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Muss ja nicht immer Säulen sein

Monsieur und Französisch sind ja immer noch nur „Fast beste Freunde“. Vor Jahren hörte er zwei inkompetente Handwerker im Weggehen sagen, halb bewundernd, halb herablassend: „Das muss einer von ganz oben sein, der konnte uns ja noch nicht mal auf Französisch runterputzen.“ Monsieur hatte sich das damals sehr zu Herzen genommen und seinen Sprachschatz erweitert. Inzwischen kann er inkompetenten Handwerkern ziemlich genau sagen, was ihm missfällt und warum. Mit den Feinheiten der Aussprache und Grammatik steht er allerdings immer noch ein bisschen auf Kriegsfuß.

Dafür kann er solch Wortungetüme wie „Rhombicuboctahedron“ spontan fehlerfrei aussprechen. Nicht nur das, er kann auch mit fragend gehobener Augenbraue nicht verstehen, warum mir das selbst im dritten Anlauf nicht gelingt.

Wir sind in einem ganz wunderbaren kleinen Museum zu den Errungenschaften griechischer Technologie, muss ja nicht immer Säulen sein. Die haben wir auch noch auf dem Plan, aber später.

Dieses Museum – ein umgebauter venezianischer Palast – zeigt Computer, Automaten, fliegende und fahrende Gerätschaften und allerlei wissenschaftliche Spielereien der alten Griechen. Monsieur ist ganz in seinem Element. Lässt sich von der jungen Dame in zwei Experimente verwickeln und sinniert lange über den Mechanismus eines anderen Objektes nach. Ich bin ein kleines bisschen schockiert, dass einige der Mechanismen von Wissenschaftlern entwickelt wurden – wie die sich „durch Götterhand“ selbständig öffnenden Tempeltüren -, damit die Priesterschaft die Gläubigen manipulieren konnten. Für mich geht das nicht mit dem Ethos des Wissenschaftlers, der reinen Forschung überein. Monsieur zuckt nur die Schultern: „Wenn du Funding brauchst…“ deutet er an.

Wir spielen und wundern uns durch die zwei Etagen dieses kleinen Museums, das – muss ich das überhaupt erwähnen? – ein ganz bezauberndes Café in den Mauernischen seiner Palastfensters hat, mit Blick aufs Meer.

Einen noch besseren Blick auf das Meer und den Hafen haben wir vom Dachlokal ein paar Häuser weiter, wo wir in Mezze schwelgen: ein paar Tintenfischarme, ein paar marinierte Anchovis, gebackener Käse und feine Filoteigröllchen, gefüllt mit Fenchelgrün und Feta.

Dann heißt es wieder Siesta im Hotel. Das Hotel ist eine mittlere Enttäuschung. Im Reiseführer stand etwas von alteingesessen und schön renoviert, am Rande der Altstadt und mit Blick aufs Meer. Stimmt alles, ist aber nur die halbe Wahrheit. Zwischen dem Meer und dem Hotel liegt eine vierspurige Straße und hinter der Straße eine Partymeile, die bis Mitternacht schrecklich laute, danach bis zwei Uhr früh nur noch ziemlich laute Musik wummern lässt. Was der Reiseführer auch zu erwähnen vergaß, ist die Tatsache, dass ganz Heraklion direkt unter der Schneise für startende Flugzeuge liegt. Gestern Morgen, beim Frühstück im gläsernen Dachpavillon, sah ich ein Flugzeug fast die Dächer der Wohnhäuser am Stadtrand berühren. Sicher nur ein Trick der Perspektive, der Lärmpegel war real.

Bei geschlossener Fenstertür geht das alles, aber dann hätte ich auch kein Zimmer mit Balkon gebraucht.

Unsere Siesta ist eh nur kurz, wir wollen um 16:20 den Bus 2 nach Knossos nehmen. Das Paar am Nachbartisch hat uns heute Morgen Horrorgeschichten vom stundenlangen Anstehen nur für die Kasse erzählt und vom völlig überlaufenen Palastgelände. Dafür hätten sie beim Herumgeschoben-Werden zwischen den diversen Besuchergruppen immer mal wieder den ein oder anderen Satz einer Führung mitbekommen.

Stundenlang Anstehen kann Monsieur nicht und in Massen herumgeschoben zu werden mögen wir beide nicht.

Also wenden wir den Trick an, den wir in Istanbul gelernt haben und tauchen erst am späten Nachmittag auf. Jeder Reisebus, der unserem Stadtbus auf der Fahrt entgegenkommt, freut uns: einer weniger!

