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Muss ja nicht immer Säulen sein

Monsieur und Französisch sind ja immer noch nur „Fast beste Freunde“. Vor Jahren hörte er zwei inkompetente Handwerker im Weggehen sagen, halb bewundernd, halb herablassend: „Das muss einer von ganz oben sein, der konnte uns ja noch nicht mal auf Französisch runterputzen.“ Monsieur hatte sich das damals sehr zu Herzen genommen und seinen Sprachschatz erweitert. Inzwischen kann er inkompetenten Handwerkern ziemlich genau sagen, was ihm missfällt und warum. Mit den Feinheiten der Aussprache und Grammatik steht er allerdings immer noch ein bisschen auf Kriegsfuß.

Dafür kann er solch Wortungetüme wie „Rhombicuboctahedron“ spontan fehlerfrei aussprechen. Nicht nur das, er kann auch mit fragend gehobener Augenbraue nicht verstehen, warum mir das selbst im dritten Anlauf nicht gelingt.

Wir sind in einem ganz wunderbaren kleinen Museum zu den Errungenschaften griechischer Technologie, muss ja nicht immer Säulen sein. Die haben wir auch noch auf dem Plan, aber später.

Dieses Museum – ein umgebauter venezianischer Palast – zeigt Computer, Automaten, fliegende und fahrende Gerätschaften und allerlei wissenschaftliche Spielereien der alten Griechen. Monsieur ist ganz in seinem Element. Lässt sich von der jungen Dame in zwei Experimente verwickeln und sinniert lange über den Mechanismus eines anderen Objektes nach. Ich bin ein kleines bisschen schockiert, dass einige der Mechanismen von Wissenschaftlern entwickelt wurden – wie die sich „durch Götterhand“ selbständig öffnenden Tempeltüren -, damit die Priesterschaft die Gläubigen manipulieren konnten. Für mich geht das nicht mit dem Ethos des Wissenschaftlers, der reinen Forschung überein. Monsieur zuckt nur die Schultern: „Wenn du Funding brauchst…“ deutet er an.

Wir spielen und wundern uns durch die zwei Etagen dieses kleinen Museums, das – muss ich das überhaupt erwähnen? – ein ganz bezauberndes Café in den Mauernischen seiner Palastfensters hat, mit Blick aufs Meer.

Einen noch besseren Blick auf das Meer und den Hafen haben wir vom Dachlokal ein paar Häuser weiter, wo wir in Mezze schwelgen: ein paar Tintenfischarme, ein paar marinierte Anchovis, gebackener Käse und feine Filoteigröllchen, gefüllt mit Fenchelgrün und Feta.

Dann heißt es wieder Siesta im Hotel. Das Hotel ist eine mittlere Enttäuschung. Im Reiseführer stand etwas von alteingesessen und schön renoviert, am Rande der Altstadt und mit Blick aufs Meer. Stimmt alles, ist aber nur die halbe Wahrheit. Zwischen dem Meer und dem Hotel liegt eine vierspurige Straße und hinter der Straße eine Partymeile, die bis Mitternacht schrecklich laute, danach bis zwei Uhr früh nur noch ziemlich laute Musik wummern lässt. Was der Reiseführer auch zu erwähnen vergaß, ist die Tatsache, dass ganz Heraklion direkt unter der Schneise für startende Flugzeuge liegt. Gestern Morgen, beim Frühstück im gläsernen Dachpavillon, sah ich ein Flugzeug fast die Dächer der Wohnhäuser am Stadtrand berühren. Sicher nur ein Trick der Perspektive, der Lärmpegel war real.

Bei geschlossener Fenstertür geht das alles, aber dann hätte ich auch kein Zimmer mit Balkon gebraucht.

Unsere Siesta ist eh nur kurz, wir wollen um 16:20 den Bus 2 nach Knossos nehmen. Das Paar am Nachbartisch hat uns heute Morgen Horrorgeschichten vom stundenlangen Anstehen nur für die Kasse erzählt und vom völlig überlaufenen Palastgelände. Dafür hätten sie beim Herumgeschoben-Werden zwischen den diversen Besuchergruppen immer mal wieder den ein oder anderen Satz einer Führung mitbekommen.

Stundenlang Anstehen kann Monsieur nicht und in Massen herumgeschoben zu werden mögen wir beide nicht.

