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Some kind of old Turkish motel

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Heute morgen begeht Monsieur einen schrecklichen Fehltritt. Es ist recht kühl und er zieht Socken an. Zu Sandalen. Die deutsche Rentner-Uniform! Die Rechnung bekommt er natürlich sofort. In Foĉa sitzen drei alte Männer vor einem Café und begrüßen ihn fröhlich auf Deutsch: „Guten Morgen! Wie geht’s?“

Selber Schuld, kann ich da nur sagen.

Foĉa ist eine sehr seltsame Erfahrung. Irgendwer hat im Internet etwas geschrieben über schöne alte Karawanserei, schöne alte Moschee, schöner alter Uhrturm. Hat aber vergessen, zu erwähnen, dass die beiden ersten Gebäude von den Serben beim Rückzug gesprengt worden sind. Das wiederum steht in meinem Reiseführer, der allerdings schon ein paar Jahre alt ist. Wer hat nun Recht? Immer optimistisch hoffe ich beide, erwarte, erhoffe, dass die gesprengten Bauten inzwischen wieder zu ihrer alten Schönheit restauriert worden sind. Foĉa liegt zudem ziemlich genau in der Mitte zwischen Sarajevo und Zabljak, unserem heutigen Ziel in Montenegro, ideal für eine Kaffee-, Harmonie- und sonstige Pause.

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Wir halten also vor dem oben erwähnten Café und orientieren uns erst einmal an einem weithin sichtbaren Minarett, das wird wohl die Moschee sein. Die Moschee ist zwar funkelnagelneu, wirkt aber nicht wie „neu renoviert“, einfach nur „neu neu“. Um sie herum ehemals schöne alte Häuser in verschiedenen Stufen des Verfalls. Ein paar Einheimische schütteln auf unsere Frage „Karawanserei?“ nur den Kopf und eilen weiter. Es hat etwas von Asterix & Obelix: „Alesia? Welches Alesia? Ich kenne kein Alesia!“ Etwas planlos laufen wir weiter auf das zu, was wir für einen Kirchturm halten, das sich aber als der gerühmte Uhrturm erweist. Auf der Wiese gegenüber die Ruinen einer großen Struktur, vor uns die Ruinen eines großen Gebäudes mit rundem Eingangsbogen. Ich bin mir fast sicher, dass wir meine Moschee plus Karawanserei gefunden haben, frage aber vorsichtshalber drei Jungen in Fußballtrikots, ob sie Englisch sprechen. Der Jüngste beantwortet nicht nur diese, sondern auch meine nächste Frage. „This is some kind of old Turkish motel.“ Finde ich eine ziemlich gute Umschreibung des Begriffes Karawanserei.

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Touristisch war Foĉa nun nicht so der Knüller, bleibt noch die Pause. Zu den Rentnern will Monsieur nicht zurück und findet eine Art Pizzeria ein paar Ecken weiter. Da unsere gesamte Barschaft noch 20 KM beträgt, fragen wir, ob wir eventuell mit Euro… und ja, wir können. Unser kleiner Imbiss kostet, Getränke inbegriffen, dann aber nur 10,50 KM. Da verzichten wir auf Klimpergeld in der falschen Währung und spendieren das dem Kellner. Wir haben eigentlich nicht die Angewohnheit über 90% Trinkgeld zu geben, aber das Gesicht des Kellners ist es wert.

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Unsere letzten Kilometer in Bosnien, eigentlich in der (Teil-) Republika Srpska, werden immer abenteuerlicher. Straßen, die zur Hälfte schon den Abhang hinabgerutscht sind oder umgekehrt Besuch vom Berghang oben drüber bekommen haben. Richtig toll sind die Straßenbrücke. An der ohnehin schon fast einspurigen Straße steht ein Verengungswarnschild und dann geht es in Autobreite + x (x = < 10 cm) über dicke Holzbohlen. Irgendwann gibt der Asphalt dann ganz auf. Just an dieser Stelle stehen dick und breit zwei Autos: ein VW-Bus des Schweizer Fernsehens und ein Audi der selben Firma. Bevor wir fragen können, ob sie Hilfe brauchen, sehen wir, dass die Fernsehtechniker eine Kamera an der vorderen Stoßstange des Audis befestigen, um möglichst bodennah dramatische Aufnahmen von bosnischen Straßenverhältnissen zu drehen. Liebe Schweizer Mitleser und Zuschauer, bitte lasst Euch nicht täuschen, wenn der Bericht im Fernsehen kommt! Egal wie atemberaubend und dramatisch es aussieht: das nicht asphaltierte Stück Schotterweg ist knapp 25 Meter lang, allerhöchstens.

