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Über Geschmack

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Monsieur le Comte erzählt gerne. Er gießt den Kaffee ein und erzählt vom Missgefallen an seinem neuen Pächter. Der zuviel spritzt, während er selber doch eher bio ist. Er bringt den Tee und erzählt, wo und vor allen wo wir nicht Wein oder Cremant kaufen sollten. Er stellt ein Brioche auf den Tisch und erzählt die Erfolgsgeschichte des Bäckers. Der sei vor ein paar Jahren in die Nachbarschaft gezogen und hätte angefangen im alten Holzofen seines Bauernhofes Brot und Brioches zu backen. Inzwischen habe er mehrere Öfen und würde nicht nur Biobrot anbieten, sondern auch Brioches, gebacken nach den Prinzipien Rudolf Steiners. Sein Erfolg sei inzwischen so groß, dass er einen eigenen Laden und Marktstand habe und nicht mehr mit seinem uralten Mercedes-Kombi die Runden zu seinen Kunden machen müsste. Monsieur le Comte ist das durchaus recht, denn immer, wenn der Bio-Bäcker vom Hof fuhr, stank dieser wie eine alte Frittenbude. Darauf angesprochen erzählte der Bäcker stolz, dass sein Mercedes tatsächlich mit altem Frittierfett fahre, dass er auf seinen Touren bei den lokalen Restaurants abstaube. Wie weit sich das mit Herrn Steiners Ideen vereinbaren lässt, dazu möchte Monsieur le Comte sich nicht äußern.

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Unser erstes Ziel an diesem Tag ist Brancion, dessen Magie auch auf unseren Freund wirkt. Danach ist uns nicht ganz klar, wer was bewirkt. Wir fahren nach Lancharre: eingerüstet und mit Planen bedeckt. Wir fahren nach Malay: eingerüstet und mit Planen bedeckt. So etwas ist uns in all den Jahren noch nicht passiert, sollte das an der Präsenz unseres Freundes liegen? Wir starten ein Experiment und fahren nach St Hippolyte. Und siehe da, die Ruine steht da in ihrer ganzen grandiosen Hässlichkeit, weit und breit kein Gerüst, keine Plane. Uff!

Bevor wir diese Reise verschenkt haben, haben wir beim zu Beschenkenden abgeklärt, wie hoch die Toleranzgrenze für romanische Kirchen ist. Langsam scheint sie erreicht, zumal die von ihm erwartete Kombi Kirche + Dorfplatz + Bistro einfach nicht zu finden ist.

Zeit also für einen Orts- und Themenwechsel. Cormatin ist so groß, da sollten wir sicherlich ein Plätzchen finden können, wo man in der Sonne sitzend eine Pause machen kann. Schaffen wir auch: Chez l’oncle Jules, der an Bistrotischen Salate, „tartines“ und zwei mal „tarte salée“ anbietet, einmal die de l‘ oncle Jules mit Speck und Käse und einmal die de la tante Marie mit Spinat und Fenchel. Im ersten Stock gibt es auch noch Brocante, aber auf dem Weg dahin geht es ab zur Gartenterrasse und da wird es surreal. Ein halbhoher Holzzaun trennt den Restaurantteil vom privaten und an diesem Zaun entlang überschlägt sich ein Westie schier vor Freude mich zu sehen. Er springt und hüpft und hopst in einem wahren Tanz der Begeisterung und bellt dabei ein lautes sonores Wuffwuff, das so überhaupt nicht zu dem bisschen Hund passt. Je weiter ich in die Gartenterrasse hineingehe, desto lauter wird es, zum Schluss untermischt mit einem tiefen drohenden Knurren. Das Bizarre ist, dass der kleine Westie seine Schnauze nicht aufmacht dabei. Da ich nicht an bauchrednerische Westies glauben mag, schaue ich mal genauer hin und tatsächlich: hinten rechts im Privatgarten liegt im Schatten eines großen Busches halb versteckt ein riesiger schwarzer Hund. Ich spreche ihn freundlich an. Er hebt den Kopf und knurrt weiter, ist aber offensichtlich zu faul, der Drohung Taten folgen zu lassen. Da kommt von links ein keifendes „Ta gueule! – Halt die Fresse!“  Ich schaue mich um, ob diese Unfreundlichkeit an mich oder den Hund gerichtet ist: kein Mensch zu sehen. Langsam wird mir das Ganze doch zu seltsam und ich gehe zum Ausgang. „Ta gueule!“ kreischt es hinter mir. Ich fahre herum und stehe Auge in Auge mit einem weißen Kakadu.