Also wenden wir den Trick an, den wir in Istanbul gelernt haben und tauchen erst am späten Nachmittag auf. Jeder Reisebus, der unserem Stadtbus auf der Fahrt entgegenkommt, freut uns: einer weniger!

Der Stadtbus hält auf dem – fast völlig leeren – Parkplatz direkt vorm Kassenhäuschen. Wir müssen nur einen etwas aufdringlichen Möchtegern-Führer abwimmeln und haben fünf Minuten später unsere Tickets. Eine einzige Gruppe ist vor uns unterwegs, ansonsten sind nur noch wenige Menschen im riesigen Gelände verteilt.

Unsere Historikerin hat uns vor Reisebeginn mitgegeben, dass wir von Knossos nicht zu enttäuscht sein sollten und uns für das „echte“ In-alten-Ruinen-Rumstöbern-Erlebnis den Palast von Malia ans Herz gelegt. Das haben wir fest eingeplant für Sonntag, wenn wir mit unserem Mietwagen von Heraklion aus auf die Lassithi-Hochebene fahren werden, unserem Standort für die nächsten vier Tage.

Deshalb können wir relativ unbeschwert die Beton-Rekonstruktionen des Herrn Evans beäugen, seine nachempfundenen Fresken bewundern und die schiere Größe der Anlage kontemplieren. Das wird uns leicht gemacht durch die Tatsache, dass weite Teile für Renovierungsarbeiten abgesperrt sind. Wir können also von oben auf das Gewirr von Mauerresten und Holzstegen, Treppen und originalen Steinplattenwegen schauen, ohne jedes Mal abwägen zu müssen, ob das für Monsieur machbar ist.

Etwas verwirrend finden wir den Evakuierungsplan, der uns bei Feuer weg vom freien Gelände auf die Fluchtwege durch die Wälder ringsum um die Palastanlage führen will, das scheint mir doch sehr kontraproduktiv und unsinnig. Monsieur widerspricht: „Das ist nicht unsinnig, das ist sicher gesetzlich so vorgeschrieben.“ Also doch kein Widerspruch in sich.

So kommen wir langsam und sehr entspannt an den falschen Säulen, den falschen Fresken und den vielen beeindruckend großen Amphoren vorbei zum von Evans so genannten Theater und stehen kurz darauf doch recht überrascht vor dem „Exit“ Schild. Das Museumscafé lockt uns diesmal nicht so recht und als kurz darauf der Bus auf den Parkplatz fährt, nehmen wir das als ein Zeichen. Der Busfahrer lässt uns mit einem Schulterzucken einsteigen, schließt die Türen und fährt dann zur offiziellen Haltestelle ein paar Meter weiter.

Um Viertel nach sechs sind wir wieder an unserer Ausgangshaltestellen. Knossos in zwei Stunden, Hin- und Rückfahrt eingeschlossen, das ist sicher ein Rekord.

Die Café-Situation in Heraklion

Das erste Café liegt sehr schön. Gut, es ist Selbstbedienung und der Kaffee kommt in diesen unsäglichen Pappbechern mit Plastikdeckel –„For your own safety, ma’am, it’s hot“ – dafür sitzen wir im Schatten großer Bäume neben den Ruinen eines alten Klosters. Zu sehen gab es vorher im Archäologischen Museum auch schon einiges. In den ersten Sälen hauptsächlich kleine Stiere aus Ton. Kreta und Stiere, das ist ja fast unvermeidbar, Europa und der Stier, Minos, der Minotaurus. Hier treten die Ton-Stiere in großen Herden auf, alle sehr ähnlich, mit leicht verwundertem Ausdruck und alle mit diesem Hauch von: „Töpfern für Anfänger: Plastisches Gestalten I, Dienstag, 19-21:00, Raum 23, zweite Etage“ der Volkshochschule von Dingenskirchen.

Neben den Stier-Herden werde riesige Ton-Amphoren mit fröhlichen Tintenfischen ausgestellt und weitere schöne und nützliche Dinge des täglichen Lebens. Ein paar Säle weiter haben die Menschen die Bronze- und Eisenherstellung gemeistert und zeigen, dass es Stiere auch in diesen Materialien geben kann. Dazwischen gibt es dann von allem etwas, für jeden Geschmack.

Von exquisiter Kunst – die Schlangengöttinnen – über meisterhaft verspielten Schmuck – der Bienen-Anhänger – zu etwas scheel-äugigen Löwen und ganz allerliebsten Mini-Maus- und -Eichhörnchen-Figuren, aus Eisen gegossen.

