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Hornissen und andere Verkehrshindernisse

So, ich mach es Euch und mir heute mal einfach: wenig zu schreiben, wenig zu lesen.

Also, ein bisschen stolz war ich schon, dass ich durch das morgendliche Chaos, das sich in Palermo Straßenverkehr nennt, unbeschadet und ohne Nervenzusammenbruch durchgekommen bin. Drei Autos auf eigentlich zwei Spuren, dazu noch die in zweiter Reihe parkenden Fahrzeuge. Und quasi überall – unter mir habe ich nicht nachgeschaut, zugegebenermaßen – der Hornissenschwarm der Mopeds, Roller, Vespas, Motorräder…

erice1Die Fahrt am Golfo di Castellammare entlang war dafür wunderschön und sehr entspannend. Und dann stand plötzlich der Felssporn vor uns, auf dessen Rücken Erice liegt, 600m über der Ebene. Eine deutliche Ansage an alle Möchte-Gern-Eroberer.

Die Strecke da hoch hatte schon etwas von Alpenpässen, wenn man auch in den Alpen nicht von jeder zweiter Kehre aus azurblaues Meer sehen kann. Außerdem gab es auf dieser Bergstrecke keine holländischen oder belgischen Wohnwagengespanne. Nur einen Bus, einen italienischen, der in einer Haarnadelkurve plötzlich Nase an Nase mit mir stand. In den Alpen gilt ja eigentlich: Bergverkehr hat Vorfahrt, aber dieser Busfahrer sah nicht so aus, als ob ihn das kümmere. Also habe ich – als die Klügere, hmmja, – nachgegeben und zurückgesetzt.

erice2Und dann haben wir unseren Koffer über mittelalterliches Steinpflaster durch enge Gassen und Stiegen gezogen und getragen bis zum San Rocco Kloster.

Und ja, die Zelle (mit eigenem Bad, yipieh!) ist recht mönchisch karg, dafür aber sicher 5m hoch bis zum Gewölbe. Und das mit den kühlen Böden und den meterdicken Mauern ist eine wahre Wohltat nach der Hitze in Palermo.

Der bollito misto der Architektur

p2015_09_15_11h07_29Er ist schon ein ziemliches architektonisches Monster, dieser Normannenpalast in Palermo. Angefangen hat er seine Existenz als arabische Residenz, dann kamen die Normannen, die Staufer, die Franzosen, die Spanier… und jeder musste seinen Mist – sorry, seinen Stil dazugeben. Nur umgerührt haben sie ihn zum Glück nicht, diesen bollito misto der Architektur. Drinnen gibt es die königlichen Gemächer zu besichtigen, die waren aber heute fürs Publikum gesperrt sowie die Sale Duca di Montalto, in denen ein Boterro-Kreuzweg ausgestellt war. Höhepunkt ein übergewichtiger, grüner Jesus am Kreuz, der eher wie der gekreuzigte Hulk aussah. Naja.

p2015_09_15_13h59_32Und dann natürlich die Cappella Palatina, ein Bau, der einem den Atem verschlägt. Nicht allein wegen der Kühnheit seiner Ausführung, sondern vielmehr der des Gedankens dahinter. Ein christ-katholischer Herrscher beauftragt muslimische und byzantinische Künstler mit der Gestaltung und Ausschmückung seiner Kirche. Das muss man sich einmal in unsere Zeit übertragen vorstellen: in Deutschland lässt die katholische Kirche ein Gotteshaus errichten. Und bittet muslimische Handwerker die Decke so zu gestalten, wie sie es für eine Moschee täten. Und beauftragt griechisch-orthodoxe Künstler, die Wände mit Motiven ihrer Bildsprache zu verzieren.

Die Wände dieser Kapelle sind geschmückt mit goldgrundigen Mosaiken zu Geschichten aus dem Alten Testament sowie dem Leben von Paulus und Petrus. Die Decke ist eine Stalaktiten-Höhle mit den typischen umgedrehten Bienenkörben der arabischen Architektur. Der Raum ist recht klein, deshalb überwältigt die Fülle der Darstellungen umso mehr. Was deutlich wurde in einem kleinen Dialog hinter mir. Er: „Wahnsinn!“ – Sie: „Ja, echt Wahnsinn!“ – Er: „Echt wahnsinnig!“ – Sie: „Wahnsinnig, echt wahr.“ – Er: „Wirklich wahnsinnig, echt wahr, der Wahnsinn!“ Ich habe mich vorsichtig umgedreht. Es handelte sich bei den beiden nicht um pubertäre Jugendliche, sondern um echt wahnsinnig reife Rentner.

