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Nur einmal noch, Freunde

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Nadine warnt uns, die letzte Wanderung wäre „une vraie randonnée“, so als ob die anderen eher ein Spaziergang im Park gewesen sind. Also heißt es noch einmal die großen Wanderschuhe anziehen und die Stöcke schnappen – einige von uns. Die Wanderung ist wirklich nicht lang, hat es aber in sich. Was die kitzligen Stellen angeht, ja, aber besonders, was die Aussicht angeht. Nadine und Pascal fragen immer wieder, ob wir auch „genug“ Fotos  machen würden. Wir treffen alte Bekannte: da oben, das ist doch der Parkplatz, an dem die erste Wanderung losging. Ein paar Häuser von La Nouvelle schauen hinter einer Felsnase hervor, der Ort, wo wir im Gîte übernachtet haben.

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Da hinten, „Les trois Salazes“, die Felsformation, die gestern während der ganzen Wanderung auf uns herabgeschaut hat. Nach der Wanderung gab es noch ein Essen und eine Führung mit Mikhael, sozusagen das Kulturprogramm. Der Hüne von Mann führt uns zu seinen Linsenfeldern und zeigt uns, wie viel Arbeit ein so einfaches Gemüse wie Linsen bereitet. Wobei nicht die Aufzucht das Schwierige ist, das liegt vielmehr darin, auf der luftigen Höhe von 1200 Metern die immer hungrigen Vögel davon abzuhalten, erst die Linsensamen, dann die Keimlinge und ein paar Wochen später die reifen Früchte zu fressen.  Das Endergebnis, dürfen  wir – typisch kreolische Küche – als Linsen mit geräucherten Würstchen bei ihm probieren. Irgendwie kommt mir das bekannt vor…

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Die kleine Abschlusswanderung ist tatsächlich nicht ohne, dabei gehen wir die wirklich unangenehmen Stellen bergauf an. Es gibt so ein, zwei Momente der Fast-Panik, die Pascal schulterzuckend abtut: „Panik? Das hilft dir jetzt auch nicht weiter!“ Schließlich stehen wir oben auf dem Grat des Dos d’Ane, dem Eselsrücken, und haben freie Sicht nach zwei Seiten. Zum einen auf die Berge, die wir beim Aufstieg bewundern konnten, zum anderen auf die „Kornkammer“ und die Küste. Wie nicht anders zu erwarten, ist die Kornkammer mit ihren Gemüsefeldern unter Plastikfolie nicht sonderlich attraktiv. Da halten wir uns lieber an die Berge und den Rivière des Galets, tief unten im Tal.

Der Weg geht fast eben, aber manchmal nur 80 cm breit über den Rücken, dann beginnt der Abstieg. Viel sanfter und „langweiliger“ als der abenteuerliche Aufstieg, bringt er die uns entgegen kommenden Wanderer auch ganz schön ins Jappsen und Keuchen. Völlig fertig ist die ältere Inderin im durchgeschwitzten blauen Sportdress. Sie lässt sich schwer auf eine Bank fallen und stößt zu unserer aller Erheiterung ein von Herzen kommendes „Je ferais plutôt l’amour que la randonnée – Ich würde viel lieber Liebe als diese Wanderung machen!“ aus.

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Zurück im Hotel werden die Wanderschuhe gegen Strandschlappen getauscht.

Es zeigt sich, dass man auf La Réunion vieles, aber nicht alles haben kann.

Indischer Ozean – ja! Ohne Haie? Nein!

Tolle Brandung – ja! Ohne Riptide? Nein!

Badestrände – ja! Mit Brandung? Nein!

Unser Hotel liegt an einer Lagune. Das heißt vor langer Zeit haben freundliche – und inzwischen leider, leider abgestorbene – Korallen ein Riff gebaut. Die Brandung bricht sicht weit draußen an diesem Hindernis, das Wasser in der Lagune ist recht flach und ruhig. Dafür hält das Riff natürlich die Haie außen vor. An der einzigen Stelle, wo eine Bresche im Riff ist, sind große Hainetze gespannt. Richtig sportlich schwimmen ist ein bisschen schwierig, weil immer wieder große Korallentuffs bis kurz unter die Wasseroberfläche reichen, aber das ist ja auch nicht mein Ziel. Ein bisschen waten, schwimmen, im warmen Wasser dümplen und die bunten Fische um mich herum beobachten, das reicht mir vollkommen.

Unseren letzten Abend auf La Réunion verbringen wir in La Bobine, direkt am Strand. Vom Hotel aus sind es keine 20 Minuten am Meer entlang, meint Nadine, aber da wäre der „Ravine“, den es zu überqueren gälte. Ravines haben wir in den Bergen gesehen, die breiten, mit Felsen überstreuten Flussbette, die das Regenwasser der Zyklone zur Küste leiten. Dieser „Ravine“ ist ganze 40 cm breit und man müsste sich schon sehr anstrengen, nicht trockenen Fußes hinüber zu kommen.

Im La Bobine gibt Sundowner und kein Carry, dafür hervorragend gegrillten Fisch.

Auf dem Heimweg ist es natürlich stockdunkel, aber das macht nichts. Verlaufen können wir uns nicht: rechts das Meer, links der Sandstrand, laufen wir auf dem nassen Brandungsstreifen.

Und diesmal hat Pascal Unrecht: es ist flach!

 

Ein Katzensprung

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In Cilaos sind es sonnige 16° als Pascal mit uns „La route de la mort“ fährt zum Ausgangspunkt der heutigen Wanderung. Die Straße ist wirklich ein kleines bisschen beängstigend mit ihren engen Kurven, immer direkt am Steilhang. Die meisten fahren entspannt, nur einer muss sich unbedingt an uns vorbeidrängeln, ohne auf eine Ausweichoption zu warten. Wir hören ein bisschen, wie Pascal die Luft einzieht und „Bulbe mou!“ murmelt, die bisher heftigste Reaktion seinerseits auf dumme Fahrer. Das Erstaunlichste an dieser Straße ist aber nicht die Führung sondern die Tatsache, dass alle paar Kilometer eine Bushaltestelle auftaucht, die Strecke also von den knietschrosaroten Linienbussen der Insel befahren wird. Die Fahrer müssen Nerven wie Stahlseile haben.

