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Kleiner Bruder Kaukasus

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Unser letzter Tag beginnt mit einer kalten Dusche – wörtlich. Egal in welche Richtung wir den Griff drehen, wie lange wir schaudernd abwarten, es bleibt eiskalt. Rezo versteht unsere Klage nicht, bei ihm habe alles funktioniert. Warmduscher!

Touristisch fängt dieser letzte Tag in Georgien an mit einem Abstecher in den kleinen Kaukasus. Klein, das heißt niedriger, ja, aber nicht weniger schön als sein großer Bruder Kaukasus. Sanfte Hügel, bewaldete Berge, friedliche Täler. Dörfer, die so klein und unbedeutend sind, dass sie keine sowjetsozialistischen Bauruinen verunzieren. Das Kloster Sapara ist eine in diesen Bergen versteckte Perle. Allerdings schläft die Perle noch um halb zehn. Ein mutiger Franzose – mit uns der einzigen Besucher – traut sich an einem Holztor zu klopfen und wird: Here private! angemuffelt. Der Mönch, der dann schwarzgewandet vor uns her wandelt, ist sehr mit Niesen und Husten beschäftigt, eine kleine Entschuldigung sicher fürs Frühmesse-Verschlafen.

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Im scharfen Gegensatz zur verträumten Schönheit Saparas steht die Feste Rabat, eine gewaltigen Anlage, mit ähnlichem Hin- und Her-Schicksal wie viele Burgen und Festungen hier. Lange vergessen, wurde sie in den letzten Jahren restauriert und wirkt dadurch heute ein bisschen zu neu und steril. Erinnerte uns an den chinesischen Ansatz zu renovierten Mauerabschnitten. Ein bisschen Disneyland, ein bisschen Historie und ganz viel Kitsch. Und ein massives Kommunikationsproblem. Rezo besorgt uns den Eintritt zur Burg und zum Museum und lässt uns dann frei.

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Treffpunkt am oberen Ausgang, wann immer wir wollen. Wir wollen, allerdings erst, nachdem wir nach dem Besuch des Museums noch einen Kaffee – einen echten, nicht einen Pulverkaffee wie jeden Morgen – nachgeschoben haben. Dafür muss man aber von der Oberburg (Ausgang) runter in die Unterburg (Eingang) mit einem Kontrolletti dazwischen. Ich habe ja so ein paar Erfahrungen und frage den Kontrolletti, ob wir gerade mal einen Kaffee und dann wieder… Der Kontrolletti versteht mich nicht, die neben ihm sitzende Führerin schon. Beide nicken, kein Problem. Als wir eine Viertelstunde und einen wundervollen doppelten Espresso später wieder an der Treppe zur Oberburg stehen, sind beide weg, Harmonie- oder Zigarettenpause, unangekündigter Streik, kranke Großmutter, was weiß ich. Jedenfalls steht da ein junger Mann, der unsere Billetti haben will. Die bei Rezo sind, der am Ausgang wartet. Wir versuchen zu erklären, dass wir nur rein wollen, um raus zu gehen. Und dass seine Kollegen uns das versprochen hätte. Er ist stur, will, dass wir zum Eingang zurückgehen, um die Tickets für den Ausgang zu kaufen. Wir diskutieren, eine weitere Führerin mischt mit… Irgendwann ist es ihr aber zu peinlich uns weiter mit „Bitte warten“ hinzuhalten und sie winkt uns durch. Merke: Führerin sticht Kontrolletti. So schaffen wir es tatsächlich, diese etwas überrestaurierte Anlage auch wieder zu verlassen. Zum Glück liegt nur ein paar Hundert Meter vom Ausgang entfernt eine halb zerstörte Moschee, wo wir dann ein bisschen unrestauriertes Entdeckerglück finden.

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Vardzia ist dann der Abschluss unserer Tour. Angefangen von Giorgio – III, nicht evil – als Festung, von seiner Tochter Tamara dann als Kloster weitergebaut, mit unglaublichen 3000 Höhlenwohnungen. Die aber zum größten Teil schon im Mittelalter durch ein Erdbeben verschüttet wurden, so dass – zu unserem Glück – nur ein Bruchteil zugänglich und zu besichtigen ist. Vardzia ist nämlich ziemlich anstrengend, besonders, wenn man – wie wir – erst am Mittag ankommt und dann erst mal lieber am Fluss Kingali (eine Art runde Nudeltaschen), Kachapuri (Brotfladen mit Käsekruste) und Tomatensalat essen mag. Es ist so richtig schön heiß, über 36°, als wir uns endlich aufmachen. Ein Teil des Aufstieges übernimmt freundlicherweise für 1 Lari pro Person ein Shuttle-Bus, sehr gut investiertes Geld. Dann geht es in flirrender Hitze in die Felswand, die Wasserflasche in der Hand hat bald Tee-Temperatur. Was uns rettet, sind die Höhlen selbst. Natürlich sind die meisten etwas repetitiv, aber sie bieten Schatten und etwas Kühle. Die Klosterhöhle mit ihren wundervollen Fresken und Friesen wirkt richtig eisig nach der Hitze draußen. Leider wird sie restauriert und ist völlig mit Gerüsten voll gestellt, auf denen oben Archäologen oder Restaurateure rumturnen. Deshalb darf man unten, vor den Ikonen, keine Kerzen anzünden, damit die Herrschaften oben nicht mit Rauchvergiftung vom Gerüst fallen.

