem Wasser unterhalb unserer Kaimauer tauchten langsam aber sicher drei Metallplastiken auf, die wir vorher nicht gesehen hatten. Kunst, die nur bei Ebbe sichtbar wird, das ist Poesie!

b9c

So entspannend es auch war, der Ebbe beim ebben zuzuschauen, das Guggenheim-Museum war verlockender. Öffentlicher Nahverkehr ist überschaubar in Bilbao, es gibt eine Tram-Linie und anderthalb Metro-Linien. Die Tram beginnt direkt hinter der Antonius-Kirche im Atxuri-Bahnhof und führt am Guggenheim vorbei in die Outskirts von Bilbao. Die Tram fährt erst am Museum vorbei, so dass man einen ersten flüchtigen Eindruck erhält und setzt einen dann in einem Park ein paar hundert Meter weiter ab. Man läuft also durch das als Gesamtkunstwerk gestaltete Ufer- und Parkgelände auf das Gebäude zu. Eine Fußgängerbrücke über den Rio Bilbao lädt gerade zu ein, verschiedene Perspektiven von diesem oder dem anderen Ufer zu erkunden.

b9a

Die Autobahnbrücke hinter dem Museum, in das Gesamtkonzept eingebunden, steht wie ein Wächter da und lässt die riesige Spinne erst einmal recht klein erscheinen. Die Kugelskulptur hat für mich etwas Augenzwinkerndes: ob man will oder nicht, man wird förmlich gezwungen, noch ein Mal und noch ein letztes Mal an ihr vorbei, um sie herum zu gehen, um die verschiedenen Reflektionen der Stadt auszutesten, sein Kunsterlebnis selbst aktiv zu gestalten.

9b

Nur mit Jeff Koons Blumen-Hund, da kann ich ehrlich gesagt, nicht so viel anfangen. Jeff Koon kann sicher damit leben.

9d

Ir de pintxos

a9

Gut, es muss ja nicht immer Liebe auf den ersten Blick sein und manche Beziehungen brauchen Zeit, um sich zu entfalten. Vielleicht wird das ja noch etwas mit Getxo und mir. Obwohl ich das ernsthaft bezweifle.

Dabei waren wir ja schon froh überhaupt angekommen zu sein. Die Stewardess begann die Sicherheitsbelehrungen mit den Worten: „Herzlich willkommen auf unserem Flug nach äääh…“ Bei ihrem zweiten: „Herzlich willkommen auf unserem Flug nach äääh…“ hatte sie die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Passagiere. Beim dritten Versuch zischte die Kollegin „Bilbao“ dazwischen, sie konnte den Satz beenden und aus den hinteren Reihen brandete Beifall auf. Zum Glück schien der Flugkapitän besser informiert gewesen zu sein.

Das Hotel hatte unsere Reservierung, das Zimmer hatte den bestellten Meerblick, alles gut. Das Meer ist hier ein Arbeitstier, d.h. der Blick geht über Strand und Wellen auf die großen Hafenanlagen mit ihren Piers, ihren Kränen, ihren Lagerhallen. Vielleicht nicht besonders idyllisch, aber mit einem gewissen Fernweh-Charme. Fanden wir soweit ok.