Pascal lässt uns an so einer Haltestelle aussteigen, zeigt auf ein Auto, ein paar Hundert Meter oberhalb auf der anderen Seite des Tales. Da würde er uns wieder abholen. Für einen Vogel einen Katzensprung, wenn ich das mal so mischen darf. Für uns hinab ins Tal, über den kleinen Fluss und auf der anderen Seite wieder hoch, zwei Stunden, den Foto- und besonders den Paonia-Faktor eingerechnet. Dass es dann deutlich länger dauert, liegt nicht an meiner Langsamkeit sondern an der zauberhaften Schönheit des Tales. Der Abstieg ist steil aber kurz. Am Flüsschen angekommen ziehen Nadine und ich die Schuhe aus, andere versuchen es mit Schuhen und der Rest klettert mit Pascal etwas weiter oberhalb über die Felsen. Ich vertraue meinen Pass Nadine an, für den Fall, dass ich doch ausrutsche, aber alles klappt.

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Wir sitzen oberhalb des Wasserfalls in der Sonne. Ein ganz Mutiger traut sich von den Felsen ins eiskalte Wasser zu springen. Die Fotografen krabbeln durch die Felsen, um noch bessere Blickwinkel zu finden. Die Berge im Rücken, die Schlucht vor uns, genießen wir die wilde Schönheit. Irgendwie will man hier gar nicht weg, so großartig ist es.

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Der weitere Weg zum Bus bietet dann, je höher wir steigen, neue und andere Ausblicke auf das kleine Tal, aber die Atmosphäre ist natürlich eine andere.

Auf dem Rückweg gibt es noch ein kleines Schauspiel. Pascal hält in einer Kurve: am gegenüber liegenden Felsen macht sich eine Gruppe Waghalsiger fertig, einen 50 m hohen Wasserfall hinab zu gleiten, am Seil natürlich, aber selbst für uns aus der Ferne ein ziemlich abenteuerliches Unterfangen.

Danach heißt es für Pascal die Straße der 420 Kurven bis hinab an die Küste zu bewältigen, wo wir für die letzten Nächte in einem Strandhotel einquartiert sind. Auf der Strecke liegt an der Steilküste der „Souffleur“, ein Felsloch, durch das die Brandung geysirartig hochgedrückt wird. Unser Jüngster, der nicht richtig hingehört hat – oder vielleicht hungrig ist -, ist etwas enttäuscht, dass das „Souffle“ sich als nicht essbar erweist.

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Obwohl Pascal die Arbeit geleistet hat, sind wir auch ziemlich müde, als wir kurz vor Sonnenuntergang ankommen. Damit ist das weitere Programm klar: im Sand sitzen, der Sonne beim Untergehen zuschauen. Es gibt sogar noch einen Bonus: rechts taucht ein Walrücken und kurz darauf eine Fontäne auf.

Manchmal ist es einfach Glück

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Dabei dachten wir, wir hätten eher Pech gehabt mit dem Vulkan. Keine Wanderung, kein Lavatunnel. Dann setzen sich unsere beiden Führer hin und organisieren den nächtlichen Ausflug als Ersatz für die Wanderung tagsüber. Ein Erlebnis, das viel intensiver und eindrücklicher ist als ein Tagesmarsch durch die Caldera. Manchmal muss man einfach Glück haben. Oder zwei Organisatoren, die alles daran setzen, eine Enttäuschung abzuwenden.

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Sie kennen nämlich Rudy. Und Rudy hat da so einen Tunnel. Nicht irgendeinen Tunnel. Einen Tunnel, der erst vor vier Jahren entdeckt wurde. Auf eine etwas ungewöhnliche Art und Weise: ein Traktor samt Wasserfass-Anhänger verschwand plötzlich in der Erde.

Der Traktor ist inzwischen wieder draußen, geblieben ist ein fast jungfräulicher Tunnel. Nach der Traktorbergung kamen nämlich die Wissenschaftler und die haben erst einmal den Zugang verschlossen. Ganz egoistisch wollen sie diesen ungewöhnlichen Glücksfall für sich behalten: 23000 Jahre alte Lavaformationen, noch nicht von Millionen von Touristen angetatscht, abgebrochen und zertreten. Sie teilen nur ungern mit den Entdeckern, zwei Führungen gibt es pro Woche, jeweils nur 6 Personen.

Und, Nadine sei es gedankt, unsere kleine Gruppe. Dafür müssen wir wieder sehr früh aufstehen und eine längere Anfahrt in Kauf nehmen, der Tunnel liegt nämlich auf dem „scheel Sick“- Vulkan, einem kleineren, erloschenen Seitenkrater des Piton de la Neige.

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Rudy fährt voraus, öffnet ein Tor zu einer Wiese, schließt es hinter uns wieder und dann gehen die Sicherheitsbelehrungen los: Nichts anfassen, nichts abbrechen, nirgendwo gegen stoßen und auf gar keinen Fall sich rechts oder links abstützen. All dies könnte zu unwiderruflichen Schäden führen. Wobei er nicht ohne eine gewisse Schadenfreude bemerkt, dass den größten Schaden die Geologen selbst angerichtet hätten, als sie ahnungslos durch eine lose Geröllschicht latschten und damit die ersten menschlichen Spuren im Tunnel hinterließen.

