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Wie gesagt

…irgendetwas ist ja immer.

Jetzt haben wir 9 Tage dem norwegischen Herbst getrotzt, mit – meist – einstelligen Temperaturen, Sturm, Regen und sehr wenig Sonnenschein. Dafür gab es in jedem Hotel Kerzenschein und heimelige Atmosphäre. Auf dem Schiff waren es LED-Kerzen, aber der sanfte Schein in den skandinavisch-schönen Glaswindlichtern sorgte auch für Stimmung.

Zum Abschied gibt Norwegen noch einmal alles, im Positiven wie im Negativen: Regen und starke Windböen bei 6°, dafür eine Busfahrt zum Flughafen, pardon zum Lufthavn Kirkenes, entlang der norwegisch-russischen Grenze durch ein Naturschutzgebiet, Herbstfarben-Feuerwerk vom Schönsten, abgesetzt gegen riesige runde Granitfelsen mit Islandmoos-Fell.

Und ich bin jetzt so richtig auf „gemütlich“ eingestellt, träume vom Kaminfeuer, dass ich sofort nach dem Zur-Tür-Hereinkommen entfachen werde, überlege, wo ich Kerzen und Windlichter aufstelle, Hauptsache viele, schmecke schon förmlich Nachmittagstee mit frisch gebackenen Zimtschnecken.

Und was ist zu Hause? Zwanzig Grad und strahlender Sonnenschein.

Och Menno!

Ein bisschen verschaukelt

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komme ich mir schon vor. Von wegen sanft geschaukelt. Zum Glück sind wir seefest. Wir fahren zum ersten Mal wirklich über das offene Meer und merken sehr deutlich wie geschützt die Hurtigroute bisher war. Immer lagen Inselgruppen zwischen dem Schiff und dem Nordmeer. Manchmal haben wir schon etwas verwundert den Kurs verfolgt, den das Schiff sich durch dieses unübersichtliche Durcheinander von Inseln sucht. Ab Mehamn geht es jetzt hinaus aufs Nordmeer und entlang der nordnorwegischen Küste bis Kirkenes. Das sanfte Schaukeln wird dann doch eher zum gelegentlich Durchrütteln mit Überraschungseffekten. Beim Abendessen komme ich mir vor wie leicht betrunken – noch vor dem ersten Glas Wein. Es gibt ein Nordisches Büffet als Halbzeit- bzw. Abschiedsessen: Meeresgetier aller Arten. Zum Glück keine Suppe. Es hat schon so genug Komisches, Mitreisende mit ihren Tellern durch den Speisesaal torkeln zu sehen. Beinahe-Kollisionen werden oft nur durch einen plötzlichen steif-breitbeinigen „Ey-du-kummst-hier-nicht-durch-Alter!“-Stand vermieden. Das führt dann entweder zum mexican stand off, wenn der Gegenverkehr seinen Beinen auch nicht traut oder zum Ballett-haften Umtanzen des Hindernisses, den Arm mit dem Teller zum Balancieren weit ausgestreckt. Gelegentlich verlängert sich der Rückweg auch, wenn eine heftige Welle nur durch etliche überraschte Schritte „talabwärts“ ausgeglichen werden kann. Natürlich geht es mir auch nicht anders. Das alles hat schon viel Schönes und ein jeder von uns trägt so zur Erheiterung seiner Tischnachbarn bei.

Anschließend schwanken wir durch die Gänge, beide Arme seitlich ausgestreckt, in unsere Kabine. Ich will jetzt hier nicht in Details gehen, aber Körperhygiene und Umziehen haben schon etwas von Stummfilm-Komik. Schlafen geht erstaunlicherweise ganz gut. Allerdings sehen einige Mitreisende heute Morgen gar nicht gut aus. Eine Dame nimmt sogar meine Hände und beteuert: „Ach, haben Sie es gut! Ich wünschte, ich könnte heute auch vom Schiff!“

Aber bevor wir das Schiff endgültig verlassen, bringt uns ein Bus zum letzten Konzert. Erinnert ihr euch an Bullshit-Bingo? Auch einmal die eigene Komfortzone verlassen? Bingo! Treffer! Das Konzert findet in der Andersgrotta statt, die ich naiverweise für eine Höhle gehalten habe. Ist sie auch, aber ausgebaut als Luftschutzbunker. Kirkenes wurde 1940 von der Wehrmacht besetzt, was dazu führte, dass sowohl Russland als auch die Alliierten ab 1941 unablässig Bombenangriffe auf die Stadt flogen. Die Bevölkerung flüchtete dann in diese umgebauten Höhlen und Stollen. In so eine Umgebung passt natürlich keine idyllische Grieg-Musik. Zwei junge Musiker, mit der etwas seltsamen Kombination von eiskalter Tuba und immer mal wieder nachgestimmter Gitarre oder Banjo, vermitteln uns die besondere Stimmung in dieser Grenzstadt mit russischen und norwegischen Partisanenliedern. Sie spielen auch ein schwermütiges finnisches Lied, das sich angeblich um ein Eichhörnchen dreht. So, wie die Tuba die Melodie aufnimmt, muss es sich um ein sehr übergewichtiges, melancholisches Eichhörnchen handeln, das geben die Musiker freimütig zu.