Überhaupt kommen die wirklich abenteuerlichen Straßen erst auf der montenegrinischen Seite. Zum einen führen sie durch eine unglaublich dramatische Landschaft, zum anderen enden sie im Nichts bzw. in unserem Fall bei einem netten uralten Herren.

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Der Wegweiser Zabljak kommt etwas unverhofft auf der Uferstraße an der gestauten Tara entlang, aber wir schaffen die Abbiegung. Kurz danach wird es archaisch: in den nackten Felsen gehauene Tunnel, unbeleuchtet, dafür gerne auch mal mit einer Haarnadelkurve im Tunnel oder einem unverhofft abzweigenden Tunnel nach rechts. Straßenbreite mit hohem Diskussionspotential bei Gegenverkehr, das ganze natürlich ohne Leitplanken. Je höher wir uns schrauben auf dieser Straße, desto mulmiger wird mir zumute bei dem Gedanken, dass wir diese Strecke übermorgen bergab nehmen müssen. Monsieur meistert das alles mit großer Gelassenheit. Der letzte Tunnel spuckt uns auf eine traumhaft schöne Hochebene aus und unser Navi sagt, noch eine gute Stunde für 40 km. Alles ist gut, bis der alte Mann am Straßenrand auftaucht. Er trägt seinen guten Sonntagsanzug, vielmehr den, den er vor 60 Jahren als guten Sonntagsanzug gekauft hat und winkt aufgeregt. Wir drehen die Fenster herunter, er sagt etwas von „Snakes, snakes, snaews!“, schüttelt heftig den Kopf und meint wir müssten umdrehen. Wir sagen „Zabljak?“ und bekommen die gleiche Reaktion. Schlangen als Hinderungsgrund können wir uns nicht vorstellen, vielleicht gibt es irgendeine Sperrung für Nicht-Anwohner, also zeigen wir ihm unsere Hotelreservierung. Das sei ja nemetskiy, beschwert er sich, er könne nur montenegrinisch und ruski. Damit können wir nun leider nicht dienen, wohl aber mit einem Handy. Ein paar bange Sekunden, ob wir Empfang haben in dieser Einöde, dann haben wir unser Hotel an der Leitung und reichen das Handy weiter an den Herrn. Einige aufgeregte Sätze später erhalten wir es zurück und erst einmal einen Rüffel von der Rezeptionistin: Was um alles in der Welt wir uns dabei gedacht hätten, Ende Mai über den Sedlo-Pass (1900 m) fahren zu wollen. Ganz ehrlich? Gar nichts! Aber nun wird klar, dass der alte Herr nicht „snakes“ sondern „snow“ gemeint hat und das die Straße vor uns noch gesperrt ist.

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Das ist wirklich zu schade! Erstens ist die Landschaft wunderschön, zweitens habe ich jetzt schon Angst so gerne vor der Abfahrt.

Wir bedanken uns bei dem Herrn, kontemplieren noch ein wenig die Schönheit der Hochebene und krabbeln dann ganz langsam zurück ins Tal. Ich bin so sehr in einen intensiven inneren Dialog mit meinem Magen vertieft, dass ich gar nicht bemerke, wie schnell das geht.

Unten, im Tal, geht es auf wirklich zweispurigen Straßen zwar auch bergauf und bergab, meist durch Haarnadelkurven, über Savnik bis nach Zabljak. Trotz 60 km Umweg kommen wir nur 10 Minuten nach der geplanten Ankunftszeit für die Sedlo-Pass-Strecke an, was eigentlich alles über diese Passstraße sagt.

Monsieur will nun natürlich versuchen, von dieser Seite bis an den Schnee zu fahren (so ganz glaubt er die Geschichte nämlich nicht), aber heute wird das eh nichts mehr. Für morgen haben wir schon eine Wanderung im Durodimir-Nationalpark geplant, für die – wie nicht anders zu erwarten – Regen vorhergesagt ist.

Schau’n wir mal!

 

 

Ćejif

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Stadtrundgang mit Sabina, der aber an jeder Straßenecke in ein flammendes Plädoyer zum menschlichen Miteinander über alle nationalen, ethnischen und religiösen Grenzen hinweg übergeht. Ich weiß nicht, wie „zufällig“ der alte Offizier vorbeikommt und die Hände schüttelt, aber Sabina erklärt mit leuchtenden Augen, dass er der General der bosnischen Armee während der Belagerung Sarajewos war – und gebürtiger Serbe ist. Dass er sich nach dem Krieg um die Kriegswaisen kümmerte und dass kein Vater, keine Mutter stolzer sein könnte als er, wenn er einen seiner Schützlinge bei einer Abschlussfeier begleite. Stolz betont sie, dass Sarajewo eine Stadt des Zusammenlebens sei. Sie selber, klein, zierlich, blond, in Jeans und T-Shirt, sei Muslima und jetzt im Ramadan kämen abends oft auch ihre christlichen Nachbarn in ihrer Wohnung zusammen, um gemeinsam auf den Kanonenschuss von der Gelben Festung zu warten, das Zeichen des Sonnenuntergangs und somit des Fastenbrechens. Umgekehrt könne sie, Sabina, kaum die Weihnachtszeit erwarten, weil da die Mutter ihrer katholischen Nachbarin die besten Schoko-Plätzchen der Welt backen würde – und sie mit ihr.