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Wir werden mit Helm, Stirnlampe, Knieschützern und Handschuhen ausgerüstet. Rudy ist ein ganz kleines bisschen Entertainer, versucht aber auch eine Menge Wissen an uns zu bringen, von dem jedoch nicht so richtig viel hängen bleibt. Die verschiedenen Eruptionstypen, die 14 Lavatypen, die kristalline Zusammensetzung, es ist schon bewundernswert, wie viel ich so schnell vergessen kann. Pascal grinst nur: „Das kommt alles in den Abschlusstest!“, den seit Tagen angedrohten Test am Ende unserer Zeit.

Rudy schließt hinter uns ab, wiederholt noch einmal sein „Bloß nichts anfassen!“-Credo und entführt uns in eine Welt von unglaublicher, bizarrer Schönheit. Wände aus in der Lavahitze zu schokobraunem bis schwarzem Glas geschmolzenen Sand; Stalaktiten aus schwarzem Lackleder, die Opaltränen weinen. Blauschimmernde Spitze, gelbe Schwefeladern wie pulsierendes Gewebe. Über uns runde, spitz zulaufende Lavatropfen, wie die Zitzen eines riesigen Muttertieres und am Boden immer wieder, sozusagen als kleinen humoristischen Gegenpunkt zu so viel Schönheit, kleine Köttel aus Lava, die aus den Stalaktiten fielen, es aber nie zum Stalagmit geschafft haben. An manchen Stellen kleben die kleinen schwarzen Blasen so hoch an- und übereinander, dass sie wie das Gelege eines außerirdischen Wesens aussehen.

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Der Tunnel ist anfangs sehr breit und hoch, kein Problem mit dem Nichts-berühren. Doch dann wird es eng. Eng und niedrig, es geht auf allen Vieren weiter und die Knieschoner schützen nur ein bisschen vor der scharfkantigen Lava. „Tiefer, tiefer!“ kommt es von Rudy, eine kleine Lektion in menschlicher Demut. Seine Sorge gilt nämlich nicht unseren Köpfen sondern den kostbaren Formationen darüber.

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Dann bleibt er stehen und deutet auf ein eher unscheinbares Lavaröhrchen, das sich im rechten Winkel von einem größeren Stalaktiten weg biegt. Das ist der Grund, weshalb Geologen auf der ganzen Welt in Aufregung sind. Angeblich geht das nämlich nicht, Lava „kann“ nur 30°, das hier sind aber eindeutig 90°. Die Erklärung nach langwierigen Untersuchungen: diese Lava enthält extrem viel Spinell, der wie ein Emulgator für eine bessere Mischung mit höhere Elastizität sorgt. (Ich hoffe so sehr, dass die Frage im Test kommt, das habe ich mir nämlich merken können!)

Der ganze Tunnel wirkt eh schon wie die Brut- und Zuchthöhle eines Aliens, da kommt von rechts ein kleinerer Lavatunnel. Die Lavarillen sehen genauso aus wie ich mir die Spuren vorstelle, wenn ein Drachen seinen Bauch über den Boden schleift. Das ist dann der Punkt, an dem Rudy meint: „Les filles à gauche, les garçons à droite!“ und wir sollten mal schauen, wer zuerst wieder am Ausgang wäre. Er genießt ein kleines bisschen unsere abwehrenden Proteste und führt uns dann durch den Drachentunnel zurück zum Tor.

Draußen gibt es eine kleine Erfrischung und ein dezentes Umziehen hinter dem Bus. Wir sollten unsere ältesten Hosen anziehen und Wechselwäsche mitbringen, hieß es. Die scharfkantige Lava hat meine Hose überlebt, aber die 100% Luftfeuchtigkeit, die wir als kleine Tropfen vor den Stirnlampen tanzen sahen, führt zu durchnässten Pullovern.

Zum Abschluss bekommen wir noch das Passwort für unsere Fotos, denn nur Rudy durfte Fotos machen und steigen in unseren Bus.

 

Nadine sagt grinsend: „Tous les chemins mènent au rhum.“ und zuerst verstehen wir natürlich „nach Rom“. Aber dann zeigt sie uns nach der nächsten Abzweigung das Rum-Museum, ehemalige Produktionsstätte, jetzt Museum.  Viel Information, dann die praktischen Übungen und zum Schluss natürlich der Museumsshop, der hier allerdings weniger künstlerisch wertvolle Reproduktionen als Hochprozentiges in Flaschen bereit hält.

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Danach ist es Zeit im Nudelshop einer Freundin von Nadine eine Pause einzulegen, denn der Rest des Tages wird besonders für Pascal hart. Unser Hotel für heute ist in Cilaos, dem dritten Einbruchkrater des Piton de Neige. Dorthin führt als einzige Möglichkeit die „Straße der 420 Kurven“. Wir haben sie nicht nachgezählt, glauben die Zahl aber unbesehen. Im unteren Teil könnte die ein oder andere Kurve fehlen, weil der letzte Zyklon im Mai ein langes Stück der Straße weggeschwemmt und Cilaos von der Außenwelt abgeschnitten hat. Die „Ersatzstraße“ läuft fast durch das Flussbett und man merkt ihr deutlich an, dass niemand damit rechnet, dass sie lange standhält. Zum Glück muss sie für uns nur bis morgen halten…

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Volcan la pété

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Frühmorgens ist ja so gar nicht mein Ding und zwei Uhr nun schon ziemlich früh. Auch der Nacht-Concierge ist nicht richtig glücklich, stellt uns aber immerhin Croissants und Obst zum Kaffee hin.