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Cormatin ist dann das absolute Kontrastprogramm zur Klarheit romanischer Architektur. Nicht das Äußere, das sehr ansprechend ist mit dem warmen Goldton der Steine. Die Zahnlücke des Südflügels tut schon ein bisschen weh, erteilt aber eine wertvolle Lektion, wie gefährlich Geiz und Gier gepaart mit Dummheit sein können. Der neue Besitzer nach der Französischen Revolution hatte sich wohl etwas mit den Kosten verschätzt und verkaufte deshalb den Südflügel an einen Industriellen, der darin eine Weberei installieren wollte. Um aber gewinnoptimierend möglichst viele Maschinen unterbringen zu können, ließ der Industrielle alle Zwischenwände entfernen, einschließlich der, die das prunkvolle Treppenhaus umschlossen.

Dummerweise waren das die tragenden Wände, weshalb kurz darauf die Welt einen Industriellen und Cormatin einen Flügel weniger hatte. Dumm gelaufen, auch für den Restbesitzer, denn der Industrielle hatte da noch nichts bezahlt gehabt.

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Nun, es bleibt noch genug übrig zum Besichtigen und das tun wir, wenn auch mit leichtem Gruseln. Es bestätigt sich die alte Binsenweisheit über den Geschmack und dies ganz besonders, wenn der Streitgrund der Geschmack eines Opernintendanten des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist. Wenn ich jeden Abend zu so einem Wohnzimmer zurückkehren müsste, würde ich mir sehr schnell eine Zweitwohnung zulegen. Der Herr Intendant und seine Entourage bewohnten die Appartements im ersten Stock und es ist dann eine gewisse Erleichterung, in die Gemächer des Erdgeschosses abzusteigen. Das, was dort um 1600 geschaffen wurde, ist „Schöner Wohnen“ in Lapislazuli und Gold, viel Gold. Die Gemächer von Madame (mit 13 1/2 an den 36jährigen Marquis de Blé verheiratet) sind fertig gestellt worden, die von Monsieur nur teilweise. In all dem Gold und Blau, den gemalten Marmorstatuen und diversen Allegorien bleiben mir zwei Dingen im Gedächtnis. Erstens die Allegorie der Enthaltsamkeit, die immerhin die Genugtuung hat, eine Tugend zu sein, aber doch eher betrübt in ihr Wasserglas schaut. Zweitens eine sehr hohe Dichte von französischen Monarchen hoch zu Ross und das im jeweiligen Schlafzimmer der beiden Protagonisten. Man stelle sich vor: Merkel über jedem Ehebett. Die Deutschen würden aussterben, ganz bestimmt!

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Dass mir die Prunkzimmer und damit der Geschmack der beiden von Blés besser gefallen als der des Intendanten, hält bis in die Kuriositätenkabinetts. Das arme Gürteltier!

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Der Schlosspark mit seinen Liegestühlen im Schatten riesiger Bäume ist wunderbar geeignet, sich von dieser visuellen Überforderung zu erholen. So kommen wir dann in bester Verfassung zur Weinverköstigung. Wir folgen den Tipps von Monsieur le Comte, sicherheitshalber, weil ich drei Kreisel vorher einer Fata Morgana erlegen bin. Ich hatte „Cave de Bourgogne“ gelesen statt „Garage de Bourgogne“.

Kurz darauf werden blanc de blanc und blanc de noir und was weiß ich verkostet, während ich fast neidfrei mit meinem Autoschlüssel spiele und den wirklich wunderbar ausgebauten „Château de la pompe 2018“ in meinem Wasserglas schwenke.

 

 

 

 

 

Da waren es nur noch…

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Wir treffen die schmale Lücke in der Schlossmauer und kommen auf dem knirschenden Kies zum Stehen. Monsieur le Comte kommt die Treppe hinunter und wir merken, dass nicht nur wir in den letzten Jahren älter geworden sind. Wein baut er keinen mehr an, das erzählt er uns gleich, sozusagen prophylaktisch. Weinanbauen sei zwar kein sehr schwieriges Metier, gibt er zu, aber doch – besonders im Frühjahr – mit einer Menge Lauferei und das im Freien und bei jedem Wetter verbunden. Das bräuchte er dann nicht mehr. Immerhin hätte er noch vierzig Flaschen vom letzten von ihm selbst an- und ausgebauten Weißwein übrig, von denen er uns herzlich gerne eine zum Apéro im Garten zur Verfügung stellen würde.