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Und dann ist es so weit. Wir stehen mit unseren Koffern vor dem Schiff. Natürlich sind die offiziellen Shuttle-Busse schon längst weg, sie sind direkt nach dem Anlegen um neun Uhr zum Flughafen gefahren. Taxis sind auch keine zu sehen und selbstverständlich regnet es. Monsieur schaut auf dem Handy nach, wie weit es zum Hotel ist. Aber bevor er auf die Idee kommt, das mit dem Weg zum Hotel durch Industriebrache und Regen auf seine Art zu regeln, frage ich den Busfahrer der „Kulturbusse“, ob er zufällig in die Stadt, zufällig in Richtung unseres Hotels… Er fährt und wir dann auch. Viel besser so als durch den Regen zu trappsen, zwei schwere Koffer hinter sich her ziehend.

Das Hotel lässt uns freundlicherweise schon früh einchecken. Nur deshalb können wir dann vom Fenster aus „unserer“ Finnmarken noch einmal zuwinken.

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Unser Zimmer scheint ein bisschen zu schwanken, aber diese Nachwirkungen der christlichen Seefahrt kennen wir schon. Als sich alles wieder beruhigt hat, steht die große Frage vor uns: was tun in Kirkenes? Die Hauptsehenswürdigkeit haben wir ja schon „erledigt“, was hat Kirkenes denn sonst noch so zu bieten? Die Musiker heute Morgen erzählten so begeistert von der grenzüberschreitenden Mentalität der Menschen hier, dem internationalen Flair, das sich in norwegisch-finnisch-russischen Wegweisern niederschlägt. Internationales Flair, so wie in Berlin? Eine Konkurrenz für Paris oder London? Wir fragen die junge Frau an der Rezeption, die uns als Antwort erstmal frische Cranberries-Scones aus der hoteleigenen Küche anbietet. Machen wir nach sechs Tagen Rundumverpflegung einen so verhungerten Eindruck? Oder will sie uns nur wappnen für das, was kommt? Jedenfalls verbringen wir die erste Etappe unserer Kirkenes-Exkursion im Hotel-Café. Aber irgendwann enden auch die leckersten Scones und wir stellen uns der Herausforderung Kirkenes.

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Sagen wir mal so: Berlin, Paris und London brauchen sich fürs Erste keine Sorgen zu machen.

 

 

Male watching

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Die Polarlichter heute Nacht waren ein ganz besonderes Erlebnis und eigentlich sollte ich tief drinnen ruhig und zufrieden sein. Bin ich auch. Wenn da nicht dieses winzig kleine „aber“ wäre. Wie in: Aber wäre es nicht toll, wenn wir auch noch ein paar Wale beobachten könnten. Whale watching wird auch angeboten auf den Fahrten, aber erst später, ab November. Wir sind zu früh für die Wale. Bleibt mir immerhin noch „male watching“, da laufen auch ein paar beeindruckende Exemplare in schmucker Uniform herum. Wobei „der gefährlichste Mann an Bord“ reines Weiß und eine Kochmütze trägt. So wird uns nämlich zu Beginn der Reise der Konditor vorgestellt.

An unserem letzten Tag haben wir das Schiff fast für uns allein. Um elf Uhr werden vier Fünftel der Passagiere ausgeschifft, um ihr „mystisches Erlebnis Nordkap“ zu haben. Sechs Busse warten schon, um über 300 Menschen zu diesem Erlebnis zu bringen. Wir haben lange überlegt, sind aber dann zu dem Entschluss gekommen, dass wir unsere mystischen Erlebnisse lieber privater und selbstbestimmter haben. Also essen wir erst gegen halb eins im fast leeren Speisesaal. Zum „mystisches Erlebnis Nordkap“ gehört nämlich das verfrühte Mittagessen ab 10:15. Da muss man sich wirklich anstrengen, das Frühstück bis dahin abgeschlossen zu haben. Anschließend tragen wir dem Nordkap Rechnung, in dem wir die warmen Skihosen anziehen, um dem eisigen Wind im Hafenstädtchen Honningsvaag zu trotzen.

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Aber kaum sind wir startklar, prasselt ein Regenguss auf unseren Balkon. Wir sind kurz davor, unsere kleine Expedition abzublasen, Sturm und Regen – nein danke, das hatten wir schon! Komischerweise fällt der Regen nur auf unserem Balkon, Straße und Häuser bleiben trocken. Es dauert einen Moment, bis wir verstehen, dass die Crew die Abwesenheit der meisten Passagiere nutzt, um das Salzwasser von den Fassaden zu spülen. Auch der Rauch, der bei unserer frühzeitigen Rückkehr durch die Gänge wabbert, wird erklärt, bevor Panik aufkommen kann: nur eine Übung für die Crew.

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Wir haben die Übung versäumt, weil wir durch  Honningsvaag marschiert sind auf der Suche nach einem Stück Strand. Dass es da keine Bar unter Kokospalmen gibt, ist mir klar, ich suche eher ein schönes Stück Treibholz, einen kuriosen Kiesel. Leider kann Honningsvaag weder mit dem einem noch dem anderen dienen. Dafür gibt es eine kleine Galerie, die Arbeiten einer Nürnberger Künstlerin verkauft, die die Liebe vor etlichen Jahren ans Nordkap verschlagen hat. Und da finde ich statt Treibholz oder Kiesel doch noch ein schönes, kleines Souvenir an unsere „Nicht-Fahrt zum Nordkap“.

Heute Abend werden wir die Koffer packen müssen. Einmal noch eine Nacht sanft geschaukelt schlafen, morgen früh geht es an Land.

