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Kirschblüteneis

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Monsieur ist tatsächlich um 6 uhr morgens noch einmal losgefahren, um Miyajima bei Flut zu erleben.

 

So schwer kann das doch nicht sein! In Japan lernen das schließlich schon die kleinen Kinder.

Also, das erste Zeichen ist eine Art dickes D mit einer Fahnenstange わ , dann so etwas wie eine gespiegelte Fünf, die zu viel Sake intus hat さ und zu guter letzt ein Vogel-V mit weiblichen Rundungen び. Keine Ahnung, ob die zwei kleinen Striche wichtig sind, aber wenn sie meinen, das muss so, dann muss das wohl. So, fertig: わさび Wasabi.  Edamame ist fast einfacher zu schreiben, als auszusprechen: 枝豆. Bleibt zu hoffen, dass die Japaner mein Japanisch auch lesen können. Letzter Schritt meiner Vorbereitung heute ist das Notieren des Fahrplans. Der unumgehbare Portliner bis Sannomyia und dann im selben Bahnhof die JR-Tokaido-Linie bis Rokkomichi. Wie es von da weiter geht, habe ich mir auch angeschaut: aus dem Bahnhof links, – nein, das andere links, ach ja, danke! – unter der Unterführung durch und dann im Prinzip rechts an den Gleisen entlang bis zum Gartencenter. Wenn ich an eine große Kreuzung mit Ampel komme, bin ich zu weit und habe es verpasst. So weit kommt es aber nicht, denn die bunte Blumenvielfalt auf den Rollregalen ist nicht zu übersehen. Es gibt Freilandorchideen – für 260 Yen die Pflanze! -, Päonien mit riesigen Blüten für deutlich mehr Yen, Irisse, Tomätchen, Salatpflänzchen und und und. Und ich weiß, dass ich das alles nicht mitnehmen kann. So schade! Ich halte der Dame meinen Spickzettel hin und sie schüttelt beim ersten Wort den Kopf – No wasabi! Dafür hält sie mir zwei verschiedene Samentütchen für die Edamame hin, die ich dann beide kaufe. Ihr Mann und eine weitere Kundin werden in eine Wasabi-Diskussion mit einbezogen und ich erhalte eine Richtung und den Tipp: „Wasabi – super market!“

Der erste Supermarkt hat zwar geheimnisvolle Knollen für über 6000 Yen das Kilo im Angebot, aber keinen frischen Wasabi. Der junge Mann in der Gemüseabteilung verschwindet sogar mit meinem Spickzettel nach hinten ins Lager, um nachzufragen. Fehlanzeige!

Ich habe – bis auf Packen – heute nichts anderes vor, also lasse ich mich durch Rokkomichi treiben, merke mir ein paar Orientierungspunkte für den Rückweg zum Bahnhof und stehe plötzlich vor der Rokkomichi Food Street. Kurz darauf bin ich stolze Besitzerin zweier Wurzeln.

Auf dem Rückweg komme ich an einer Arkade vorbei, die etwas vollmundig verspricht, hier könnte ich mein Leben verschönern. Ich bin eigentlich ganz zufrieden mit meinem Leben, aber so ein kleines bisschen Verschönern, da wäre noch etwas Luft nach oben. Nun, 90 Prozent der Angebote befassen sich nicht mit dem Leben im Allgemeinen, eher mit dem Aussehen. Aber ganz hinten, in einer kleinen Ecke gibt es erst ein paar Haushaltshelfer, dann eine Menge Plastik- und Bambuswegwerfgeschirr und dann ein Regal mit dem, was ich suche. Teller, Platten, Schälchen aus Keramik. Schwarz mit einem silbernen Schimmer in der Grundfarbe und einem dicken silbergrauen Pinselstrich darüber gezogen. Natürlich ist das kein Raku, der Preis ist geradezu lächerlich niedrig und als ich einen Becher umdrehe, erhalte ich die Erklärung: Made in China. Warum sollte das in Japan anders sein als in Europa. Trotzdem gefällt es mir und so fahre ich mit meinem echt japanischen Geschirr – Made in China – zurück ins Hotel.

Ich verstecke meine Schätze zwischen den Travel-Cubes, packe die Haori zu den Jacketts und bin praktisch fertig, als Monsieur heimkommt mit dem Vorschlag mit ein paar Kollegen essen zu gehen. Nicht im 30. Stock, eher unten, im Nebengebäude, beim Sushi-man.

Wir kommen zu Viert aus dem Aufzug und stehen vor Japan: rechts eine angedeutete Wasserfläche, darin ein Teehaus, links ein Kiesgärtchen mit Steinlaterne, Wasserbecken und Bambuszaun, umgeben von einem Wasserlauf. Über diesen Wasserlauf führt eine gebogene Brücke in ein Restaurant. Das alles ist so japanisch, das muss der Sushi-man sein. Wir erhalten beim Eintreten eine Karte, auf der wir die Zahlen 8, 12 und 16 erkennen, zusammen mit einer Preisangabe und entscheiden uns für das 12-Sushi-Menü. Werden auch zu einer Theke geführt, hinter der unser Chef für uns unsere Sushi zubereiten wird. Als erstes kommt ein kleiner Gruß aus der Küche: marinierte rohe Muscheln und Tintenfisch. Dann wird ein dreieckiger Teller vor uns hingestellt mit drei verschiedenen Soßenschälchen. Kein Wasabi jedoch, hmmm. Der Chef legt los und wir merken, dass das nichts mit Sushi zu tun hat.

Vier grüne Spargel werden mit ihren Enden auf einen Spieß gezogen, wo sie hängen wie Socken auf der Leine, in einen Teig getaucht und erst in feinen, dann in groben Bröseln gewälzt. Der Spieß verschwindet nach links und kurz darauf liegt ein goldbrauner Spargel vor jedem, mit der Empfehlung: middle sauce! Wir sind statt bei Sushi bei Kushiage gelandet, einer Spezialität der Region. Hätte Schlimmer sein können: einen Block weiter ist Japans größtes IKEA-Haus und da wären es wohl Köttbullar gewesen.

So geht es weiter. Immer wieder wird etwas delikat Frittiertes in kleinen Schüsselchen, auf einer viereckigen Keramikplatte, einem Tellerchen vor uns hingestellt. Hauptsächlich Gemüse, aber auch Fleisch, Tofu, Garnelen und Tintenfisch, der nichts, aber gar nichts gemeinsam hat mit den fetttriefenden Kaugummiringen, die eine Zeit lang so beliebt waren.