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Rauchvergiftung ist allerdings nicht die einzige Gefahr, die von Vardzia ausgeht. Die lokale Behörde hat erkannt, dass moderne Touristen – hmmmm – bewegungstechnisch etwas herausgeforderter sein könnten als mittelalterliche Mönche. Ganz ehrlich, einige der ausgetretenen Stufen und halb abgebrochenen Stege waren mir auch nicht ganz geheuer. Deshalb gibt es da jetzt Geländer. Aus Eisen. Bei fast 40° in der unbarmherzigen Sonne. Ihr erkennt sicher die Optionen: fallen oder Verbrennungen zweiten Grades.

Die Strecke, die der Bus uns hoch fährt, geht es wenig später bergab, durch die ursprüngliche Zugangspassage. Gefühlte 467 Stufen in einem Tunnel, der nicht für mein 1,83m ausgelegt ist. Das mit dem „Mir wackeln die Knie“ ist beileibe keine Floskel, als wir wieder im Besucherzentrum ankommen, wo Rezo zwei Stühle im Schatten bewacht.

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Unsere letzte Nacht in Georgien verbringen wir in Valodias Cottage in traumhafter Umgebung: Berge, Fluss, Terrasse am Ufer.

Und als Bonus zeigt Rezo uns, was sein Freund Valodia mit dem Überfluss seines Gartens anstellt.

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Interkulturelles Knirschen

 

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Kasbegi ist mit seinen 5000 und etwas Metern zwar „nur“ der zweithöchste Berg des Kaukasus, aber im Kreise seiner Kollegen ein überwältigender Anblick (Berge sind toll, solange man nicht zu Fuß hinauf muss, wozu wir zum Glück nicht genug Zeit haben). Rezo meint, wir hätten großes Glück mit der klaren Sicht. Seine letzten vier Fahrten wären in Wolken und Nebel verlaufen. Auf der Georgischen Heerstraße geht es über den Skiort Gudauri (für Kenner meines Blogs: schlimmer als Les Rousses!) und Ananuri wieder Richtung Süden. In Ananuri gibt es ein Beispiel georgischer Geschäftstüchtigkeit. Die Festung ist ein Teil der georgischen Identität – Kampf, mal mehr, mal weniger erfolgreich gegen Schah Abbas und seine Kollegen – und entsprechend überlaufen. Allerdings gibt es da dann auch die Infrastruktur, die man als Tourist und besonders als Touristin gelegentlich für eine Harmoniepause braucht. Die Tourismusbehörde hat also ein entsprechendes Häuschen gebaut. An der Tür ein Metallkasten mit Geldschlitz, darüber eine Plakette mit der Inschrift: 50 Tetri, etwa 15 Cent. Der Geldeinwurf ist allerdings mit Klebeband zugeklebt und davor sitzt ein schwarz gekleidetes Weiblein und hält die Hand auf.

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Kurz hinter dem Jivari-Pass biegen wir in Richtung Süden ab und es kommt zum ersten von zwei kleineren interkulturellen Knirschern. Bei der Planung hatte ich den Besuch im Stalin-Museum in Gori kategorisch abgelehnt. So weit käme es noch. Rezo ist darüber informiert, will uns aber trotzdem dorthin fahren. Mit dem Argument, dass die russischen Touristen ja auch nicht ins Museum gingen, viel zu langweilig und langwierig. Sich davor fotografieren zu lassen, um zu beweisen, dass man da war, das ist doch, was zählt. Er tut sich schwer mit unserer Weigerung, aber da muss er durch.

Das führt dann dazu, dass wir beim zweiten Knirscher nachgeben. Borjomi – Kurpark auf spätrussisch mit Heilquelle – war im ersten Programmentwurf, hatte ich gegoogelt und beschlossen: brauchen wir nicht. Es wurde folgerichtig aus dem Programm als Besuchspunkt gestrichen. Da aber unser Weg Richtung Grenze eh durch den Ort führt, will Rezo uns etwas Gutes tun und uns sozusagen den nicht geplanten – und somit nicht bezahlten – Abstecher zum Kurpark schenken. Da stehen wir dann, nachdem wir ganze vier Lari Eintritt bezahlt haben und fühlen, wie die Tristesse uns von allen Seiten anspringt. Ein Park mit auf drei Meter Höhe geköpften Baumriesenleichen, mit breiten Betontrassen durch schmale Grünflächen und rechts und links das lebendige Grauen. Sogenannte Kinderbelustigungsangebote, die jeden Dreijährigen schreiend Reißaus nehmen lassen würden. Da jede dieser Attraktionen mit aggressiv-lauter Musik um Aufmerksamkeit heischt, ist das Tal erfüllt von einer Kakophonie der rummeligsten Art. Wir erreichen die Wunderquelle, deren warmes Schwefelwasser einst eine gesamte geschlagene russische Armee geheilt haben soll. Inzwischen betrachten wir das Ganze als Mutprobe: wie viel Kurbad halten wir aus? und stellen uns in die Schlange derer, die sich etwas Wasser in mitgebrachte Flaschen abfüllen. Und dann Augen zu und runter damit – uffff. Es schmeckt genau so übel, wie es riecht. Das mit der Wunderquelle liegt wahrscheinlich daran, dass man sich hindert wundert, warum man das getan hat.