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Von der Hand in den Mund

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Im Moment leben wir von der Hand in den Mund, touristisch gesehen. Lesen abends im Internet nach, was wir beim nächsten Zwischenstopp machen könnten, was sehenswert ist. Für Tromsoe fällt das Internet-Urteil recht hart aus: nichts. Hmmm, vier Stunden Aufenthalt für nichts, da lässt sich doch sicher etwas finden.

e1Hurtigruten bietet verschiedene Ausflüge an: Stadttour, hmm, Huskies schmusen, och nööö und wandern. Aber irgendwie will sie nicht so recht damit herausrücken, die Dame auf Deck 7, die die Landausflüge verkauft. Tromsoe Mountain Hike nennt sich das Ganze, dauert angeblich drei Stunden und soll um die 90 Euro kosten. Pro Person. Ich möchte erst einmal wissen, wie viel Mountain und wie viel Hike ich dafür bekommen werde. Sie ist stur, ich bin sturer und irgendwann nuschelt sie so etwas wie: die Wanderung ginge zu einer Berghütte auf 560 Meter Höhe und wäre 2,6 km lang. Hin und zurück. Der Berg ist immerhin 670 Meter hoch, aber die ersten 400 Meter übernähme die Fjelleisen-Seilbahn. Ich weiß nicht so ganz genau, wie ich das jetzt berechnen soll, aber so oder so erscheint mir das Verhältnis von Euro zu Höhen- oder Kilometer eher ungünstig. Deshalb bedanke ich mich artig und mache mich daran, die Organisation der Wanderung selber in die Hand zu nehmen. Das ist auch gut so, denn Monsieur fängt schon wieder an mit: da könnten wir doch einfach zu Fuß… Könnten wir, ja, machen wir aber nicht. Ein Taxi bringt uns zur Talstation, die Fjelleisen-Seilbahn zur Bergstation und unsere Füße zur Steinbø-Hytta. Wandern wie auf watteweichen Wölkchen, auf federnden Moos- und Hochmoorböden, durch eine Tundra-Landschaft. Phantastische Aussicht und Spätlese-Blaubeeren gibt es als Bonus gratis dazu.

 

Das Ganze bei böigem Wind und anfangs noch Sonnenschein. Als wir an der Hütte angekommen uns fragen, ob wir es vorm Ablegen des Schiffes noch auf den Gipfel des Berges (und zurück natürlich) schaffen, nehmen uns dunkel dräuende Wolken die Entscheidung ab. Weil wir aber neugierig doch noch zum nächsten Grat wollen, laufen wir querfeldein und machen uns von dort dann ohne Weg an den Abstieg zur Seilbahn. Natürlich landen wir irgendwo, wo wir eigentlich nicht hinwollen. Monsieur meint, wir sollten jetzt vielleicht umkehren und den Weg suchen, da finde ich ein paar Schritte weiter einen Wegweiser. Er liegt abgebrochen am Boden, das macht aber nichts. So ein abgebrochener Wegweiser ist ein äußerst nützliches Ding. Man kann ihn mitnehmen und ihn – wenn man sich unsicher fühlt – einfach in den Boden stecken. Dann weiß man sofort, wo es lang geht. Sehr gut und hilfreich so etwas. Da wir aber von unserem Fleck aus inzwischen die Bergstation sehen können, brauchen wir eigentlich keinen Wegweiser. Deshalb lassen wir ihn dann auch da liegen. Für andere Wanderer, die sich vielleicht verirrt haben und einen Wegweiser brauchen. Wie gesagt, ein sehr nützliches Ding.

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Von der Bergstation aus kann man sehen, dass es unten nur wenige Schritte bis zur Eismeer-Kathedrale sind. Gut, die fünf Euro Eintritt betrachten wir jetzt mal als Spende, denn so richtig sehenswert ist das Innere nicht. Von außen, schon beleuchtet, kurz nach Sonnenuntergang, da wirkt das Gebäude dann sehr attraktiv. Die Kathedrale liegt fast direkt an der Brücke und die Brücke fast direkt am Hafen. Die einzige Erhebung dazwischen ist der Scheitelpunkt der Brücke. Das schaffen wir – zu Fuß, ohne Taxi.

Tromsoe zeigt uns als Bonus noch ein paar hübsche Holzhäuser, niedlich-kleine Kioske und gefällt uns insgesamt richtig gut.

Wieder etwas gelernt: es stimmt nicht alles, was im Internet steht!

 

Und dann macht Tromsoe uns so richtig euphorisch glücklich. Monsieur kommt gerade vom Outdoor-Pool zurück, ich will gerade unter die Dusche, als die Durchsage kommt: an Deck 8 kann man Nordlichter sehen. Da muss die Körperhygiene zurückstehen. Es setzt so etwas wie eine Stampede nach oben auf das Aussichtsdeck ein. Und dann stehen wir da und schauen etwas dumm aus und herum. Das soll es dann sein, das tolle Polarlichter-Erlebnis? Der helle Streifen am Horizont könnte alles Mögliche sein: Wolkenstreifen, ein letzter Rest Sonnenlicht – aber Polarlicht? Eine Stewardess geht umher, deutet nach oben, da, da ist es und die meisten Leute sagen „Ah!“ und „Oh!“ und tun, als seien sie beeindruckt. Erste Blitzlichter flackern auf, irgendjemand filmt mit Handy und blendet alle neben ihr Stehenden, aber die allgemeine erste Euphorie verfliegt doch recht schnell. Doch das waren offensichtlich nur die Aufwärmübungen, denn dann kommen sie, die Lichter. Tanzen über den Horizont, fließen von oben herab bis ins Meer, bilden lange Vorhangbänder, die sich ständig auf und ab, hin und her bewegen. Das anfängliche blasse Grau intensiviert sich zu einem zarten Grün. Die typische leuchtendgrüne Intensität sieht man nur auf Fotos, nicht in der Realität. Natürlich haben wir den Einführungsvortrag zu den Nordlichtern gehört und – ich zumindest in Ansätzen – verstanden, was die Physik dahinter ist. Aber hier und jetzt fällt es schwer, diese ausdrucksstarken Tänze mit so nüchternen Erklärungen wie Sonnenstürmen und Erdmagnetismus in Verbindung zu bringen. Zum Leben erwachtes Licht oder zu Licht gewordenes Leben trifft es für mich eher.

