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In-Drive-Entertainement

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Die Blässhühner treibt es rückwärts über die Gracht vor dem Hotel. Die Osterglocken auf dem Grünstreifen dazwischen liegen flach auf dem Boden. Das hindert die Dame vor mir – Kleinsthund an kürzester Leine, damit er nicht wegfliegt – in keinster Weise daran, sich alle paar Schritte zu bücken und sich langsam, aber zielstrebig einen Blumenstrauß zusammenzuklauen.

Ich bin nun doch noch auf dem Weg zum Gemeentemuseum.

Nicht die VIP-Karawane gestern hat mich neugierig gemacht, sondern die Vielzahl von Bussen, die den ganzen Tag davor steht. Ein Blick auf die Internetseite bringt mich dazu, meine Meinung von gestern zu überdenken. Das Wetter tut dann das Seine.

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Kurz gesagt: es ist ein schöner Abschluss dieser schönen Tage in Den Haag. Jugendstilhallen mit klaren Linien heißen mich willkommen, bietet aber viele Überraschungen. Das Museum bietet mehreren bürgerlichen bis königlichen Wohnräumen Asyl, weil diese Neu- oder Umbauprojekten weichen müssen. Die erste Zeitausstellung rechts gibt mir nicht viel, aber immerhin Zugang zum Tuinzaal, dem überdachten Innenhof mit Museumscafé. Hier hängt unter dem Glasdach eines der faszinierenden  Strandbeests , zwar bewegungslos, trotzdem beeindruckend groß. Eine Jugendstiltür weiter erlebe ich mein blaues Wunder.

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Delfter Porzellan würde ich mir nie ins Wohnzimmer stellen, aber hier, in dieser geballten Menge an Objekten – von exquisit über bizarr zu unfreiwillig komisch – wirkt das Blau herrlich beruhigend und entspannend. Dann tauche ich ein in die Welt des Piet Mondrian. An den Wänden Bilder, die Mondrian gemalt hat, als er noch nicht wie Mondrian gemalt hat. Stillleben, Landschaften, Kühe im Regen, die ohne Weiteres so auch im Mauritshuis hätten hängen können. Dazwischen Möbelentwürfe, die schön anzusehen, aber vielleicht nicht wirklich bequem sind. Und dem Kinderstuhl eines Architektenfreundes hätte ich mein Baby bestimmt nicht anvertraut. Architekturentwürfe Mondrians und seiner Freunde zeigen die Aufbruchsstimmung der Epoche.

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Die Ausstellung entlässt mich voll positiver Energie, die eine Treppe höher etwas verfliegt. „Femme fatale“, da hat man gleich Bilder im Kopf. Die Zeitausstellung ist zweisprachig betitelt (NL/EN), aber in meinem Kopf tanzen immer drei Sprachen miteinaaa2nder und in denen ist „fatal“ doch sehr unterschiedlich konnotiert. Hinzu kommt, dass es sich um „Starke Mode für starke Frauen“ handelt, eh nicht mein Thema. Einige der Textaussagen finde ich gut – „Wenn eine Frau lächelt, sollte ihr Kleid auch lächeln.“ (. Vionnet) – einige der Kleider aus den 30ern wunderschön. Die meistens der Ausstellungsstücke aber beschwören sofort meine Mutter herauf: „Kind, so gehst du mir nicht aus dem Haus!“

Zum Glück geht die Mode nahtlos über in die Dauerausstellung zur Kunst des ausgehenden 19. Jahrhunderts und bei Monet, Van Gogh und Picasso kommt mein Puls wieder runter.

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Dem Museumscafé kann ich keine Chance geben, denn ich muss packen, auschecken, Taxi bestellen, Monsieur am Tagungsort abholen und nach Amsterdam bringen. Die holländischen Bahnen haben sich just diesen Samstag ausgesucht, die Strecke zwischen hier und Amsterdam für Bauarbeiten zu sperren und bieten einen – doppelt so langen – Umweg über Rotterdam an. Nein, danke. Wir wollen nach Hause, auf dem schnellsten Weg.

Natürlich hat unsere Airline andere Pläne und lässt uns nach einen „technical incident“ mal wieder eine Stunde länger herumstehen als geplant. Aber dann sind wir im Anflug auf Genf, die Alpen in voller Länge im Sonnenschein links von mir. Es dauert eine Weile, bis die Aussage zum Wetter durchdringt bei mir. Monsieur beugt sich vor und schießt ein paar schöne Fotos, lehnt sich zurück und erhält plötzlich von der anderen Seite des Ganges Handys angereicht.