Da waren es nur noch 39 Flaschen.

Schlüsselübergabe gibt es keine, Schlüssel steckt in der Tür, und falls wir noch etwas brauchen…

Was wir brauchen, nach dem Weißwein in der Sonne, ist etwas zu Essen. Deshalb habe ich in Chapaize auch schon einen Tisch reserviert. Chapaize ist etwa sieben Kilometer entfernt, da könnte man doch… Da brauchen wir dann zusätzlich  noch Input aus lokaler Quelle, ob es einen Weg gibt abseits der Straße. Gibt es, wie uns unser Gastgeber anhand einer fotokopierten Karte zeigt. Am Menhir rechts („Das ist kein Dolmen, wie auf der Karte eingezeichnet, es ist ein „pierre levée“.), dann bis zum Waldrand und dann müssten wir auf unser Glück vertrauen. Der Wald sei nämlich „forêt domaniale“. Irgendwann während meiner Zeit im Gemeinderat hatte uns der Forstausschuss aufgeklärt über die Unterschiede zwischen forêt domaniale und forêt soumise, aber das habe ich natürlich inzwischen längst wieder vergessen. Es stellt sich aber heraus, dass für uns in diesem Zusammenhang nur relevant ist, dass die in diesen Wald geschlagenen Holztransportwege alle waagerecht zu unserer Richtung laufen, wir also in dem Moment, wo wir auf einen verlockend breiten Weg stoßen, uns schon halb verlaufen hätten. Dafür könne er uns aber keine Garantie geben, dass die anderen Wege überhaupt existierten, die würden je nach Häufigkeit der Nutzung auch schon mal verschwinden und dann ein paar Dutzend Meter weiter wieder auftauchen.

Also, hin wollen wir das nun auf jeden Fall versuchen, aber zurück, hmm, das ist wenig verlockend. Also wird Monsieur als Freiwilliger ausgesucht, der auf halbem Weg kehrt macht und das Auto zum Essen bringt.

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Wir finden den Menhir, wir finden den Waldrand und dort einen halb zugewachsenen Pfad, immerhin mit rotweißer Markierung. Dann gibt es etwas sehr viel Natur, also nicht rechts und links des Pfades, wo sie schließlich hingehört und niemanden stört, sondern mitten drin. Meterhohe Disteln, äußerst anhängliche Brombeeren und hohe Farn-Barrieren legen nahe, dass dieser Wanderweg nicht zu den Top 10 der Region gehört. Wir kreuzen hin und wieder die breiten Waldwege, veritable Schneisen, die in den ansonsten doch sehr urwüchsigen Wald gepflügt wurden und sind schließlich zeitgleich mit Monsieur in Chapaize.

Dort streikt Monsieur. Er hätte in den letzten Jahren meine Lieblingskirche so oft fotografiert, das müsste hier und heute nicht noch einmal geschehen. Ist ok für mich, zumal ich wieder etwas Neues entdeckt habe. Nichts Romanisches. Am ersten Pfeiler hängt ein handgemaltes Schild, dass die wenige hundert Seelen Gemeinde Chapaize gleich für zwei romanische Schmuckstücke sorgen müsse und dass die Restaurierung und der Unterhalt der beiden Kirchen Unsummen verschlingen würde. Es folgt eine Aufstellung, wie viel die Gemeinde, wie wenig der Staat davon trägt und natürlich ein Spendenaufruf. Das alles kannte ich von den letzten Besuchen.

Neu war, das darunter jemand mit Bleistift geschrieben hat: Dann gebt doch wenigstens eine Bankverbindung an, nom de Dieu!

Das Essen im Table de Chapaize ist schönste französische Küche und der Mond so hell, dass der Rückweg durch den Wald fast machbar erscheint. Aber dann wäre ja dummerweise morgen früh unser Auto noch in Chapaize. Also fahren wir in der Halbdämmerung zurück zum Château, wo wir uns daran erinnern, dass Monsieur le Comte uns nicht nur gezeigt, wo er den Wein lagert, sondern uns auch explizit die Erlaubnis gegeben hat, uns zu bedienen.