Und Monsieur, der gestern – nach fünf Tagen Regen und Wolken und einer genauso schlechten Vorhersage bis Kirkenes – seinen Thomas-Moment hatte und schon mal nach Hotels in und Flügen nach Rovaniemi  gesucht hat, ist glücklich, schaut und fotografiert und fotografiert und schaut. Das war nämlich der wichtigste Tipp zum Nordlichter-Fotografieren: Vergessen Sie vor lauter Fotografieren das Hinschauen und Genießen nicht.

Ich bin auch glücklich, ganz besonders, dass Monsieur um drei Uhr heil und gesund zurück kommt. Um halb drei (morgens!) kommt die Durchsage des Kapitäns, dass man am Bug, auf der Aussichtsterrasse auf Deck 5 Nordlichter beobachten kann. Monsieur quält sich aus dem Bett und in die Kleider, ich drehe mich um, kämpfe noch ein bisschen mit dem inneren Schweinehund. Ich habe ihn noch nicht ganz niedergerungen, da kommt Monsieur kopfschüttelnd zurück. Schon auf dem Außengang auf Deck 5 wäre es kaum möglich gewesen, gegen den Sturm anzukämpfen. Als ihm dann beim Aufgang zum Aussichtsdeck die 3×4 m² große und schwere Türmatte entgegen geflogen kam, hat er weise auf weiteres Nordlichter – Fotografieren verzichtet.

Bis auf dieses, kurz vorm Frühstück:

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Bekanntlich ist auf den Lofoten

 

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Dieser dumme Limerick geht mir nun nicht mehr aus dem Kopf. Auf der nordgehende Route fährt unser Schiff nachts durch die Lofoten. Das wussten wir, ist schade, aber nicht zu ändern. Andrerseits haben wir heute schon Hunderte von Inseln und Inselchen gesehen. Die kleinen, die schon erwähnten Walrücken, kahl, voller Schrunden, die größeren mit grünen Wiesen und Wäldern in schönster Herbstfärbung. Und dazwischen, ab und zu, wie hingetupft, ein rotes Holzhaus. Meist ein Dutzend Schritte oberhalb der Wasserlinie, am Ufer dann der Steg mit Bootsschuppen. Manchmal führt eine Stromleitung hin, manchmal wirkt das Haus wie von der Zivilisation vergessen. Ferienhäuser mit Saltkrokan- oder Bullerbü-Anmutung. Wo der Satz: „Schatz, wir haben keinen Kaffee mehr!“ zur logistischen Herausforderung wird. Auf den größeren Inseln kuscheln sich manchmal eine Handvoll Häuser zu Dörfern zusammen und ich frage mich, ob die Dörfer im Winter bewohnt sind. Was macht man da so den ganzen Winter? Wie überlebt man, wenn das Wetter so schlecht ist, dass man von der Außenwelt abgeschnitten ist?

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Wir fahren nachts in den Hafen von Svolvaer ein, eine Stunde Aufenthalt zum Be- und Entladen. Es ist dunkel, kalt und regnerisch, aber wir wollen trotzdem einen Fuß auf Lofoten-Boden setzen. Hauptsächlich um eben dies später sagen zu können. Es gibt noch einen zweiten Grund, den wir uns nur zögerlich eingestehen: wir suchen nach etwas Essbaren. Ja, da, jetzt habe ich es gesagt. Morgens und mittags gibt es ein Büffet auf dieser Reise, abends ein Drei-Gang-Menü. Das Büffet ist gut, das Menü ausgezeichnet. Aber ein bisschen knapp portioniert. Später, wenn man im Bett liegt, ist man dankbar dafür, aber gerade heute, da überwiegt dieses Gefühl, dass da noch ein bisschen Platz wäre…

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Wir kommen aus dem Terminal und binnen Sekunden kleben uns die Jeans klatschnass und eiskalt an den Oberschenkeln und ich denke mit so etwas wie Wehmut an Bergen zurück. Gegen das Wetter hier war Bergens Regen Kinderkram. Aber wir können auch stur sein und so treiben uns Sturm und Hunger durch die hafennahen Straßen. Es ist Samstagabend, die meisten Lokale sind geschlossen, kein Mensch zu sehen. Was machen die Menschen hier in ihrer Freizeit? Ein kleiner Supermarkt lockt mit hellem Licht. Im Dunkeln in einer Ecke daneben steht ein Mitreisender und kaut hastig und schuldbewusst an einem Schokoriegel. Als er uns sieht, zuckt er nur entschuldigend mit den Schultern und wir müssen alle drei lachen.

Der Sturm treibt uns noch eine Straße weiter und da bekomme ich zumindest einen Hinweis zur Beantwortung meiner Frage. Zwei wunderbar erleuchtete und schön mit den Waren dekorierte Schaufenster werfen nebeneinander ihr Licht in die Nacht: links die Schokoladeria und rechts die Kondomeria.  Geschlossen natürlich. Finde ich jetzt echt schade, also bei der Schokoladeria.