Aber dann machten wir den Fehler, an eben diesem Meer entlang zu schlendern zum Ortskern von Getxo. Das erste was wir sahen, waren die Kolonnaden. Hatte ich bei der Ankunft schon aus dem Taxi gesehen, für eine Bunkeranlage von 14-18 gehalten und mich gewundert, warum man das Teil nicht längst schon weggesprengt hatte. Jetzt informierte uns eine Tafel, dass es sich dabei um „eines der bedeutendsten und eindrucksvollsten Beispiele neo-baskischer Architektur“ handele, eine Wortkombination, der wir auf weiteren Tafeln noch häufiger begegnen sollten. Wir erfuhren, dass ein spanischer Großindustrieller die Kolonnaden in das Kliff gebaut hatte, um seinen darüber erbauten Familiensitz vor dem Absturz zu bewahren. Zur Strafe wurde dieser Familiensitz irgendwann abgerissen und zwei noch furchtbarere Appartementblocks dahin gebaut. Und so ging es weiter: eine monumentale Scheußlichkeit neben der anderen. Jede mit ihrer eigenen Informationstafel mit dem oben erwähnten Satz, was uns den Schluss aufdrängte, dass Getxo stolz auf diese Bauten sein muss. Angeblich  sei dies der eklektische Stil. Eklektisch hieß in diesem Fall wohl: man nehme alles, was die letzten 150 Jahre an Stilverwirrungen hervorgebracht haben, schmeiße es in einen Topf, rühre kräftig um und baue dann nach dem Grundsatz: Schön muss es nicht sein, nur groß und protzig. Irgendwann wollte Monsieur diese Dinger nicht mehr fotografieren, tat es aber dennoch mit dem Argument: sonst glaubt uns das keiner, wenn wir nur davon erzählen. Einziger Lichtblick war die Gildenhalle der Seefahrer und Lotsen.

a0

Wir waren uns schon ziemlich einig in unserem Urteil über Getxo, als wir endlich von der Strandpromenade abbogen in die Straßen der Stadt. Um es kurz zu machen: es wurde nicht schöner, wenn auch deutlich gastfreundlicher. Die erste Pintxo-Bar hat uns noch nicht so überzeugt, die zweite war schon deutlich besser. Da gab es zum Brötchen ein Glas Cider, das wäre in Getxo so üblich. In der dritten Bar gab es einen tollen Weißwein und Monsieur beschloss, statt Architektur lieber Pintxos zu fotografieren.

a8

Leider waren wir dann aber auch schon satt. Und Getxo gegenüber etwas freundlicher gestimmt. Und mit dem Sonnenuntergang, das muss man wirklich zugeben, hat sich Getxo besonders viel Mühe gegeben.

Nachtrag: Dass Zimmer mit Meerblick natürlich auch Strandblick und Blick aufs Strandleben bedeutet, hatte ich mir nicht ganz klar gemacht. Dass das Nachbarhotel dieses Strandleben mit lauten Partys bis 4 Uhr früh feierte, auch nicht.

Insofern bin ich in Anbetracht des Sonntagabend statt findenden EM-Finalspieles ganz froh, dass die Italiener Spanien rausgeschmissen haben. Bevor wir die Italiener rausgeschmissen haben. Bevor die Franzosen – aber das ist ein ganz anderes Thema.

Bilbo besuchen

p2011_11_26_14h04_25

Nein, wir fahren nichts ins Auenland und werden auch keine Hobbits besuchen.

Morgen geht es in ein Land, in dem ich nicht nur eine, nein, in dem ich zwei Landessprachen nicht verstehe. Von sprechen mal ganz zu schweigen.

Bilbo ist der baskische Name von Bilbao.

Erste Erfahrungen durften wir vor einigen Jahren machen mit der Zweisprachigkeit. Wobei man im Spanischen noch ein bisschen herumraten kann mit Französischkenntnissen. Das Baskische lässt einen mit einem heiteren Gefühl der völligen Ahnungslosigkeit zurück, was dann zu lustigen Ratespielen führt. Trefferquote war 50% in der einen Kneipe, die eben keine Symbole an den Toilettentüren hatte.

Zum Glück wird das mit der Ernährung einfach sein. Die Sherry-Bars bieten ein tolles Assortiment von Pintxos, sozusagen Bütterken auf Baskisch. Und da reicht einfaches Draufdeuten mit dem Finger. Dazu ist man auch nach dem dritten Sherry noch ohne weiteres fähig.

p2011_11_26_13h10_50

 

Kleiner Nachtrag:

Man hat mich darauf hingewiesen, dass unser Reiseland Spanien nicht nur zwei, sondern vier offizielle Landessprachen hat. Ich möchte betonen, dass ich dies nicht aus Ignoranz nicht erwähnt habe.

Vielmehr hat mich meine angeborene Schüchternheit davon abgehalten damit zu prahlen, dass ich vier Sprachen nicht spreche.