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HD und Breitwand

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Manchmal langweilt sich meine Phantasie mit mir. Dann macht sie ihr eigenes Kino. Aber so richtig in HD und Breitwand.

Wir klettern durch Uplistsikhe. Fragt mich nicht, wie man das ausspricht. Ich übe das seit zwei Tagen und Rezo findet immer noch etwas zu verbessern. Uplistsikhe, die Höhlenstadt, wurde über 3000 Jahre bewohnt und jede Epoche hat so ihren eigenen Stil hinterlassen. Am ältesten die Opferkuhlen mit Blutabfließrinnen, am weithin sichtbarsten die orthodoxe Kirche, gebaut auf die Felsenhöhlen. Höhlen mit so phantasievollen Namen wie lange, große oder gar schöne Höhle, mit genau so  phantasievollen Zuschreibungen wie Thronsaal und Tamaras Halle. Irgendwann hatten sie wohl gehört, dass manche Menschen in Häusern mit Holzdecken leben und haben dann in ihren Höhlendecken Holzbalken-Ähnliches herausgemeißelt.

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Es ist sehr, sehr heiß, wir sind schon etwas müde, als wir zu der Höhle mit der Säule kommen. Und es macht Klick, der Projektor springt an, die Bilder beginnen zu flimmern.

Ich sehe sie vor mir, diese frühnörglerische Georgierin, pardon, frühgeorgische Nörglerin, in ihrer netten einfachen Höhle. Ihre Schwester in Rom hat ihr gerade die „Schöner Wohnen XIII, Ausgabe Römisches Reich“ geschickt und nun sieht sie mit Staunen, was in Rom als Wohnstandard gilt. Als ihr armer Mann von der Arbeit nachhause kommt, hat sie sich schon alles zurecht gelegt: wie gut ihre Schwester und wie schlecht sie es hätte, und dass sie, ach, doch auch besser einen Centurion der römischen Legion als so einen georgischen Nichtnutz geheiratet hätte und dass sie da nämlich in einem schicken Haus mit Säulen wohnen könnte statt in so einem Höhlenloch. Dann kommt das Übereinanderkreuzen der Arme und dann die Tränen. Der arme Mann, der den Genuss eines ruhigen Abendessens – von anderen Genüssen ganz zu schweigen – dahinschwinden sieht, verspricht ihr stammelnd, dass sie selbstverständlich auch Säulen, alles, alles, was sie will, nur bitte keine Tränen…

Am Wochenende ruft er seine Kumpel zusammen, gibt das frühgeorgische Äquivalent zum Kasten Bier aus und erklärt ihnen seinen Plan. Die Kumpel erklären ihn natürlich für verrückt, aber weil man nun mal Kumpel ist und so, ist schnell ein geeigneter Felsen gefunden. Und da steht er dann, die „Schöner Wohnen XIII, Ausgabe Römisches Reich“ aufgeschlagen in der einen Hand, etwas Spitzes in der anderen, ein Auge zugekniffen, Zungenspitze im Mundwinkel.

Das Projekt dauert, man hat ja so seine Ansprüche (und ein ganz kleines bisschen Angst vor der eigenen Frau), aber schließlich ist sie fertig: die einzige und damit per Definition schönste Höhle mit römischer Säule in ganz Uplistsikhe.

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Und? Ist „sie“ zufrieden? Mitnichten! Da ist es wieder: das Übereinanderkreuzen der Arme und dann die Tränen. Wie dämlich das denn sei! Eine Säule mitten im Wohnzimmer! Ob er auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht hätte, wie viel Arbeit das beim Saubermachen wäre, ach, hätte sie doch nur einen Centurion der römischen Legion, wie ihre Schwester…

 

Wenn sie damals das Konzept der Scheidung noch nicht kannten, wäre das jetzt – glaube ich – ein guter Moment gewesen, es zu erfinden.

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Fundraising

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Das ist jetzt mal ein ganz egoistischer Dampf-Ablass-Eintrag.

Ich weiß: A refugee would like to have my problems, aber ich bin ziemlich enttäuscht und angefressen. Wappnet Euch also für Jammern auf hohem Niveau.

 

Irgendwas ist da nämlich ganz böse schief gegangen bei der Kommunikation. Als wir während der Planung nach der Hotelkategorie gefragt worden sind, war meine Antwort, dass wir Luxus nicht abgeneigt sind, aber genauso gut auch einfach können. Wie sie mit dieser Antwort auf die Idee gekommen sind, uns im Wohnheim des Instituts für Alpine Ökologie der Staatsuniversität unterzubringen, ist mir völlig unverständlich. Ich habe gerade nachgeschaut, das Rooms Kazbegi, zwei Straßen weiter und angeblich eines der besten Hotels Georgiens, hat erst ab übermorgen wieder Zimmer frei. Sonst wäre ich jetzt weg hier.

Ich habe nichts gegen einfache Unterbringung, aber ein bisschen Charme sollte doch dabei sein. Einfach mit Charme oder rustikal mit Charme, gerne auch minimalistisch mit Charme, aber so ganz ohne Charme, das finde ich hart. Das Zimmer ist arg, hart an der Grenze zu frech. Kargste Einrichtung in billigsten Plastikmöbeln ist das eine, verschrammte, zerkratzte Wände und Böden das andere. Wirklich schwierig ist, dass die zwei großen Fenster – mit zugegebenermaßen traumhaften Blick auf die Bergwelt – sich nicht richtig schließen lassen – und das bei Nachttemperaturen unter 10°. Monsieur versucht es und hat als erstes den Fenstergriff in der Hand. Nun ist Monsieur Monsieur und irgendwann sind die Fenster zu und der Griff da, wo er hingehört.

