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Joyce oder Beckett oder O’Casey?

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Immer diese Entscheidungen! Obwohl Joyce nie wirklich in Frage kam, viel zu weit weg. Aber Beckett und O’Casey liegen direkt nebeneinander. Und O’Casey mag ich viel lieber als Beckett. Also entscheide ich mich für die Sean O’Casey Brücke. Das ist jedenfalls der Plan. An der Pearse Street/Ecke Shaw Street aussteigen – heute ist wirklich der Tag der irischen Literatur -, dann hinunter zur Liffey und auf die andere Seite. Ich bin unterwegs auf den Spuren des „Great Famine“, der Großen Hungersnot von 1845. Oder wie man es wohl besser nennen sollte: des Großen Verhungern Lassen.

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Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es Zynismus oder aber Didaktik ist, die drei Monumente – das Customshouse, das Zoll- und Steueramt, das Famine-Memorial und das Auswanderer-Schiff Jeanie Johnston – so dicht neben einander anzuordnen.

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Normalerweise liegt die Jeanie auf dem Nordufer, nur wenige Schritte von den ergreifenden Skulpturen entfernt. Aber heute und bis zum 17. März ist ihr Ankerplatz ein gutes Stück die Liffey hinunter auf dem südlichen Sir John Rogerson’s Quay. Was mich dann zu der Frage führt, welche Brücke ich über die Liffey nehme. Letzen Endes beide, denn am anderen Ende der Samuel Beckett Brücke ragt der seltsame Mechanismus heraus, mit dem man den Royal Canal öffnen und schließen kann.

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Die Sean O’Casey Brücke muss ich dann doch auch noch gehen, was mich natürlich ans falsche Ufer führt und mich letzten Endes zur Butt-Brücke führt. Keine Ahnung, weshalb die so heißt, „butt“ kenne ich nur in einem anderen Zusammenhang. Aber vielleicht gibt es ja einen Herrn Butt oder eine Lady Butt, die in Irland jedem Kind geläufig sind. Und damit bin ich dann schon wieder in „rebel county“, denn um die Ecke herum ist das Abbey Theatre, eng verbunden mit Sean O’Casey und dem „Up rising“. Das Theater selber ist nun eine große Enttäuschung für mich, ein hässlicher Klotz aus Beton mit etwas Glas. Aber wie so oft geht es ja um die inneren Werte. Ich hätte hier gerne mal eines von O’Caseys Stücken gesehen, aber das geht in den wenigen Tagen nun leider nicht. Was geht – wenn auch nur als kleiner Trost -, ist immerhin eine Teepause im Theater-Café. Wirklich schön ist auch das nicht, mit großen Regalen voller Gemüse und Gewürzen rechts von der Theke. Ich weiß nicht, ob mir dieser Brecht’sche Ansatz zur Restauration wirklich gefällt. Auf jeden Fall ist es amüsant, der Crew beim gemeinsamen Abschmecken der Tagessuppe zuzusehen. Probieren hätte ich – glaube ich – nicht wollen.

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Durch die Abbey Street dann zur O’Connell-Street, wo ich mich mit Monsieur treffen will. Und dann smst Monsieur, dass es etwas später wird und ich falle auf meine eigenen Vorurteile herein. Aber mal ganz ehrlich: eine große Buchhandlung, über 100 Jahre alt, mit „Ulysses“ -Plakete vorm Eingang – und dann im 2. Stock ein Café mit dem schönen Name „The Muse“. Da kann ich doch gar nicht anders als mir hohe, holzgetäfelte Räume vorzustellen. In Nischen dann Stühle und Sessel – ich bestehe ja gar nicht auf der Ledercouch – um Tische, an denen die Besucher bei einer Tasse Tee die gerade erstandenen Buchschätze durchblättern oder sich in gedämpften Tönen unterhalten. Und dann haut mir das Leben die Realität um die Ohren: eine Schnell-Imbiss-Abfertigerei der schlimmeren Sorte mit dem Charme eines Bahnhofrestaurants. Und jedes Gespräch geht unter im Lärm der auf die Theke geknallten Teller. Manchmal hat das Leben wirklich keine Ahnung davon, was ich von ihm erwarte.