Ganz knapp hätten wir diese „echt wahnsinnige, echt wahre“ Attraktion verpasst. Das war wieder so eine typische Paonia-Geschichte. Wir kommen zum Palast, kurz nach halb zwölf. An der Kasse ein Schild mit den Öffnungszeiten, 8:15 – 17:30. Darüber, handschriftlich, ein Zettel: heute geschlossen von 11:30-13:30. Eine Trauung, wie sich später herausstellte.

p2015_09_15_12h10_24Das hat uns so geärgert, dass wir kurz davor waren, den bollito misto bollito misto sein zu lassen und zu einer schönen langen Siesta ins Hotel zurückzugehen, keine schlechte Idee bei 37° im Schatten. Aber dann habe ich in einer Seitengasse drei rote Kuppeln entdeckt und so sind wir durch Zufall im schönsten Kloster Palermos gelandet: San Giovanni degli Erimiti. Eine wirklich betörende Mischung: arabische Kuppel-Architektur, die dann aber in einen romanischen Kreuzgang mündet und das ganze in einem verwunschenen Garten, der in verschlungenen Pfaden an sehr phallisch blühenden Philodendren, großen Palmen und an einem 400 Jahre alten und sieben Meter hohen Feigenkaktus vorbeiführte. Eine richtige Oase der Ruhe und Kühle.

Zwei Straßenecken weiter gabs ein kleines Restaurant, wo wir dann die restliche Wartezeit sehr angenehm verbrachten. Der zum Mittagessen genossene Wein trug das Seine dazu bei, dass wir dem bollito misto dann doch noch – gnädigerweise – verziehen und uns die echt… siehe oben.

p2015_09_15_10h28_56Angefangen hatte unser Tag mit etwas Verspätung. Was nicht an uns, sondern an dem Hotel-Frühstück lag. Unser „Hotel“ ist eine Etage in einem Stadthaus in der Nähe des Teatre Massimo. Der Eingang liegt in einer Passage, die eher abschreckend als einladend wirkt. Hat man aber erst einmal sich und dann mit dem Fahrstuhl die ersten Etagen überwunden, betritt man ein kleines, aber sehr stilsicher und modern eingerichtetes Reich. Das Frühstück heute morgen bot dann ein Kuchenbuffet. Von Antonella selbst gebacken, lockten sieben verschiedene Kuchen. Die Obstschale war auch sehr dekorativ, nur der einzelne Teller mit Schinken- und Käsescheiben wirkte etwas verloren. Dafür sah der Kaffeeautomat eher wie eine Juke-Box aus Las Vegas aus. Ihr werdet verstehen, das man für so ein Frühstück Zeit braucht. Jedenfalls waren wir irgendwann auf dem Weg zur Kathedrale, aber nicht über die Hauptstraßen, sondern durch kleine und kleinste Gässchen hinter dem Teatre. Plötzlich hielt ein Fiat neben mir, hupte, der Fahrer zeigte auf meine Handtasche, sagte etwas von „bursa“ und „pericoloso“ und „hai cappisti?“ Ich habe dann mal mep2015_09_15_11h07_18ine Handtasche quer über die Brust gehängt, woraufhin er zufrieden nickte und weiterfuhr. Die Gässchen wurden noch enger, auch ein bisschen dunkler, in den Türeingängen saßen Omas, die ihren Enkeln beim Fußball spielen zuschauten. Irgendwie hat sich mir das Gefährdungspotential nicht so recht erschlossen. Aber sicher hat der Mann es nur gut gemeint.

Durch diese Gässchen kamen wir zum Hintereingang der Kathedrale. Von außen trutzig-normannisch, ist sie innen ziemlich schrecklich barock. Die versilberte Madonna kann man ja noch durchgehen lassen, aber dieser silberne Altar im Chor dp2015_09_15_11h11_56es rechten Seitenschiffs war mir dann doch ein bisschen zuviel des Guten. Zum Glück gab es einen Fluchtweg: rauf aufs Dach der Kathedrale. 117 steile, ausgetretene Stufen später kommt man aus dem Kirchturm und kann auf dem – verbreiterten – Dachfirst zur Rotunde über der Vierung laufen. Der Lohn für die Anstrengung ist ein toller Blick auf die Dächer von Palermo – und natürlich den bollito misto.

p2015_09_14_19h13_51Auf dem Rückweg – inzwischen rechtschaffen müde – kamen wir wieder an den Quattro Canti vorbei, die Kreuzung, an der sich die vier Stadtteile Alt-Palermos treffen. Ich will ja jetzt nicht einen auf Lokalpatriotismus machen, aber die „Vier Türme“ in Koblenz sind doch um einiges schöner. Direkt dahinter liegen mal wieder Kitsch und Schönheit sehr eng bei einander. Schönheit in der romanischen Strenge der Chiesa di San Cataldo, erbaut als Grabkirche für die 2-jährige Tochter eines Bürgermeisters, dann umgewandelt in ein Postamt, im 19. Jahrhundert „zurück-restauriert“. Und eine Straßenecke weiter die Fontana Pretoria (letztes Bild gestern) mit ihren kitschigen Figuren. Angeblich ein großer Skandal, als sie im 16. Jahrhundert eingeweiht wurde, denn diep2015_09_15_15h05_16 Damen und Herren Brunnenfiguren stellen nicht nur keine Heiligen, sondern griechische Götter dar, sondern sind auch noch splitterfasernackt. Shocking, damals jedenfalls. Heute sieht man das an jedem Zeitungskiosk. Der wahre Skandal lag aber ganz wo anders, laut unserem Hotelier: Palermos Bevölkerung war zu dieser Zeit bitterarm und Not leidend. Das Geld, das die Obrigkeit für diesen Brunnen ausgab, wäre viel dringender für andere Projekte benötigt worden.