Das allergrößte Problem hier sind aber die Menschen an der Rezeption, in der Küche. Sie sind ungeheuer freundlich, nett, hilfsbereit. Und ich befürchte, dass ein empörter Anruf beim Veranstalter, eine Reklamation, ein Änderungswunsch auf sie zurückfallen könnten.

Also wird nicht angerufen.

Im Laufe des Abends erfahren wir, dass die Uni in der vorlesungsfreien Zeit das Institut als Hotel vermietet, um an ein bisschen Geld zu kommen.

Was wir also gerade machen, ist dann wohl so etwas wie fundraising.

Macht das Zimmer auch nicht schöner oder besser, aber leichter zu akzeptieren.

 

Und zum Frustabbau gibt es immerhin das zu sehen:

 

 

Kamillentee und Testosteron

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So, ich habe gerade mal einen Kamillentee gekocht. Für meinen Schutzengel. Dem armen kleinen Kerl geht es nämlich überhaupt nicht gut. In der letzten Stunde hat er sich die Seele aus dem Leib gekübelt, während uns ein brutalst gelangweilt wirkender 4×4-Fahrer etwas hochjagt, das eher einem trocknen Gebirgsbachbett als einem Weg ähnelt. Dafür aber das Verkehrsaufkommen einer mittleren deutschen Kreisstraße hat, nur eben nicht deren Breite. Wobei da auch eher selten 6 Kühe wiederkäuend in den Haarnadelkurven lagern. Die einzigen, für die der Fahrer nicht bremst, sind die verrückten Wanderer, die zu Fuß diesen Weg zum Gergeti-Kloster anpacken. Hatten wir eigentlich auch vorgehabt, hat Rezo uns ausgeredet, wofür wir ihm nun sehr dankbar sind. Wandern als ständiges, Sand-, Abgas- und Staub-umtostes Aus-dem-Weg-springen ist dann eher nicht so unser Ding. Da wir aber unbedingt vom 1800m hoch liegenden Stepantsminda zum 2200m hoch gelegenen Kloster möchten, tragen wir nun – mit schlechtem Gewissen zwar – zu diesen Staubwolken bei und büßen mit angeschlagenen Ellbogen, Knien und Nerven. Als uns der erste Jeep entgegen kommt, halte ich ihn noch für einen verpeilten Touristen-Selbstfahrer, der auf dieser – für mich nicht anders vorstellbaren – Einbahnstraße aus lauter Angst gewendet hat und nun in der Gegenrichtung unterwegs ist. Es folgt eine beunruhigend steile Lernkurve und Überstunden für meinen Schutzengel. Ich finde das wirklich toll, dass er bei seinem Job geblieben ist und nicht irgendwann die Fliege gemacht hat.

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Überhaupt ist das heute ein Tag mit viel Fahrerei und Testosteron. Georgien frönt seiner Lieblingsbeschäftigung: Straßen aufreißen, was zu Baustellen, Schlaglöchern, einspurigen Straßenführungen führt. In so eine fahren wir ein – einziges Auto in unserer Richtung. Der Straßenarbeiter am anderen Ende sieht, dass wir – auf Höhe der Teermaschine – fast durch den Engpass sind und hebt seine Fahne. Und der Gegenverkehr fährt sofort los, alle fünf Wagen, ohne uns noch gerade ausfahren zu lassen. Dämlicher geht es wohl kaum. Auf Höhe der Teermaschine stehen die Autos dann Nase an Nase, Fenster werden herunter gerollt, ausdrucksstarke Gesten begleiten lautstarke Diskussionen, Testosteron wabert dick über allem. Und die Teermaschine kommt immer näher. Schließlich gibt Rezo nach, der Klügere und so und auch, weil es einfacher ist, ein Auto zurückzusetzen als fünf.

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Ein paar Kurven weiter hält uns ein weiterer Straßenarbeiter an, auf dem linken Fahrstreifen liegen mehrere große Felsbrocken, am rechten Rand ein Ungetüm von Stein, die Spur selbst ist frei. Der LKW hinter uns bremst auch, nur ein zerbeulter uralter Lada 4×4 schiebt sich hupend an uns vorbei. Der Straßenarbeiter versucht ihn anzuhalten und wird übelst beschimpft. Just in diesem Moment rutscht ein weiteres Stück des Hanges ab und ein medizinballgroßer Felsbrocken knallt auf die Fahrbahn, ungefähr da, wo der Lada ohne den Straßenarbeiter jetzt gewesen wäre. Da hört das Hupen doch abrupt auf und der Lada kuscht hinter uns in die Schlange.

 

Die georgische Heerstraße arbeitet sich immer höher, die Bergwelt wird immer beeindruckender. Hinter unserem Etappenziel Stepantsminda führt sie durch die Darialschlucht, uralter Handelsweg, Nadelöhr, Einfallspforte und Verteidigungsbastion. Ist nicht vorgesehen, eigentlich auch sinnlos, denn da ist für uns eh die Welt zu Ende, ohne Visum für Russland. Trotzdem würde ich zu gerne… Nur ein kurzes Stück, ein kleines bisschen… Rezo nickt und wird dadurch kurz darauf zum Retter eines netten, aber völlig überforderten russischen Paares. Sie hatten ihren funkelnagelneuen Geländewagen so schwungvoll über einen Stein gefahren, dass nicht nur der Vorderreifen platt, sondern auch die Felge verbogen war. Und keine Ahnung, wie sie ihr Ersatzrad unter dem Wagen loslösen sollten. Was Rezo mit zwei Handgriffen hinbekommt und mich jetzt wieder an den Kamillentee denken lässt.