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Irgendwann sitzen wir nach einem kurzen Sprint in der Tram. Kurz vor der Endstation beginnt das In-Drive-Entertainement. Mir gegenüber sitzt ein junger Mann, ganz schnuckelig anzusehen. „Oui, ma chérie,“ säuselt er ins Handy, „heute Abend koche ich für uns, Tournedos Rossini.“ Mein Magen grummelt in die kurze Stille. „Doch, doch, das ist ganz zartes Fleisch, ganz mager. Und oben drauf eine Scheibe Foie gras.“ Pause. „Gemüse?“, kommt es gedehnt von ihm, „doch ich esse schon Gemüse, aber…“

Wir sind an der Endstation und der Rest geht im Aussteigen unter.

Ich werde wohl nie erfahren, ob das mit den Beiden geklappt hat.

Genau wie bei Casablanca…

Mitarbeitermotivation

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Mitarbeitermotivation ist ja ein ganz wichtiges Thema. Ich z.B. war gestern fast gerührt zu sehen, mit wie viel Elan und Einsatzfreude das LSIP im Anflug aktiv war. Sehr motiviert! Gut, kurz darauf hatte die Motivation wohl eine kleine Flaute, denn wir waren, von kleinen spritzigen Nieselschauern mal abgesehen, fast trockenen Fußes unterwegs in Den Haag. Da möchte ich mich aber nicht unbedingt beschweren.

Heute Morgen ist der Regen in alter Frische da und hat den Kollegen Sturm dazu geladen. Es sieht so richtig scheußlich aus beim Blick aus dem Fenster. Mein Plan, an den Scheveninger Strand zu fahren und mir dort die Nordseebrise um die Nase wehen zu lassen, verliert bei jedem weiteren Blick an Attraktivität. Aber gut, testen wir mal, was LSIP ohne Supervision so anstellt. Ich verstecke mich im Keller. Zum einen, weil LSIP mich da nicht sehen kann, hauptsächlich aber, weil es da Frühstück gibt mit Pofferkes, Apfelkraut und anderen landesüblichen Spezialitäten.

Und siehe da, kaum bin ich weg, macht sich der Regen aus dem Staub. Ohne dem Kollegen Bescheid zu sagen, allerdings. Der Schlingel!

Mein Bus fährt vorm Gemeentemuseum ab, ein Museum, das mich nicht so richtig interessiert. Aber plötzlich biegt eine Polizei-Motorrad-Kavalkade um die Ecke, sperrt Kreuzung und Zufahrtsstraße ab und hält den Weg frei für eine lange Reihe dunkler Limousinen mit CD-Kennzeichnen. Der gesamte Verkehr steht still, bis die hohen Besucher sich gegen den Sturm aus den Tiefen der Wagen gequält haben. Vielleicht doch nicht so uninteressant, das Museum…

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Mein Bus bringt mich quer durch Scheveningen am Kurhaus vorbei zur Haltestelle Zwarte Pad. Wo dieser wohl hinführen mag, kann ich nicht herausfinden, alle Wege in die Dünen sind abgesperrt, nur ein asphaltierter Fußweg führt an den Strand. Ich weiß selber nicht so recht, was ich erwartet habe, das jedenfalls nicht. Der Strand sieht aus, als wäre vor kurzem die Fracht eines gekenterten Containerschiffs angeschwemmt worden: ein Container neben dem anderen. Also Augen streng nach rechts aufs Meer gerichtet, das sich auch wirklich viel Mühe gibt, trotz Ebbe „wild und aufgewühlt“ zu bieten. Der (oder das?) Pier verströmt – wie sage ich das jetzt – bei diesem Sturmhimmel einen eher morbiden Charme. Zwar dreht sich das Riesenrad langsam, hält aber in der ganzen Zeit, die ich es beobachten kann, nicht ein einziges Mal an. Irgendwie fällt mir dazu auch eher „Mutprobe“ als Vergnügungsfahrt ein. Der Sturm peitscht mir feinen Sand und Salzluft ins Gesicht, treibt Gischt über den Strand, lässt die Wellen an den Pfeilern des Piers bizarre Muster formen. Das alles hat schon seinen Reiz, ist aber auch extrem ungemütlich. Also kommt es zu einer kleinen Planänderung. Statt einer Strandwanderungen bis zum Scheveninger Hafen gibt es „all you can Bus“. Erst mit der einen Linie kurz in die eine Richtung, dann ein paar Mal umsteigen, bis ich am Hafen bin. Sturmumtost und steif gefroren ein bisschen Fernweh anträumen und dann wieder Bus bis zur nächsten Tram. Die aber die falsche ist, weshalb es nach zwei Haltestellen ein weiteres „Such die richtige Tram“-Spiel gibt. Mir ist nämlich kalt und das will ich ändern.