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Immer wieder wird die Schilderung des Miteinanders unterbrochen durch die Schrecken der Belagerung: über 1000 Tage lag Sarajewo unter serbischem Feuer, eingeschlossen, der einzige Weg in die Außenwelt ein schmaler Tunnel unter dem Flughafen hindurch. Dort, wo Granaten niedergingen und Menschen auf den Straßen töteten, hat man die Straßen nicht repariert. Es wurde ein Rahmen aus Pflastersteinen gelegt und die Einschlagstellen und aufgerissenen Vertiefungen mit einer Art rotem Harz ausgegossen: die Rosen von Sarajewo.

Trotz dieser sehr emotionalen Momente ist die Führung geprägt von sehr viel unterhaltsamer Information, wenn auch ein Teil der bosnischen Geschichte, zusammengerafft in eine 15-minütige Einführung, einfach zu komplex und verwirrend ist für so einen kurzen Überblick.

Natürlich führt Sabina uns durch den Basar, zeigt uns ihr Lieblingskaffeehaus. Die erste Tasse Kaffee am frühen Morgen oder im Ramadan nach Sonnenuntergang, dazu die erste Zigarette, das sei „Ćejif“, das Gefühl voll und ganz mit seiner Welt im Einklang, glücklich und zufrieden zu sein.  Vor dieser Erklärung fragt sie uns aber erst: Kennen Sie den Begriff „Ćejif“? Und aus gut einem Dutzend bosnischen Kehlen um uns herum kommt ein fröhliches Ja! Kein Wunder, lacht sie, „Ćejif“ sei schließlich das populärste Wort der bosnische Sprache.

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Sabina bringt uns schließlich zu dem am osmanischsten wirkenden Bauwerk der Stadt, das natürlich die K&K-Monarchie während ihrer kurzen Herrschaft hier gebaut hat. Das ging nicht ganz ohne Widerstand, denn genau an der Stelle, am Flussufer hatte ein alter Mann sein Häuschen, das er absolut nicht verlassen wollte. Nach einigem zähen Verhandeln hin und her verlangte der Mann das für ihn Unvorstellbare, Inakzeptable: einen ganzen Sack voll Gold und dass sein Häuschen Stein für Stein, Holzbalken für Holzbalken abgetragen und auf der anderen Flussseite wieder aufgebaut werden sollte. Da steht es nun, das „Trotz-Häuschen“ mit unverbaubarem Blick auf die österreichische Monstrosität.

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Bei jeder Kirche, ob katholisch oder orthodox, wird auf die Nähe zur nächsten Moschee hingewiesen und die Tatsache, dass man mittags sowohl die Glocken als auch den Muezzin vom Minarett hören kann – die einzige Hauptstadt Europas, wo das möglich sei. Ich habe da zwar in Bezug auf Berlin so meine Bedenken, allerdings hat Berlin sicher nicht so eine verrückte Uhr. Die zeigt nämlich nicht die aktuelle Uhrzeit an, sondern wie lange es noch bis zum Sonnenuntergang ist. Früher beschäftigte die Moschee extra einen Sonnenuntergang-Ausrechner, heute übernimmt das das Internet. Trotzdem gibt es noch einen Uhrensteller, der jeden Tag die Uhr so einstellt, dass die Zeiger zum Sonnenuntergang auf zwölf Uhr stehen.

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In der Nähe der verrückten Uhr verläuft dann auch die Ost-West-Grenze Sarajevos. Das hätten wir auch ohne Sabina und den Meridian auf der Straße gemerkt. Rechts Bazar, Moschee und Altstadtgassengewirr, links K&K-Prachtstraßen mit entsprechenden Fassaden.

Rechts Kupferschmiedgasse mit „authentischem Touristenkitsch“, links das international schon fast identische Gemisch von H&M, Zara und Hochpreisigerem.