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Giorgi-evil

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… oder Planstellen frei setzen.

Die Planstelle, die Giorgi wollte, war die höchste im Königreich und schon von seinem Vater besetzt. Ein älterer Bruder war auch noch vorhanden. Kurzfristig also eher schlechte Aussichten auf einen Erfolg für Giorgi. Der griff dann zu einer heute zurecht in Vergessenheit geratenen Methode des Karriereschubs. Er brachte beide um und war somit König, ob das seinem Volk nun passte oder nicht. Dem gefiel diese Art des dynastischen Handelns natürlich nicht, aber was konnten es dagegen tun. Das einzige, was ihm einfiel, war ihm das Giorgi II zu verweigern und ihn Giorgi-Evil zu nennen. Was dieser sicher als Kompliment genommen hat. Erfahren wir bei der Besichtigung der Feste Gremli und dem kleinen, fast ausschließlich auf die Missgeschicke der Burg konzentrierten Museum. Denn Giorgi ist nur ein kleines Übel in deren Geschichte. Der wirkliche Ober-Ober-Ober- und noch ein Ober-Bösewicht ist um 1600 Schah Abbas von Persien. Diesem Fiesling waren wir in den letzten Tagen schon ein paar Mal begegnet – meist im Zusammenhang mit Brandschatzung, Plünderung und vielen Tausend Toten. Der Mann hatte definitiv etwas gegen seine georgischen Nachbarn und machte diese Haltung ziemlich klar deutlich. In der damaligen Hauptstadt Gremli zerstörte er die Stadt bis auf die Grundmauern, verschleppte 70 000 Kacheten in die Sklaverei und entführte die Königin aus der Burg. Um sie dann zuhause in Persien langsam und genüsslich zu Tode zu foltern. Das brachte der Dame zwar recht bald die Heiligsprechung als Märtyrerin ein, aber da hat man ja nun nicht wirklich etwas von. (Denke ich mal.)

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Deutlich unbeschwerter ist die Geschichte und Ausstrahlung von Ikalto, Sitz eines Klosters und einer mittelalterlichen Schule mit Weinbau-Anstalt. Die Mönche experimentierten mit verschiedenen Rebsorten und Anbaumethoden, was dazu führte, dass sie angeblich so viele Trauben produzierten, dass sie von den Hügeln eine Tonpipeline für den frisch gepressten Saft zu den Tonkrügen im Kloster bauten. Heißt es…

Die Tonkrüge sind jedenfalls noch da und träumen in der Mittagshitze vor sich.

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Das Chavchavadze-Schlösschen in Tsinandali träumt auch, bis wir durch die Tür treten. Gleich drei Frauen erheben sich halb mit der Frage: English or German? Bei German lassen sie sich mit einem kleinen wohligen Seufzer zurückfallen und rufen eine Vierte. Und dann wackeln uns förmlich die Ohren bei dem Tempo, mit dem wir durch die 1800er Schätze der Einrichtung geführt werden. Jeder einzelne Teller, jeder Kerzenleuchter, jede einzelne Uhr wird im Schnellfeuer-Stakkato benamst, zeitlich eingeordnet und erhält zum Schluss – wie mit Ausrufezeichen – den Hinweis: Blattgold! Monsieur, dem schon ganz blümerant ist vor lauter Blattgold, tritt in den Hintergrund. Das kann unsere Führerin aber nicht zulassen und er wird sehr bestimmt und dezidiert aufgefordert, näher heran zu treten und sich das Zimmer der Tochter anzuschauen. Blattgold! Irgendwann werden wir dann in den Park entlassen, der Weg führt über die Terrasse und das Schlosscafé. Monsieur stellt mir eine Tasse Cappuccino hin und legt einen glänzenden Schoko-Riegel daneben. „Blattgold!“

 

Morgen geht es auf der Georgischen Heerstraße – die natürlich Russland gebaut hat – in den Kaukasus. Wenn man ganz genau hinschaut, kann man vom Hotel aus schon im Dunst die Berge hinter den Hügeln erkennen.

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Die Würde des Menschen

 