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Genauso ein bisschen auf den Arm genommen fühle ich mich dann in der Christchurch. Große Teile der Kirche, die typische Silhouette mit dem Bogengang, die „mittelalterlichen“ Gebäude daneben – alles viktorianisch. Was allerdings echt alt ist, ist die berühmte Dubliner Wand, die linke Wand des Hauptschiffes. So schief, dass man sie nicht zu lange anschauen darf, sonst wird einem etwas schummerig. Aber diese – noch stehende – linke Wand macht dann auch sehr glaubwürdig, dass die gesamte rechte Wand nebst Seitenschiff einfach einstürzte, was dann letzten Endes die viktorianische Nachbauerei notwendig machte. Prominentestes Opfer dieser Katastrophe war ein Herr Strongbow, seines Zeichens normannischer Raubritter, dessen Grabmal von den stürzenden Trümmern zerschlagen wurde. Da aber dieses Grabmal der Ort war, an dem die Dubliner Geschäftswelt ihre Verträge abschloss und ihre Eide schwur, musste schnellsten ein neuer toter Raubritter, also in Form eines Grabmals, her. Und so kommt es, dass man jetzt anderthalb tote normannische Ritter bewundern kann.

St. Patricks Kathedrale gefällt mir dann deutlich besser als Christchurch, wenn auch für meinen Geschmack zu viele Regimentsfahnen und Weltkriegsausstellung im Kirchenschiff zu sehen sind.

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Monsieur, der ja noch nicht viel von Dublin gesehen hatte, will dann noch zum Castle. Seine Frau kann ihm eigentlich nur davon abraten, aber der Mann will ja nicht hören. Also trappsen wir hoch zur Burg und können noch gerade einen Blick auf den Innenhof erhaschen, bevor die Tore geschlossen werden. Naja, und vom Castle sind es nur noch wenige Schritte bis zum Tempel Bar Bezirk.

Und da sind wir uns wieder beide einig, was der einzig wahre Abschluss unserer Dublin-Tage sein soll.

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Typisch Irland: keine Sonnen- sondern Regenschirme (off Eustace Street)

Dublin und noch Meer

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Postämter haben ja im Allgemeinen nicht so den Ruf, Hochburgen des Widerstands und der Revolte zu sein. Bis auf das GPO, das General Post Office, in Dublin natürlich. Heute Morgen bin ich den Spuren des Osteraufstandes nachgegangen. Mit sehr gemischten Gefühlen, muss ich ganz ehrlich gestehen. Das GPO selber – 1916 gerade eröffnet, von den Briten ein paar Tage später niedergebombt, danach wieder aufgebaut – ist ein prachtvolles Gebäude.

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Man kommt durch den Haupteingang in eine Halle mit Mahagoni-Schaltern, mit Schreibpulten in der Mitte, Bronzeleuchtern. Ich kann nur bewundern, wie schön die Briefmarken hier wohnen. Natürlich stelle ich mich an einem Schalter an, um die Marken für die Postkarten an Familie und Freunde zu kaufen. Ja, da bin ich ganz altmodisch, ich schreibe (- und erhalte!) gerne Postkarten. Rechterhand geht es dann zum Dokumentationszentrum – und da wird es ein bisschen schwierig. Natürlich stehe ich auf der Seite Irlands, auf dem Recht der Iren „a nation once again“ zu sein. Es gab Zeiten, da konnte ich die rebel songs – zwar unmusikalisch aber mit Überzeugung – mitsingen. Nur in diesem Center tue ich mich etwas schwer. Das liegt zum Teil daran, dass ich den Pathos und Patriotismus eher distanziert sehe. Während einige der älteren – der noch älteren! – Besucher doch sehr ergriffen den Film zu den Tagen um Ostern 1916 betrachten, sträuben sich mir bei vielen der verwendeten Phrasen doch etwas die Haare. Sicherlich gehören die Parolen und Aufrufe  in die Zeit, aber inzwischen klingen sie so unsäglich hohl und leer. Und dann passiert es mehrmals, dass der britische Kommandant mich doch etwas aus der Fassung bringt. Jedesmal, wenn die Irish Volunteers eine gut geplante Aktion erfolgreich durchführen, erklärt der Kommandant dies damit, dass das deutsche Agenten gewesen sein müssen, die die Organisation übernommen hätten. Denn nur die Deutschen und ihr Organisationstalent… Wie gesagt, irgendwann habe ich mich in diesem Center nicht mehr richtig wohl gefühlt. Das liegt dann zum anderen Teil daran, dass der gesamte obere Bereich des Dokumentationszentrum erstmal nur Souvenirshop ist. Naja, ich bin dann wieder hinaus auf die O’Connell-Street, um dem Vorschlag zu folgen, über die Moore Street den verzweifelten Fluchtversuch der Rebellen aus dem zerbombten GPO nachzuerleben und ein weiteres herzzerreißendes Zeugnis des Osteraufstandes zu sehen. Hätte ich mal besser nicht gemacht. Das Zeugnis ist wirklich herzzerreißend.