Nicht ansteckend

 

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Ich werde heute morgen wach, setze mich auf und diese Landschaft zieht an mir vorbei. Was brauche ich da noch mehr zum Glücklich-Sein? Außer, na ja, vielleicht, eventuell – ach, da kommt Monsieur schon mit einer Tasse Kaffee.

Frühstücksbuffet fällt heute einem Anfall galoppierender Faulheit zum Opfer. Ist aber nicht ansteckend so etwas, keine Angst.

Verhungern werden wir auch nicht, bis zum Mittagessen ist ja nicht mehr lang. Wir vertrödeln einfach herrlich faul die Zeit.

Danach ist verschärfte Kultur angesagt, in der Stormen-Halle. Bisher hat sich Hurtigruten nicht so recht mit Ruhm bekleckert bei der Organisation der Kulturpunkte. Zum ersten Konzert werden wir zwar zum angekündigten Zeitpunkt vom Bus abgeholt, stehen dann aber vor der Konzerthalle auf Trollshaugen eine Viertelstunde im strömenden Regen. Wir sind mit unter den Jüngsten in der Gruppe und einige der – noch – älteren Teilnehmer wirken recht zerbrechlich. In dieser Viertelstunde taucht ein Verantwortlicher des Museums – aber keiner von Hurtigruten – auf und will unsere Voucher sehen. Die hat niemand, es folgen einige erhitzte Diskussionen von Seiten einer amerikanischen Reisegruppe, die erreichen, dass wir wenigstens aus dem Regen ins Foyer dürfen. Dort erhalten die Amerikaner noch aufrechter Beteuerung ihres Reiseleiters, dieses Zusatzprogramm gekauft und bezahlt zu haben, einen Sticker aufgeklebt. Uns wird gesagt, wir sollen uns an unseren Reiseleiter wenden, worauf wir erst mal lachen müssen. Nach weiteren Diskussionen erhalten wir und eine weitere Handvoll Einzeltouristen auch einen Sticker, nach dem im weiteren Verlauf des Konzertes keiner mehr nachfragt. Das Konzert selber ist sehr schön, der anschließende  Besuch des Grieg-Hauses wieder sehr nass. Angeblich dürfen nur Kleingruppen durch das Haus geführt werden, so dass unsere Großgruppe geteilt werden muss. Wir werden als erste Gruppe vor das Haus geführt und müssen dann im Regen darauf warten, dass der Verantwortliche des Museums den Rest der Gruppe aus dem Foyer in den Regen scheucht. Der dann im Regen auf das Ende unserer Führung warten muss.

Irgendwie scheint Kultur in Norwegen mit sehr viel Feuchtigkeit verbunden zu sein.

Heute werden wir dafür ganze 500 Meter mit dem Bus vom Hurtigruten-Terminal zur „Stormen-Halle“ in Bodø gefahren. Erst steht die Gruppe vor der Stormen Bibliothek, wird dann zur Halle geführt, um dort zu erfahren, dass das Konzert doch im Kultursaal der Bibliothek statt findet. So wird wahrscheinlich für etwas Ausgleichssport bei den Schifffahrern gesorgt.

Das Konzert ist wieder sehr schön und danach wagen wir uns alleine und ganz ohne den Bus zurück zum Schiff. Bei der ersten Rückfahrt haben uns die Amerikaner fast in den Wahnsinn getrieben mit ihrer „betreutes Reisen“-Mentalität. Bevor wir nämlich, müde, hungrig und sehr nass zum Schiff fahren durften, erklärte der Reiseleiter der Gruppe, dass er im Prinzip eigentlich nichts wüsste, das bis morgen früh aber in einen Tagesplan umformulieren würde. Diese Ankündigung verschleißt etwa 15 ewig lange Minuten, in denen ein gutes Dutzend Leute auf die immer gleiche Frage – Ab wann gibt es Frühstück? – die immer gleiche Antwort – er weiß es nicht, werde das aber bis morgen im Tagesplan… s.o. Dem Risiko einer Wiederholung dieser Situation wollen wir im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Weg gehen.

Ein bisschen Nostalgie spielt natürlich auch mit. Allerdings sind meine Erinnerungen an Bodø eher vage und drehen sich hauptsächlich um eine Tasse Kaffee, an der ich mich drei Stunden fest gehalten habe, um eine Ausrede zu haben, im Warmen zu sitzen. Auch die Jugendherberge, heute im Bahnhofsgebäude direkt am Schiffskai, löst keine Ahja-Erlebnisse aus. Wir steigen sogar hoch in den dritten Stock zur Rezeption, um zu fragen, ob das 1976 auch schon die JH oder das „Vandrerhjem“, wie es auf norwegisch heißt, war. Der Mann an der Rezeption, halb so alt wie wir, kann da nicht weiterhelfen, kramt aber ein Buch zu norwegischen JHs heraus und da finden wir dann, dass die JH bis 1978 im Ortsteil Rønvik war. Für weitere nostalgische Nachforschungen ist leider keine Zeit, denn unser Schiff legt in zwanzig Minuten ab.