Der Stadtbus hält auf dem – fast völlig leeren – Parkplatz direkt vorm Kassenhäuschen. Wir müssen nur einen etwas aufdringlichen Möchtegern-Führer abwimmeln und haben fünf Minuten später unsere Tickets. Eine einzige Gruppe ist vor uns unterwegs, ansonsten sind nur noch wenige Menschen im riesigen Gelände verteilt.

Unsere Historikerin hat uns vor Reisebeginn mitgegeben, dass wir von Knossos nicht zu enttäuscht sein sollten und uns für das „echte“ In-alten-Ruinen-Rumstöbern-Erlebnis den Palast von Malia ans Herz gelegt. Das haben wir fest eingeplant für Sonntag, wenn wir mit unserem Mietwagen von Heraklion aus auf die Lassithi-Hochebene fahren werden, unserem Standort für die nächsten vier Tage.

Deshalb können wir relativ unbeschwert die Beton-Rekonstruktionen des Herrn Evans beäugen, seine nachempfundenen Fresken bewundern und die schiere Größe der Anlage kontemplieren. Das wird uns leicht gemacht durch die Tatsache, dass weite Teile für Renovierungsarbeiten abgesperrt sind. Wir können also von oben auf das Gewirr von Mauerresten und Holzstegen, Treppen und originalen Steinplattenwegen schauen, ohne jedes Mal abwägen zu müssen, ob das für Monsieur machbar ist.

Etwas verwirrend finden wir den Evakuierungsplan, der uns bei Feuer weg vom freien Gelände auf die Fluchtwege durch die Wälder ringsum um die Palastanlage führen will, das scheint mir doch sehr kontraproduktiv und unsinnig. Monsieur widerspricht: „Das ist nicht unsinnig, das ist sicher gesetzlich so vorgeschrieben.“ Also doch kein Widerspruch in sich.

So kommen wir langsam und sehr entspannt an den falschen Säulen, den falschen Fresken und den vielen beeindruckend großen Amphoren vorbei zum von Evans so genannten Theater und stehen kurz darauf doch recht überrascht vor dem „Exit“ Schild. Das Museumscafé lockt uns diesmal nicht so recht und als kurz darauf der Bus auf den Parkplatz fährt, nehmen wir das als ein Zeichen. Der Busfahrer lässt uns mit einem Schulterzucken einsteigen, schließt die Türen und fährt dann zur offiziellen Haltestelle ein paar Meter weiter.

Um Viertel nach sechs sind wir wieder an unserer Ausgangshaltestellen. Knossos in zwei Stunden, Hin- und Rückfahrt eingeschlossen, das ist sicher ein Rekord.

Die Café-Situation in Heraklion

Das erste Café liegt sehr schön. Gut, es ist Selbstbedienung und der Kaffee kommt in diesen unsäglichen Pappbechern mit Plastikdeckel –„For your own safety, ma’am, it’s hot“ – dafür sitzen wir im Schatten großer Bäume neben den Ruinen eines alten Klosters. Zu sehen gab es vorher im Archäologischen Museum auch schon einiges. In den ersten Sälen hauptsächlich kleine Stiere aus Ton. Kreta und Stiere, das ist ja fast unvermeidbar, Europa und der Stier, Minos, der Minotaurus. Hier treten die Ton-Stiere in großen Herden auf, alle sehr ähnlich, mit leicht verwundertem Ausdruck und alle mit diesem Hauch von: „Töpfern für Anfänger: Plastisches Gestalten I, Dienstag, 19-21:00, Raum 23, zweite Etage“ der Volkshochschule von Dingenskirchen.

Neben den Stier-Herden werde riesige Ton-Amphoren mit fröhlichen Tintenfischen ausgestellt und weitere schöne und nützliche Dinge des täglichen Lebens. Ein paar Säle weiter haben die Menschen die Bronze- und Eisenherstellung gemeistert und zeigen, dass es Stiere auch in diesen Materialien geben kann. Dazwischen gibt es dann von allem etwas, für jeden Geschmack.

Von exquisiter Kunst – die Schlangengöttinnen – über meisterhaft verspielten Schmuck – der Bienen-Anhänger – zu etwas scheel-äugigen Löwen und ganz allerliebsten Mini-Maus- und -Eichhörnchen-Figuren, aus Eisen gegossen.

Wie verschieden die Geschmäcker sind, zeigt mir Monsieur, der langsam von Vitrine zu Vitrine humpelt – Rollstuhl war aus – und ab und an den Stuhl einer Aufpasserin „squattet“. Er steht sinnierend vor einem Greifen-Relief und meint dann versonnen: „Den könnte ich mir gut als Haustier vorstellen…“ Ihr seht, was ich meine? Ich nämlich nicht, absolut nicht!