Wie verschieden die Geschmäcker sind, zeigt mir Monsieur, der langsam von Vitrine zu Vitrine humpelt – Rollstuhl war aus – und ab und an den Stuhl einer Aufpasserin „squattet“. Er steht sinnierend vor einem Greifen-Relief und meint dann versonnen: „Den könnte ich mir gut als Haustier vorstellen…“ Ihr seht, was ich meine? Ich nämlich nicht, absolut nicht!

Natürlich bleibt bei so viel zu Schau gestelltem Reichtum nicht aus, dass über dessen Verteidigung gegen missgünstige Nachbarn nachgedacht werden muss und so gibt es auch Vitrinen über Vitrinen mit Waffen und prunkvollen Rüstungen.

Die Pause im Café stärkt uns für den zweiten Stock mit den exquisiten Fresken. Ich bin ganz hingerissen, mit welcher Akribie Archäologen kleinste Teile der Fresken geborgen und restauriert haben und mit welch überbordender Fantasie (unterstützt natürlich von großem Wissen und viel Erfahrung) sie diese winzigen Puzzleteilchen zu großen Gemälden ergänzt haben.

Nach so viel Schönheit brauchen wir erstmal eine Siesta im Hotel, bevor wir uns von Café zu Café durch Heraklion hangeln. Das erste Café gibt es als Vorschuss vor den venezianischen Hafenanlagen. Industriearchitektur vom Feinsten und daher – wie meistens – vor allen Dingen beeindruckend groß.

Das Eis-Café zählt nicht so recht, da wir uns nicht hinsetzen, sondern nur um den dazugehörigen Brunnen schlendern, bevor wir im Gässchen-Gewirr hinter Sankt Minas ein hübsches Café unter einem Bougainvillea-Dach finden. Der frisch gepresste Orangensaft gibt uns so viel Elan, dass Monsieur nun nach der wirklich sehr schönen und wundervoll ruhig gelegen Matthäus-Kirche zu den Festungswällen will.

Ich biete ihm mehrere schöne Cafés rechts und links der kunstvoll mit Street Art verzierten Sträßchen an, aber er ist stur. Nur, zum Grab von Nikos Kazantzakis hochzusteigen weigere ich mich dann doch, Alexis hin und Sorbas her. Dafür biegen wir am Jesus-Tor durch die massiven Wälle wieder ab und lassen uns in einer Gasse hinter dem Bembo-Brunnen in einer Mezedopoleia auf die Stühle fallen.

Bis dahin war der Tag schon sehr schön, unerwartete Begegnungen inklusive. Wir treffen doch auf erstaunlich viele Menschen, die an Krücken laufen, den Fuß, den Unterschenkel in diesem Plastikstiefel. Die meisten grinsen und heben grüßend eine Krücke an. Entweder ist Kreta ein gefährliches Pflaster, was die Fußgelenke angeht, oder Monsieur trägt das Fashion Accessoire des Herbstes.

Auf unserem Rückweg, sehr langsam und vorsichtig, kommen wir an einem winzigen Häuschen vorbei und Monsieur seufzt: „Ich lass dich dann mal.“ Die Fenster des Häuschens sind bis obenhin gefüllt mit Trödel und Antiquitäten und das Licht im noch winzigeren Innenhof zeigt, dass der Laden noch auf ist. Zwei ältere Männer, selber auch schon fast Antiquitäten, schauen von ihrer Unterhaltung auf, als ich eintrete. Der eine macht eine eher vage Handbewegung Richtung Haus und folgt mir dann. Als ich ihm sage, was ich suche, öffnet er eine Schublade und holt einen Karton voller Glitzerkram hervor. Fängt an zu kramen und zu graben, einzelne Kristall-Anhänger auszulösen oder ganze Stränge von alten Kristallleuchtern zu entwirren.

Zwischendurch wirft er seinem Freund eine Frage zu und der wirft das englische Wort zurück, verbales Pingpong. Monsieur kommt dazu, begutachtet meine Auswahl, da legt der Trödler noch einen richtigen Glasklunker drauf mit: „Real diamond!“ und nennt seinen Preis. Ich frage lachend, ob da der Bodyguard für den Transport der Kostbarkeit mit inbegriffen ist und der spannendste Teil, das Feilschen, beginnt. Schließlich sind wir beide zufrieden und kehren zurück zum Hof, wo Monsieur und der Freund in eine intensive Diskussion über die „antike“ Elektroinstallation an der Wand vertieft sind. Schalter, Stecker und Verteiler sind als schmückendes Collier an alten Leitungen arrangiert.