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Natürlich werden wir auch zu der berühmten Ecke geführt, die zum Trauma des Ersten Weltkrieges führte, wo Sabina uns auch vermittelt, wie sich die Perzeption des Attentats änderte. Die Österreicher errichteten ein Denkmal für die prominenten Opfer, das die Serben wieder entfernten. Dafür ließen sie in den Bürgersteig die Fußspuren des als Helden der serbischen Selbständigkeit gefeierten Attentäters ein. Die wiederum dann von den Bosniern entfernt wurden.

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Zum Abschluss gibt Sabina uns noch eine Lektion zum Verhalten im Straßenverkehr: Fußgänger müssten nicht auf Grün warten, einfach schauen, ob es geht. Geparkt werde auch sehr phantasievoll kreuz und quer – that’s just our nature!, alles etwas chaotisch, aber that’s just our nature! Nur – und hier wird sie ernst – falls wir je nach Kroatien fahren würden, da müssten wir wirklich aufpassen und alles richtig machen: Croatia EU country – very strict rules. Wir versprechen, dass wir – falls wir je wieder ein EU-Land betreten sollten, also so in drei, vier Tagen – diese Warnung beherzigen werden.

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Nach einer kleinen Siesta im Hotel gehen wir mal wieder getrennter Wege. Monsieur hat einen Hügel gefunden, auf den er unbedingt steigen muss: der Blick von der Gelben Festung sei legendär. Ich muss nicht so unbedingt und laufe nur am Ufer der Miljacka entlang zum Trotz-Häuschen und dann zu der österreichischen Monstrosität. Dort verlangt eine sehr gestrenge Dame 10 KM Eintritt und da wird es echt peinlich. Ich bekomme 9,80 KM zusammen und die Dame verweigert strikt die Annahme von Euro-Münzen, wahrscheinlich die einzige Stelle in ganz Sarajewo. Letztendlich bezahle ich die stolze Summe per Kreditkarte. Dafür bekomme ich freien Zutritt zum roten Teppich auf der Prachttreppe und den Sitzungssälen. Maurischer Jugendstil dominiert im Innern, frisch renoviert. Auch die Monstrosität, inzwischen Sitz der Stadtverwaltung und der Nationalbibliothek, wurde Opfer serbischer Angriffe und brannten drei Tage lang mit riesigen Verlusten an alten Dokumenten und Unterlagen.

Monsieur und ich kommen fast zeitgleich von unseren Exkursionen zurück und stehen vor der schwierigen Aufgabe uns für ein Restaurant zu entscheiden. Der junge Mann an der Rezeption schlägt drei vor. Im Trotz-Häuschen waren wir gestern Abend schon, die beiden anderen sind ausgebucht. Da versuchen wir unser Glück in einem der vielen kleinen Cevapcici-Läden im Basar. Es wird ein „Be nice to your Leber!“-Abend mit viel Mineralwasser zu den rohen, gehackten Zwiebeln und dem frisch gebackenen Brot. Ziemlich satt suchen wir noch eine Bar für einen Schlummertrunk, finden aber nichts, was nicht schon von weitem Touristenfalle schreit. Was wir finden, ist das „Mori Han“, die alte Karawanserei. Da gibt es zwar auch keinen Wein, dafür beenden wir unseren Abend bei „Bosnian coffee“ und Baklava.

Ćejif!

Edit: Wir haben gerade erfahren, dass Herr Erdogan morgen Sarajevo für eine Wahlkampfveranstaltung heimsuchen wird. Noch ein Grund mehr, morgen recht früh nach Montenegro aufzubrechen.

Stecci, die dritte

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Wir haben ja sonst nichts anderes vor heute. Fahrt von Mostar nach Sarajevo, 130 km, zweieinhalb Stunden. Dazwischen eigentlich nichts, was einen Stopp lohnt. Monsieur hat während der Planung der Reise sinniert, ob es im Tal der Neretva war, dass sie in der Burgruine übernachtet hatten. Über den Fluss geschwommen, Schlafsack über dem Kopf, und dann in der Burg geschlafen, unter dem Sternenzelt. Abenteuer, Freiheit und ein ganz kleines bisschen Angst, dass sich eine wärmesuchende Schlange in den Schlafsack schleicht. Das war übrigens der Punkt, an dem ich beschlossen habe, dass, wo immer wir auch übernachten werden, ich auf einem Bett und einer abschließbaren Tür bestehen werde.