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War vielleicht ein bisschen blauäugig von ihm. Denn jetzt sind es nur noch 38 Flaschen…

 

 

Ziemlich beste Freunde

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Zwei Familien, ein knappes halbes Dutzend Kinder aller Alterstufen – der Border Collie ist glücklich. Monsieur le Comte auch, denn, so erzählt er uns, wenn sein Collie sich langweilt, läuft er auch mal gerne die 15 Kilometer zum nächsten Dorf, wo zwei Collie-Kollegen Schafe hüten. Mit denen spielt und hütet er den ganzen Tag oder tut halt das, was auch immer es ist, was Border Collies halt so tun. Als Folge kommt dann meist abends ein Anruf für Monsieur le Comte, der ihn darüber informiert, dass sein Hund zwar glücklich und zufrieden, aber leider zu erschöpft für die 15 Kilometer Heimweg sei. Woraufhin sich Monsieur le Comte auf seinen uralten Traktor setzt und lostuckert: eine abendliche Freizeitbeschäftigung, auf die er nach einem langen, anstrengenden Tag in den Weinbergen gut verzichten kann.

Aber nun sind unsere Kinder da und der Hund beschäftigt, Verstecken und Fangen in den Schlossruinen, gefolgt von intensivem Hunde-Schmusen. Damit wir Erwachsenen uns nicht vernachlässigt fühlen, schlägt Monsieur le Comte eine Weinprobe vor.

Die „chambres d’hôte“ in der ehemaligen Remise sind wunderschön und sehr geschmackvoll eingerichtet, der gräflichen Salon zum Frühstück im Schloss überwältigend. Aber der Weinkeller, der ist dunkel und ein bisschen voll gerümpelt, Spinnweben überall, kurzum so, wie man sich das vorstellt.

Flaschen werden aufgezogen, Gläser gefüllt, geneigt, verkostet und am Ende steht eine Bestellung. Da zieht Monsieur le Comte die Brauen zusammen und meint, das würde jetzt schwierig. Auf Flaschen gezogen sei der Jahrgang schon, aber die Etikettier-Maschine sei kaputt. Also geht er hin, schreibt auf neutrale Etiketten Name und Jahrgang und setzt dann mit französischer Schönschrift schwungvoll seine Unterschrift darunter.

Das war unser erster Aufenthalt im Château de Nobles und wir waren so begeistert, dass wir die Tage dort gerne wiederholt und genauso gerne an Freunde verschenkt haben.

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Monsieurs armenischer Freund und Kollege und seine Frau waren anfangs etwas verstört. Von der von uns so gepriesenen Gastfreundschaft bekamen sie nichts zu spüren. Im Gegenteil, Monsieur le Comte wirkte abwesend und abweisend. Am Abend nahm Madame sie zur Seite und bat sie um Verständnis: der uralte gräfliche Traktor läge im Sterben, Monsieur le Comte sei schier krank vor Sorge, da das treue Gefährt nur noch röcheln und qualmen, aber nicht mehr fahren würde.

Fünf Minuten später lagen ein armenischer Physiker und ein französischer Graf gemeinsam unter dem Traktor und keine zwanzig Minuten später lief das gute Stück wieder. Unser Freund ist zwar Theoretiker, aber durch die harte Schule der Armee gegangen und der Traktor war keine wirkliche Herausforderung für ihn. Monsieur le Comte und er sind nun „Ziemlich beste Freunde“ und wir melden uns nicht mehr mit „Paonia und Monsieur“ sondern als die Freunde des Traktor-Retters an.

Am Wochenende sind wir wieder dort, zwei Tage Burgund: Brancion, Chapaize, Wein und Kirchen und samstagabends natürlich Le Relais d’Ozenay. Ein kleines Problem gibt es allerdings. Nicht der Traktor, dem geht es gut und zur Not haben wir ja zwei Physiker dabei. Nein, das Problem ist schwerwiegender: Am Samstagabend spielt Deutschland gegen Schweden, just zur Vorspeise geht es los.