Wir bekommen noch eine Menge seiner Schätze gezeigt, antike Teppiche über eine wacklige Treppe im Obergeschoss – ohne Monsieur-, wahllos hingelegte Gemälde, alte Fotografien und und und…

Weil ich etwas gekauft habe, darf ich auch fotografieren, trotz „no photos, please“. Unsere Gastgeber halten sich selbst auch nicht daran und wollen schließlich noch ein Foto von uns allen Vieren machen, bevor sie uns mit dem „real diamond“, aber ohne Bodyguard, unserer Wege ziehen lassen.

Also, was die Café-Situation angeht, war Heraklion ein voller Erfolg. Knossos, morgen, hat nur ein einziges Café. Das wird schwierig, fürchte ich.

Sh*t happens

e1Stoa hin und Stoa her, es gibt Tage, die eher der philosophischen Schule des Sh*t happens anhängen.

Heute Morgen will ich Monsieur meine top five von Thessaloniki zeigen. Aber damit auch für mich noch etwas Neues dabei ist, wollen wir mit der Osios David Kirche des alten Latamou-Klosters anfangen. Ganz uneigennützig ist der Vorschlag nicht. Dieses Kloster liegt in einem Gewirr engster Gässchen, in die kein Taxi vordringen kann. Und mein Stadtplan auch nicht. Ich habe ja nur ein Dummphone, ein Handy, das sich in seiner Dummheit (oder Weisheit?) aufs Telefonieren beschränkt. Für so diffizile Aufgaben wie der Orientierung in schmalen Gässchen kommt mir Monsieurs Lebensgefährtin dann aber ganz zupass. Damit Monsieur gar nicht erst auf den dummen Gedanken kommen kann, da zu Fuß hoch laufen zu wollen, stoppe ich ein Taxi und halte meinen Zeigefinger auf den Stadtplan. Der Taxifahrer nickt und erklärt dann wort- d.h. eher gebärdenreich, dass er uns in die Nähe fahren kann, wir den Rest aber – Zeige- und Mittelfinger werden wie im Laufschritt bewegt. Wir verstehen.

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Die kleine Kirche, von der wir uns viel erwartet hatten, ist dann eher enttäuschend. Unesco-Weltkulturerbe wohl deshalb, weil sie einen wichtigen Wendepunkt in der Architekturgeschichte darstellt. Von dem aber in dem, was heute übrig ist, fast nichts mehr zu erkennen ist. Trotzdem liegt das Kirchlein sehr schön, mit Blick auf die Bucht, und wir wissen nun, dass wir uns nicht sagen müssen: Hätten wir in Thessaloniki doch nur noch…

Von dort aus geht es bergab, meinem Stadtplan nach. Monsieur wirft ab und an einen Blick auf seine Lebensgefährtin, bis ich ihm die Vertrauensfrage stelle. Er ist ein kluger Mann und steckt sein Handy weg. Der Stadtplan und ich, das ist eine ganz besondere Beziehung. Meist sind die kostenlosen Pläne, die man im Hotel oder in der Tourist-Information erhält, nicht von allerbester Qualität, ein DIN A 3 Blatt, gefaltet, bunt bedruckt. Und mit jedem Auseinander- und Zusammenfalten leidet der Plan ein bisschen. Die Faltkanten werden weich, brüchig, fransen aus. Die Farben bleiben an der Fingerkuppe haften. In der Mitte des Plans tun sich Löcher auf, die sich zu Rissen erweitern, bis man dann gelegentlich mehrere Plänchen in der Hand hält. Für mich sind das die Zeichen, dass ich mich mit einer Stadt auseinandergesetzt habe, mir die Mühe gemacht habe, sie zu erleben, sie ein bisschen kennen zu lernen. So etwas kann doch ein simples Smartphone nicht ersetzen.

Ich zeige Monsieur das Alatza Imaret, lade ihn zum Kaffee im Badehaus ein und führe ihn in die Unterwelt der Agios Dimitrios. Wo er dann die Fotos macht, die ich vorgestern so gerne gemacht hätte. In einer Seitenstraße finden wir ein „Poeten-Café“. Nicht nur, dass die Karte handschriftlich in ein kleines Schulheft eingetragen ist, die Gäste sollen sich frei fühlen, auf den leeren Seiten eigene Gedichte einzutragen.