Zurück zur Gegenwart: im Reiseführer steht, dass man bei Konjic nach Bijela fahren und dort Stecci sehen könnte. Die Angaben sind deutlich konkreter als gestern und Monsieur ein langmütiger Mensch. Wenn so ein paar Stecci seine Frau glücklich machen, was bedeuten da schon zwanzig Kilometer Umweg. Wir kommen auch tatsächlich nach Bijela, aber natürlich weit und breit keine Stecci. Das Mittagsgebet ist gerade zu Ende und eine Gruppe alter Männer kommt aus der Moschee. Ich probiere wieder meine Bosnisch-Kenntnisse mit Dobar dan und Stecci und bekomme die gleiche etwas verwirrte Reaktion wie bei den Damen in Blagaij. Aber ich bin ja lernfähig und habe meinen Bosnienführer auf der Radimlja-Seite aufgeschlagen und bei den Bildern geht ein großes Aaah durch die Gruppen und alle fangen an zu reden. Besonders einer gestikuliert wild erst in Richtung Berge, dann auf sein Auto. Dann knallt er seinem Freund den Ellbogen in die Rippen, nickt wie wild mit verschwörerischem Gesten in unsere Richtung, grinst und plötzlich sehen die zwei aus wie zwei Zwölfjährige beim Schulschwänzen. Schließlich wird hinten aus der Gruppe der Einzige unter 70 nach vorne gezerrt, ein pickliger Knabe, der dann gezwungen wird, uns auf Englisch: „Follow him, follow him!“ zu erklären. Hätten wir ohnehin gemacht, aber danke trotzdem. Wir folgen also dem alten klapprigen Golf auf Bergstraßen aus dem Ort hinaus bis zu einem kleinen Kirchlein auf einer Wiese. Hier steigen unsere Fremdenführer aus und deuten stolz auf vier große, grob behauene Quader “ Stecci!“

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Ja, im Prinzip schon, aber eher so der Prototyp, ohne Verzierung, nur der nackte Stein. Wir können uns die Steine aber vor lauter Kommunikation fast nicht ansehen. Mit weit ausholenden Gesten erklärt der Gesprächigere, dass hier überall im Wald „Stecci! Stecci!“ seien, nehme ich an, dass die Berge sehr hoch seien, schätze ich mal, dass der Wald ihm gehöre, rate ich munter drauflos. Der andere fragt Monsieur, ob ich seine Frau sei und ist mit der Antwort wohl zufrieden. Dann werden wir noch gefragt, ob wir njemački seien. Als wir nicken, kommt „Guten Tag“, worauf wir uns mit „Dobar dan“ revanchieren. Wir werden aufgefordert, die Berge zu bewundern und tun das lautstark und gestenreich. Irgendwann geht uns der Gesprächsstoff aus und wir verabschieden uns von einander.

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Anderthalb Stunden später stehen wir in Sarajewo vor unserem Hotel, dass nicht nur Hamam heißt, sondern auch einen hat. Aber leider, leider ist die Badezeit für die Herren heute schon vorbei und „Tomorrow ladies only, sorry, sir!“  Monsieur schaut so enttäuscht, dass der Rezeptionist weich wird.

So kommt es, dass wir gleich den Hamam ganz für uns allein haben werden. Und dann schauen wir mal, wie der Abend sich so weiter entwickelt.

Nicht schlecht für einen Tag, an dem wir eigentlich nichts vorhatten.

 

Vollpfostenantenne

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Keine Ahnung, wie der Regen das macht: kaum fahren wir über die Ortsgrenze Mostar, öffnen sich alle Schleusentore und es schüttet wie aus Eimern. Ich weiß nicht, der wievielte Platzregen das inzwischen ist, ich habe aufgehört mitzuzählen.

Fast nicht nass stürze ich ins Hotel, während Monsieur auf der anderen Straßenseite parkt. Ein Hotelpage will mir den Rucksack abnehmen, es sei sein Job, mein Gepäck zu tragen. Ich versichere ihm, dass ich das gute Stück zum Check-in brauche und schicke ihn in den Regen, Monsieur mit unserem Gepäck helfen. Monsieur – in Regenjacke – diskutiert,  will sich ebenfalls nicht den Rucksack abnehmen lassen, ist aber gerne bereit, dem Pagen die Koffer anzuvertrauen. Da schaut dieser – sein Hemd klebt ihm inzwischen durchnässt am Körper – Monsieur treuherzig an und meint, es wäre zwar sein Job, dies zu tun, aber ob er den ausüben könnte, wenn der Regen etwas nachgelassen habe. Auch die junge Frau an der Rezeption will uns unser Zimmer nicht zeigen, noch nicht. Das Hotel klebt so am steilen Uferhang der Radobolja, dass seine fünf Etagen teilweise durch in den Fels gehauene Gänge, teilweise aber eben auch nur über Gartentreppen im Freien, im Regen zu erreichen sind. Aufzug gibt es nicht, das Hotel liegt im UNESCO-Perimeter, da dürften Hotels keine Aufzüge haben, erklärt man uns. Das stimmt zwar so nicht, aber wir lernen: UNESCO schlägt Inklusion.

