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Donnerstag: Seufzen für den Kaiser

Die gute Nachricht zuerst: fünfzig Kilometer außerhalb Beijings ist China sehr ländlich und friedlich.

Die schlechte: die Smog-Glocke reicht auch bis hierhin.

Was dann auch der Grund war, dass Herr Han, Fahrer und Führer in Personalunion, den wir für unsere ganz persönliche Exkursion zu den Ming-Gräbern angeheuert hatten, immer wieder Sätze begann mit: „Hier links könnten Sie jetzt … sehen, wenn…“

p2014_10_23_15h29_52Vor den 13 Ming-Gräbern liegt der Heilige Seelenweg, eine Prozessionsstraße, die die noch lebenden Kaiser entlangzogen, um den toten Kaisern ihre Ehre zu erweisen. Prachtvolle Portale stehen zu Beginn und Ende des Wegs und dazwischen überlebensgroße Steinfiguren aus dem 14. Jahrhundert. Zuerst kommen die Menschen, immer im Viererpack. Würdevolle, wenn auch etwas gelangweilt dreinschauende hohe Würdenträger, furchtbar wichtige, wenn auch siehe oben Hofbeamte, grimmige, wenn auch siehe oben Generäle. Und dann die Tiere, Elefanten, Pferde, Kamele und drei Fabelwesen, jeweils zwei stehend und zwei liegend bzw. sitzend. Zum Sitzen und Stehen gibt es zwei Erklärungen. Der einen Theorie nach sollen die stehenden männlich sein, die weiblichen liegend. Gut, diese Theorie konnte man durch einmal genau hinschauen widerlegen, alle unbestreitbar männlich. Herr Han hatte einen zweiten Ansatz: der Legende nach wechseln die Tiere sich beim Stehen ab. Das Tip2014_10_23_15h34_52er, das tagsüber steht, legt sich nachts zum Ausruhen hin, während der Kollegen den Job übernimmt. Und im Morgengrauen, kurz bevor die Touristen kommen, wechseln sie wieder zurück. Finde ich plausibel, die Erklärung.

Die Ming-Gräber wurden von den jeweiligen Kaisern schon zu Lebzeiten in Auftrag gegeben und hergestellt. Der eine Kaiser überlebte die Fertigstellung seines Grabes sogar um 28 Jahre. Es sei ihm gegönnt. Die Gräber sind alle unterschiedlich groß, aber keines größer als das des ersten Kaisers Yongle. Nur, damit das ganz klar ist, wir reden hier von Zhu di, der bei seiner Thronbesteigung den Namen Yongle wählte und den Tempelnamen Cheng Zu erhielt, nach dem Tod aber natürlich Wen genannt wurde. Alles klar?

p2014_10_23_14h27_35Die Gräber sind auch alle gleich aufgebaut und mit einer hohen Mauer umgeben. Man betritt sie durch ein Tor, dahinter steht ein Seelentor, ein reich geschmückter Holztorbogen. Durch diesen betritt man symbolisch das Reich der Toten. Auf dem Rückweg darf man auf keinen Fall vergessen, wieder durch dieses Tor zu treten. Dabei muss man möglichst viel Lärm machen, damit die Lebenden merken, dass man wieder unter ihnen weilt. Wie zum Beweis kam eine chinesische Reisegruppe und schritt unter großem Gelächter und Hallo durchs Tor.

Hinter dem Torbogen sind zwei weitere Hallen und danach kommen direkt vor dem Seelenturm die Opferaltäre. In der Mitte steht ein großer Altar mit Gefäßen für Räucherstäbchen, rechts und links davon gemauerte Öfen, in denen Seidenrollen und Geld als Opfer verbrannt wurden.p2014_10_23_14h50_34