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Es ist der Brief eines Volunteers an seine Frau, der angeschossen und sterbend, in einem Torbogen darauf wartet, dass die Briten ihn finden. Allerdings ist die Bronzetafel mit der Kopie des Briefes in die Rückwand eines Industriekomplexes eingelassen, direkt neben den Abluftschächten der Anlage. Das bedeutet, dass man dort stehend und lesend, die Industrieabgase ins Gesicht geblasen kommt. Das hat mein „rebel heart“ nicht wirklich berühren können.

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Der Fairness halber habe ich mir dann nach dem GPO die Machtzentrale der anderen Seite angeschaut, Dublin Castle. Nicht ohne vorher am Parnell Heritage Grill Room vorbeizukommen. Armer Parnell! Wenn er wüsste, was da als sein Erbe verkauft wird.

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Dublin Castle ist eine seltsame Mischung aus Mittelalter und Regency. Ein paar mächtige mittelalterliche Türme, daneben elegante Regency-Architektur. In dem dicken Wehrturm saßen übrigens 4 Clan-Chefs in Gefangenschaft. Ihnen gelang die Flucht durch den Schacht der Plumpsklo. Sicher waren sie sehr froh darüber, aber genauso sicher haben sie wohl nicht gerne darüber geredet. Und wenn man ums Castle herumgeht, wird es richtig bunt. Ich habe noch nie eine so bunte Burg gesehen!

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Ungefähr um die Zeit zeigt Dublin mir, dass Sonnenschein und Regen keine Gegensätze sein müssen und es wird etwas ungemütlich. Höchste Zeit für ein nettes kleines Museum mit einem netten kleinen Museums-Café. Heute morgen beim Stöbern auf dem Stadtplan hatte ich ein Leprechaun-Museum gesehen, das hört sich doch ganz nett an. Aber wie das so ist mit den Leprechauns, wenn man sie sucht, bleiben sie unsichtbar. Nun, zur Not geht ja auch Café ohne Museum, da bin ich flexibel und plane kurz darauf bei einem Pot Tee und einem Sandwich meinen Nachmittag. Allerdings weiß ich nicht, wo die Straße zu finden sei. Der Kellner weiß es auch nicht und stellt die Frage im acht-Tische-Café in den Raum. Sekunden später steht ein distinguierter Anzugträger neben mir und zeigt mir auf meinem Stadtplan den Weg. Der schließt eine Überquerung der Liffey ein und die Nutzung von Dublins neuester „pride and joy“, der Luas,  dem light rail tram system mit ganzen zwei Strecken.

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Irgendwann sitze ich wieder im Bus zum Hotel und plötzlich überkommt mich der Wunsch, nicht mehr, sondern Meer zu sehen. Da trifft es sich ganz gut, dass die 46A nach Dun Laoghaire fährt. Einfacher geht es ja wohl nicht, nur sitzen bleiben und dann kommt das Meer schon. Was zuerst kommt, ist eine „genuine Irish traffic jam experience“ auf der ewig langen und nicht sehr vertrauenerweckend benannten Kill Avenue. Aber dann ist sie da, die irische See und ich freue mich, sie zu sehen. Ich nehme mal an, die irische See hat sich auch gefreut mich zu sehen. Ansonsten fand ich den Hafen von Dun Laoghaire eher unspektakulär. Trotz viktorianischem Eisenpavillion im Park und einem sehr Harry-Potterish anmutenden Eisenbahnstatiönchen. Was mich wirklich beeindruckt, ist die coole Gelassenheit mit der Busfahrer den riesigen Doppeldecker durch die winzigen Hafengässchen steuert.