Irgendwann kommt eine Kellnerin und fragt, ob wir fertig seien. Wir haben natürlich längst den Überblick verloren und fragen nun wiederum sie. Worauf sie nickt und uns das Dessert anbietet: Kirschblüteneis und „rice dumplings with bean sauce“. Auf die Klößchen falle ich nicht herein, dafür war ich zu oft in Japan. Könnt Ihr Euch das vorstellen: am Ende eines tollen Menüs kommt etwas, das aussieht wie Schokoladenmousse und du tauchst den Löffel hinein, voller Vorfreude. Auf der Zunge entpuppt es sich als mehlig-pampiges, übersüßtes Bohnenmus. Ober es kommt etwas, das aussieht wie Cassis-Sorbet: mehlig-pampiges, übersüßtes Bohnenmus. Oder ein goldbraunes Törtchen, die Füllung, na, Ihr wisst schon. Und die wird beim Kauen immer mehr, immer mehr im Mund. Also lasse ich die Klößchen stehen.

Das Kirschblüteneis dagen, das ist wundervoll. Ich will jetzt nicht behaupten, die Kirschblüten herausgeschmeckt zu haben. Aber das Eis schafft es tatsächlich, den Eindruck von delikater Zartheit auf die Zunge zu zaubern.

Es ist 5:15, als wir am nächsten Morgen Japan verlassen, die Erinnerung an den Geschmack von Kirschblüteneis auf der Zunge.

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PS: Monsieur, wie immer bemüht mir zu helfen, hat eine Wiki-Seite zum Anbau von Wasabi aufgetan. Der Text läuft im Prinzip hinaus auf die Frage: Wollen Sie sich das wirklich antun? Eine der am schwierigsten zu kultivierenden Pflanzen aufzuziehen?

Nun, wir werden sehen und ich werde berichten…

 

 

 

Sawanotsuru-Nunobiki-Nankinmachi

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Dafür, dass ich Sake eigentlich gar nicht mag, weiß ich jetzt sehr viel über seine Herstellung. War sozusagen das kleinere Übel. Drei Ausflüge wurden angeboten: Himeji, das wir schon kennen, einen Ausflug aufs Meer, Mitte April nicht wirklich reizvoll und halt Sake-Museum.

Also fahren wir zum Sawanotsuru-Sake-Museum, das eine „Important Tangible Cultural Property“ der Hyogo Präfektur ist. Der Vorgängerbau wurde beim Großen Hanshin Erdbeben 1995 völlig zerstört, aber vier Jahre später wurde das Museum wieder neu eröffnet.

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Ich hatte ja keine Ahnung, mit wie viel Aufwand die Herstellung von Sake verbunden ist. Allein das Polieren der Reiskörner verlangt von den Arbeitern stundenlanges Herumstampfen im eiskalten Wasser. Da die ganze Sake-Brauerei nur bei bestimmten Temperaturen funktioniert, braute man in der alten Zeit nur im Winter, weil wärmen einfacher war als kühlen. Das bedeutete für die Arbeiter im kalten Wasser, im kalten Wind zu arbeiten. Warm hat es nur der Reis, der gedämpft, mit Hefe versetzt und letztendlich ausgepresst wird. Das alles erfahren wir bei einem kleinen Film, auf Englisch, aber gespickt mit den japanischen Fachbegriffen für den Hefemeister, den Reisdämpfmeister, den Reisschneidemeister, -in-die-Säcke-Füller, Auspresser.

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Ich erwarte fast, dass es – wie früher – zum Schluss heißt: „Und jetzt schreiben wir einen kleinen Test, um zu sehen, was ihr gelernt habt.“ Aber die eigentliche Herausforderung kommt am Ende des Films. Da wird in einer Schnelldurchlauf-Animation der Weg durch das Museum, treppauf, treppab, um die Ecke herum zum Ausgang gezeigt. Nur, wer hier alles richtig macht, kommt in den kleinen Museumsshop mit der Verköstigung. Hier zeigt sich, dass ich Sake immer noch nicht so recht etwas abgewinnen kann, ihn aber doch jetzt mit einem gewissen Respekt betrachte.

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Zurück im Bus wird der Ausflug sehr seltsam. So fahren wir zur Shin-Kobe-Station, von wo aus es zu einer der Hauptattraktionen Kobes geht, dem Nunobiki-Wasserfall. Der Anfang der Wanderung ist für mich schon eine kleine Herausforderung, danach wird es etwas besser. Auf betonierten Wegen geht es ein bisschen steil bergauf, aber nach zehn Minuten steht man dann vor dem Wasserfall und weiß, weshalb auf allen Bewertungsportalen steht: „Nicht so überlaufen…“

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Der Abschluss des Ausfluges besteht dann darin, dass wir auf Kobes Chinatown losgelassen werden und ein richtig typisches Japan-Feeling vermittelt bekommen. Die japanische Führerin, die unseren Bus begleitet – und übrigens kein Wort Englisch spricht – zieht einen Stock mit oranger Fahne aus der Tasche und wedelt, bis sie unsere Aufmerksamkeit hat. Dann führt sie uns in geschlossener Formation durch die Straße, die ganzen 300 Meter. An deren Ende teilt uns dann der japanische Professor, der freundlicherweise das Übersetzen übernommen hatte, mit, dass wir in einer Stunde mit dem Bus zum Hotel zurückfahren könnten oder aber hier und jetzt den Ausflug „abandon“ können.

So schnell konntest du gar nicht gucken, wie wir in die Seitensträßchen verschwunden sind…

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Einmal gekochte Nägel für Tisch IV, bitte

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Nur so zum Spaß jagt Monsieurs armenischer Kollege die japanische Menü-Karte im Ikuta-Schrein durch den Google-Übersetzer. Das hilft nicht wirklich, ist aber lustig:

Your menu of nails boiled
– Ashirahe various of seasonal

– pumpkin million head eggplant countryside boiled burdock Usui Mamegin,

– Spanish mackerel buds, grilled duck loin, grilled red plum Haji Kamiushi
– steak, carrot, horse potato, broccoli, meat sauce, steamed egg custard,

– lily root ginkgo chicken
– mushroom white Mitsuba, Hamagurishio tailoring radish carrot bluish flowers
– rice Sakura sushi, wild plants, much vinegar up ginger

– strawberry Warabimochi cream

 

Die Erdbeeren im letzten Gang, das ist einfach, der Brokkoli auch. Makrelen-Knospen und Schneider-Rettich, da akzeptieren wir jetzt mal das Wort des Veranstalters und beim Seerosen-Gingko-Huhn freuen wir uns über die wunderschöne Inszenierung. So lange Augen und Gaumen zufrieden sind, soll der Verstand nicht dauernd mit Fragen dazwischen quäken. Wir sind zwei Armenier, zwei Italiener, zwei Briten und zwei Deutsche am Tisch. Keiner spricht Japanisch, insofern sind wir alle gleich fähig, die Speisekarte zu lesen. Schließlich kommt gegen Ende des Essens ein junger Japaner, lässt sich erschöpft auf den einen freien Stuhl fallen und beginnt hastig mit den Stäbchen die Schüsselchen, Schächtelchen und Tellerchen zu leeren. Bevor wir ihn bitten können, doch etwas zu übersetzen, steht er auf, verneigt sich und saust davon. Sein Namensschild hängt an einem gelben Band, das bedeutet, er gehört mit zum Organisationsteam und muss dafür sorgen, dass die mit den grünen Bändern ein reibungsloses Dinner haben.