Und im Schiff selbst – aber das habt ihr sicher schon erraten…

 

 

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Mogelpackung

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… oder eine gotische Kathedrale von 2001

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Wir tun uns ein bisschen schwer mit Trondheim. Was natürlich auch an uns, in diesem Fall an meiner Planung liegt. Ich habe mir nämlich gedacht, vom Schiff auf dem direkten Weg zum Dom und dann gemütlich über die Gamle Bybro und die Altstadtgässchen um Bakklandet zurück zu gehen. Erster Fehler, umgekehrt wäre es nämlich sehr viel hübscher gewesen und hätte sicher unser Herz für Trondheim geöffnet. So laufen wir durch die Gässchen um die Olav Tryggvasons und Nordre gate und kommen zum Marktplatz. Auf einer Liste der 100 uncharmantesten Plätze … – aber lassen wir das. Trondheim hatte es nämlich auch nicht leicht. Wie bisher jede norwegische Stadt, die wir besucht haben, brannte auch Trondheim mehrmals ab, bis nach dem Brand von 1681 der König selbst eingriff und den Stadtplan gestaltete. Alles schön gerade und übersichtlich, mit großen Hauptachsen, über die ein Feuer sich nicht ausbreiten sollte. Straßen als Brandschneisen, kein Wunder, dass da – Vorsicht, Kalauer-Alarm – kein Funken überspringt bei mir. Aber es wurde weiterhin auch in Holz gebaut. Das größte Palais, Stiftsgarden, wurde jedoch nicht vom König, sondern von einer Frau, der Geheimrätin Cecilie Christine Schøller errichtet. Frau, Geheimrätin und Bauherrin, das finde ich beim ersten Lesen sehr gut.  Bis sich heraus stellt, dass das Ganze so etwas wie einen Ü-40-Jugendtreff für Reiche war: fast 150 Räume mit gut 4000 m² Fläche, nur damit die Reichen sich treffen und dabei schön unter sich bleiben können. Das ist dann nicht mehr so positiv und dürfte damals wohl auch einige der weniger Reichen gestört haben.

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In der Ferne sehen wir den Nidaros-Dom, Ziel unserer Exkursion. Wir kaufen im Besucherzentrum unsere Eintrittskarte, 19 Euro für zwei. Erst dann bestellen wir einen Kaffee und lesen uns ein. Hätten wir mal besser anders herum gemacht, da hätten wir uns wahrscheinlich die 19 Euro Eintritt gespart. Denn dieser gotische Dom ist eine einzige große Mogelpackung. Zwar wird er tatsächlich im 12. Jahrhundert erbaut, aber dann passiert das Übliche: ein Brand nach dem anderen, praktisch alle hundert Jahre einmal, führt zu erheblicher Zerstörung. Nach der Reformation hat keiner mehr so richtig Lust, das Gebäude wieder aufzubauen. Das bisschen, was noch stand und notdürftig mit Notdächern und Zwischenwänden benutzbar gehalten wurde, brannte 1708 bis auf die Grundmauern ab. Und sogar bei dem Versuch des Wiederaufbaus schlug zehn Jahre später der Blitz ein und fackelte alles ab. Die Kirche wurde repariert, bröckelt aber so vor sich hin, bis im 19. Jahrhundert der Zustand im wahrsten Sinne unhaltbar wird: die großen tragenden Säulen tun ihre Arbeit nicht mehr. Und nun kommt das letzte und vielleicht tragischste Kapitel: ein junger begeisterter Architekt wird mit der Renovierung beauftragt. Nach einigen Hin und Her meist finanzieller Art beginnt er im Dom seinen Traum einer gotischen Kirche zu verwirklichen. Da es keine historischen Quellen zum Aussehen des Originaldoms gibt, bastelt er sich seine eigene Gotik zusammen. Als erstes reißt er ab, was jünger ist, also alle barocken An- und Umbauten. Nun bin ich ja nicht gerade ein Fan barocker Kirchenbauten, aber Baugeschichte ist nun mal Baugeschichte. So besichtigen wir also einen gotischen Dom, der nach einigen Wechseln der Architekten, aber nicht der Bauphilosophie, erst 2001 fertig geworden ist. Das mindert und schmälert nicht die Kunstfertigkeit der Handwerker, die über die Jahrzehnte gotische Rosetten und Statuen nach-kreieren. Aber die Atmosphäre ist eben eine ganz andere.

Vielleicht sollten Trondheim und Köln mal eine Städte- und Dom-Partnerschaft überlegen…

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Jetzt ist aber genug gemeckert, denn zum Schluss zeigt sich Trondheim von seiner heitersten Seite. Über die alte Brücke geht es in ein kleines Viertel, Bakklandet, dass die schnurgeraden Pläne des königlichen Baumeisters nicht umgesetzt und sich seine alten, krummen Gässchen und schnuckeligen Häuschen erhalten hat. Also, falls es euch mal nach Trondheim verschlägt, fangt mit Bakklandet an. Da gibt es auch die viel netteren Cafés.

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Zurück auf dem Schiff schreckt uns eine Lautsprecher-Durchsage auf: in wenigen Minuten links der schönste Leuchtturm Norwegens. Als er am Horizont erscheint, sieht er eher nach Minigolf als nach Schifffahrt aus, aber beim Näherkommen wächst er dann doch auf richtige Leuchtturmgröße. Rings um ihn herum kleine und kleinste Inselchen, alle mit diesen schrundigen, abgerundeten Rücken wie gerade auftauchende Wale. Ich sehe die Eiszeitgletscher förmlich vor mir, wie sie sich über die Inseln schieben und schaben und kratzen und schleifen…

Durch dieses Wirrwarr sucht das Schiff sich seinen Weg. Passagen, die zum Teil so eng und unübersichtlich sind, dass mit dem Nebelhorn entgegenkommende Schiffe gewarnt werden. Natürlich werden auch wir immer durch eine Durchsage auf diesen Ton vorbereitet. Aber, weil ich etwas der Welt entrückt am Geländer stehe und über die Inseln hinwegträume, trifft mich der Hornstoß jedes Mal unvorbereitet. Erna, mei Herzdroppe!