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Und dann wird meine top five Liste doch arg zusammen gestrichen. Panagia Acheropiitos, die Monsieur, sich verhaspelnd, zu Panagia Archaeopteryx macht – und das bleibt dann haften – ist schon geschlossen und ich kann ihm nicht die Schicht-Mosaiken zeigen. Von den lustigen Ofenrohren ganz zu schweigen. Da waren es nur noch top four. Aber die dunkle Schönheit Agia Sofia hat auch schon die Tore geschlossen. Wieder geöffnet um 18:30. Abfahrt zum Konferenzdinner: 19 Uhr. So wird das nichts mit dem Besichtigen heute.

Das Konferenzdinner soll in einem Strandrestaurant einige 20 km südlich von Thessaloniki stattfinden. Der erste Bus kommt, füllt sich und fährt um 19 Uhr. Wir warten auf den zweiten, der nach einer halben Stunde endlich anrollt. Doch statt die Türen zu öffnen, diskutiert der Fahrer ziemlich aufgebracht durchs Fenster mit einem der Organisatoren. Währenddessen jagt eine Kavalkade Motorradpolizei an uns vorbei. Endlich können wir einsteigen, aber der Fahrer ist so schlecht gelaunt, dass er keinen anschaut und auch nicht auf Begrüßungen reagiert. Es geht los, doch nach einigen Hundert Metern ist die Straße blockiert. Zwei Mannschaftsbusse der Polizei stehen quer über die vierspurige Ausfallstraße, davor eine Sitzblockade von Demonstranten, kritisch beäugt von Motorradpolizisten. Wer auch immer da demonstriert, meine Sympathie hat er. Aber wohl nicht die des Busfahrers, der jetzt auf der Einbahnstraße wenden und sich durch enge, zugeparkte Gässchen in die Parallelstraße zwängen muss. Dort geht es auch kaum vorwärts. An der nächsten Ampel sehen wir den Grund. Die Polizei hat die Straßen um die Demo auf der Strandpromenade herum weiträumig abgesperrt und der ohnehin schon chaotische Verkehr kommt fast vollends zum Erliegen. Statt an der Strandpromenade entlang zum Ziel zu fahren, quält sich der Bus nun unendlich langsam durch die Stadt, bis wir dann auf die Autobahn und in einem sehr weiten Umweg wieder ans Meer kommen. Wir durchqueren einen kleinen Ort, in dem eine Hochzeit aus dem Hof der Gastgeber auf die Straße heraus quillt. Das Brautpaar steht inmitten blauweiß gedeckter Tische und eine kleine Armee von Freunden oder Verwandten wendet Spießchen auf Holzkohlegrills. Auf dem Rückweg hat die Feier dann endgültig die gesamte Straße erobert, aber da haben wir einen anderen Busfahrer, der das genauso amüsant findet wie wir. Kurz vor neun Uhr kommen wir am Ziel an. Die Tische sind nun schon alle besetzt, das Büffet nur noch lauwarm. Aber unten am Strand stehen Tischchen und Stühle und da sitzen wir dann in einer lauen Sommernacht, die Füße fast im Wasser. Gibt Schlimmeres. Gegen zehn Uhr kommt schließlich der letzte Bus an, den das oben erwähnte Prinzip besonders hart getroffen hat. Aufgrund der Absperrungen ist der Bus erst um acht Uhr vorm Hotel erschienen und – kaum losgefahren – mit Motorschaden liegen geblieben. Es dauert eine Stunde, bis der Ersatzbus durchkommt und eine weitere Stunde, bis er endlich am Ziel ist. Das Büffet – vielmehr die Reste – sind nun natürlich kalt. Aber immerhin kommen sie gerade rechtzeitig zur Darbietung der Volkstanzgruppe, die zum Programm des Abends gehört. In wunderschöne Trachten gekleidete Frauen und Männer zeigen das seltsame Balzverhalten des ländlichen Makedoniens. Erst tanzen die Damen, weißes Taschentuch in der Hand, rechts herum, dann die Herren, weißes Taschentuch in der Hand, links herum. Dann das Ganze umgekehrt. So geht es eine Weile, ohne dass es zu einer Berührung, nicht mal der Fingerspitzen, kommt. Da aber die Makedonier nicht ausgestorben sind, wird diese Art des Werbens schon zum gewünschten Ziel geführt haben.