Durch das nächtliche Kobe geht es zurück zum Portliner. Ich war heute Morgen in diesen Straßen unterwegs, mit mäßigem Erfolg.

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Der Gedanke war, ein, zwei schöne Geschirrteile zu erstehen für unsere Sushi-Abende zuhause. Außerdem hatte ich noch eine Haori-Bestellung für eine Freundin ausstehen. Also bin ich gegen halb zehn los, mit dem Portliner Richtung Einkaufsarkaden. In deutschen Innenstädten öffnen die meisten Geschäfte auch erst um 10 Uhr, das wird hier wohl ähnlich sein. Jein, die riesigen mehrstöckigen Arkaden liegen fast verwaist da, da die meisten Geschäfte erst um 11 Uhr öffnen. Was seltsamerweise geöffnet hat, sind die Dessous-Läden und die Anime-Shops. Auch die großen Modehäuser sind schon offen und zeigen ein eklatantes Beispiel von Diskriminierung: sieben Etagen Mode für Frauen, aber nur eine Herren-Etage! Schockierend. Ich streife mit wachsender Verwunderung durch die japanische Modewelt und bleibe vor einer Ecke stehen: alles in Rosa, mit Schleifchen und Rüschen und niedlichsten kurzen Röckchen, aber in Erwachsenen-Größen. Darüber steht groß „Maison de Rosé(!)“, was bei mir natürlich ganz andere Assoziationen weckt.

Irgendwann ist es dann 11 Uhr und ich ziehe erst durch die Sannomyia Center Gai Shopping Street, erfolglos, bis ich vorm Eingang von Kobes Chinatown stehe. Die wird als ein touristisches „Must“ angepriesen und ist eine einzige Enttäuschung. Erstens ist die „Town“ eine einzige Straße, durch die ich in zwei Minuten durch bin, und zweitens reiht sich ein Lokal an das andere und jeder Besitzer spricht mich an und will mich in seins ziehen. Nur die alte Dame am Softeis-Stand ist eher zurückhaltend-freundlich, aber Softeis ist so gar nicht meins.

Parallel zu der chinesischen Straße läuft die Motomachi Shopping Street und ich versuche mein Glück aufs Neue. In dem Laden mit Teetassen und Miso-Schalen bekomme ich grünen Tee angeboten, finde aber nichts, was mein Herz „Das ist es!“ sagen lässt. Dafür hat ein Laden eine Querstraße weiter wunderschöne lackierte Tischchen, Bronzeglocken und andere schöne Dinge in der Auslage, die ich interessant finde. Erst als ich im Laden stehe, sehe ich die Urnen und Grabsteine und Ahnenaltäre. Ich verbeuge mich entschuldigend und bin sehr schnell wieder draußen.

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Vor einem Gemüselädchen fotografiere ich riesige Bambusschösslinge, sicher gute 15 cm im Durchmesser. Monsieur kämpft seit Jahren einen ehrenvollen, aber vergeblichen Kampf gegen unseren Bambus, höchstens fünf Zentimeter Durchmesser. Es könnte also alles noch viel schlimmer sein, soll das Bild Monsieur vermitteln.

Ein paar Querstraßen weiter – es wird langsam ermüdend, wie lang diese Straße ist – haben drei alte Damen eine Art Nachbarschaftslädchen. Es gibt gebrauchtes Geschirr, man kann einen Tee trinken und auf Ständern hängen Second Hand Klamotten, darunter mehrere Yukatas, Kimonos und Haori. Ich probiere einen Haori an, schwarze Seide (oder seidenähnliches) mit eingewebtem Muster, ein bisschen eng, aber die zukünftige Trägerin ist kleiner und schmaler als ich. Die Damen versichern mir, dass man Haori offen tragen würde und dieser mir sehr gut stehe, nehme ich jedenfalls an, es läuft alles auf Japanisch mit sehr vielen Gesten ab. Bleibt nur noch die Frage des Preises. Nur um Euch eine Idee zu geben: die in der selben Straße in noblen Schneidergeschäften angebotenen neuwertigen Kimonos rangieren in den oberen sechsstelligen Yen-Zahlen, zwischen 5000 und 8000 €.

Es war bis vor kurzem in Japan noch ein Tabu, getragene Kleidung zu kaufen. Das führt dazu, dass Second-Hand-Kimonos zu Preisen zwischen 15 und 30 €, Haoris unter 10 € zu bekommen sind. Mein Lieblingskimono hatte noch die Reihfäden vom Schneider, die Ärmel waren damit noch zugenäht, offensichtlich bestellt und nie abgeholt.

Für diesen Haori zahle ich 1000 Yen, etwa 8 €, an die sehr zufriedenen Damen und dann wird es richtig japanisch. Die eine ältere Dame faltet den Haori mit ritueller Genauigkeit, die andere legt einen großen Bogen Papier, mit Schleifenbändern, parat. Da hinein wird er sorgfältig platziert, das Papier einmal darüber geschlagen, die Bänder verknotet, die anderen Seiten ebenso, dann wird das ganze Paket noch zweimal gefaltet, die letzten Bänder verknotet und kommt – welch ein Absturz – in eine schnöde Plastiktüte.

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Mit dieser Tüte in der Hand laufe ich zum Ausgang der überdachten Arkade, vor mir ein Stadtplan, aber weit und breit keine Bushaltestelle. Na gut, zum Hafen ist es ein knapper Kilometer, das sollte zu schaffen sein. Meine Achillessehne spinnt wieder ein bisschen und mein Hintergedanke ist, dass es am Hafen ein Marinemuseum gibt, in diesem bestimmt ein Café und in dem als erstes ein Glas Wasser, aus dem ich dann einen Eiswürfel fischen und die Sehne kühlen kann. Mein Plan geht grandios – und schmerzhaft – daneben. Der Weg zum Hafen ist ziemlich „idyllisch“, das Museum eher uninteressant und Café-los. Dafür gibt es im ersten Stock einen durchaus unterhaltsamen Film zum mittelalterlichen Hafen von Kobe. Der neben einigen wissenswerten Fakten die Möglichkeit bietet – ich bin die einzige Besucherin – heimlich die Füße hochzulegen. Ganz lustig ist auch die Möglichkeit, als Käpt’n in den Hafen einzufahren. Als aber eine Manga-äugiger Delphin in voller Lautstärke losquiekt und mir auf japanisch erzählt, wie sehr er wegen all des Plastikmülls weinen muss, riesige Mangatränen aus Kulleraugen, verliert das doch schnell an Anziehungskraft.