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Danke, Slartibartfast

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Er kann wirklich stolz sein auf sein Werk, Slartibartfast. Aber hat er auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht, welch einen Stressfaktor er damit kreiert hat? Ich kann diese Küste, diese Felsen, Berge, Inseln kaum aus den Augen lassen. Und da gehen sie dahin, die Träume vom Buch lesen, Entschuldigung vom „mal ein gutes Buch lesen“, so sagt man doch. Auch das durchaus angebrachte Mittagsschläfchen fällt aus, weil ich Küste schauen will. Dabei war die Nacht nicht so richtig erholsam. Zum einem war sie eine Zeitlang doch sehr bewegt und ich stehe am Fenster, um den Wellen zuzuschauen. Zum anderen war sie sehr hell, in den Häfen, die das Schiff in der Nacht anlief: bunte Beleuchtung an Land und Nachbarschiffen und die Neugier dann doch so groß, dass ich – wieder – aufstehe und zuschaue.

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Und wenn das Schiff mal still liegt, klappt das auch nicht. Die Passagiere, die einen Landausflug gebucht haben, werden ausgeschifft und dann kommt das Boot zurück und holt uns und die anderen, die wie wir der Meinung sind, dass wir keinen Führer brauchen, um durch ein bisschen norwegische Gegend zu laufen. Erweist sich auch als richtig, denn am Anleger von Urke stehen freundliche (und geschäftstüchtige) Norweger und händigen uns einen Plan aus. Nun besteht Urke aus kaum mehr als einem Dutzend Häuser und am Anleger steht schon ein Schild „To down town Urke“, aber wir nehmen die Karte entgegen und erfahren, dass Urke ein Café und ein Geschäft nebst Apotheke hat. Aber auch, dass es eine kleine Rundwanderung ein Bachtal hoch gibt, 4,5 km, 70 Minuten. Das wäre doch was! Der Weg führt aus dem engen, im Schatten liegenden Fjord ein bisschen hoch auf Berghänge, wo wir dann in der Sonne laufen können. Jawohl, in der Sonne! Das Wetter ist fantastisch. Und dafür ist nicht Slartibartfast verantwortlich, dafür ist bei unseren Reisen immer Monsieur zuständig.

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Alesund

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Ich weiß nicht, warum das so ist, aber wenn es irgendwo einen Berg gibt, muss Monsieur da hoch. Nun ist dieser „Berg“ hier noch nicht einmal ein Hügel, aber der Aussichtspunkt auf dem Ascla ist immerhin 400 und ein paar Treppenstufen hoch. Und da gibt es Menschen, die behaupten, eine Schiffsreise wäre etwas für Faulenzer. Wir halten uns beim Aufstieg an die klassische Rollenverteilung: Monsieur vorne weg, ich jappse hinterher. Der inzwischen wieder einsetzende Regen dient auch nicht gerade meiner Motivation, Regenbogen hin und Aussicht her.

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Aber in dem Moment, in dem wir beschließen, jetzt reicht es mit dem Wetter, jetzt gehen wir zurück zum Schiff, klart es auf und wir können uns doch noch zu den Jugendstilschönheiten auf dem anderen Ufer durchringen. Alesunds Holzhäuser der Innenstadt brannten um 1900 fast vollständig ab. Kaiser Wilhelm II., sonst ja nicht so der Sympathieträger der jüngeren Geschichte, schickte sein Lieblingsspielzeug, die Flotte, mit Hilfsgütern und als Notlager für obdachlos Gewordene. Außerdem unterstützte er aus seinem eigenen Vermögen den Wiederaufbau. Die Stadtväter, aus Schaden klug geworden, ordneten den dann in Stein an, was zu dem berühmten Jugendstil-Stadtbild führte.  Und setzten dem Kaiser ein Denkmal.

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Trockene Statistik

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Bergen gilt mit 248 Regentagen pro Jahr als regenreichste Großstadt Europas, im Oktober fällt an 22 Tagen Regen, dafür scheint die Sonne im Durchschnitt nur 1,9 Stunden pro Tag. So weit die „trockene“ Statistik. Die nasskalte Realität sieht noch viel schlimmer aus. Unser Hotel ist ein altes Lagerhaus, unser Zimmer im Dachgeschoss hat zwei große Velux-Fenster, die das Prasseln des Regens richtig schön hervorheben. Und dieser Regen nimmt seinen Job sehr ernst. Er fällt nicht einfach so von oben nach unten. Zusammen mit seinem Kollegen Sturm zeigt er uns ein wahres Ballett von Regentropfen, die dann auch schon mal von rechts oder von links statt nur langweilig von oben kommen. Wir stehen unter den Fenstern, schauen hinaus und beschließen, dass wir da nicht hinaus wollen, nicht in dieses Wetter, und dass wir uns einen late check out gönnen. In der Hoffnung, dass vielleicht, eventuell, in einer Stunde oder so… Ist aber nicht der Fall. Monsieur wird unruhig, schließlich hält es ihn doch nicht mehr im schönen, gemütlichen Hotelzimmer. Man kann doch nicht in Bergen gewesen sein, ohne etwas davon gesehen zu haben. Mein Argument, dass wir 1976 mehrere Tage Bergen im strahlenden Sonnenschein hatten, lässt er nicht gelten. Dass wir bei dem Regen eh nichts sehen werden, auch nicht. Also schwimmen naja, laufen wir los. Regen von oben, altmodische Regenrinnenauslässe, die dir auf Kniehöhe die Hosen durchnässen, von rechts oder links, Pfützen von unten. Der Kollege Sturm greift sich meinen Regenschirm und zerbeult ihn, so dass ich den Rest der Bergen-Besichtigung damit beschäftigt bin, den Schirmrand festzuhalten. Das engt natürlich das Gesichtsfeld sehr ein. Im Grunde genommen sehe ich nur meine Füße. Gelegentlich auch ein anderes Paar Füße in der Gegenrichtung, dessen Besitzer genauso überrascht wie ich seinen Schirm hochreißt und Ausweichmanöver einleitet.