 

Reisearchiv: F wie Frankreich – Burgund

Wenn einer eine Reise tut, und so weiter und so weiter. Wir kamen von unserer letzten Burgundtour zurück mit einigen Kistchen Wein – und einer neuen Erfahrung.
p2011_06_24_17h51_13Geplant war ein verlängertes Wochenende mit einer Gruppe von acht Freunden in einem schönen Chambre d’hôte. Wir machen das jedes Jahr und jedes Jahr bin ich verantwortlich für die Wahl der Unterkunft. Wir sind wirklich nicht kompliziert und leicht zufrieden zu stellen: schön und alt soll es sein, Atmosphäre soll es haben, und gut essen und trinken sollte man da auch können. Halt so ein „Châtöken“, wie es einer unserer eher norddeutschen Freunde so nennt. Ausgesucht hatte ich das Carpe Diem in Massangis. Günstig gelegen, zur Kultur und zum Wein fast gleich weit. Die Bilder im Internet waren wunderschön, die Kritiken gut, was will man mehr.

Und dann kamen wir an: winziger Ort, eine einzige Straße, ein hohes verschlossenes Hoftor.
Wir klingeln, das Auto blockiert mit laufendem Motor und Warnblinkanlage einen riesigen Traktor. Das Tor öffnet sich, wir fragen, ob es einen Parkplatz im Hof gibt.
p2011_06_26_14h34_27Zack, erster Fehler! Unser „Gastgeber“ plustert sich auf und hält uns erstmal eine Predigt zum Thema französische Höflichkeit und dass man sich erst mal vorstellt, bevor man irgendwelche Forderungen und so weiter und so weiter.
Dem Traktor ist inzwischen langweilig geworden und er schiebt sich Zentimeter für Zentimeter an meinem Auto vorbei, sodass ich in den nächsten Minuten nichts sehe als riesengroße Räder und grün lackiertes Blech. Als der Traktor vorbei ist, ist das Tor auf, offensichtlich ist man zu einer Einigung gekommen.
Wir fahren durch einen wunderschönen Hof zur Wiese, wo schon das Auto der Freunde steht. Um den Hof herum mehrere Gebäude, darin verteilt die vier Zimmer. Wir möchten die Zimmer sehen, alle vier.
p2011_06_26_12h25_15Zack, zweiter Fehler! Unser „Gastgeber“ hat keine Zeit oder keine Lust oder beides. Wir sollen uns hier und jetzt anhand der Namen entscheiden, welches Zimmer welches Paar nimmt. Wir bestehen auf der „Führung“.
Zack, dritter Fehler! Unser „Gastgeber“ hat jetzt natürlich keine Zeit mehr für den für 19:30 angekündigten Apéro.
Wir machen es uns erstmal in den wirklich sehr schönen Zimmern bequem. Erstes Problem: kein Handynetz. Na gut, unsere Kinder sind groß. Der Job kann auch ohne uns auskommen, aber irgendwie ein blödes Gefühl. Ein Freund will auf die Straße, aus den Bruchsteinmauern heraus, sein Handy-Glück suchen. Zweites Problem. Alle Türen sind verschlossen: Das große Hoftor, das kleine Tor daneben und das ganze Anwesen von hohen Mauern umgeben. Das blöde Gefühl verstärkt sich.
Wir treffen uns im Hof zwischen unseren Häusern, inzwischen sind Gläser und Wein auf dem Gartentisch aufgetaucht. Wir setzen uns hin, genießen die Abendsonne, blödeln ein bisschen herum, erfinden Stories von Organhändler-Ringen (der, der meine Leber kriegt, tut mir jetzt schon leid), die Stimmung entspannt sich, Pläne für den nächsten Tag, Kultur und Wein im ausgewogenen Verhältnis, werden geschmiedet.
p2011_06_26_10h17_24Um 20 Uhr wird von unserem „Gastgeber“ Patrick zu Tisch gebeten in einen großen Raum mit Bruchsteinmauern und Tomettes, den achteckigen Tonkacheln, die durch die jahrhunderte lange Bohnerwachspolitur einen satten rotgoldenen Glanz haben. Eine ganze Wand wird beherrscht von einem antiken Bücherregal, vor dem Kamin bequeme Sessel, auf antiken Kommoden gesammelter Schnickschnack, sehr geschmackvoll präsentiert: Landleben in seiner klassischsten Form. Am Ende des Raumes steht ein großer Tisch, rote Toile-de-Jouy Tischdecke, weißes Geschirr, Kristallgläser, Kerzenleuchter und vier einladend geöffnete Weinflaschen. C’est ça, la France…