Die Rückfahrt ist dann bis auf die „Straßensperre“ der Hochzeit völlig reibungslos. Allerdings  setzt uns der Bus ein paar Hundert Meter vorm Hotel ab, da die Promenade immer noch durch die Demonstration gesperrt ist.

Am nächsten Morgen erfahren wir, dass dort Flüchtlinge durch die Sitzblockade auf ihre ausweglose Situation in griechischen Lagern aufmerksam machen wollten.

Und damit wird all der „sh*t“, der uns gestern „happened“ völlig belang- und bedeutungslos.

 

Schwarmintelligenz

(Keine Fotos heute)

Die Stoa lehrt uns, unser Schicksal ruhig und gelassen, also stoisch, anzunehmen – habe ich jetzt noch mal schnell auf Wikipedia nachgelesen. Heute ist nämlich ein Tag philosophischer Erleuchtung. Fängt an mit zwei Vorlesungen, die die Organisatoren vor die Exkursion gelegt hatten. Zum einen zu Aristoteles‘ Verständnis von Realität, zum anderen zu den Königsgräbern in Vergina. Aristoteles bekommt es gleich mit der Realität zu tun, als der Sprecher feststellen muss, dass sein Vorgänger aus Versehen die Fernbedienung für den Beamer eingesteckt hat und er uns somit seine Präsentation nicht zeigen kann. Als dieses kleine Problem gelöst ist, geht es los mit Platos Einfluss auf Aristoteles. Dann kommt Aristoteles Definition von Wissen und dann ein nahtloser Übergang zur Thermodynamik. Ab und zu finde ich so etwas ja richtig gut, so eine kleine Lektion in Demut, die mir mal wieder zeigt, wie wenig ich weiß und verstehe. Auch die Königsgräber haben ein Problem, da der eingeladene Archäologe aus familiären Gründen absagen und die Organisatorin deshalb schnell eine Präsentation zusammenstricken muss. Schwerpunkt ist nicht die Information zu den Gräbern, sondern der Hinweis, dass Makedonien immer schon griechisch war, ist und sein wird, dass seine Bewohner, seine Sprache und Kultur immer schon siehe oben und dass niemand das Recht hat, etwas anderes zu behaupten. Dieser ganz offensichtlich heikle Punkt wird mehrmals aufgegriffen.

Dann wird das Plenum aufgefordert, am Ausgang der Halle sein jeweiliges Lunchpaket zu schnappen und sich zu den Bussen zu begeben. Unser Bus schaukelt uns erst mal sehr langsam durch die Dauerbaustelle der U-Bahn und dann durch wenig ansprechende Landschaften zu einer Halva-Fabrik. Das ist wohl als Gegengewicht zu zuviel kulturellem Input gedacht. Jeder bekommt vor der Besichtigung ein Haarnetz zugeteilt. Und nein, es ist kein Trost zu wissen, dass alle anderen genauso bescheuert aussehen mit diesem Ding auf dem Kopf. Wir gehen durch mehrere Räume, in denen Halva und Baclava hergestellt werden und der bleibende Eindruck ist: furchtbar heiß, furchtbar laut und schon beim Zuschauen anstrengend. Meine Hochachtung den Arbeitern und Arbeiterinnen. Im zweiten Teil der Führung gibt es natürlich die Verkostung dieser süßen Teile. Egal, wie weit wir heute laufen, es wird sicher nicht diese Kalorienbomben aufwiegen.