c1… ist unantastbar, sein Hosenboden eher nicht. Und so wird letzterer zum Transportmittel der Wahl auf dem Rückweg vom Höhlenkloster Udabno oberhalb von Daveed Garetscha. Die Klosteranlage Daveed Garetscha ist einer der Höhepunkt Südgeorgiens und Udabno der Höhepunkt der Anlage. Habe ich gelesen, gesehen habe ich es nämlich nicht. Schon der Aufstieg zum Höhenrücken war mir nicht ganz geheuer und bereitete mir mehr – ich könnte das jetzt Bedenken, Zweifel, Sorgen nennen, es war aber einfache, schlichte – Angst als manche Alpenpassage. Normalerweise zeige ich meiner Angst dann den Mittelfinger und komme da irgendwie durch. Heute nicke ich ihr zu und beschließe, dass sie recht hat: ich muss da nicht runter zu den Höhlen. Monsieur will und so verbringe ich eine ruhige Stunde im Schatten einer Kirchenruine, genieße die buntsandige Wüste, bewacht und/oder beschützt von zwei georgischen Soldaten. Es ist ihnen auch völlig egal, dass ich immer mal wieder auf aserbaidschanisches Gebiet wechsle, um Monsieurs Kletterfortschritte zu erkunden. Überhaupt scheinen sie das mit dem Grenzschutz eher entspannt zu sehen. Zwar liegen zwei martialisch wirkende MPs neben ihnen, aber ihre Augen und ihre Konzentration sind eindeutig auf ihre Handys gerichtet, auf denen sie unablässig vor sich hin daddeln. Ab und zu steht der eine oder andere auf, geht ein paar Schritte und telefoniert. Insofern sehe ich mich eher in der Lage eine Aussage zur Effizienz der georgischen Netzabdeckung als zu der der georgischen Armee zu machen.

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Monsieur kommt und erzählt von Fresken, die ich dann über seine Bilder aus zweiter Hand sehe.

 

Der Zugang zu und der Rückweg von Daveed Garetscha läuft über eine Straße, die das straßenbautechnische Äquivalent von BER sein muss. Rezo kennt sie berufsbedingt gut, seit Jahren!, und schimpft über (fast) jedes einzelne der Millionen Schlaglöcher auf dem 20-km-Stück, das „ausgebaut“ wird. Und die Arbeiter: entweder sie arbeiten nicht oder sie sitzen zusammen und trinken Wein.

Wir werden auf Schlaglöchern durchgerüttelt, auf Buckelpiste, auf einem Stück Wiese, als es auf der „Straße“ wirklich nicht mehr machbar ist. Dann kommt plötzlich ein Stück feinster frischer Asphalt, just um das Dorf herum, in dem die Straßenarbeiter wohnen. Reiner Zufall sicher. Und wenn man glaubt, diese Straße kann nicht mehr seltsamer werden, tauchen Autobahn-große Schilder auf, im Nichts, aus dem Nichts, die auf nicht existierende (nun ja, fast nicht existierende) Straßen ins Nichts hinweisen.

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Neues Land heißt auch neue Küche und irgendwie sind wir die letzten Tage fast nur vegetarisch unterwegs. Sehr, sehr lecker und sehr kommunikativ. Gestern Abend gibt es eine große Platte mit verschiedenen Gemüse-Walnuss-Bällchen, drei verschiedenen Käsesorten und Maisbrot dazu. Zum Glück haben wir uns gesagt, den Hauptgang bestellen wir nach dieser Vorspeise. Was nie passiert ist. Zwischen Auberginen- und Spinatbällchen liegt etwas Weißliches, etwas sehr Pikantes, Säuerliches, Undefinierbares. Der Kellner kann uns natürlich den georgischen Namen nennen, aber keine Übersetzung. Am Nachbartisch wird ein wenig diskutiert, ein Handy gezückt und das ganze als marinierte Kapernblüten identifiziert.

Am Abend zuvor hatte Monsieur „lobio“ bestellt, schwarze Bohnen in Peperoni-Paste gegart. Und auch da so ein Hauch von „Hmmm, was ist das jetzt?“ Allerdings bringt alles Nachfragen des jungen Kellners bei Kollegen nichts. Und so kommt er zu unserem Tisch zurück, strahlt mich mit diesen riesigen braunen Augen an und flüstert: „It’s a secret!“

 

Heute Abend sind wir in einem B&B untergebracht und Rezo fragt, ob wir dort, bei seinem Freund – statt im Restaurant – essen möchten. Natürlich möchten wir. Gute Wahl, meint Rezo, es gibt georgisches BBQ. Da unterbricht sein Freund: kachetisches BBQ!

 

Wird bestimmt gut, aber vorher muss ich der Staub von Daveed Garetscha abspülen.

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Kleiner Nachtrag: Wir duschen noch, als es klopft: Essen ist fertig! Der Tisch ist überladen mit Salaten, Karpfen in Koriander, Kebab, Käse, Kartoffelspalten, Brot (wahrscheinlich habe ich die Hälfte vergessen). Gennadi drängt uns zuzugreifen: In drei Minuten ist das Sashlik fertig!

Natürlich werden wir nicht Herr all der Köstlichkeiten, zumal noch einiges nachgereicht wird. Zum Schluss wird noch ein sehr hochprozentiger Schnaps gereicht mit der Drohung: Frühstück um acht.

Rezo gibt Entwarnung, morgen wäre nicht anstrengend, morgen gäbe es keine Wanderung: Tomorrow cultural day, only museum!

 

 

 

Ironman auf frühgeorgisch

 

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Gut, PC wäre Ironwoman, aber da bin ich mir nicht sicher, ob es das gibt.

Georgien ist ein christliches Land, was sich – nicht nur, aber auch – an den fünf Kreuzen in der Landesfahne zeigt. Zugegebenermaßen habe ich für das fünfte Kreuz ein bisschen länger gebraucht, aber das ist manchmal so bei mir.

Den christlichen Glauben – oder wie Rezo das nennt: the Christian propaganda – brachte um 300 n. Ch. eine Art Power-Mädel nach Georgien: Nino.  Die beschloss mit 14, dass es an der Zeit sei, Georgien zu christianisieren und zog los. Irgendwo und irgendwann kamen dann noch 14 syrische Mönche dazu, aber die „kriegen“ wir erst morgen.