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Das Museum liegt auf der Route des Kobe City Loop Busses, eines nachgemachten 20er Jahre Omnibusses, der 17 touristische Highlights anfährt. Eigentlich will ich für meine 260 Yen die ganze Tour fahren – weniger aus Neugier, mehr für meine armen Füße -, aber schon auf den ersten 5 Stationen bleibt der völlig überfüllte Bus so oft und so lange im Stau stecken, dass ich mir Punkt 8 – 17 schenke und an der Sannomyia Station aussteige.

Ich komme fast zeitgleich mit Monsieur im Hotel an, werfe mich aufs Bett und stöhne: „Heute tue ich keinen Schritt mehr aus dem Hotel!“ Worauf Monsieur eine Augenbraue hebt und fragt: „Heißt das, du kommst nicht mit zum Konferenzdinner?“

Na gut!

Mutig und majestätisch in die Welt

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Ich will es wissen, ganz genau, und das, obwohl Monsieur frech grinsend meint, dass ich schon an der ersten Station scheitern werde, wenn es heißt: „Türen öffnen rechts.“ und ich mich natürlich nach links wende werde. Der Mann hat ja keine Ahnung, schließlich verfüge  ich doch jetzt über Superkräfte oder werde diese zumindest in Kürze haben. So, den strafenden Blick hat er sich mehr als verdient.

Tatsächlich ist der Plan etwas kompliziert. Im Kobe Information Center überreicht mir die Dame einen Umschlag und fächert vor mir aus: einen Bus- und Streckenplan, alles auf japanisch, mehrere Gutscheine, dito und den Tagespass, die „Supercard“. „Supercard! Supercard!“, sagt sie gleich zweimal und überreicht sie mir vorsichtig mit beiden Händen, so als ob sie Angst hätte, dass ich sie ihr aus den Fingern reiße und wie Superman gen Himmel durchstarte. Aber nicht doch, meine Superkräfte sind viel subtiler und außerdem brauche ich noch ihre Hilfe, damit sie mir auf dem Plan die Umsteigebahnhöfe einzeichnet.

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Dann muss ich erst einmal aus dem Bahnhof der JR-Linien hinaus und den der Hankyu-Kobe-Linie finden. Auf der geht es kurze drei Stationen weiter, wo ich dann den Bus 16 finden muss. Vorm Bahnhof stehen zwar ein paar 36er und 38er Busse, aber der 16er startet so weit abgeschlagen den Berg hinunter, dass ich schon fast überzeugt bin hier falsch zu sein, als mir da just in dem Moment der 16er entgegenkommt. Offensichtlich war er so überfüllt, dass sich der Fahrer sagte, es lohnt sich nicht, bis zur Abfahrtszeit zu warten, da eh keiner mehr einsteigen kann. Der nächste kommt aber schon knapp fünf Minuten später und hat wenigstens Platz zum Luftholen. Trotzdem keucht und ächzt er doch arg den steilen Berg hoch bis zur Rocco Cable Shita Station. Dort stehen schon Heidi und die Geißen (als Pappkameraden) und begrüßen uns mit Alpenjodler, Kuhglocken und Schweizer Volksmusik. Eine eher verstörende Begegnung. Allerdings kann ich Heidi hinter mir lassen mit dem Anruckeln der Standseilbahn. Im Gegensatz zu einer Japanerin, die schon beim ersten Ruckeln aufkreischt und sich schutzsuchend in die Arme ihres Partners wirft. So geht das bei jeder Bodenwelle und von denen gibt es viele auf den 10 Minuten, die die Bahn nach oben zuckelt. Hach, was muss er sich da stark und als Beschützer fühlen. Zum Glück geht sie mit ihrem Partner direkt zum nächsten Bus, während ich erst einmal auf die Aussichtsplattform steige. Ein bisschen im Dunst, aber schon sehr beeindruckend liegen Kobe und sein Hafen vor mir. Links geht er wohl nahtlos in Osaka Hafen über und noch ein bisschen weiter sieht man den schwimmenden Flughafen der Stadt. Das alles ließe sich viel einfacher fotografieren, wäre nicht jemand auf die Idee gekommen, direkt vor die Plattform einen überlebensgroßen Plastikfasan zu hängen. Wie ich mich auch wende, der dumme Vogel drängt sich immer ins Bild.

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Der Bus 1 bringt mich weiter von der  Rocco Sanjo zur Rocco Sanchu Station, ein kleiner aber wichtiger Unterschied. Vorbei am Music box museum, das mir die Dame in Kobe gleich besonders ans Herz gelegt hat. Die wusste aber offensichtlich nicht, dass ihre guten Worte durch abschreckend realistische Bilder in der Rocco Sanjo Station zunichte gemacht werden. Da sieht man nämlich zwei Japaner, wie sie sich mit diesem unheimlich natürlichen Gesichtsausdruck absoluter Begeisterung von einer dritten Japanerin, im Dirndl!, eine Kuckucksuhr erklären lassen. Vielen Dank für diesen wertvollen Hinweis. Dass vor dem Museum die Genfer und die Waadtländer Fahne wehen, macht die Sache noch unheimlicher.

Der Bus bringt mich zur Seilbahn, die unendlich langsam vom Berg hinunter zuckelt nach Arima Onsen. Wie der Name schon nahe legt, eine Stadt der heißen Quellen und beworben mit Bildern der alten Holzhäuser eines vergangenen Japans. Manchmal bin ich halt unheimlich naiv, da glaube ich solchen Bildern wirklich. Deshalb ist die Lernkurve, als wir über die Bergkuppe zuckeln, ziemlich steil. Überall riesige Hotelkomplexe von luxuriös bis „hat schon bessere Zeiten gesehen“, am liebsten würde ich kehrt machen und mit der Seilbahn zurück nach Kobe fahren. Das hat zwar ebenfalls keine romantisch-alte Architektur zu bieten, behauptet das aber auch ehrlicherweise erst gar nicht.

