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Monsieur Tout-le-monde

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… sa femme, ses enfants – und nicht zu vergressen, ganz wichtig! – son chien. Das ist das französische Äquivalent zum deutschen „Gott und die Welt“. Finde ich viel lebensnaher und anschaulicher. Sich Gott mit Badelatschen und Kühltasche vorzustellen – das hat schon etwas fast Blasphemisches, bei Monsieur Tout-le-monde brauche ich noch nicht mal die Vorstellungskraft. Er kommt uns nämlich entgegen, in Badelatschen, allerdings ohne Kühltasche. Die trägt seine Frau, neben anderen Kleinigkeiten. Monsieur Tout-le-monde ist nämlich mit den wichtigen Entscheidungen beschäftigt, d.h. hier und jetzt den optimalen Picknickplatz zu finden. Die Kleinigkeiten, die ganze Logistik dahinter, darum darf seine Frau sich kümmern, die uns ein paar Meter weiter begegnet. Die Wickeltasche über der Schulter, Kühltasche in der einen, die da nicht hineinpassende Schüssel mit Nudelsalat in der anderen Hand balancierend, mit dem Bauch und den Handgelenken den Kinderwagen vor sich herschieben. Wie gesagt, Kleinigkeiten.

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Eigentlich hätten wir uns ja denken können, dass ein Naturschutzgebiet voller Seen an einem heißen Sonntag im Juli etwas überlaufen sein könnte. Zum Glück gibt es zwei ausgewiesene „Zone de detente“ – Entspannungszonen (und noch mehr Französisch Honni soit qui mal y pense!) -, in denen sich dann auch an flachen Ufern die Familien mit Kindern tummeln. Der Rest des Gebietes ist dann eher Spaziergänger-leer.

Das Marais de l’Etournel ist sozusagen der Natur zurückgegebene Natur. Die Seen sind wassergefüllte ehemalige Kiesgruben, nur durch einen schmalen Uferstreifen von der Rhône getrennt. Einer Rhône, die immer noch ihr Gletschertürkis trägt und mit einer Geschwindigkeit daherkommt, dass jeder Mutter beim Gedanken an badende Kinder übel wird.

Marais de l'Étournel

Wir lassen die Badeseen hinter uns und folgen den zuerst breiten flachen Wege zu den ausgewiesenen Attraktionen. Allerdings sehen wir am Hechtponton keinen Hecht und an der Libellenwiese kaum Libellen.

Dafür blitzt ein Eisvogel königsblau ins Schilf und Komorane begutachten aus Baumwipfeln das Nahrungsangebot. Auch einen Park Ranger treffen wir, wenig eindrucksvoll zu Fuß und nicht zu Pferd unterwegs, dafür ausgesprochen nett und mitteilungsfreudig.

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Die breiten Wege enden an einem kleinen Lattenzaun, der die Schutzzone für die Wasservögel abgrenzt. Betreten erlaubt, wenn man auf den Pfaden bleibt. Auf den kleinen und kleinsten Trampelpfaden, dans l’etat, in ihrem naturbelassenen Zustand mit zu überkletternden, umgestürzten Bäumen als kleine Zusatzaufgaben.

Die nächste halbe Stunde ist Entdeckerfreude pur am Ufer der Rhône entlang.

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Zurück am Parkplatz stellen wir fest, dass wir doch fast fünf Kilometer spaziert sind, von den Höhenmetern schweigen wir jetzt mal.

Eigentlich ganz nett, wenn man bedenkt, dass wir uns nach einem üppigen Frühstück mit Baguette und Pain au chocolat (Croissants waren leider aus) nur mal kurz bewegen wollten.

 

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There’s nothing so lonesome, so dull or so drear…

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… singen The Dubliners in den 70ern, than to stand in a bar of a pub with no beer.
Eine Skistation ohne Schnee kann da aber schon ganz gut mithalten.
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Mit dem dull and drear jedenfalls. Das lonesome ist nicht so ganz schlimm am Anfang.
Da gibt es nämlich eine Menge Mountain Biker. Ich weiß nicht, wie man das nennt, wenn sie so geballt auftreten: Herde, Schwarm, Rudel? Jedenfalls sind sie schnell an uns vorbei.
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Danach laufen wir allein im eisigen Wind auf dem Weg zum Chalet de Praffion. Ein breiter Weg, der ärgerlicherweise erst einmal leicht bergab geht. All die schönen Höhenmeter, die die Seilbahn uns hochgetragen hat, dahin. Nicht ganz alle, aber  sicherlich ein paar.
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Deshalb geht es hinter dem Chalet dann wieder 100 Höhenmeter hoch, bis wir am Creux de Praffion stehen. Eisige Bise umtost uns, aber strahlender Sonnenschein herrscht, da ist es nicht verwunderlich, dass wir nicht die einzigen sind, die im Creux herumspazieren. Eine Herde Gämsen ist auf die selbe Idee gekommen. Und das ist dann alles andere als dull and drear.
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Ist doch schön, wenn man für ein wenig Sich-Anstrengen so nett belohnt wird.

Jurassic Park

 

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Kinder zwischen sechs und zwölf sind ja fast unkaputtbar: voller Lebensfreude, Ausdauer, Energie. Die Wanderung zum Creux de l’Envers gehörte zum Jurrassic-Parc-Abenteuer, das wir im Sommer häufiger mit unserer Viererbande und befreundeten Eltern angingen.