Dann geht es unter dem Kreuz des Süden steil bergauf, von Meereshöhe auf 2300 Meter. Während die Autobahn und die nächtlichen Städte wie ausgestorben wirken, ändert sich das plötzlich bei der Zufahrt zum Krater. Ein steter Strom von Autos fließt dahin, der Parkplatz ist auch recht gut besetzt für die frühe Stunde. Das Aussteigen ist ein Schock: null Grad und schneidend scharfer Wind. Etwas wehmütig denke ich an die Odlo-Wäsche, die ich mit einem leichtfertigen Lachen für diesen Urlaub aussortiert habe. Nadine gibt mir eine Stirnlampe, die Wanderstöcke helfen bei den ersten Stolperschritten, dann treiben wir mit dem Strom der seltsamen, kalt leuchtenden Glühwürmchen um uns herum. Pilger auf ihrem Weg dem Vulkan zu huldigen.

Schon vom Parkplatz aus kann man ein rotes Leuchten sehen, aber noch liegt der Kraterrand vor uns. Wäre da nicht Pascals kategorisches „Plat? Ça n’existe pas!“, würde ich den Pfad für flach halten, jedenfalls abschnittsweise. Muss an der Nacht und der Höhe liegen, diese Täuschung, ganz bestimmt.

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Der Weg bietet uns immer wieder Ausblicke auf einen kleinen Eruptionsherd und den Lavastrom, der ins Tal fließt. Ab und an steigt ein glühendrotes Feuerwerk auf, der Strom ist eher in roten Dampf gehüllt. Hat schon etwas von einer Tolkien-Verfilmung.

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Nadine treibt uns ein bisschen an. Zum einen ist Bewegung das beste Mittel gegen die schneidende Kälte, zum anderen will sie einen bestimmten Punkt erreichen, der uns dann Ausblick auf Eruption und Sonnenaufgang bieten soll.

Wir kommen an, kauern uns in den – wenig wirksamen  – Windschatten-Schutz eines kargen Gesträuchs und merken sehr schnell, dass eine weit entfernte kleine Eruption nicht so richtig wärmt. Nadine kocht Tee auf einem kleinen Gaskocher, das hilft schon eher. Immer mal wieder erfreut uns der Lavaherd mit kleinen Explosionen. Das wärmt zwar das Herz, aber andere Körperteile frieren vor sich hin.

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Die Dämmerung zeigt uns, dass über dem Meer eine dichte Wolkendecke liegt, über die irgendwann in grandioser Schönheit die Sonne durchbricht. Damit erkennen wir auch, wo wir sind: ein, zwei Schritte vor uns bricht der Kraterrand abrupt ab, die Caldera liegt etwa 150 Meter tiefer. Was ich in der Dämmerung noch wegen der Farbunterschiede für Wälder und Wiesen am Kraterboden gehalten habe, zeigt sich als verschiedene Lavaströme mit bzw. ohne Islandmoos.

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Irgendwann ist es selbst Pascal zu kalt und er schubst seine Vulkan-verliebte Nadine in Richtung aufstehen. Die ersten Schritte fallen extrem schwer, die erstarrten, kalten Muskeln protestieren, aber dann führen Sonne und Bewegung schnell zum Aufwärmen.

Mir erscheint der Rückweg deutlich länger als der Hinweg bei Nacht. Das liegt wahrscheinlich daran, dass wir immer wieder stehen bleiben, um uns umzuschauen.

Im Licht sieht man die Farbigkeit des benachbarten Kraters, die schroffen Kontraste in den Wänden, die schiere Größe der Caldera.

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Der kleine Bus erwartet uns neben dem Wegweiser mit der Höhenangabe: 2311 m. Die Rückfahrt fällt dem gleichen Phänomen zum Opfer wie der Rückweg. Zuerst heißt es von Nadine:  „Arrêt photo?“, dann „Arrêt photo!“ In der Plaine de Sables macht Nadine uns Angst mit möglichen Wanderrouten durch die Ebene und über die Abbruchkante, dem Lavastrom des Grand Brulé folgend bis zum Meer. Auch im Krater Commerson können wir uns um 6 Uhr morgens nicht so recht für 30 Kilometer durch Lava- und Flussschluchten erwärmen. Fotos dagegen werden gerne und in großen Mengen gemacht.

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Aber irgendwann sind auch die Fotografen so gesättigt, dass wir ins Hotel zurückfahren dürfen.

Eine kleine Siesta haben wir uns redlich verdient.

Am späten Nachmittag geht es an den schwarzgrünen Strand. Nur zum Schauen, nicht zum Baden. Das Wasser ist zwar herrlich warm, aber selbst, als ich nur zwei Schritte weit hineingehe, spüre ich schon, wie die Riptide den Sand unter den Füßen wegzieht. Die Brandung rollt aus verschiedenen Richtungen an und tut ihr Bestes mich umzustoßen. Außer nassen Hosenbeinen schafft sie nichts. Aber sie erklärt die rote „Baignade interdite“ Fahne. Für die, die das nicht stört, flattert darunter die orangerote Fahne mit der Hai-Silhouette. Sehr überzeugend.

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Da kehren wir doch lieber ins Hotel zurück, wo über offenem Feuer mehrere Töpfe brodelnd das Abendessen vorbereiten, Carry natürlich, diesmal Ente und Ziege, Rougail des saucisses, wie – fast – immer und dazu – wie immer immer – Reis und „les grains“. Die „Körner“ sind Linsen. Klingt komisch, ist aber so.

Vielmehr: Klingt komisch, isst man aber so. Zumindest auf La Réunion.

 

Mit einem Vulkan diskutiert man nicht

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Schon gar nicht mit einem, der sich in den letzten Wochen als ziemlich erregt und zu heftigen Ausbrüchen neigend gezeigt hat.