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Wir bekommen einen Drink und etwas Obst, damit wir uns nicht langweilen, während wir auf das Ende des Regens warten. Irgendwann hat der dann ein Einsehen und wir steigen die fünf Stockwerke hoch, wo der kleine Balkon einen wunderbar romantischen Blick auf die Kriva Ćuprija bietet, die Krumme Brücke. Die ist wahrscheinlich inzwischen ziemlich sauer auf diesen Namen. Erbaut – angeblich – vom osmanischen Star-Architekten der damaligen Zeit, haben weniger begabte Handwerker immer mal wieder über fünf Jahrhunderte so nachgebessert und daran herumgeflickt, dass sie angeblich kein einziges gerades Mauerstück mehr besaß. Daher der Name. Im Bosnien-Krieg beschädigt, brachte ein schweres Winterhochwasser sie zum Einsturz. Mit EU-Hilfe wurde sie nach dem Krieg renoviert und restauriert: kerzengerade und wunderschön, aber der Name blieb hängen.

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Über die Brücke laufen wir wenig später nach Mostar, ganz vorsichtig. Die Straßen sind mit runden Bachkieseln gepflastert, die über Hunderte von Jahren Abertausende von Füßen hochglänzend und spiegelglatt poliert haben. Nehmt dazu den Regen, der als Pfützen immer noch überall steht, dann erkennt Ihr sicher das Potential. Wir schlittern und rutschen durch die Altstadt, natürlich auch zur berühmten Brücke, die der oben erwähnte Stararchitekten allerdings mit querlaufenden Steinstufen einigermaßen rutschfest gemacht hat. Auf der Brücke jede Menge Selfie-Egoisten, die beweisen, wie genial der Begriff „Vollpfostenantenne“ für den Selfie-Stick ist. Sie stehen allen anderen im Weg, recken dann auch noch ihren Stick in den wenigen verbliebenen Raum, drehen und wenden sich in einem selbst verliebten Tanz. Noch egoistischer sind nur die Koreaner einer Busladung, die im Laufschritt durch die nassen Gassen gejagt werden und von denen fast jeder zweite uns rücksichtslos anrempelt. Wenn die nur bedenken würden, wie groß so ein Koreaner und wie groß so ein Monsieur ist, dabei noch ein ganz kleines bisschen Ahnung von Physik hätten, müssten sie einsehen, dass sie schlechte Karten haben, so im Sinne von Aktion gleich Reaktion.

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Aber als wir abends noch einmal durch das nächtliche Mostar ziehen, sieht das ganz anders aus. Es gibt weder Selfie-Egoisten noch Busladungen. Der Markt mit seinen Ständen hat geschlossen, die armen Plastikdamen ohne Oberkörper frieren sich die Backen ab. Sogar der Regen bietet mit seinen Pfützen spiegelnde Flächen für die Lichter der Stadt. Richtig romantisch!

Trotzdem hoffe ich für morgen auf Sonnenschein.

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Musterschüler, streberhafte

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Unsere Reisemädels hatten uns für heute vier Hausaufgaben mitgegeben. Auf dem Weg von Split nach Mostar sollten wir bitte

– in den Kravicer Wasserfällen baden

– in Pocitelj  von der Burg zur Altstadt hinunter laufen

– in Radimlja die Grabsteine und

– in Blagaj das Derwischkloster bewundern.

 

Für Punkt eins haben wir eine Entschuldigung, wie früher beim Sport: Ich habe meine Sportsachen und die Reisehandtücher, die kleinen, superpraktischen, zu Hause vergessen. Statt Schwimmen können wir aber Zirkeltraining als Ersatz anbieten: 106 Stufen bergab (und natürlich auch wieder bergauf, später). Dann stehen wir vor dem Wasserfall und Monsieur zählt innerlich: 21, 22, 23… Da kommt es schon, von mir, das erwartete, gefürchtete: „Also, gegen die Wasserfälle in Island…“, und Monsieur seufzt auf, denn er hat den Satz schon zu oft gehört. Geschwommen sind wir nicht, zu kalt, zu nass, aber immerhin ein bisschen Spiel, Spaß und Bewegung mit Treppen haben wir gehabt.

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Also: für Kravice hätte ich für uns gerne eine 2+ mit Zusatz: hat sich bemüht.

Pocitelj ist dafür eine 1+, mit Sternchen bitte. Denn wir starten nicht faul oben auf der Burg und laufen bergab, wir fangen unten an und laufen erst mal hoch. Nicht ganz freiwillig und nicht ganz sofort, aber immerhin und trotzdem. Unsere Mädels haben erzählt, dass ihr Vermieter sie zur Burg auf dem Berg gefahren und sie unten im Tal wieder abgeholt hat.