Morgen verlassen wir Palermo, mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Das lachende Auge gilt der Tatsache, dass wir ab morgen ein einem kleinen Bergdorf sein werden. Palermo als Stadt ist hinreißend schön, pulsierend und hat viel zu bieten (vom bollito misto mal abgesehen), aber es ist auch sehr heiß, sehr laut und teilweise ziemlich heruntergekommen. Ich lasse da mal einen anderen Reiseblogger zu Wort kommen, zum Thema Müll und Müllentsorgung auf den Straßen.

»Bei allen Heiligen! sagt mir«, rief ich aus, »woher kommt die Unreinlichkeit eurer Stadt, und ist derselben denn nicht abzuhelfen?« … Auf meine wiederholte Frage, ob dagegen keine Anstalt zu treffen sei, erwiderte er, die Rede gehe im Volke, daß gerade die, welche für Reinlichkeit zu sorgen hätten, wegen ihres großen Einflusses nicht genötigt werden könnten, die Gelder pflichtmäßig zu verwenden, und dabei sei noch der wunderliche Umstand, daß man fürchte, nach weggeschafftem misthaftem Geströhde werde erst deutlich zum Vorschein kommen, wie schlecht das Pflaster darunter beschaffen sei, wodurch denn abermals die unredliche Verwaltung einer andern Kasse zutage kommen würde.“

Goethe, Palermo, Donnerstag, den 5. April 1787

Und das weinende Augen gilt unserem Terminplan. Morgen müssen wir weiter zu Monsieurs Konferenz in Erice. Tja, und übermorgen beginnt hier in Palermo das „Festival dei gelati artigianali“.

Wenn das kein schlechtes Timing ist!

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Mit einem Lächeln, einem Lachen, einem Grinsen nach Palermo

p2015_09_14_16h52_46Das erste Lächeln war eigentlich eher ein Kichern, das ich mir gerade noch verkneifen konnte. In der Schlange am Check-in sagt ein Mann hinter mir: „Look, that’s the new size for luggage.“ Darauf seine Partnerin: „Are you kidding me? That doesn’t even take my make up.“ Ich konnte nicht anders als mich umzudrehen. Zum Glück habe ich es dann geschafft, den Mund zu halten.

Das Grinsen galt dem jungen Mann von der Boden-Crew, der immer verzweifelter versuchte den mitzunehmenden Kinderwagen – Modell 4×4-Geländewagen für sportliche Eltern – zusammenzufalten. Es hatte was von moderner Gymnastik, wie er erst um den Wagen herumturnte, ihn dann hochstemmte, kippte, drehte, nach rechts, nach links und ihn schließlich wieder absetzte. Dann wurde er vom Turner zum Sicherheitsagenten und fuhr mit beiden Hände jede Verstrebung ab, suchte in allen Vertiefungen und fand letztendlich den Knopf – der Wagen klappte zusammen. Er schaute sich noch verstohlen um, ob seine Kollegen etwas mitbekommen hätten und legte dann den Kompaktwagen ganz nonchalant auf den Gepäckwagen. Mich, am Fenster, hat er nicht gesehen.

p2015_09_14_18h23_29Der nächste Lacher ging dann auf mich. Der Mietwagen musste in Palermo vor dem Hotel kurz geparkt werden, bevor jemand ihn zum hoteleigenen Parkplatz fahren würde. Das habe ich – für ein fremdes Auto und eine wirklich kleine Parklücke – ganz gut hingekriegt, stand nur ein bisschen weit raus. Als Monsieur keine 5 Minuten später das Gepäck holen wollte, stand schon die Polizei da und hatte ihr Büchlein gezückt. Monsieur erklärte, dass das seine Frau gewesen sei mit dem Einparken. Frau am Steuer galt dann wohl als mildernde Umstände und Monsieur hat kein Knöllchen bekommen…

Danach haben wir uns dann zu Fuß aufgemacht, uns ein bisschen umsehen, Palermo mal so touristisch antesten. Durch Gässchen und über Plätze, vorbei an Kirchen, die alle geschlossen waren – also weiterhin Tourismus light – und ziemlich kitschigen Brunnen mit Zwischenstopps für Aperol Spritz und Campari Soda.

p2015_09_14_17h48_49Gegessen haben wir dann im Sapori perduti in absolut kitschfreier Umgebung: einen Salat aus Pulpo-Streifen, breite Nudeln mit einem Ragout aus Fisch und Schalentieren (die Soße aus Krustentierfond war so köstlich!) und ein Schwertfischsteak.

Das größte Gelächter gab es dann aber nur in meiner Fantasie. Auf dem Weg zur Cala, dem Jachthafen, sahen wir einige Knaben, die am Ufer stehend, ein paar Regenwürmer ins Wasser hielten. Da konnte ich förmlich die Fische sehen, wie sie sich vor Lachen krümmten bei diesem Versuch sie zu angeln…

Gute Nacht aus Palermo, zur Zeit „nur“ noch gute 30°.

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