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So, jetzt geht es gleich los. Mal schauen, was Dublin außer Postämtern und Wehrtürmen noch so zu bieten hat.

Bog(ey) men, Anna Livia Plurabelle und ein IPA

 

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Erich Kästner hatte schon Recht mit den Weisen auf Reisen und den Kneipen. Was haben wir nicht alles gelernt im Norseman im Tempel Bar Bezirk bei einen IPA. Erst darüber, dass Gewerkschaften im Augenblick nicht „flavour of the month“ sind. Trotz gestiegener Lebenskosten bei nicht gestiegenen Löhnen. Das nächste war Verkehr in und um Dublin im Allgemeinen und die Probleme der Dubliner Busfahrer im Besonderer. Dann ging es darum, was passiert, wenn ein Staatsbetrieb auf effizient macht. War wirklich sehr unterhaltsam und lehrreich. Und nachdem der Publican uns all das erzählt hat, habe ich dann auch noch gelernt, dass ein IPA, ein Irish Pale Ale, sozusagen als Bieressenz auf den Weg nach Indien geschickt wurde, um dort auf normale Bierstärke verdünnt zu werden.

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Das ist dann der Abschluss unseres ersten Nachmittages in Dublin. Unser Taxifahrer hatte uns auf de Weg vom Airport zum Hotel schon mal „guided tour“ im Vorüberfahren am Oscar-Wilde- und James Joyce-Denkmal geboten. Achja, das Customshouse lag auch noch an der Strecke zum Hotel. Danach haben wir halt so gemacht, was man als Tourist eben so macht. Also zuerst mal im Café des Archäologie-Museums einen Pot Tee bestellt, um uns für die gruseligen bog men, die Moorleichen zu stärken.

Dann durchs Trinity College geschlendert, wo man sich unter all den vielen Studenten wieder richtig jung fühlt. Bis einem an der Kasse zur „Book of Kells“-Ausstellung der Rentner-Bonus angeboten wird und man sich wieder richtig alt fühlt. Die Ausstellung ist schon sehr schön, aber was mich wirklich „high“ macht, ist die lange Bibliothek im Obergeschoss. Der Anblick, der Geruch der alten Bücher, die ganze Atmosphäre, das ist wie ein Glas Champagner. Und dann sind da noch die drei jungen Spanier, die ausgiebigst vor den Bücherschätzen posieren, um sich gegenseitig in möglichst intellektuellen Denkerposen zu fotografieren.

Anna Livia Plurabelle wollen wir natürlich auch noch besuchen, aber so um 17 Uhr sind die Uferquais der Liffey fest in der Hand des Berufsverkehrs, das ist  dann doch nicht so schön.

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Und eines muss ich Herrn Kästner doch nachtragen. Er hätte vor der Gefährlichkeit der Museen warnen müssen. Kurz vorm Archäologie-Museum drängt sich eine energische Dame resolut an mir vorbei und stößt mich vom Bürgersteig auf die Straße. Nun denkt man beim Stürzen wahrscheinlich nicht viel nach, aber irgendetwas in mir muss zu dem Entschluss gekommen sein, dass zwischen zwei Doppeldeckerbussen auf der Kildare Street zu landen nicht der ideale Anfang eines Dublin-Ausfluges ist. Die anschließende unsanfte Landung gegen Hauswand und Bürgersteig ist unangenehm genug. Fünf Leute reden auf mich ein, die Dame ohne das geringste Schuldbewusstsein, bis ich mich hochrappele.

Wie soll ich das jetzt sagen: gebrochen ist nichts, aber das schmerzhafte Ergebnis ist inzwischen sehr farbenfroh. Und wird dafür sorgen, dass ich morgen wohl eine Menge herumlaufen werde in Dublin. Denn mit gemütlich hinsetzen ist erst mal nichts.