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Zwei meiner Gutscheine sind für Onsen-Bäder, deshalb werde ich wohl zumindest mal einen Fuß in diese Stadt setzen müssen. Und siehe da, nach ein paar hundert Metern geht von der großen Zufahrtsstraße die Fußgängerzone ab und ich bin mittendrin in den kleinen Gässchen mit den alten Holzhäusern. Mein erster Gutschein ist für Kin no yu, die ääähm Goldene Quelle. Die helle, gelb-braune, dampfende Flüssigkeit im Fußbad vor dem Onsen erweckt bei mir nun leider ganze andere Assoziationen und ich beschließe, dass ich meinen Alabasterkörper nicht in diese Wasser tauchen werde, wie heilend sie auch immer sein mögen. Versprochen wird mir nämlich, nach einem Bad wäre ich „courageously and majestically ready to step out into the world“. Bleibt natürlich die Frage, ist die Welt genauso mutig bereit für mich? Manche Fragen bleiben besser unbeantwortet und so folge ich den Gässchen mehr oder weniger (na gut: weniger!) zielstrebig zur Silbernen Quelle. Der Empfang ist sehr freundlich, eine mehrseitige Anleitung in Englisch – mit Bildern – zeigt, dass sie auf Ausländer eingestellt sind. Das einzige, was ein bisschen stört, sind die Warnhinweise, man solle seine Wertsachen gut wegschließen und/oder nicht aus den Augen lassen, es wäre in letzter Zeit zu Diebstählen gekommen. Die junge Frau mit ihrer kleinen Tochter sieht viel zu nett aus und die drei alten Damen sind viel zu sehr mit ihrer Körperpflege beschäftigt als dass sie auf mich in irgendeiner Weise bedrohlich wirken. Das kristallklare heiße Wasser, mit wilden Blubberbläschen durchsetzt, tut dann das seine, um alle Gedanken aus meinem Kopf zu vertreiben.

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Eine knappe Dreiviertelstunde trete ich wieder in die Welt, nicht majestätisch, eher mit dem wohligen Gefühl, dass alle Muskeln und Sehnen, ja selbst die Knochen, irgendwie verflüssigt sind. Trotzdem schaffe ich es, die Bewegungsabläufe so weit zu koordinieren, dass meine Füße mich zum Bahnhof der Arimaguchi Linie bringen. Kopfbahnhof, ein Zug steht und wartet, im Prinzip kann der doch nur in die richtige Richtung fahren. Vorsichtshalber frage ich zwei Knaben, ob dies der Zug Richtung Kobe sei. Sie nicken ja, aber… Mehrmaliges Umsteigen wird notwendig sein, das zeigt auch mein Plan. Die beiden haben das gleiche Ziel und entwickeln so etwas wie einen Beschützerinstinkt, suchen Blickkontakt, bevor der Zug in Arimaguchi und in Tanigami einläuft, zeigen auf den Nachbarzug auf dem gleichen Steig und nicken mir beim Einsteigen zu. In Shin-Kobe bestätigen sie mir aufmerksam, dass ich das Richtige tue und überlassen mich dann in Kobe-Sannomiya meinem Schicksal. Aber wie ich mit dem Portliner zum Hotel komme, das weiß ich ja.

Zug fahren in Japan kann so einfach sein.

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Hiroshima, mon chagrin

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Vor einige Jahren gab es im Rotkreuz-Museum in Genf eine Sonderausstellung mit dem Titel: „Das Rote Kreuz öffnet seine Familienalben“. Fotos aus 150 Jahren, zum Teil noch nie veröffentlicht, zeigten Wirken und Werken des Roten Kreuzes. Darunter waren Bilder von trügerischer Ruhe und fast banaler Schönheit, die ihre Aussage erst beim zweiten Blick preisgaben.

Eines dieser Bilder war ein Schwarz-Weiß-Foto eines Lotusteiches in voller Blüte. Fast kitschig schön, abgesehen von der Tatsache, dass die Blüten seltsam vertrocknet und wie vom Wind zersaust aussahen. Bis man sich hinunterbeugte zum Begleittext. Dort standen nur zwei Zeilen: Hiroshima, September 1945.

Delegierte des Internationalen Komitée des Roten Kreuzes waren in Tokio, um über die Situation der alliierten Kriegsgefangenen zu diskutieren (Japan hatte die 3. Genfer Konvention nicht unterschrieben) und waren so in Kürze vor Ort, um das Ausmaß der Zerstörung und damit der benötigten Hilfeleistung abzuschätzen. Ihre Fotos und Berichte gehörten zu den ersten Informationen, die der Westen über das Unermessliche bekam, das in Hiroshima und Nagasaki geschehen war.

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Es regnet, als wir vom Shukkeien Park an der Burg vorbei zum A-Bomb Dome kommen. Das ist auch gut so. Ich bin nah am Wasser gebaut, das fällt bei Regen nicht so auf. Auf der anderen Seite ist der Friedenspark und da wird es wirklich schwierig. Die Friedensglocke anzuschlagen, die Hände auf ihre Außenhülle zu legen und den Schwingungen nachzuspüren, hilft etwas, aber nur kurzfristig.

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Das in vielen Führern als besonders anrührend bezeichnete Kinder-Friedensmonument wird belagert von japanischen Touristen, die sich lachend und diskutierend  mit den typischen V-Posen davor fotografieren.

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Schier unerträglich ist dann die Gedenkhalle für die Atombombenopfer, wobei mich der sachliche Dokumentarfilm nicht so mitnimmt wie die Schilderung der Väter und Mütter, die erzählen, wie sie vergeblich nach ihren Kindern suchen, die als Schüler und Studenten zu kriegswichtigen Arbeiten im Stadtzentrum verpflichtet worden waren. Ähnlich geht es mir im Museum. Das Ausstellungsstück, das mich hinaustreibt, sind geschmolzene Glasmurmeln. Das einzige Andenken, das eine Mutter von ihrem Haus und ihrer Familie im Schutt und der Asche fand.

Die Friedensflamme, Teil des ewigen Feuers, angezündet auf dem heiligen Berg in Miyajima vor weit über 1500 Jahren, in einer Prozession von vielen Hundert Mönchen der verschiedensten Religionen zum Denkmal in Hiroshima gebracht, wird weiter brennen, bis es keine Atomwaffen mehr auf der Erde gibt.

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Als Ausgleich zu soviel Tod in seiner Geschichte zeigt Hiroshima sich als Stadt voller Leben. In einem Park stehen die Wartende Hunderte Meter tief in der Warteschlange für eine Manga- und Anime-Messe, im Sportzentrum nebenan bereiten sich junge Schützen auf einen Wettkampf vor.

 

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Gegen die Schwere von Hiroshma gönnen wir uns am Nachmittag noch einen Ausflug ins Bilderbuch-Japan: Kurashiki war einst Hafenstadt und Zentrum der Baumwollspinnereien, wovon heute nur noch Kanalbecken und reiche Häuser zeugen. Die Spinnereien sind geschlossen und zu kulturellen Begegnungsstätten umgebaut worden, vom Hafen bleiben ein paar Kanäle, die Landgewinnung hat die Stadt vom Meer abgeschnitten. Wir bewegen uns etwas abseits der normalen touristischen Pfade, es gibt keine englischen Ansagen mehr im Bummelzug, also fragen wir zwei Schulmädchen, ob sie Englisch sprechen. „Very little“, kichern sie. Ob sie uns sagen könnten, wann wir für Kurashiki aussteigen müssen. Sie fangen an, an den Fingern die Stationen abzuzählen, da schlägt die eine sich die Hand vor die Stirn: Da steigen wir doch auch aus!