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Deshalb  bringt die Linie 16 mich spontangemäß – plangemäß wäre gelogen – zum Escher-Museum, wo es warm und trocken ist und man sich ein bisschen die Sinne verwirren lassen kann. Natürlich erst, nachdem ich mir im Museumscafé eine Pause gegönnt habe. Die meisten der Bilder kennt man ja, aber das ist nicht schlimm. Im zweiten und dritten Stock gibt es dann die „Escher-Experience“, kleine Experimente zu optischen Täuschungen. Das ist alles sehr liebevoll und spielerisch gestaltet, wenn auch nicht ganz ohne Tücken. Sich an Escher‘schen Rahmen vorbei zu bewegen, um im Film dann in diesen Rahmen zu erscheinen, das ist amüsant. Über einen Boden zu gehen, der Eschers Metamorphose animiert, verlangt ein bisschen innere Überredungskunst.

Zurück geht es ganz ohne Illusionen durch die prachtvollen Den Haager Straßen, die es irgendwie schaffen, reich, bürgerlich-selbstbewusst und stolz zu wirken und trotzdem gleichzeitig eine behäbige Gemütlichkeit auszustrahlen.

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Gestern habe ich die holländischen Konferenzteilnehmer gefragt, was denn typisch holländische Küche wäre und sie waren sich einig: indonesische Reistafel. Aber dann kam jemand mit „Borrels“. In der Brasserie, in die wir heute Abend eingeladen sind, wird das mit „Dutch tapas“ übersetzt. Klingt spannend.

Prettige Reis

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Zwischendurch habe ich ein paar Mal gedacht: „Ok, das wird heute nichts mit Den Haag!“ Fing an mit dem ersten Stau, den wir zwar eingeplant, aber unterschätzt hatten, so dass die 7:57er Tram uns vor der Nase wegfuhr. Die 8:06 kam zwar pünktlich, blieb dann aber 10 Minuten stehen, so dass das mit den Anschlussbussen etwas knapp werden würde. Wenn die denn gekommen wären. Zwei Linien wegen Autosalon verlegt, eine ganz gestrichen, aber irgendwie haben wir es zum Flughafen geschafft. Dafür wurde – einmal durch die Kontrollen – kein Gate angezeigt, obwohl Boarding kurz vor Abschluss sein sollte. „Ja“, sagt die Dame an der Information, „der Kapitän hat einen Streit mit dem Tower, an welches Gate er denn rollen darf.“ Genau diesen Moment sucht sich Monsieurs Lebensgefährtin aus, um fröhlich bimmelnd „Herzlich Willkommen in Aserbeidschan“ anzukündigen und zu fragen ob sie uns mit den tollen Tarifen des dortigen Handynetzes bekannt machen dürfe. Gefolgt von einer SMS unserer Fluglinie, dass der Backofen im Flugzeug kaputt sei und es keine Croissants gebe. Irgendwann legen Tower und Käptn ihre Differenzen bei und wir sitzen im Flieger. Für die nächsten anderthalb Stunde, immer mal wieder unterbrochen von Ansagen, dass sich der Abflug leider …

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Gelegentlich haben wir Pech mit unseren Mitreisenden. Auf einem der letzten Flüge saß hinter uns eine Dame, die in großer Lautstärke drei Stunden ununterbrochen über ihre Krankheiten geredet hat. Inklusiver intimer Details zu Fehlfunktionen ihrer eigenen Sanitärinstallation. Unglaublich, was man alles nicht wissen will. Diesmal sitzen auf der anderen Seite drei jüngere Frauen, die ihre Präsentation üben, erst auf Französisch, dann auf Englisch. Macht es auch nicht spannender

Im Anflug auf Amsterdam erfahren wir, dass aufgrund des heftigen Sturmes vier der sechs Landebahnen nicht frei gegeben sind und wir daher eine Warteschleife nach der anderen drehen müssen. Zuerst eine halbe Stunde im Sonnenschein über den Wolken, aber irgendwann muss der Vogel ja runter und es wird heftig. Von oben können wir LSIP bei der Arbeit beobachten, große Schwaden von Regenvorhängen. Der Sturm schüttelt den Flieger heftig durch, als wir eine weitere halbe Stunde unsere Schleifen – Südholland-Nordsee-Südholland-Nordsee – ziehen. Kleinkinder übergeben sich und die drei Frauen neben uns singen gemeinsam und lautstark gegen ihre Angst an.