Le Piton de la Fournaise schmeißt nicht nur mit Lava um sich, sondern auch noch unsere Pläne durcheinander. Ärgerlich, da sowohl die Wanderung zum Krater als auch der Besuch eines Lavatunnels zu den Höhepunkten dieser Reise gehören sollten. Aber der Einlass zum Krater und damit alle Wanderwege darin sind gesperrt, Zugang verboten. Das mit dem Lavatunnel ist auch nicht so ohne. Die „offiziellen“ liegen im unteren Teil des „Grand Brulé“, den großen Lavaströmen des Piton. Weit weg von den Eruptionen. Wenn aber nun, nur mal rein hypothetisch und so, der Vulkan sich spontan zu einem sehr großen Ausbruch entschließen  und jede Menge Lava auswerfen würde, wäre diese mit ca. 80 km/h recht schnell an diesen unteren Hängen. Würde sich über die alten Schichten schieben, würde  alle Warnungen, man solle sich für den Tunnel warm anziehen, da es da drinnen kalt und zugig sei, geradezu absurd erscheinen lassen bei den 1200° der frischen Lava. Durchzug hätten wir dann auch nicht mehr, alle Zu- und Ausgänge wären schon luftdicht abgeschlossen. Ist alles recht unwahrscheinlich, sorgt aber dafür, dass Pascal und Nadine uns heute nicht in die Tunnel und morgen nicht zur Kraterwanderung bringen wollen.

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Langweilig ist uns trotzdem nicht, denn es gibt heute ein äußerst kontrastreiches Programm. Zuerst erfahren wir, dass die Lava nicht anklopft. In der kleinen Kirche in Ste Anne drückte sie 1977 einfach die Tür ein. Weiter geht es durch den Grand Brulé. Bei seinen Ausbrüchen ließ der Piton immer wieder Lavaströme Richtung Meer fließen, die alles im Weg stehende verbrannten: Le Grand Brulé. Wir passen irgendwann nicht mehr auf, ob dies nun der Lavastrom von 1977, ’86, 2007, 2004 oder von wann auch immer ist, sind einfach nur fasziniert von der schwarz-grauen Landschaft. Lava in unterschiedlichen Farben und Zusammensetzungen: manche rund wie gigantische Kuhfladen, manche scharfkantig, bröselig variieren sie von schwarz zu rotbraun. Graues Islandmoos zieht eine weiche Decke über die älteren Ströme und die überschäumende Vegetation drängt an den Seiten mit Farnen und kleine Pflanzen auf die Ströme.

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Pascal setzt uns zu einem Spaziergang ab, entlang der Abbruchkante des Ausbruchs von 1986. Solche Mengen von Lava flossen hier ins Meer, dass die Inselspitze sich um 200 Meter verlängerte. Natürlich ging das nicht ohne Kolateralschäden ab: rund um diese Stelle kochte sozusagen eine gigantische Fischsuppe. Als die Forscher nach dem Ausbruch ans Aufräumen und Katalogisieren gingen, fanden sie in den Tonnen treibender Fische sieben neue, unbekannte Arten, gekocht leider.

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Der Weg führt Pascals „Ça n’existe pas!“ fast ab absurdum, nur ein ganz kleines bisschen geht es rauf und runter. Ein wunderschöner Pfad durch den Wald, der sich hier inzwischen angesiedelt hat und ein weiches Nadelpolster unter unsere Füße legt. In diesem Wald, etwa 15 Meter – und sehr steile scharfkantige Meter – über dem Meer hausen Unmengen von kleinen Krabben, die zu unseren Füßen durch die Nadeln huschen, um dann blitzschnell in ihren kreisrunden Löchern zu verschwinden.

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Gegen Ende kommen wir an den Strand: schwarzer Sand, übersät mit Basalt und Lavabrocken. Da viele Spaziergänger sich dadurch motiviert fühlten, stehen hier „japanische Steinlaternen“ in allen Größen und Formen. Eigentlich wunderschön und meditativ, aber in der Überzahl doch etwas bedrückend – wie ein riesiger japanischer Friedhof.

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Nach so viel Schwarz brauchen wir dringend etwas Buntes. Das bietet der Jardin des Parfums et des Epices in Hülle und Fülle. Eigentlich ein Betrieb, der Gewürze produziert, haben sie das Nützliche mit dem Schönen kombiniert und einen Schaugarten, besser gesagt: einen Schau-Urwald, angelegt. Wir sehen – freilaufend und in ihrem natürlichen Habitat – Pfeffer, Muskatnuss, Kardamon, Kaffee, Kakao, Kurkuma und und und. Die Kurkuma-Ernte ist in vollem Gänge. Samuel schneidet eine Knolle auf, teilt sie in kleine Stücke, gibt die in meine Hand und bittet mich, die anderen probieren zu lassen. Dann grinst er mich an und meint, die Farbe auf meiner Handfläche würde selbst mit viel Waschen drei Tage halten. Stimmt.

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So viel Schauen und Staunen macht hungrig, kostet aber Zeit. Deshalb kommen wir viel zu spät zum Mittagessen. Es gibt Goyavensaft und Palmherzensalat, zwei Spezialitäten zum unausweichlichen Carry. Während des Essens gibt es bei Nadine ein Hin und Her mit dem Handy. Ein kleines bisschen schlechtes Gewissen unsererseits ist dabei. Monsieur hat seinen Wanderstock am Col de Boeuf stehen lassen, es aber erst gemerkt, als wir eine gute Stunde und viele enge Kurven später wieder im Hotel in Hellbourg ankommen. Pascal macht ein unglückliches Gesicht und wir versichern ihm, dass wir ihn auf gar kein Fall zurück fahren lassen werden. Nadine hat eine bessere Lösung. Morgen geht die offizielle Gruppe unseres Reiseveranstalters die gleiche Strecke und Nadines Kollegin wird nachschauen, ob sie den Stock findet. Tatsächlich klappt das! Der Stock ist noch da und soll in ein paar Tagen, wenn beide Gruppen im gleichen Hotel übernachten, übergeben werden.