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Mit diesem Wissen schicke ich Monsieur in kleinste Kopfsteinpflastergässchen bis zu einem Platz, wo nur noch Treppenwege abgehen. Parken darf man hier auch nicht, es sei denn… Es sei denn, man ist Gast des im Schatten alter Maulbeerbäume liegenden Restaurants. Lässt sich arrangieren, kommt uns ganz gelegen. Ein paar Cevapcici später klettern wir die Treppenwege hoch, erst zur Capitaneria-Burg, dann an der bogenförmigen Stadtmauer entlang durch wunderhübsche Gässchen zur eigentlichen Burg. Die ist mit Glaspyramide und Stahlrosttreppen verkunstprojektet worden und nicht halb so hübsch wie der Rest. Auf dem Rückweg laufen wir zum zweiten Mal an der Frau vorbei, die inzwischen weiß, dass wir keine Marmelade und keinen Saft kaufen wollen, sich aber mit uns freut, dass uns ihr kleines Dorf so gut gefällt.

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Radimlja, ich fürchte, ich fürchte, das wird ein „Thema verfehlt, setzen…“, hmmm. Die Grabsteine – wenn es denn welche sind – sind zu faszinierend. Und meine blöde Phantasie langweilt sich schon wieder. Das erste Opfer ist ein Mitbesucher mit diplomatischen Nummernschildern, wahrscheinlich der amerikanischen Botschaft in Sarajewo. Dem erzähle ich, dass die abgebildeten Krieger sicher Vorfahren von Herrn Trump sind – die großen Hände ließen keine andere Interpretation zu. Dann erfinden wir – ausgehend von der Tatsache, dass die K&K-Monarchie um 1880 ohne jedes Feingefühl eine Landstraße mitten durch diesen Friedhof (wenn es denn einer ist) gelegt hat, hundert Steine auf der einen, ein Dutzend auf der anderen Seite und genauso viele einfach „verschwunden“ – den nächsten Spielberg-Horrorfilm: Die Rache der Bogenschützen oder The Empire couldn’t strike back, weil eben die gestörte Ruhe gerächt werden soll. Jedenfalls hätten wir da einen Grund für den Untergang der K&K-Monarchie.

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Aber Spaß beiseite, Radimlja ist ein ganz besonderer Ort, die Figuren auf den Steindenkmälern, den Stecci, mehr als anrührend. Die Mehrzahl zeigt Bogenschützen, ein jeder mit erhobener, übergroßer rechter Hand, die ein rundes (Sonnen?) Symbol berührt. Unter der großen Figur stehen zwei kleinere, meist Mann und Frau. Es ist nur zu einfach, darin die trauernden Eltern eines gefallenen Soldaten zu sehen, eines Soldaten, der wie seine Kollegen einer bestimmten Militäreinheit angehörte, die wiederum das Kreissymbol als Abzeichen hatte. Dann gibt es einige wenige Steine mit Reiter- und Jagdszenen und solche, die „nur“ mit abstrakten Ornamenten verziert sind.­ Passt nicht ganz zu meiner „aufgeriebenen Bogenschützen-Einheit-Theorie“, aber ich muss ja auch nicht alles erklären können. Und da ich nicht mehr so genau weiß, was das Thema dieser Aufgabe war, ist es vielleicht auch nicht verwunderlich, dass ich es irgendwie verfehle.

Radimlja selber bekommt von mir jedenfalls eine 1 + mit Auszeichnung.

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Von Blagaj hatten wir so faszinierende Fotos gesehen, das Derwischkloster and die tosende Quelle, die Wassermassen, die aus der Karsthöhle stürzen, die kleinzimmrige Struktur, die wie ein Schwalbennest an der Felswand klebt. Das alles ist wunderschön, aber ich finde es äußerst ärgerlich, dass ich mich als alte Frau verkleiden muss mit dunkelbraunem Rock über der Wanderhose und Kopftuch über den Haaren. Außerdem stehen überall „Küssen verboten“-Icons, ein Verbotsschild, das ich so auch noch nie gesehen hatte. Blagaj, da waren wir ein bisschen motzig beim Erfüllen der Aufgabe, haben es aber pflichtbewusst durchgezogen. Entsprechend wird das Ergebnis wohl sein.