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Eine Stunde auf breiten schattigen Waldwegen, dann ein heftiges, 30 Minuten langes „petit raidillon“, ein „Steilerchen“, über den Rand des Felsenkessels. Während die Eltern sich genüsslich auf den Almwiesen lagerten, begann für die Kinder die Suche nach Fossilien in den Geröllhalden der Hänge. Den von den Kindern erträumten Dinosaurierknochen haben wir zwar nie gefunden, dafür eine Menge Ammoniten, Muscheln und hin und wieder einen Pflanzenrest. Die Väter waren natürlich ganz glücklich über den nicht existenten Dino-Fund, schließlich mussten sie die Ausbeute von zwei Stunden aufgeregter Suche und Kletterei im Rucksack nach Hause, d.h. zum Auto tragen. Die Kinder liefen auf dem Hin- und Rückweg meist die doppelte Strecke mit Vorpreschen und Zurückkehren, zum „Sind wir bald da?“-Fragen.

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Für heute haben wir eine Dino- und Fossilien-freie Wanderung geplant, vom Parkplatz Pailly  über die Chalets von Quible und  Platiéres zum Creux. Das ist der angenehme Teil. Dann beginnt der Aufstieg zum Colomby de Gex (1688) über den Pas d’Echine. Monsieur kramt seine Französischkenntnisse zusammen, „pas“ ist die Verneinung, échine  das Nackenkotelett (an der Fleischtheke) und kommt zu der Schlussfolgerung, dass es dort keine Koteletts gibt. Das ist zwar logisch durchaus richtig, sprachlich aber inkorrekt. Der „Weg auf dem Grat“ wird seinem Namen durchaus gerecht. Jahrelang wurden wir mit den Kindern immer wieder gewarnt, nur ja nicht diesen gefährlichen Pfad zu nehmen, hinauf fast nicht machbar, hinab sozusagen Selbstmord.

Das geht nicht so ganz überein mit der Anzahl der Wanderer, die wir von unten in der Wand sehen. Dass es so viele suizidäre Outdoor-Fans geben soll, ist nur schwer vorstellbar.

Wir machen im Creux eine kleine Pause und beobachten die anderen, kommen zu dem Schluss, das sollte machbar sein. D.h. Monsieur und meine beiden Großen wollen da hoch, ich habe dann doch eher – nun ja – Bedenken. Also trennen wir uns, weil ich die anderen nicht ausbremsen will.

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Das hier ist nämlich sozusagen eine Abschiedswanderung. Meine Älteste zieht nächste Woche um, für fast zwei Jahre. Ihre Wohn- und Arbeitswelt wird auch auf luftiger Höhe liegen, 3000 Meter hoch, auf dem ewigen Eis des Südpols, in der Scott-Amundsen- Station.

Da gibt es tolle Bilder von Polarlicht und Sternenhimmel, aber Fauna und Flora, das fehlt schon sehr auffällig. Also geht es heute noch einmal in die Berge, Wald, Wiesen, Blumen, eben Flora und Fauna tanken. Der große Bruder, der zum Tschüss-Sagen für das Wochenende vorbeigekommen ist, macht natürlich mit.

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Die Drei steigen also nun steil in der Felswand hoch zum Rand des Felsenkessels und laufen an diesem entlang zum Colomby, während ich erst weiter unten den Kessel durchquere und dann über Almwiesen zum Gipfel hochsteige. Höhenmetermäßig gibt es sich nichts, auf welchem Weg auch immer, hoch ist hoch, mein Weg ist eben deutlich länger und deshalb nicht ganz so steil.

Natürlich sind die Drei vor mir da und haben ein Picknickplätzchen ausgesucht. Die Reste vom Grillfest gestern Abend sorgen für ein opulentes Mal mit grandioser Aussicht. Links auf den diesigen Genfer See, ohne Mont Blanc, der versteckt sich. Rechts liegen die sattgrünen Weiden und Wälder der Jurahügel mit ihren dazwischen getupften Bauernhöfen.

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Irgendwann fallen dann Worte wie: von jetzt geht es ja nur noch bergab, die sich als so etwas von falsch erweisen werden. Natürlich wählen wir nicht den breiten Weg zur Marechaude, sondern den schmalen Pfad des „Balcon du Leman“, der vom Colomby zwar tatsächlich erst bergab, aber dann natürlich wieder auf den nächsten Gipfel geht. Der Große, passionierter Mountainbiker, hebt ob meines Jammern nur eine Augenbraue: „Alles unter 4% Steigung zählt als bergab.“

Das Auf-und-Ab-Spiel spielen wir noch mehrmals. Im Abstieg zeigt sich wieder die alte Weisheit, dass bergauf für die Knie allemal angenehmer ist. Die letzten Höhenmeter vor der Bergstation sind dann doch recht unangenehm.

Aber dort nimmt uns die Seilbahn 600 Höhenmeter ab und die allerletzten Meter bis nach Hause das Auto.

Und da, auf der Terrasse, ein Weißbier vor mir, kommt der allerschönste Teil ein jeden Wanderung. Der Moment, in dem ich genüsslich und ein kleines bisschen stolz von dieser Wanderung als „geschafft“ denken kann.

13,8 km, 780 Höhenmeter auf, 760 ab

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