Natürlich bleibt bei so viel zu Schau gestelltem Reichtum nicht aus, dass über dessen Verteidigung gegen missgünstige Nachbarn nachgedacht werden muss und so gibt es auch Vitrinen über Vitrinen mit Waffen und prunkvollen Rüstungen.

Die Pause im Café stärkt uns für den zweiten Stock mit den exquisiten Fresken. Ich bin ganz hingerissen, mit welcher Akribie Archäologen kleinste Teile der Fresken geborgen und restauriert haben und mit welch überbordender Fantasie (unterstützt natürlich von großem Wissen und viel Erfahrung) sie diese winzigen Puzzleteilchen zu großen Gemälden ergänzt haben.

Nach so viel Schönheit brauchen wir erstmal eine Siesta im Hotel, bevor wir uns von Café zu Café durch Heraklion hangeln. Das erste Café gibt es als Vorschuss vor den venezianischen Hafenanlagen. Industriearchitektur vom Feinsten und daher – wie meistens – vor allen Dingen beeindruckend groß.

Das Eis-Café zählt nicht so recht, da wir uns nicht hinsetzen, sondern nur um den dazugehörigen Brunnen schlendern, bevor wir im Gässchen-Gewirr hinter Sankt Minas ein hübsches Café unter einem Bougainvillea-Dach finden. Der frisch gepresste Orangensaft gibt uns so viel Elan, dass Monsieur nun nach der wirklich sehr schönen und wundervoll ruhig gelegen Matthäus-Kirche zu den Festungswällen will.

Ich biete ihm mehrere schöne Cafés rechts und links der kunstvoll mit Street Art verzierten Sträßchen an, aber er ist stur. Nur, zum Grab von Nikos Kazantzakis hochzusteigen weigere ich mich dann doch, Alexis hin und Sorbas her. Dafür biegen wir am Jesus-Tor durch die massiven Wälle wieder ab und lassen uns in einer Gasse hinter dem Bembo-Brunnen in einer Mezedopoleia auf die Stühle fallen.

Bis dahin war der Tag schon sehr schön, unerwartete Begegnungen inklusive. Wir treffen doch auf erstaunlich viele Menschen, die an Krücken laufen, den Fuß, den Unterschenkel in diesem Plastikstiefel. Die meisten grinsen und heben grüßend eine Krücke an. Entweder ist Kreta ein gefährliches Pflaster, was die Fußgelenke angeht, oder Monsieur trägt das Fashion Accessoire des Herbstes.

Auf unserem Rückweg, sehr langsam und vorsichtig, kommen wir an einem winzigen Häuschen vorbei und Monsieur seufzt: „Ich lass dich dann mal.“ Die Fenster des Häuschens sind bis obenhin gefüllt mit Trödel und Antiquitäten und das Licht im noch winzigeren Innenhof zeigt, dass der Laden noch auf ist. Zwei ältere Männer, selber auch schon fast Antiquitäten, schauen von ihrer Unterhaltung auf, als ich eintrete. Der eine macht eine eher vage Handbewegung Richtung Haus und folgt mir dann. Als ich ihm sage, was ich suche, öffnet er eine Schublade und holt einen Karton voller Glitzerkram hervor. Fängt an zu kramen und zu graben, einzelne Kristall-Anhänger auszulösen oder ganze Stränge von alten Kristallleuchtern zu entwirren.

Zwischendurch wirft er seinem Freund eine Frage zu und der wirft das englische Wort zurück, verbales Pingpong. Monsieur kommt dazu, begutachtet meine Auswahl, da legt der Trödler noch einen richtigen Glasklunker drauf mit: „Real diamond!“ und nennt seinen Preis. Ich frage lachend, ob da der Bodyguard für den Transport der Kostbarkeit mit inbegriffen ist und der spannendste Teil, das Feilschen, beginnt. Schließlich sind wir beide zufrieden und kehren zurück zum Hof, wo Monsieur und der Freund in eine intensive Diskussion über die „antike“ Elektroinstallation an der Wand vertieft sind. Schalter, Stecker und Verteiler sind als schmückendes Collier an alten Leitungen arrangiert.

Wir bekommen noch eine Menge seiner Schätze gezeigt, antike Teppiche über eine wacklige Treppe im Obergeschoss – ohne Monsieur-, wahllos hingelegte Gemälde, alte Fotografien und und und…

Weil ich etwas gekauft habe, darf ich auch fotografieren, trotz „no photos, please“. Unsere Gastgeber halten sich selbst auch nicht daran und wollen schließlich noch ein Foto von uns allen Vieren machen, bevor sie uns mit dem „real diamond“, aber ohne Bodyguard, unserer Wege ziehen lassen.

Also, was die Café-Situation angeht, war Heraklion ein voller Erfolg. Knossos, morgen, hat nur ein einziges Café. Das wird schwierig, fürchte ich.