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Zum Glück war den Hanse-Kaufleuten das sch…öne Wetter in Bergen geläufig und ihre Holzhäuser haben überdachte Vorhallen, so dass ich wenigstens da etwas sehe. Ich folge Monsieur bis zur Festung, im Vertrauen darauf, dass das schwarz behoste Paar Schuhe, dem ich hinterher laufe, immer noch das selbe ist wie beim Verlassen des Hotels. Rosenkrantzturm und Haakonshalle sind geschlossen, was zeitsparend ist. Die Besichtigung der Festungsanlagen fällt ins Wasser.

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Dafür gönnen wir uns das Stadtmuseum. Nein, nicht nur, weil es regnet… Dann lasse ich Monsieur alleine weitertrapsen durch den Regen. Er will noch auf die andere Seite, ich nur noch zurück ins Hotel. Aber um halb zwei will er wieder da sein, ein bisschen trocknen, ein bisschen packen und dann ist es Zeit für unseren ersten Programmpunkt im Grieg-Haus.

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Denn Bergen ohne Grieg geht nicht. Zumal Grieg der Lieblingskomponist unserer Kinder war. Nicht, dass ich es mit musikalischer Früherziehung hätte, aber „In der Halle des Bergkönigs“ gehörte mit Orffs „O fortuna“ zum Regenwetter-Indoor-Bewegungsprogramm für meine Viererbande. Erst schleichen alle vier als Zwerge in die Halle, um am Ende – vielleicht nicht ganz werksgetreu – den Drachen zu verjagen. Das Problem war nur, dass ich nach mehreren Durchläufen zum Schluss meist vier Drachen und keine Zwerge mehr hatte und dann erfahrungsgemäß auch schon unser bescheuerter Nachbar vor der Tür stand. Dann war es Zeit für Griegs „Morgenstimmung“, ein bisschen kitschig, ja, aber… Kennt ihr diese bunten Nylonkopftücher, die Inge Meysel oder Frau Hesselbach über ihren Lockenwicklern trugen? Gebt mal einer Gruppe Kinder solche bunten Tücher zusammengeknüllt in die Hände. Lasst die Kleinen sich ganz klein zusammenkauern, stellt die „Morgenstimmung“ an und lasst die Lieben als Blumen wachsen, der Sonne entgegenstreben, zu den letzten Takten die Hände öffnen und bunte Tuchblüten treiben. Reiner Kitsch, klar, aber glaubt mir, da bleibt kein Eltern- oder Großelternauge trocken.

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Für uns gibt es also vor der Einschiffung eine kleine musikalische Einstimmung im Konzertsaal des Grieg-Museums. Und dann geht es für mich in die Halle des …, also, dann geht es an Bord.

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Kein Happy End

Mit dem Begriff Reisen kann man ja wunderbar Bullshit-Bingo spielen. Ich könnte jetzt tief in die Klischee-Kiste greifen und die ganz großen Worte auspacken. Selbstfindung – Bingo! Komfortzone (Achtung: das zählt aber nur im Zusammenspiel mit „auch mal verlassen“!) – Bingo! Alles, was zu „fremde Kulturen und neue Erfahrungen“ passt – Bingo.

Und das Schlimme dabei ist, dass das alles auch noch richtig ist und stimmt, ich es aber trotzdem oft nicht mehr hören und schon gar nicht selber schreiben mag.

Deshalb heute mal kleine Dinge. Die bringen mich zum lächeln und treiben den Endorphinspiegel hoch, kurzum sind so ein kleines Glücksdoping im Alltag. Wie der Spatz, der am Gate 4 in Genf zwischen uns Wartenden umher hüpft. Nicht nur Kinder bleiben stehen und schauen, Erwachsene stubsen sich an und zeigen. Als er lange genug unsere Aufmerksamkeit genossen hat, legt er das Köpfchen schräg, betrachtet uns ein letztes Mal und fliegt davon, ohne so eine Blechkiste bemühen zu müssen wie wir.

Auf dem Flug nach Bergen sitzen zwei blonde Mädchen, vier oder fünf Jahre alt, schräg vor mir. Jedes hat ein rotes Gummibärchen in der Hand, Hauptdarsteller in einem jener kindlichen Rollenspiele, die zu 90% aus Konjunktiven bestehen: und dann hätte ich… und dann würdest du… und dann täte ich… und dann müsstest du… Die Handlung ist sehr komplex, die Bären erleben wilde Abenteuer auf der Mittellehne, bis… Bis das eine Mädchen mit einem frechen Grinsen seinem Bären den Kopf abbeißt und den Rest auch noch genüsslich verspeist. Das sieht nicht nach einem Happy End für diese Geschichte aus.

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Und zum guten Schluss lerne ich mein erstes Wort Norwegisch: rulletrappen.

Ist das nicht einfach herrlich?