Von der Kurashiki-Station zum Kurashiki Bikan Historical Quarter ist der Weg dann wieder perfekt zweisprachig ausgeschildert. In meiner Planung sah ich uns im Sonnenschein durch die alten Gassen schlendern, auf einer Terrasse am Kanal Sushi essen oder Ramen schlürfen. In der Realität regnet es bei mausigen 15°. Klappt halt nicht immer alles wie geplant.

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Dafür führt der Rückweg durch die Kurashiki Shopping Arcades. Wie soll ich das jetzt sagen: zwei Kimono-Jacken, die eine schwarzrote Seide, die andere blaugrau. Das musste wohl so sein.

 

 

 

 

Ich kann mich doch nicht um alles selber kümmern

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Toshi holt uns am Morgen in der Hotelhalle ab und erklärt uns im Zug das Tagesprogramm.

Dann will er uns auch gleich das Programm für morgen in Hakone erläutern und ich muss ihn unterbrechen. Auf unserem Plan steht für morgen nicht Hakone, sondern der Fuji, genauer gesagt, dass wir mit dem Zug zur Subaru Line 5th Station auf gut 2300 Metern Höhe fahren, von dort zum Komitake Schrein aufsteigen und dann ein paar Stunden auf dem Ochudo-Pfad auf halber Höhe um den Fuji-san wandern. Worauf Toshi nur den Kopf schüttelt und sehr lange braucht, um uns zu erklären, was alles nicht stimmen kann an dieser Aussage.

Erstens ist „station“ in diesem Fall eigentlich keine Orts-, sondern eine Höhenangabe.

Zweitens ist die Subaru Line keine Zugstrecke, sondern eine Aufstiegsroute zum Gipfel, Subaru Line 5th Station somit eine Höhenangabe, wie weit man mit dem Aufstieg gekommen ist.

Drittens gibt es dort natürlich nicht – wie der Name suggeriert – einen bequem erreichbaren Bahnhof, sondern nur einen Parkplatz an einer sehr kurvigen und sehr selten von Bussen befahrenen Bergstraße.

Die aber viertens im Augenblick noch unter einer dicken Schneedecke liege. Selbst für die viel tiefer liegende 4th station sei zur Zeit die Zufahrt noch gesperrt und überhaupt und sowieso begänne die Trekkingsaison am Fuji erst im Juni.

Da sitzen wir nun und sind gleichzeitig traurig und sauer auf die Frankfurter Dependance des japanischen Tourismusbüros, die uns diese verbaute Planung eingebrockt hatte. Es stimmt schon, dass dieser Tag so nicht im Original-Programm vorgesehen war, dass ich angefragt und nachgehakt und verändert habe wegen Wandern und Fuji-san. Aber dann erwarte ich doch, dass eine Fachkraft sagt, dass das aus den oben genannten Gründen nicht möglich sei. Oder mich zumindest abwimmelt und vertröstet, weil man sich erst mal vor Ort bei den Einheimischen kundig machen muss. Ich kann mich doch nicht um alles selber kümmern.

Toshi fängt an zu telefonieren und Alternativen zu planen. Es gibt viel Hin und Her, ein bisschen Hektik, weil Telefonieren im Zug in Japan verpönt ist und er bei jedem Stopp für drei Minuten auf den Bahnsteig stürzt. Das ist für ihn unangenehm und für uns auch, weil es die Stimmung belastet und wir uns ärgern, dass wir nun einen Teil unseres Urlaubstages damit verbringen, einen Frankfurter Fehler auszubügeln. Frankfurt selber spielt dabei gar nicht mit, Deutschland schläft noch tief und fest und das noch mehrere Stunden.

Nachdem Toshi sich mehrmals versichert hat, dass es keinen Weg gibt, die Subaru Line 5th Station zu erreichen, macht das japanische Tourismusbüro einen Gegenvorschlag: Toshi begleitet uns, wie er es geplant hat, nach Hakone und wir bekommen als kleine Entschuldigung vom japanischen Tourismusbüro zwei Tagespässe, die uns freie Fahrten auf allen Berg-, Seil- und sonstigen Bahnen, Schiffen und Bussen der Region erlauben. Ist zwar nicht Mount Fuji, aber wir stimmen zu.

Schließlich haben wir den Wetterbericht für morgen gesehen: Regen und Sturmböen bis Orkanstärke. Da hätte das Wandern eh nicht so recht Spaß gemacht.

 

Bach-Menuett und japanische Flötenmusik

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Vor zwei Jahren war unsere Große auf einer Konferenz in Tokio und beschloss zusammen mit ein paar Kollegen, jeweils über 100 € in einen geführten Bustrip nach Nikko zu investieren. Was folgte, war eine lange Liste frustrierte Empörungen. Die Reiseleiterin beschloss als Erstes, dass auf dem 160 km Trip alle 30 Minuten eine Harmoniepause einzulegen sei. Ganz unabhängig von den tatsächlichen Bedürfnissen und Pegelständen der Mitreisenden wurde alle halbe Stunde ein Rastplatz angefahren.

Als man so nach guten zwei Stunden in die Nähe Nikkos kam, schob die Reiseleiterin noch einen „workshop“ dazwischen, bei dem jeder Mitfahrende eine ganze Stunde an die Herstellung einer selbst bemalten Teetasse, eines selbst abgezogenen Holzdrucks oder ähnlicher kreativer Unsäglichkeiten verschwenden musste. Dem folgte dann noch eine Stunde Mittagessen. Was dann letzten Endes am Busparkplatz in Nikko zu der Aufforderung führte, in spätestens 45 Minuten wieder am Bus zu sein. Lange Heimfahrt, viele Pausen und so. Physiker sind ziemlich gut darin, Situationen schnell zu analysieren und so war ihnen rasch klar, dass ein empörtes Aufbegehren nur mehr kostbare Zeit gekostet hätte und sie machten sich im Laufschritt auf zur Erkundung der Schätze Nikkos. Zähneknirschend waren die europäischen Gruppenmitglieder pünktlich am Bus, wo sie dann 20 Minuten unter noch mehr Geknirsche auf einen verpeilten chinesischen Physiker warten musste, der sich von dem bisschen Druck doch nicht von seinen Selfies abhalten ließ.

Aufgrund dieser Erfahrung kam von unserer Großen für uns die Empfehlung: Nikko – auf jeden Fall! Geführte Busreise – auf keinen Fall!

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Als gut erzogenen Eltern nehmen wir uns das erst zu Herzen und dann einen Privatführer. Damit das ganze Unternehmen nicht zu luxuriös wird, geht es im Zug nach Nikko, Einweihung unseres gestern frisch erworbenen Japan Railway Pass.