Der erste Gang, Epoisse-Tartlette, ist köstlich, der zweite Gang, Lachs im Pergament mit einer Kruste aus grünen Oliven, Zitronenzesten und Kapern, ein Gedicht. Eine vielfältige Käseplatte und ein schaumiges Dessert runden das Menü ab. Wir sind einfach glücklich!
Bis zu dem Moment, in dem wir eine weitere Flasche Wein bestellen wollen, so gegen elf.
Unser Gastgeber erscheint und meint, das sei nicht mehr nötig, weil er sowieso in ein paar Minuten das Licht ausmachen würde. Er schaut uns an, acht vergnügte, äußerst wache und unternehmungslustige Erwachsene und sagt: „Husch, husch, ab ins Bettchen!“
Wir protestieren und schlagen vor, uns ohne Licht im Hof um den Gartentisch zu versammeln. Es kommt noch besser: Das sei nicht möglich, da er nach dem „Licht aus“ die Alarmanlage einschalten würde.
Totale Ausgangssperre um 23Uhr 30!
Hatte ich das letzte Mal mit 16! Da hatte ich aber vorher wenigstens etwas angestellt, dass die Ausgangssperre wert war!
p2011_06_26_14h14_00Die Diskussion wird etwas hitziger, wechselt vom Französischen ins Englische und wieder zurück. Als einer von uns anfängt „Ich will…“ wird ihm von unserem „Gastgeber“ über den Mund gefahren: „Hier gibt es kein ‚Ich will’! Das ist mein Haus und hier tun Sie, was ich will.“ Die Unlogik dieser Aussage scheint ihm nicht aufzufallen.
Das ist der Moment, in dem wir beschließen, am nächsten Morgen abzureisen.
Unserem „Gastgeber“ ist das nicht genug. Er will, dass wir jetzt gehen, direkt, auf der Stelle, sofort. So groß ist sein Bedürfnis uns loszuwerden, dass er uns sogar das Essen schenken will, die Anzahlung zurückgeben, alles, alles, nur damit wir gehen.
Um halb zwölf in der tiefsten französischen Provinz vor die Tür gesetzt zu werden, mit deutlich über dem Erlaubten liegenden Alkoholpegel, 500 km von zuhause, das war eine neue Erfahrung für uns. Wir reisen viel, beruflich und privat, auch in weniger zivilisierten und demokratischen Länder als Frankreich, aber so etwas war uns noch nie passiert.p2011_06_25_16h52_51
In diesem Augenblick überlegen wir wirklich, ihm alles vor die Füße zu werfen, wäre da nicht der so großzügig genossene Wein.
„So ein Arsch mit Ohren!“, sagt unser – sonst in diplomatischen Kreisen für seine sprachliche Korrektheit bekannter – Freund und wir haben ein neues Wort.
Irgendwann geht uns auf, dass es den AMO, wie wir ihn inzwischen nennen, mehr ärgern würde, wenn wir bleiben. Irgendwann versteht der AMO, dass er uns nicht wirklich ohne guten Grund rausschmeißen kann und sein noch eben zitiertes „Was ich will“ doch nicht Maßstab aller Dinge ist.
Aber die Stimmung ist hin, wir ziehen uns in die verschiedenen Gebäude zurück.
Das Frühstück am nächsten Morgen ist eine etwas seltsame Mischung aus gruppendynamisch induzierter Fröhlichkeit auf unserer Seite und schlecht gelaunter Überkorrektheit auf der anderen Seite. Eine angespannte Angelegenheit, an der auch der frisch gebackene Kuchen auf dem Tisch nichts ändert.

p2011_06_25_14h58_00Nur ganz kurz wird diskutiert, ob wir den Urlaub abbrechen, aber das hieße ja, dass der AMO uns klein gekriegt hätte. Also machen wir uns auf die Suche nach einer Bleibe. Die Sache nimmt bald eine fast biblische Wendung, es ist das erste Ferienwochenende in Teilen Deutschlands, Frankreichs und der Schweiz: es gibt keinen Platz in der Herberge.
Nachdem wir fast zwei Stunden lang alle umliegenden Hotels angefahren und – wo möglich – angerufen haben, landen wir vor der „Käfighaltung“ einer Billig-Hotelkette. Und siehe da, nicht nur gibt es die vier Zimmer, die wir brauchen, die Frau an der Rezeption ist überwältigend freundlich und hilfsbereit.
Der Rest des Aufenthaltes, Vezelay, Fontenay und die Weingüter des Chablis, wurde trotz oder vielleicht auch wegen des AMO ein großer Erfolg.
Aber das ist dann wieder eine ganz andere Geschichte…

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