Dann kommt unsere Lektion in Stoizismus. Der Bus bringt uns zu Aristoteles‘ Schule, vorbei an einem Hinweisschild zu eben dieser, auf einen großen Parkplatz. Wo unsere zwei Busse nebenbei bemerkt die einzigen Fahrzeuge sind. Die zwei jungen Studentinnen, die für die Führung zuständig sind, schauen sich etwas hilflos um, telefonieren und schlagen dann einen unbefestigten Feldweg ein, der in glühender Hitze steil bergauf führt. Der gesunde Menschenverstand hätte einem sagen können, dass das nicht richtig sein kann. Im Bus waren Blätter mit Informationen ausgeteilt worden. Da war die Rede von schattigen Tälern, von Quellen und Nymphen. Und ich glaube nicht, dass staubige Feldwege in der job description einer Quellnymphe vorkommen. Hundert Leute sind aber zu höflich, die jungen Mädchen mit ihren Zweifeln zu konfrontieren und so quälen wir uns in der Hitze den Berg hoch. Eindeutiger Beweis dafür, dass Schwarmintelligenz beim Menschen nicht funktioniert. Nachdem wir eine halbe Stunde gelaufen sind (eigentlich zu der Uhrzeit, zu der wir wieder am Bus sein sollten), tauchen rechts und links sei Bauruinen mit einer Meute kläffender Hunde auf. Die Mädels haben wohl jetzt selbst Zweifel bekommen und befragen einen Mann, den der Terror seiner Hunde aus dem Haus gelockt hat. Der bleibt erstmal verwundert vor seiner Besuchermenge stehen und holt dann aus. Seine Armbewegung umfasst eine Menge Gegend, Olivenhaine, Bergkuppen, dazwischen liegende bewaldete Täler. Die Mädels müssen erkennen, was uns eigentlich schon längst klar war: wir haben uns verlaufen. Und stoisch machen wir uns wieder an den Abstieg. Nicht ohne einigen der außereuropäischen Konferenzteilnehmer, die wie wild die Bauruinen als vermeintliche Schule des Aristoteles fotografiert hatten, ihre Illusion zu nehmen. Unten im Tal, auf der anderen Seite des Parkplatzes gibt es eine Quelle unter riesigen Eichen, dazu zwei Bänke und in der Ferne das oben erwähnte Hinweisschild. Einige der Nicht-Physiker streiken einfach an diesem Platz. Sollen die Physiker hinlaufen – immer vorausgesetzt, die Mädchen kriegen es jetzt hin – ein paar andachtsvolle Tränchen verdrücken, wir gönnen es ihnen. Die Bilder auf dem Info-Blatt waren sowieso nicht sehr beeindruckend. Monsieur kommt zurück und hat ganze drei Fotos gemacht. Q.E.D.

Die Stimmung im Bus schwankt danach zwischen Stoizismus und Zynismus. Es wird andiskutiert, ob wir beim Exkursionsziel nicht erstmal eine halbe Stunde im Bus warten sollen. Natürlich haben wir das nicht getan. Und das ist auch gut so. Wir durften in den letzten Jahren so manch Schönes und Außergewöhnliches sehen, dieses Grab gehört sicher zu den Höhepunkten. Viele glückliche Umstände kamen zusammen. Das Grab wurde erst in den 1970ern entdeckt. Es war vollkommen unberührt, nicht geplündert. Professionelle Archäologen leiteten die Ausgrabung und Bergung der Schätze. Es waren der Willen und das Geld da, an Ort und Stelle ein besonderes Museum zu bauen. Das Museum liegt sozusagen im Grabhügel. Man geht durch einen Gang in den Hügel hinein, wo im Halbdunkel die immensen Goldschätze in ihren beleuchteten Vitrinen umso intensiver funkeln. Das Hauptgrab wird aufgrund der Funde Alexanders Vater, Philipp II,  ein zweites Roxanne und Alexanders jungem Sohn zugeschrieben. Die Vitrinen zeigen die Goldkisten, jede hergestellt aus über 25 kg Gold, die nach der Einäscherung die Knochen aufnahmen, darüber jeweils eine elaborierte Krone aus Goldblättern; Blüten und Bienen bei Roxanne, Eichenlaub, Zeus‘ Baum und damit ein Hinweis auf seine angebliche Abstammung, bei Philipp. Daneben eine Rekonstruktion der Totenbetten, von denen nur der Elfenbeinschmuck erhalten geblieben ist: Jagd- und Kampfszenen mit so fein gearbeiteten handgroßen Figuren, dass die Archäologen die Gesichter anhand klassischer Texte zuordnen konnten. Auch Philipps Rüstung und sein Prachtschild sind erhalten und das prunkvolle Geschirr, das dazu diente, ihn ein letztes Mal zu baden und zu salben. Das alles in einem fast völlig dunklem Raum mit nahezu sakraler Atmosphäre. Dann werden wir einen Gang entlang geführt und stehen vor der Tür des Grabes, so wie vor über 40 Jahren der glückliche Finder. „Wie ein Nobelpreis“ sei so ein Fund für einen Archäologen, erklärt unser Führer, selber Archäologe, und weist auf das große Problem hin. Die massiven Marmortüren sind tonnenschwer, aber das sei nicht was wahre Problem. Der gesprungene Türsturz darüber zeigt an, dass das ganze Gewölbe einbrechen könnte, wenn man die Türen zu öffnen versuche. In dieser Situation haben die Archäologen auf einen Trick ihrer ärgsten Konkurrenten zurückgegriffen. Grabräuber verschufen sich oft Zugang zu verschlossenen Gräbern, in dem sie den Schlussstein des Gewölbes aushebelten und sich dann von oben in das Grab abseilten. Auf diesem Weg wurden hier die Schätze geborgen und auf diesem Weg gelangen die Archäologen nach wie vor zu Forschungszwecken in das Grab. Über den Türen des Grabes würdigt ein Fresko den Toten, demonstriert aber auch die neuen Machtverhältnisse: Philipp wird gezeigt, wie er einen Löwen erlegt. Aber in der Bildmitte, hoch zu Ross, dominiert der neue junge König, eine klare Ansage.