Doch vor das Zugfahren haben die Götter das Aufstehen gesetzt und zwar um halb sieben nach einer vom Jetlag geschredderten Nacht. Wir beschließen, uns dafür um sieben ein europäisches Frühstück im 25. Stock zu gönnen, Tokio zu unseren Füßen. Leider haben trotz der frühen Stunde erschreckend viele andere Menschen die gleiche Idee gehabt. Alle Fensterplätze sind besetzt und das uns stattdessen angebotene kleine Bambus-Separée ist sicherlich romantisch, aber eben nicht, was wir wollten. Also sausen wir im Aufzug in den ersten Stock, nur um vor dem chinesischen Frühstücksraum eine ganze Busladung Chinesen Schlange stehen zu sehen. Da bleibt uns dann doch nur japanisch, selbst da ist es übervoll. Was wollen all diese Menschen so schrecklich früh anstellen? Letzten Endes schaffen wir das mit dem Reis und dem Omelett und dem Fisch in unserem zeitlichen Rahmen und stehen kurz vor acht gebügelt und gestriegelt in der Rezeption, wo uns Toshifumo zwar freundlich empfängt, uns aber dann doch sehr bestimmt in Richtung Ibebukuro Station drängelt. Er drängelt so erfolgreich, dass wir statt des 8:15 sogar noch den 8:07 erwischen, der uns zur Schnittstelle der Tokioer Linien mit dem Schinkansen-Netz bringt. Einmal drin im delfinnasigen Zug macht es „Wuuuuschschsch“, etwas über 240 km/h, dann bimmelt ein Bach-Menuett zum Abbremsvorgang und der Ansage der nächsten Haltestelle. Utsunomiya Station müssen wir uns zum Glück nur merken und nicht aussprechen können, denn dort wechseln wir aus dem Shinkansen Yamabiko in den Bummelzug der Nikko Linie. Und sehen, dass wir natürlich nicht die einzigen Ausländer mit dieser umweltfreundlichen Idee waren. In ganzen Horden strömen Gruppen jeden – aber meist doch unseres – Alters am Kontrollschalter vorbei, den kirschblütenfotogeschmückten JRP wie einen Freibrief in der hocherhobenen Hand. Stürzen sich in die kleinen Waggons, belegen die letzten Plätze und zwingen uns zu gut 50 Minuten Stehen. Da die Fenster knapp unter meiner Schulter aufhören, kann ich Euch nur wenig über die Landschaft auf der Fahrt nach Nikko erzählen.

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Das als so außerordentlich schön gepriesene Nikko begrüßt uns mit einem außerordentlich hässlichen und dominanten Riesenbau, der sogar nicht in die bewaldete Stille passt. Es stellt sich heraus, dass dies der Schutzbau ist, unterm dem die drei goldenen Buddhas des Rinnoji-Tempels ihrer Renovierung entgegensehen. Rinnoji ist buddhistisch und shintoistisch zugleich, da angeblich in der mittleren Buddha-Figur auch die mächtige Shinto-Berggottheit des benachbarten Nantai-Gipfels haust. Je mehr unsere jeweiligen Führer uns über Buddhismus und Shintoismus zu erklären versuchen, desto verwirrter werden wir. Höhepunkt ist aber das eher unscheinbare, doch recht geräumige Gebäude hinter dem Tempel. Das sei – erklärt Toshi und ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich ihm das glauben soll – das Toilettenhäuschen der Götter, gleich welchen -ismus‘. Da aber kein Sterblicher die Göttlichen dabei beobachten darf und das Gebäude somit allerstrengstens „Zutritt verboten“ ist, gibt es natürlich keine Aussagen dazu, wie das so ist, wenn die Göttlichen mal eine Harmoniepause brauchen.

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Diese Überlegungen hindern uns natürlich nicht darin, die Schönheit der Gebäude zu bewundern. Die riesigen goldenen Buddha-Figuren wirken geradezu dezent gegen das Farben- und Gestaltenfeuerwerk, das Toshogu anzündet. Mein an Kyoto geschulter Geschmack wird auf eine harte Probe gestellt, Toshogu ist sozusagen japanisch-barock. Und äußerst geschäftstüchtig. In der letzten Halle zieht sich ein riesiger Glücksdrache über die Decke, der sehr musikalisch ist. Ein Mönch schlägt unter Schweif und Unterleib des Drachen zwei Bambusrohre zusammen, diese machen ganz prosaisch: bongbong. Je näher er dem Haupt kommt, desto mehr Resonanz baut sich auf, so dass unter dem Maul des Drachen ein langklingendes Booooonnnngbooooonnnng die Halle erfüllt, das sei der Atem des Drachen, ah ja. Der Mönch wiederholt das mit zwei kleinen Glöckchen und fügt ganz schnell hinzu, dass man diese – natürlich glücksbringenden – Glöckchen für ein paar Hundert Yen am Ausgang erwerben könne. Da gibt es außerdem noch jede Menge andere Amulette, für eine gute Ehe, ein erfolgreiches Studium, sicheres Fahren im Straßenverkehr. Da fallen mir doch gleich mehrere Kanditaten hmmm -innen ein, die so ein Amulett… Ach, ich fürchte, das wird zu teuer!

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Der letzte große Komplex, Taiyuinbyo, liegt in einem verwunschenen Seitental mit Drachenquelle, umringt von riesigen Bäumen. Zwar bringen mich die Treppen um Treppen um Treppen hart an meine Grenzen, aber das Ziel macht es wett. Zumal vor dem letzten Tor eine hohe japanische Flöte etwas dissonant einsetzt, passend zur wunderschön melancholischen Stimmung des Ortes, dem Mausoleum eines Shoguns. Die Melodie wird aber schnell eintönig und repetitiv. Nun ja, eine Treppe weiter stellt sich der Flötenkünstler als Gärtner mit Elektrolaubbläser heraus, schon ein bisschen peinlich.

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Nach über vier Stunden intensiven Schauens und Staunens machen wir uns auf den Rückweg zum Bahnhof, unterbrochen von einer Pause in einem kleinen Laden, der die lokale Spezialität, Yuba, anbietet. Zum ganz großen Glück habe ich vor ein paar Tagen etwas darüber gelesen gehabt. Googelt das mal, dann werdet ihr vielleicht verstehen, weshalb wir uns für eine Schale Reis entschieden haben.

Achja, im Shinkansen lässt es sich nach so einem vollen Tag wunderbar schlafen und von all den neuen Freunden träumen.

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Schrein oder nicht Schrein

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… das ist hier die Frage. Die Antwort darauf kommt später.

Zuerst kommt ein kleines Loblied auf Langschläfer, sich noch einmal Umdreher, ein bisschen später Aufsteher. Deren botanisches Äquivalent erfreut uns gerade. Die Kirschblütenzeit ist nämlich just vorbei. Der 28. März war der Stichtag und wir sollten – wie uns ein Japaner in der Metro erklärt – heilfroh sein, dass wir sie verpasst hätten. Kirschblütenzeit wäre Japan im Ausnahmezustand und Tokio dann eine einzige „madness“. So freuen wir uns an den paar Nachzüglern und Zu-spät-Blühern, die wir ganz ohne Gedränge und Menschenmassen sehen können. Noch mehr freut uns die Blüte von Cornus cousa, der gerade in großen Mengen seine weißen oder rosafarbenen Blüten entfaltet.