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Mit Blagaj haben wir unsere Hausaufaben für heute gemacht. Aber dann werden wir übermütig. Wie so richtig streberhafte Musterschüler wollen wir noch eins oben drauf setzen und fahren bei einem handgeschriebenen Schild „Stecci“ ab. Wir wollen unsere eigenen geheimnisvollen Sarkophage finden, koste es, was es wolle. Es kostet uns vor allen Zeit. Die Straße, der wir folgen, wird immer kleiner, immer schlechter, bis sie plötzlich gesperrt ist: durch eine schwarzbraune Kuh, die uns großäugig anschaut. Zwei alte Weibchen sitzen nebendran im Schatten eines Baumes. Ich raffe meine gesammelten Bosnisch-Kenntnisse zusammen und frage „Stecci?“, worauf die Weibchen die Hände in eine Richtung ausstrecken und begeistert etwas ausrufen, das – geraten – wie „weit, weit“ klingt. Wir folgen der angegebenem Straße durch eine menschenleere Einöde. Irgendwo im nirgendwo halten wir an, um Monsieurs Lebensgefährtin zu befragen. Unser Navi ist inzwischen schier am verzweifeln, weil wir nicht nur sein „Bitte wenden“ ignorieren, sondern auch noch durch für es nicht kartografierte Wildnis fahren. Während wir so nachdenken, fährt ein uralter Golf an uns vorbei, ein gutes Zeichen, denken wir. Wo ein Golf ist, ist auch ein Weg. Wir folgen dem Golf bis hinter die nächste Kurve. Da steht er mitten auf der Straße, Tür offen, Fahrer draußen, Jagdgewehr an der Schulter. Zum Glück nicht auf uns, sondern auf ein Reh auf der nächsten Wiese gerichtet. Da Reh hört unser Auto und springt davon.

Der Mann wirft verärgert sein Gewehr ins Auto und fährt weg.

Da haben wir beschlossen, dass wir jetzt lieber umdrehen und wieder zurück fahren, nicht gefundene Stecci hin und unauffindbare Sarkophage her.

Dafür haben wir einem Rehlein das Leben gerettet.

Dafür hätte ich gerne ein Fleißkärtchen, bitte.

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Unser Hotel in Mostar, aber Mostar „das kriegen wir erst morgen“ 😉

 

 

Ritter auf Dinosauriern

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Monsieur erzählt eines Abends den Kindern von seiner Abiturfahrt, das war bevor er und ich uns kennen gelernt haben. Die beiden Kleinen tun sich schwer mit der Erkenntnis, dass Eltern auch ein Leben vor den Kindern haben könnten. Da springt der große Bruder, etwa sieben Jahre alt, zur Hilfe: „Das ist,“ erklärt er ihnen mit verständigem Nicken, „schon ganz, ganz lange her. Da gab es noch Dinosaurier und Ritter.“

Genau!

Also: es war einmal vor langer, langer Zeit, so im letzten Viertel des letzten Jahrhunderts des letzten Jahrtausends, ungefähr zu der Zeit, als die Ritter noch auf Dinosauriern ritten, dass Monsieur und drei Freunde für die stolze Summe von 500 D-Mark einen gebrauchten VW Bus kauften. Das Fahrzeug wurde im Hof von Monsieurs Eltern angemalt, nicht 70er-Jahre psychedelisch, mehr so Mondrian-mäßiges Colour blocking. Bis über die Alpen hielt das edle Gefährt, da war der Motor dann hin, bei dem Einkaufspreis fast unausweichlich. Ein netter Garagiste erbarmte sich der Vier und baute für wenig Geld einen recycleten Käfer-Motor ein. So zuckelten die vier Gefährten gemächlich durch Jugoslawien bis hin zum Skutari-See an der albanischen Grenze.

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Der Skutari-See liegt auch auf unserer Route, nur machen wir es uns einfacher mit der Anreise. Bis Split übernimmt das ein Flugzeug, dann geht es über Mostar nach Sarajewo. Von dort in die Berge Montenegros nach Zabljak und über den Skutari-See und Kotor zurück an die Küste mit Endstation Dubrovnik. Während Monsieur sich nur um den Grenzübertritt nach Jugoslawien sorgen musste, habe ich mir noch schnell die Einreisebedingungen für Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro angeschaut: alles ohne Visum möglich.

Das sollte machbar sein.

Eingefädelt haben den Urlaub unsere Reisemädels, die schon mehrfach in Kroatien, Bosnien und Montenegro unterwegs waren. Allerdings mit Rucksack und öffentlichen Verkehrsmitteln, was uns inzwischen ein bisschen zu abenteuerlich ist.

Unser Mietwagen wird hoffentlich genauso zuverlässig sein wie der alte Bus. Eines wird wohl anders, nein halt! zwei Dinge: Auf Monsieurs alten Fotos sieht man VoKuHiLas oder Afro-Locken in ihrer ganzen Pracht, die trägt Monsieur inzwischen nicht mehr. Und das Wetter, ja, was soll ich sagen: auf den alten Fotos sah man nur Sonnenschein. Für nächste Woche ist eher Paonia im Regen angesagt.

Drückt mir mal die Daumen, bitte!