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Nino bekam ein Kreuz aus Weinreben – ohne Wein geht gar nichts in Georgien, sehr sympathischer Zug – , das sie mit Haarzöpfen verstärkte. Und ließ sich in Mtskheta nieder. Das war – lange vor dem Niedergar-König – die damalige Hauptstadt. Und nun wird es sportlich. Nino lebte in einer winzigen Zelle, joggte aber jeden Morgen zum Ufer des Aragwi, durchschwamm den Fluss und bestieg – in Ermangelung eines Fahrrads – den Bergrücken, auf dem jetzt das Jvari-Kloster steht. Jeden Tag! Eine Leistung, die ich nur bewundern kann. Das Kreuz, das sie dabei in mühsamer Kleinarbeit errichtete, war so wundertätig, dass das zu massiven Verkehrsproblemen führt.

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Moderne Pilger sind nicht mehr ganz so sportlich wie Nino und reisen in großen Mengen und noch größeren Reisebussen an. Wenn so einer dann vor dem überfüllten Parkplatz zu drehen versucht, geht eine ganze Zeit lang gar nichts mehr. Uns ist das recht, wir parken weiter unten und steigen hoch, immer wieder abgelenkt vom Blick von hier oben auf die Flüsse und Mtskheta im Tal. Wie nicht anders zu erwarten ist es in diesem Nationalheiligtum sehr voll und wir schieben und drängen uns mit den Massen durch die Gewölbe, bis wir fast am Eingang wieder vor dem Stand mit den dünnen Kerzen stehen, das Stück 1 Lari, etwa 30 Centimes. Aus den Augenwinkeln sehe ich einen großen breiten Mann dem Mönch einen 100-Euro-Schein hin halten und auf eine dünne Kerze zeigen. Es gibt eine Menge Hände-hin-und-her-Diskussion, wobei der Mann offensichtlich nicht von seinem Kaufwunsch abrückt. Ich hätte ja den Schein einkassiert und dann genau eine (1!) Kerze herausgerückt, vielen Dank für Ihre großzügige Spende. Doch der Gesichtsausdruck des Mönchs zeigt nur Liebe und Erbarmen. Arroganz und Dummheit mögen offiziell nicht als Behinderung gelten, lese ich darin, aber wir müssen Mitleid und Nächstenliebe mit unseren damit geschlagenen Mitmenschen haben. Er schiebt den Schein zurück und schenkt dem Mann die Kerze.

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Ganz anderes spiegelt sich auf den Gesichtern der Mönche in der Svetitskhoveli Kathedrale, die wie schwarze Wölfe durch die Menge ihrer Schafe streifen, dort einen Mann in kurzen Hosen zur Tür weisen (er kommt kurz darauf mit einem langen Rock zurück), hier eine junge Frau im schulterfreien Top aus der Kirche geleiten. Einem Asiaten, den ein Mönch am Fotografieren hindert, ist das so peinlich, dass er die Hände zusammenlegt und sich mehrmals verneigt. Worauf dann beide lächeln müssen.

Zurück in Tiflis gibt es eine Siesta und dann einen Ausflug ins Betlemi-Viertel mit seinen schönen Holzhäusern. Steht in jedem Reiseführer. Was nicht erwähnt wird, sind die nachfolgenden Viertel, die nur mit viel Hoffnung zusammenhalten.

Angeblich sind nach dem Erdbeben die Gelder für den Aufbau geflossen, nur eben nicht in die Hände derer, die es benötigt hätten.

Dieser etwas bedrückende Abstecher führt uns aber geradewegs zu einer Überraschung. Wir kommen aus einer Seitengasse und stehen vor einer dichten Menschenmenge, alle mit gezückten Kameras. Über uns schlägt eine Glocke sieben Mal und im Turm im Marionettentheater vor uns öffnet sich der Theatervorhang.

Und dann kommt unsere zweite Taxi-Erfahrung: fast die gleiche Strecke wie gestern, wir rechnen mit 10-15 Lari. Aber der Fahrer will 40 haben. Monsieur sagt einfach nur nein und da kostet es dann nur noch die Hälfte. Immer noch zu viel wahrscheinlich, aber man muss auch gönnen können.

 

 

Sic transit – oder so

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Rezo erteilt uns gleich eine kleine Lektion in „Sic transit“: die Transitstraße vom Flughafen in die Hauptstadt wurde in den 60ern für einen Besuch Breschnews angelegt, hört aber inzwischen auf den Namen George-Bush-Allee, „Papa-George“, wie er uns noch schnell versichert. Das Marx-Engels-Lenin Institut ist heute ein Luxushotel. Dafür tagt im ehemaligen Zarenpalast das Jugendparlament. Und auf dem Mtatsminda, dem heiligen Berg steht neben dem Fernsehturm ein Riesenrad.

An diesen Zeitgeistwandelzeugen sausen wir im Auto vorbei auf dem Weg zu Mutter Kartli, einer riesigen sowjetsozialistischen Figur, die schützend oder wachend auf einem Bergrücken über Tiflis steht. In der einen Hand hält sie eine Schale Wein – für unsere Freunde -, in der anderen ein Schwert. Rezo grinst: Für die Feinde … und winkt Richtung Nordosten.