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Nach dem Essen gibt es einen kleinen Verdauungsspaziergang zum „Cap mechant“, wo der Indische Ozean sich unablässig gegen die Basaltorgeln wirft und meterhohe Gischtfontänen produziert. Das ist schon sehr beeindruckend. Plötzlich sagt Pascal: „Baleine!“ und wir nicken nur. Den Scherz kennen wir, netter Versuch. Erst als er etwas aufgeregter auf das Meer zeigt, starren wir auch hin. Nichts! Minutenlang. Dann tauchen zwei Flossen auf, ein Rücken, eine Fontäne. Es ist sehr weit draußen und richtig viel gibt es nicht zu sehen, aber es ist doch ein spannender Abschluss eines ereignisreichen Tages.

Denken wir. Bis Pascal beim Abendessen sein Handy zückt, mit unserem Ältesten konferiert und beide gemeinsam diskutieren. Nadine schaltet sich ein mit dem Netzwerk der Führer und dann ist es abgemacht. Die Webcam auf dem Piton de la Founaise zeigt Eruptionen, andere Führer bestätigen, dass sie oben waren und etwas gesehen haben.

Das heißt dann konkret für uns: um halb zwei aufstehen, dem Nachtportier eine Tasse Kaffee abschwatzen, eine Stunde Fahrt, eine Stunde Nachtwanderung auf dem Kraterrrand, alles in der Hoffnung, dass wir auf kreolisch sagen können: Volcan la pété – der Vulkan hat gefurzt!

Deshalb geht es jetzt ganz früh ins Bett!

Le Kilomètre Verticale

 

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Ende Oktober findet auf der Insel der „Grand Raid“ statt, 161 Kilometer über und um den 2300m hohen Piton de la Fournaise. Streckenrekord bei den Männern liegt bei 14 Stunden, 41 Minuten.  „La Diagonale des Fous“ ist nur eine von vielen Beschreibungen dieses Ultra-Marathons.

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Natürlich haben wir keine Chance, da mitzumachen. Natürlich nur, weil unser Flieger schon am 7. Oktober geht, hüstel, hüstel. Wir erwandern dafür ein winziges, aber wichtiges Teilstück, die Strecke, auf der die Läufer für die Bergwertung trainieren, auch bekannt unter dem Begriff „Le Kilomètre Verticale“. Mit einer Steigung von 14,5% geht es hoch zum Plateau de Belouve, das von einem dichten Urwald bedeckt ist. Anders als die Läufer nehmen wir – und ganz besonders ich – uns viel Zeit für diese Strecke. Getreu Pascals Motto „Plat? Sur La Rénunion? Ça n’existe pas!“ gehen wir die ersten Kilometer vom Hotel gemütlich an, nicht steil, aber bestimmt auch nicht flach. Erst als der vertikale Kilometer beginnt, wird es dann doch unangenehm für die Oberschenkel.

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Da kommen die kleine Ablenkungen gerade recht. Ein Bächlein, das von rechts kreuzt und bewundert werden muss. Eine Spitzmaus, die völlig unbekümmert auf Augenhöhe im Unterholz spielt. Moose, die zeigen wie kompliziert ihre Fortpflanzungsstufen sind. Kleine und große Blüten am Wegesrand. All das bietet eine willkommene Gelegenheit mal kurz stehen zu bleiben. Im Gegensatz zu den Sportlern. Ein bisschen frustrierend ist es schon, wie sie an mir vorbeijoggen. Aber richtig heftig ist die junge Frau in Laufklamotten, die flott an mir vorbeizieht, gefolgt von einem kleinen dicklichen Hund, der – zwar hechelnd und keuchend – ihr Tempo mithält. Als sie uns eine halbe Stunde später (ich habe da noch gut ein Drittel der Strecke vor mir) wieder entgegenkommt, wirkt der kleine Hund zwar deutlich müde, ist aber immer noch schneller als ich.

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Für die Mühe gibt es dann zwei Belohnung: ein kleines Tal voller weißer Calla-Blüten, kurz vor dem Chalêt de Belouve und den Regenwald auf dem Plateau selbst.

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53 Stockwerke

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753 Stufen! … ohne Aufzug.  Und das war nur das letzte kurze Endstück unseres Rückwegs.

Gestern Abend gab es bei der Verteilung der Zimmer noch etwas Wunderliches. Nadine hatte für uns eins von zwei Doppelzimmern organisiert, die anderen hatten Vierbettzimmer. So weit, so gut. Nur, dass wir feststellen mussten, dass das Zimmer kein Fenster hat. Halt, das ist nicht ganz korrekt. Es hat schon ein Fenster, nur ist da kein Glas drinnen. Man kann es mit zwei Holzläden schließen und mit einem querliegenden Holzriegel gegen Zyklone verbarrikadieren, aber mir wäre so ein bisschen Glas schon lieber gewesen. Ist aber in traditionellen Häusern nicht üblich, bestätigt Nadine, die selber auch schon Temperaturen von sieben Grad in ihrer hiesigen offenen Wohnung hatte.

Beim Essen sind in der Gaststube alle Fenster verriegelt. Die zwanzig Gäste und unser scharfes Carry au poulet heizen ganz nett ein, da fällt es nicht weiter auf.

Für die Nacht habe ich zwar Monsieur und meinen Freund Heinzi dabei, organisiere mir aber noch flugs eine weitere Decke. Sicher ist sicher.

Heute Morgen, beim Frühstück ist das dann schon sehr anders, die Türen stehen weit auf, bei Temperaturen um die zehn Grad. Die durchtrainierten, abgehärteten Bergfexe sitzen in kurzen Hosen am Esstisch. Ich bin weder das eine noch das andere und friere mir langsam den Dingenskirchen ab. Damit das Ganze dann auch stimmig ist, setzt draußen ein feiner Nieselregen ein.