Hinter dem Altar erhebt sich der hohe Seelenturm. Er bewacht den Eingang in die unterirdische Grabkammer, der natürlich verschüttet und geheim ist. Die Grabkammer ist dem Palast des Kaisers nachgebildet. Nur eines der 13 Gräber wurde in den 50er Jahren ausgegraben. Da man aber viele der gefundenen Grabbeigaben nicht vor dem Zerfall schützen konnte, lässt man die anderen Grabkammern in Ruhe. Die Grabkammer selber ruht unter einem künstlichen Hügel, der von einer Mauer umgeben ist. Am Fuße des Hügels gibt es einen Schacht. Er führt in das separate Grab der Konkubinen. Jedem Kaiser standen neben seiner Ehefrau und Kaiserin 72 Konkubinen zu. Bei seinem Tod wurde den Konkubinen, die noch keine Kinder hatten, die zweifelhafte Ehre zuteil, lebendig neben dem Kaiser begraben zu werden. Bei Yongle waren es immerhin zwanzig junge Frauen. Durch den Schacht wurden sie herabgelassen und durch den Schacht kontrollierten die kaiserlichen Eunuchen in den ersten Tagen, ob die Konkubinen auch richtig jammerten und seufzten um den verstorbenen Kaiser. Damit sie das auch ausgiebig taten, wurde in den ersten Tagen Essen und Trinken in den Schacht heruntergelassen. War man der Meinung, dass die Damen genug geseufzt hatten, wurden dem Essen Drogen zugemischt. Und dann hatte es sich irgendwann ausgeseufzt…

Diese Gräber sind ein wichtiger Teil des nationalen Selbstverständnisses der Han-Chinesen und entsprechend überlaufen sind die zwei, die restauriert sind. Her Han ist dann mit uns noch ein wenig über die Dörfer gefahren und hat uns kleinere Gräber  weniger wichtiger Kaiser gezeigt. Einige wurde gerade renoviert, andere waren zugewuchert. Die Diskrepanz zwischen der stolzen Unesco-Welterbe-Plakette aus Marmor auf ihrer kleinen Stele und den zerfallenen Mauern, aus denen Bäume wuchsen, hätte schöner nicht sein können.p2014_10_23_14h09_52

Achja, und dann war heute Abend das Konferenz-Dinner im großen Saal. Nobel gedeckte 10er Tische mit einer drehbaren Glasplatte in der Mitte. Darauf standen (für zehn Personen) zwei Flaschen Wein, zwei Flaschen Saft und eine Kanne Tee. Außerdem eine große Flasche Reisschnaps 48% und eine winzige Flasche lokaler Sprit 70%. Ein chinesischer Kollege, der mit am Tisch saß, meinte, man solle sich vorsichtshalber die Zimmernummer in die Hand schreiben, bevor man von diesem Gebräu trinken würde, so stark sei es. (Der Sprit war das Ergebnis einer kleinen Rivalität. Bei der letzten Konferenz in Russland hatten die Russen damit angegeben, etwas Stärkeres als ihren Wodka gebe es nicht. )Das Essen, das dann kam, wurde in vielen Schüsseln immer und immer wieder auf das Glaskarussell gestellt: in Sojasauce geschmortes Rindfleisch, marinierte Tofu-Streifen, geröstete Mandeln in weißer Sauce, Schweinefleischrolle, ausgelöstes Hühnchenfleisch, geschmorte Lotusstängel. Und das sind erst die Vorspeisen. Danach kamen Crevetten, geräucherte Ente, Schweine-und Rindfleisch in Saucen, ein ganzer gedämpfter Fisch, sehr lecker und zart, ein Gericht aus fetten Schweinebauchwürfeln, geschmort mit gr    nen Bohnen und Wachteleiern, gebratenes Gemüse und simpler Reis. Monsieurs chinesischer Kollege, der neben mir saß, erklärte jedes Gericht und forderte mich ganz besonders auf, die geschmorten Baumpilze zu probieren. Sie schmeckten nicht schlecht, ein bisschen glibberig, ein bisschen zäh, viel Knoblauch, viel Chili. Erst als ich ihm durch Nachlegen bestätigt hatte, dass sie mir schmeckten, rückte er mit der Wahrheit heraus: es handele sich um geschmorte Quallen.

Gute Nacht aus Beijing