Irgendwann landen wir dann doch, 2 ½ Stunden verspätet und merken sehr schnell, dass im Gegensatz zu unserem Flieger die holländische Bahn auf die Sekunde pünktlich ist. Nämlich genau die Sekunde, in der wir mit funkensprühenden Kofferrollen auf den Bahnsteig sprinten. Der Schaffner nickt nur mitfühlend und deutet lakonisch auf das Nachbargleis. Da fährt in drei Minuten der Bummelzug nach Den Haag ein. Was soll‘s, nach den 2 ½ Stunden kommt es auf weitere 50 Minuten auch nicht mehr an. Dafür wünscht uns die NS dann „Prettige reis.“ Das ist doch hübsch.

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In Den Haag disponieren wir um. Unser Hotel liegt eine halbe Stunde Tramfahrt entfernt, das Kulturprogramm beginnt in drei Stunden im Mauritshuis. Also schließen wir die Koffer ein und geben Den Haag die Chance uns zu überzeugen. Das tut es so bezaubernd und charmant, dass wir erst auf der Lange Voorhout vorm Escher-Museum merken, dass ich zwar noch schnell den ausgedruckten City-Walk-Plan aus dem Koffer gegriffen habe, den Text dazu aber nicht. Ich kann Monsieur also zielstrebig zu den schönsten Sehenswürdigkeiten führen, habe allerdings keine Ahnung, vor was wir gerade stehen. Den Haag erbarmt sich unserer mit kleinen Plaketten an den Häusern. Und bei dicken Königen auf dicken Pferden ist das eh einfach: da steht es meist in Großbuchstaben dran.

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Auf der ausgesprochen schönen Noordeinde merken wir, dass Kunst-, Design- und Schmuckläden zwar das Auge erfreuen, der Magen aber gar nichts davon hat. Ein paar Meter weiter gibt es ein niedliches Lokal, das mit einem saftigen Apfelstreuselkuchen da Abhilfe schafft. Wir blamieren uns ein bisschen, als wir nach dem Weg zum Paleistuin fragen, wobei wir es tu-ihn aussprechen. Die Kellnerin fragt drei Kolleginnen, keine kennt den Tu-ihn. Bis eine auf unseren Plan schaut und „Ach, den Töin!“ sagt. Nun gut, Hauptsache wir kommen dahin. Schaffen wir, vorbei an den Königlichen Ställen, wo die Pferdchen in beeindruckender Pracht hausen, geht es zum Palastgarteneingang. Da will ich es nochmal genau wissen und frage zwei junge Frauen – auf Englisch – wie man das denn nun korrekt ausspricht. Zurück kommt, – auch auf Englisch, aber mit ganz starkem schwäbischen Akzent – dass sie auch nicht von hier seien.

Die Groote Kerk ist Tourismus light, alle ihrer beeindruckend vielen Eingänge geschlossen. Und dann stehen wir auch schon im Binnenhof und wenig später vor dem Schloss.

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Es wird Zeit, das Handgepäck zu befreien und zum Treffpunkt im Mauritshuis zu laufen. Da stehen wir dann im eisigen Wind vor dem schmiedeeisernen Tor und einem jungen Mann mit Knopf im Ohr, der uns nicht hineinlassen will. D.h. uns schon, unser Handgepäck nicht. Auf gar keinen Fall. Wir diskutieren und argumentieren, lassen den Namen des Konferenzveranstalters und der übergeordneten Behörde fallen – nutzt alles nichts, er will nicht. Und dass nicht, weil – was wir verstehen könnten – er ein Sicherheitsproblem sieht, nein, die Schließfächer seien zu klein. Sie könnten doch ausnahmsweise mal … Nein, denn dann würde andere das auch wollen. Das ist der Moment, in dem Monsieur freundlich und ruhig fragt, ob er mal mit seinem Vorgesetzten sprechen darf. Der kommt wenig später, ist schon deutlich konzilianter, muss aber noch mit seinem Chef reden.

Und so kommt es, dass wir dann etwas später doch noch Aug in Aug mit dem Mädchen mit dem Perlenohrring stehen.