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Es nieselt, als wir die Rucksäcke aufziehen und von der Hütte zum kleinen Dorfladen absteigen. Es nieselt, als wir unsere Sandwiches bestellen. Eine Tafel über der Kasse weist daraufhin, dass hier Sandwichs zu bestellen heißt, die wahre Bedeutung des Wortes Geduld kennen zu lernen. Und es nieselt weiter, als wir La Nouvelle verlassen und auf den Chemin Charette einbiegen, den Karrenweg, der früher zum Col de boeufs führte. Nur ein Teil ist noch begehbar, wunderbar sanft steigend und angenehm zu laufen. Ich erkläre Pascal, dass das die Art von Wanderwege sind, die ich liebe, fast flach. Er zuckt nur mit den Schultern: „Flach? Sur La Reunion? Ça n’existe pas!“ Der nicht existente, fast flache Weg bringt uns mit vier Kilometern Umweg bis fast zur Ebene der Tamarinden. Die sieht heute im Regen nicht halb so picknick-verlockend aus wie gestern. Das seltsame Licht und der Regen geben dem gelben Gras zwar einen Hauch von schottischem Hochland, nur die Tamarindenbäume passen nicht ganz.

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Regentropfen reihen sich am Hutrand, bevor sie abfallen, kleine Bäche sammeln sich auf dem Jackenärmel, bevor sie munter zur Manschette rieseln, wir setzen auf die Macht der Einbildungskraft: So ein tropischer Nieselregen, der ist doch viel sanfter als unser europäischer Regen! Trotzdem sind Hosenbeine und Schuhe klatschnass, als wir am Auto ankommen. So ein tropischer Nieselregen, der ist doch viel wärmer als unser europäischer Regen! Die Temperaturanzeige im Auto schafft knappe acht Grad auf dem 2011m hohen Col.

Aber unser kleiner Gartenbungalow in Hellbourg bietet echte Glasfenster und nicht nur das: eine Heizung im Badezimmer und unbegrenztes Duschvergnügen.

Wunder —- bar

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So hatte ich mir das nicht vorgestellt mit den Wanderwegen. Meine Idee ging so in Richtung schmaler Pfad durch den Dschungel, rechts und links nicken Orchideen, unter den Wanderschuhen federt weicher Waldboden.

Die Realität hat natürlich ganz andere Ideen.

Wir erwachen zu einem wunderbaren Panorama aus unserem Fenster. Gestern hatten uns unsere Führer in Saint Denis abgeholt, Nadine und Pascal, beide Bergführer aus Chamonix, er außerdem nach Skilehrer. In (unserem) Winter arbeiten sie in den Alpen, im Sommer auf La Réunion.

Sie bringen uns mit kleinen Umwegen über Vanilleplantagen und in die Luft pissende Wasserfälle zu unserem Hotel im Cirque de Salazie. Hellbourg ist auf den ersten Blick vielleicht nicht der beste Name für einen Ort, aber das kleine Dorf und seine bunten Holzhäuser lassen das schnell übersehen.

Im Hotel werden nach einer kleinen Siesta dann die Wanderkarten aus – und die Tagesrucksäcke gepackt für unser erstes Wanderabenteuer auf La Réunion. Nachdem das Organisatorische abgeklärt ist, kommen „les choses serieuses“: Köstlichkeiten auf Kreolisch, eingeleitet von einem Rum-Punsch als Apero.

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Heute Morgen fährt uns Pascal erst in abenteuerlichen Kurven hoch auf den Rand des einen Cirque. Wunderbare Ausblicke: schroffe Basaltwände wechseln mit bewaldeten Hängen. Weitere wundervolle Panoramen auf dem Weg in den nächsten Cirque und hoch zum Wanderparkplatz, wo unsere Zwei-Tages-Wanderung startet. Sechs Kilometer in drei Stunden, 600 Höhenmeter pro Tag, das Ganze zuerst hinunter in den Cirque de Mafate, am nächsten Tag dann wieder hoch. Das klingt eigentlich harmlos, das sollte doch zu schaffen sein.

Das ist dann der Augenblick, wo die Realität einmal hüstelt.

Zuerst geht es vom Parkplatz ein paar hundert Meter steil bergauf bis zum Col de boeufs (2011m), wo auf dem Hubschrauberlandeplatz dann Ende Gelände für alles mit Rädern ist. Der Weg dahinter sieht mehr nach Sturzbachbett aus als nach Wanderpfad. Damit der Regen nicht regelmäßig den Weg wegschwemmt, sind in kurzen Abständen Eisenstangen in den Boden gelassen, zwischen die Holzplanken hochkant geklemmt werden. So eine Art Naturstufe mit der Holzplanke als Treppenkante. Der Regen hat da wohl nur müde gelächelt. Nadine erzählt, dass beim letzten Zyklon fünf Meter Regen auf den Quadratmeter gefallen seien, was ungefähr der Regenmenge von neun Jahren in Paris entspricht. Das passiert natürlich äußerst selten, aber der normale Regen reicht wohl auch aus, um viele der Stufen zu hinterschwemmen, so dass nur noch die Planken hochkant wie Stolperschwellen in den Weg ragen. Erinnert ein bisschen an Cavaletti-Arbeit mit Pferden, wobei man ja auch den Pferden Hölzer in den Weg legt, um sie dazu zu bringen, die Füße zu heben und sie grazil und elegant wieder aufzusetzen. Grazil und elegant ist ganz sicher nicht meine Motivation, ich empfinde es schon als ein kleines Wunder, dass ich in der ersten halbe Stunde nicht mehrmals der Länge nach hinschlage. Pascal, der uns alle beobachtet, um unseren Fitnessgrad abzuschätzen, behauptet, ich liefe wie eine Gazelle (Wahrscheinlich meint er „alte Bergziege“, aber das lasse ich ihm jetzt mal durchgehen), um nachzusetzen, Wandern in Europa und auf La Réunion seien zwei grundsätzlich verschiedene Sachen. Selbst er brauche lange, um sich von den Alpen auf die Insel umzugewöhnen.