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Ein japanisches Frühstück mit Algensalat, kaltem Omelett und Fisch – aber ohne Reisporridge, so viel Authentizität brauche ich dann doch nicht – stärkt uns für einen Ausflug mit Juri, unserer Tokyo-Greeterin. Greeter sind nette und engagierte Menschen, die ihre eigene Stadt fremden Gästen zeigen möchten. Greeter trauen dir zu, dass du die Top Ten ihrer Stadt alleine findest und zeigen dir nicht das, was in jedem Führer aufgelistet ist, sondern die versteckteren Ecken. Und das ehrenamtlich und kostenlos. Oder eben nicht ganz kostenlos, wie sich ein Amerikaner auf einem Bewertungsportal aufregt, da sie doch tatsächlich erwarten, dass man ihre U-Bahn-Tickets bezahlt und ihnen vielleicht sogar einen Kaffee spendiert. Diese Kritik muss Juri so getroffen haben, dass sie uns auf unsere Frage zu Mäcdoof lotsen will, mit dem Argument, dass der Kaffee da nur 100 Yen kosten würde. Das lassen wir ihr natürlich nicht durchgehen und leisten uns – für den 3fachen Preis, aber mit toller Aussicht – eine Kaffeepause im 7. Stock des Asakusa Information Centers. Wenn man Genfer Preise kennt, sind 300 Yen für einen Kaffee ein Schnäppchen.

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Juri zeigt uns noch ein paar versteckte Ecke mit alten Holzhäusern, wir zeigen ihr ein kleines Restaurant am Wegesrand, nach drei Stunden strammen Zeitziehen zu Fuß haben wir uns eine größere Pause verdient und das Lokal sieht so nett aus. Das Essen ist sehr gut, das Personal  ausgesprochen freundlich und Juri notiert sich die Adresse für die Zukunft. Als zusätzliche kleine Überraschungen kommen die Tischnachbarn aus unserem Nachbarort in Frankreich. Wir lassen die Führung ausklingen auf einem alten Tokioer Friedhof, der das Grab des letzten Shoguns beherbergt und von großer Schönheit und Stille ist.

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Zurück im Hotel beschließen wir nach einer kurzen Füße-hochleg-Pause (immerhin 11 km zu Fuß auf Tokios Asphalt!), dass wir doch mindestens eine der Hauptattraktionen Tokios gesehen haben müssen. Also wieder rein in die Schuhe und runter in die Ikebukuro Station, Tickets gekauft und in die Yamanote-Linie. Freundlicherweise gibt es alle Informationen auf Englisch. Fahren nach Zahlen ist nicht nötig und von der Harajuku Station zeigen schon die Wegweiser zum Meiji-Jingu-Schrein.

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Während wir noch etwas verblüfft vor den Weinfässern stehend die Erklärung nachklingen lassen: Der Kaiser Meiji öffnete sein Land westlichen Einflüssen, plärren im Wald um uns herum plötzlich Lautsprecher los. Der Schrein schließe bei Sonnenuntergang und man solle sich doch schnellstmöglich zu den Ausgängen begeben. Worauf wir uns natürlich schnellstmöglich zu den Eingängen begeben, um wenigstens noch einen kurzen Blick auf das Äußere zu erhaschen. Insofern kann ich die Frage: „Schrein oder nicht Schrein?“ mit einem entschiedenen „Sowohl als auch!“ beantworten.

Zurück im Hotel wird uns ein Flugblatt in die Hand gedrückt und ein kleineres Rätsel von gestern gelöst. Der junge Mann am Check-in, der noch ein bisschen an seinem Englisch arbeiten muss, hatte uns nämlich etwas von einer Casting-Show erzählt. Zumindest hatten wir das so verstanden und uns schon gewundert, weshalb er das für erwähnenswert hielt. Das Flugblatt klärt uns auf, dass es eine „tuna cutting show“ sein wird mit anschließender Verköstigung und Sake-Probe.

Die Show ist schon ziemlich beeindruckend: ein  riesiger Thunfisch wird vor unseren Augen auf eine Holzplatte gehievt. Er sei 75 kg schwer und damit ungefähr genauso schwer wie der Küchenchef, betont die Dame, die die Show begleitet, 1,10 Meter lang – und hört auf den Namen Herbert, erwarte ich als nächstes. (Natürlich nicht!) Der Küchenchef zieht ein Messer in Schwertlänge und zerlegt mit kraftvollen Schnitten den Fisch fachgerecht, drei Gehilfen tragen, wenden, zerteilen die Filetstücke. Anschließend wird mit Löffeln das verbliebene Fleisch von Haut und Gerippe geschabt, klein gehackt und gewürzt als Tatar gereicht. Das ist dann sozusagen der kleine Gruß aus der Küche, denn im Anschluss an die Show gibt es „Herbert“ in verschiedenen Dareichnungsformen als Menü.

So frischen Thunfisch haben wir noch nie gegessen. Danke Herbert!

Alles ganz normal

 

Nachdem die letzte Ankündigung sich ja als etwas verfrüht erwiesen hat, wollte ich bei dieser Reise auf Nummer sicher gehen und abwarten, ob wir auch fahren. Diesmal nach Japan, eine Woche quer durch Honshu, fast, Tokio-Hakone-Hiroshima, danach für Monsieur eine Woche Konferenz in Kobe.

Eigentlich gibt es jetzt noch nichts zu erzählen.

Alles ganz normal verlaufen.

Wir sind richtig früh am Flughafen, der Flieger startet dann mit Verspätung.

sylt3In München haben wir drei Stunden Aufenthalt und gönnen uns einen europäischen Abschied vor Sushi und Stäbchen. Deshalb nehmen wir das Angebot des Münchner Airports: Sylt meets Asia nicht wahr. Dass das auf Brezeln hinausläuft, ist in Bayern sicher  ganz normal.

Dass bei einem Nachtflug erstmal alle Kleinkindern eine halbe Stunde weinen, auch.

Über Sibirien wird es langsam hell, dunkle Tundra und darin weiß gefrorene Flüsse lassen die Landschaft wie einen Scherenschnitt erscheinen.

Dass wir in Haneda 16 Reihen tief vor der Immigration stehen, ist sicher ganz normal, dass wir den Airport Shuttle zu unserem Hotel noch bekommen, dann doch eher Glück.

Es ist fast 20 Uhr und aus dem „Nur ein Viertelstündchen“ wird mehr. Um vier Uhr morgens werde ich wach und überlege, dass  ich etwas für den Blog schreiben könnte.

Da fällt mir ein und auf, dass ich ja eigentlich gar nichts zu erzählen habe.

Also alles ganz normal.