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Der Blick von Mutter Kartli geht über das arabische und jüdische Viertel zu ihren Füßen zu der hochmodernen Friedensbrücke und dem seltsamen Knoten des modernen Theaters auf der anderen Seite des Flusses. Eine Seilbahn führt in der Nähe von der Festung Narikala nach unten, aber wir laufen zu Fuß hinunter und landen fast automatisch im Viertel der Schwefelbäder. Dem Gründerkönig mit dem schier unaussprechlichen Namen Wachtang Gorgassali fiel dort ein erlegter Vogel in eine heiße Quelle und tauchte gegart wieder auf. Bevor König Wachtang sich überlegen konnte, ob er damit zum Erfinder der Niedergar-Methode werden würde, wurde der Vogel wieder lebendig und flog davon. Der König schloss aus alle dem, dass das eine ziemlich coole Gegend sein müsse und er hier seine Hauptstadt anlegen sollte. Folgerichtig  nannte er sie dann „Heißer Platz“. Und fing – wie bei Königs so üblich – erstmal mit der Festung an. Anscheinend war die Wohnlage sehr beliebt, denn es gab ein dauerndes Hin und Her von Eroberern. Und während Rezo mit deutlichem Stolz auf das friedliche Nebeneinander der armenischen, jüdischen, arabischen und georgischen Stadtteile am Fuß der Festung hinweist, war das nicht immer so. Die Mongolen hatten es nicht so mit Integration und Toleranz. Wer nicht ihren Glauben annehmen wollte, wurde aufgefordert, von der damals einzigen Brücke zu springen. Was Tiflis dann die 100000-Martyrer-Brücke bescherte.

a5Bevor wir aber über deren moderne Version laufen, tauchen wir ein in das Gässchen-Gewirr der Altstadt. Restaurants, Cafés, Sisha-Bars, alle noch zu gegen Mittag. Mitten drin die Sioni-Kathedrale und mitten darin eine Braut in 20 cm hohen Highheels (und weißem Kleid natürlich). Wahrscheinlich hat ihr Bräutigam das mit dem „Auf-Händen-tragen“ wörtlich nehmen müssen beim Pflaster der Gässchen drum herum. Die Sioni-Kirche ist für mich noch nicht so das Ahhh-Erlebnis, das kommt einige Straßenecken weiter. Die Antschischati-Basilika versteckt sich hinter einem türkischen Torbogen, ist klein, dunkel und aus zyklopenhaften Steinen aufeinander gesetzt. Davor ein kleines Café unter einer Weinpergola mit hausgemachter Limonade. Und um die Ecke das augenzwinkernde Haus des Marionetten-Theaters mit seinem herrlichen Uhrenturm. Eine zauberhafte halbe Stunde im Schatten folgt.

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Vor der Metechi-Kirche sitzt der Niedergar-König auf einem Knubbel-Pferd. In der Metechi-Kirche bekommen wir zwei Hochzeiten gleichzeitig mit einem Priester, der sozusagen parallel traut. Und sich dauernd am Kopf kratzt.

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Als Abschluss der heutigen Stadtführung steht die Sameba-Kathedrale, die vor allem eines ist: funkelnagelneu, groß und prunkvoll. Hier gibt es einen wahren Stau von Bräuten.

Heute Morgen konnten wir vom Hotel-Balkon aus schon die vergoldete Turmspitze sehen. Und waren uns fast sicher: das ist so gar nicht unser Stil. Stimmt.

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Aber Kirchen und Gässchen sind das eine, Menschen das andere. Man soll ja nichts auf Äußerlichkeiten geben, aber diese Augen, diese Wimpern! Und so neugierig-freundlich. Natürlich kommt die Frage: Where from? in der klitzekleinen Weinbar mit drei Tischen. Und dann auf unsere Antwort: „Meine drei Lob-Städte in Deutschland: Bremen, Nürnberg und München. Aber Bremen meine Aller-Lob-Stadt.“ Und was und wie lange wir denn Georgien besuchen wollten. Ich zähle unsere Stationen auf, er nickt immer zustimmend, bis ich dann Armenien erwähne. Das würde sich nicht lohnen, ganz kleines Land und die Kirchen wie hier. Wir sollten lieber in Georgien bleiben, da gäbe es so viel mehr zu sehen.

Lustigerweise ist Bremen auch die Lieblingsstadt des Taxifahrers, den wir nach langem Überlegen am Abend für den Rückweg  bergauf anhalten. Im Reiseführer steht so einiges an Warnungen zum Taxi fahren, wir können den Namen des Hotels und der Straße nicht korrekt aussprechen, aufschreiben in den freundlich-runden Kringeln schon gar nicht. Ist alles kein Problem, ich nenne das Hotel, er sagt: Ah, Hotel … my friend works there. Dann hört er uns Deutsch sprechen und ist hoch erfreut: Deutschland wäre toll und am tollsten wäre Bremen, wo sein Bruder vorletztes Jahr geheiratet habe. Dann schnurrt er eine ganze Reihe deutscher Städte herunter, die er besucht und die ihm gefallen haben. Woraufhin wir gestehen müssen , dass wir in Georgien erst mal nur Tiflis kennen, dass uns das aber sehr gut gefällt. Wenig später setzt er uns unter weiteren Lobesliedern auf Berlin und Potsdam vorm Hotel ab. Und verlangt dafür 5 Lari. Das sind umgerechnet etwa 1, 70 €. Für zwei, bergauf.

Dafür kann man das doch wirklich nicht selber laufen.

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