Der Treppenstufenweg geht über in den Steinbrockenweg in den Holzbohlenweg. Ganze Baumstämme liegen quer über den Weg, um ein trockenes Laufen zu ermöglichen. Ich mag die Bohlen, sie schmiegen sich durch die Schuhsohle in den Spann und geben eine kleine Fußmassage. Auf der Plaine des tamarins machen wir mit vielen Mitwanderern eine Picknickpause, friedlich, bis einer eine Drohne auspackt und alle anderen damit nervt und belästigt.

Der letzte Teil des Weges ist dann wieder Sturzbach, aber irgendwann stehen wir am Waldrand und können La Nouvelle vor uns bewundern. Ein Dorf mit 150 Einwohnern, Kirche, Schule, Bäckerei und Lädchen – und nicht eine einzige Straße. Alles, was so läuft in La Nouvelle – und einer Handvoll Nachbardörfer im Cirque de Mafate -, läuft auf weichen Wiesenwegen. Die Dörfer sind völlig von der Welt abgeschlossen. Wasser beziehen sie aus ihren eigenen Quellen, Strom aus Generatoren oder – seit kurzem – aus Solarpaneelen. Großeinkauf heißt erstmal zu Fuß hoch zum Col de Boeuf, wo einige ihre Autos stehen haben, dann shoppen, bis alle die etwa 800 kg zusammenhaben, die in so ein Hubschraubernetz passen und dann abwarten, bis der Hubschrauber starten kann. Müllabfuhr läuft ähnlich und seinen Blinddarmdurchbruch sollte man auch nicht auf ein Wochenende legen.

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Vor Jahren hat die französische Regierung vorgeschlagen eine Straße durch Steilhänge und Urwälder zu schlagen. Die Einwohner haben lange überlegt und dann abgelehnt. Trasse heißt auch Touristen, Touristen heißt Parkplätze – dafür war ihnen ihre Natur zu schade. Ist das nicht wundervoll?

Wir nähern uns deshalb zu Fuß dem Gite, der uns schon erwartet. Es ist drei Uhr, wir haben noch Zeit für eine kurze, eine sehr kurze (Heißes Wasser über Solarpaneele) Dusche, denn um 16 Uhr fängt unser Kochkurs an: kreolische Küche.

Unser Gastgeber empfängt uns mit breitem Strahlen und verteilt die Aufgaben: wir kochen Carry au poulet und Rougail de saucisses. Für alle 20 Gaste des Gites. Jean-Yves hat schon alles vorbereitet und fragt, wer denn Zwiebeln und Knoblauch schält, wer Peperoni und Zitronen schneidet, wer das Fleisch anbrät. Auf meine Frage, wie viel? Schiebt er mir vierzehn Knollen – vierzehn ganze Knollen! Hin und grinst: Gut für die Gesundheit!

Für ihn ist das eine Win-Win-Situation: wenn es allen schmeckt, hat er gut gekocht. Wenn nicht, kann er immer noch sagen, dass wir daran schuld sind.

Wunderbar!

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Wir warten das erstmal ab

Dieses Jahr haben wir schon so unterschiedliche Länder wie Bosnien und Japan besuchen dürfen, ein bisschen Italien war auch dabei. Da bleiben wir für den Familienurlaub doch lieber brav in Frankreich. So wie früher mit Ferienhaus und ganz viel Natur.

Fast.

Ein paar Stunden zum Umsteigen in Paris sind eingeplant. Hoffentlich streikt Air France nicht. Denn dann geht es weiter zu Auch-Frankreich-aber-ganz-woanders. Vierzehn Tage wandern auf La Réunion: Dschungel und Vulkankrater, Orchideen und Carry mit „a“. Gebucht bei einem deutschen Veranstalter, allerdings ist unsere Familie ihre eigene Gruppe.

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Das alles hätten wir mit dem „Perso“ erledigen können (wenn wir denn einen hätten), ist ja EU im weitesten Sinne.

Aber dann sagt bei der Planung die Jüngste: „Bucht für mich mal keinen Rückflug, ich hänge noch eine Woche Mauritius dran.“

Da habe ich mir gedacht: das kann ich auch.

So kommt es, dass wir noch ein paar Tage „Ferienhaus“ auf Mauritius anhängen, schließlich wollen sich die Oberschenkelmuskeln auch erholen.

Aus dem Ferienhaus ist eine Luxusvilla direkt am Strand geworden, aber das ist nicht unsere Schuld. Ich hatte etwas Schönes gebucht, so Anfang Mai,  mit schriftlicher Zusage. Die hielt bis etwa eine Woche vor dem Abflug. Da kontaktiert mich der Anbieter, dass der Besitzer dieses Haus zu besseren Konditionen an eine Hochzeitsgesellschaft vermietet habe und wir deshalb schlicht und einfach rausgeworfen werden.

Wir sind erst einmal sprachlos, pochen auf den Vertrag, alles umsonst, das Haus sei jetzt anderweitig belegt, da könne er nichts machen – und wir schon gar nicht.

Dafür bietet er uns andere Häuser an, deutlich preiswerter, aber auch deutlich unschöner, was Lage und Ausstattung angeht.

Irgendwann sind wir so verärgert, dass wir booking.com einschalten, die wohl ein bisschen Druck machen. Resultat: Upgrade zur Luxusvilla direkt am Strand.

Falls die nicht in den nächsten Tagen an die nächste Hochzeitsgesellschaft vermietet wird.

Wir warten das mit dem Sich Freuen auf Mauritius also erstmal ab.

Das mit dem Freuen auf La Réunion, das gönnen wir uns…