Unser Führer bringt uns dann wieder zum Eingang zurück, nicht ohne anhand der griechisch beschrifteten Grabsteine, die man ebenfalls im Hügel gefunden hatte, noch einmal darauf hinzuweisen, dass die Makedonier griechisch schrieben, sprachen, dachten und dass – aber das hatten wir ja schon geklärt.

Wir sind wirklich begeistert von diesem Teil der Exkursion, doch schon bald flackern die nächsten Zweifel auf. Unser Bus quält sich ein so enges Bergsträßchen hoch, dass er an einigen Stellen stehen bleiben und mehrmals ausholen muss, um um die Kurven zu kommen. Als wir fast sicher sind, dass wir uns wieder verlaufen haben, taucht auf dem Hügel Estate Kalaitzis auf, das Restaurant, in dem wir auf der Terrasse zu Abend essen werden. Eine Live-Band spielt  griechische Musik. Der Blick ist grandios, die Stimmung auch. Eigentlich sollen die Busse uns um halb zehn wieder zurück nach Thessaloniki bringen, aber da wird dann erstmal nichts draus. Denn bevor sie uns zum Einsteigen auffordert, stellt die Organisatorin die Band und ihre Mitglieder vor. Die auf unseren Applaus mit einer Zugabe reagieren: den Sirtaki aus Alexis Sorbas.

Und damit ist dann vorerst nicht mehr die Rede vom Heimfahren.

Helden und anderes

Gustav Schwabs Sagen des klassischen Altertums fand ich als Kind ganz toll. Jede Menge „action“ und Helden, die deutlich exotischere Namen hatten als Siegfried oder Dietrich. Siegfried und Dietrich? Ich bitte Euch! Da muss man doch quasi zum  Helden werden, allein schon, um den täglich feixenden Nachbarskindern eins auf die Nase zu geben.

Wie gesagt, ich habe sie geliebt, diese Mythen und Sagen, bis eben jenes Alter kam, in dem man alles in Frage stellt. Gut, Robert Ranke-Graves mag daran mit Schuld sein, jedenfalls fiel mir irgendwann auf, dass die Helden dieser griechischen Sagen eben genau dieses waren. Helden: wie in Held, Komma, der, Komma, maskulin. Und dass diese Helden nur zwei Verhaltensmuster kannten: alles, was ebenfalls männlich war, wurde tot geschlagen. Was weiblich war, wurde – um in der euphemistischen Sprache der Mythen zu bleiben – geraubt. Und das sind die Mythen und Geschichten, auf denen – unter anderem – unsere abendländische Kultur aufbaut. Die Bekanntschaft mit Christa Wolfs Kassandra kam wie ein Befreiungsschlag. Achill das Vieh als Achill das Vieh bezeichnet zu hören, war fast eine Erleichterung.

Ich tue mich also etwas schwer mit den griechischen Mythen. Mit den historischen Persönlichkeiten der Antike ist es aber auch nicht einfacher. Zugegebenermaßen nicht mit den Philosophen, ich denke jetzt eher an die Kriegsherren. Diese Verherrlichung der Schlachten und des Abschlachtens ist mir einfach nicht nachvollziehbar. Deshalb ist das mit unserem nächsten Ziel ein bisschen schwierig. Formulieren wir es so: es ist die Stadt eines Vaters, dessen Sohn dadurch berühmt wurde, dass er jemanden in der Sonne stand.

logo_barwione5_miniDas kam jetzt vielleicht nicht so direkt durch zwischen den Zeilen, aber ich freue mich wirklich darauf, diese Stadt kennen zu lernen. Allerdings wird Monsieur mal wieder beschäftigt sein, so dass ihr bei den Fotos mit meiner Knipserei vorlieb nehmen müsst.