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Familienbande

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Das 20. Türchen öffnet sich im Agra – Fort. Ich würde es vorsichtshalber nur einen Spalt breit öffnen, denn da steckt eine ganz üble Familienbande dahinter. Ein jeder schlimmer als all die anderen zusammen und dem Einsatz biologischer Waffen nicht abgeneigt. Im äußersten Wassergraben des Forts schwammen nämlich Krokodile und im Graben zwischen diesem und der ersten Mauer liefen angeblich 900 Leoparden frei umher.

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Wahrscheinlich bringe ich einige der Bösewichte durcheinander, weil ich mir nur gemerkt habe, was sie angestellt haben, nicht immer, wer und schon gar nicht wann denn nun wer für was verantwortlich war. In einem Fall – irgendwie feige – der königliche Elefant. Elefanten können angeblich in die Seele eines Menschen blicken. Wenn der Mogul bei einem Gerichtsfall nicht entscheiden konnte (oder wollte), wer nun Recht oder Unrecht hatte, wurde der Elefant gefragt, der beiden Parteien tief in die Augen blickte. Hob er bei einer den Fuß, konnte der Mensch sich dann gleich hinknien und den Kopf darunter legen. Ich erspare uns weitere Details. Der Mogul jedenfalls konnte seine Hände in Unschuld reiben und sagen: Ich war’s nicht, das war der Elefant. Das war übrigens derselbe Mogul, der seinen Bruder vom Balkon schubste. Zugegebenermaßen hatte der zuerst auf dem Balkon seinen Dolch gezogen und versucht den Mogul zu meucheln. Weil der Bruder aber nach dem Sturz noch nicht ganz tot war, wurde er noch zweimal hochgetragen und wieder heruntergeworfen, bis der Mogul ganz sicher sein konnte. Auch der Selbe, der die Geliebte seines Sohnes an einen anderen verheiratete, damit der Sohn diese nicht heiraten konnte. Die Dame war ihm aber ebenbürtig. Kaum war der Fast-Schwiegervater tot, ermordete sie ihren Mann, um für ihren Prinzen frei zu sein. Ein Happy End mit seltsamem Beigeschmack.

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Dafür reiste der Herr bis ans Ende seiner Tage mit dieser „niedlichen“ Badewanne von einer Residenzstadt zur anderen, getragen von zehn Elefanten. Da bekommt der Begriff „Schwertransporter“ eine ganz eigene Bedeutung.

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Einer der berühmteren Mogule ist Schah Jahan, Ehemann der Mumtaz und Erbauer des Taj Mahals. Der liebte seine Frau so sehr, dass er ihr in 19 Ehejahren 14 Kinder bescherte, wobei sie bei der Geburt des letzten starb. Sie revanchierte sich damit, dass sie ihm sterbend das Versprechen abnahm, nie wieder zu heiraten und ihr selbst das größtmögliche Grabmal zu schenken. Was er auch tat, obwohl das viele Regeln seiner Religion brach und die Baukosten sein Königreich an den Rand des Ruins trieben. Weshalb ihn der eigene Sohn entmündigen und unter Hausarrest stellen ließ. In einem hübschen, wenn auch, wenn man den Rest Fort betrachtet, doch sehr kleinen Pavillon, von wo aus er den Rest seiner Jahre zumindest den Blick auf das Taj Mahal hatte. Wie man deutlich sehen kann.

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Der Sohn war auch ein nettes Früchtchen. Er brachte alle seine älteren Brüder um, um die Stelle des Kronprinzen anzutreten. Dort arbeitete er dann so lange mit den um die Finanzen besorgten Ministern zusammen, bis die einem Sturz des Moguls zustimmten. Ausschlaggebend sei angeblich der Plan Jahans gewesen, auf der anderen Seite des Flusses ein schwarzes Grabmal für sich selbst zu bauen. Dieser Plan wird aber nur von einem zeitgenössischen französischen Reiseblogger erwähnt und – Kamlindhra hebt seine Hände – jeder wüsste ja, dass die Franzosen gerne wilde Geschichten erzählten…

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Diese indischen und deshalb natürlich nicht wilden Geschichten breitet Kamlindhra vor uns aus bei einem Spaziergang durch das Fort. Vorbei an Toren, Audienzhallen, Harems und Harems und Harems.

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Jeder neue Hausherr baute einen neuen Flügel für seine Damen an. Diese waren so zahlreich, dass der Hausherr sie nicht alle beglücken konnte, so dass das Leben für manche sehr einsam war. Andere waren gewiefte Geschäftsfrauen, die aus dem Harem heraus einen regen Handel betrieben. Beeindruckend auch die Vielzahl und Schönheit der Bibliotheken, die gleichzeitig als Büro der Damen dienten. Richtig unheimlich ist, dass in allen Höfen in den Gebäuden auf Kniehöhe vergitterte Fenster sind, hinter denen Eunuchen standen und das Treiben der Damen überwachten. Obwohl es – laut Kamlindhra – schriftliche Berichte gibt, dass die Eunuchen auch schon mal weggeschaut hätten, wenn sich zwei unglückliche Frauen in einem dunklen Winkel etwas Zärtlichkeit schenkten. Auch das wieder eine indische und deshalb nicht wilde Geschichte. Ob sie wahr ist?

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Wahr dagegen ist, dass dieser Hof mit einem dünnen Film Rosenwasser geflutet werden konnte, damit die Damen eine Art Klimaanlage hatte.

Immer mal wieder biegen wir um eine Ecke und sehen in der Ferne eine Kuppel oder ein Dach herausragen. Auf unsere Frage, ob unser Weg uns dorthin führen wird, schüttelt Kamlindhra den Kopf: Indische Armee. Das ist das zweite Mantra des Tages, des erste – und bei Weitem häufigere – ist „The British took it away.“ Zum einen etwa 80 Prozent der Bebauung im Hof. Wunderschöne Gebäude des 16. – 18. Jahrhunderts wurden zerstört, um dann Armeebaracken aufzubauen. (Die nach der Unabhängigkeit natürlich wieder abgerissen wurden, aber da war der Schaden ja schon passiert.) Ganze Fenstergitterwerke, Blattgoldkuppeln, elaborierte Türen und Kunstwerke verschwanden binnen kürzester Zeit aus dem Fort. An dem, was sie stehen ließen, sieht man die Folgen der Langweile bei Soldaten, die dann auch schon mal anfangen, feinziselierte Lotusknospen aus Sandstein als Ziele für Schießübungen zu nutzen.

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Zwei Stunden laufen wir von Halle zu Halle, Hof zu Hof, durch Bibliotheken und Audienzsäle. Ein Blick auf Monsieurs Tracker zeigt uns später, dass wir wirklich nur einen kleinen Teil des Forts gesehen haben. Über Dreiviertel des Geländes wird von der Armee genutzt.

Zurück im Hotel erwartet uns nach einer kleinen Siesta ein neuer Führer für eine Tour durch das koloniale Agra. Wir wissen, er ist Sikh, was das Erkennen einfach macht. Ihm geht es genauso, die Agentur sagte ihm: Sie sind sehr groß.c10

 

Wir fahren in das Gebiet des Cantonnement, der Zone, in der sich das Leben der britischen Offiziere abspielte. Ein jeder erhielt 4-5000 m² Grund und Boden und baute darauf seinen Bungalow, jeder etwas anders, aber alle doch irgendwie ähnlich. Dazwischen gestreut ein Postamt, eine Kirche, ein Offiziersclub und – deutlich einfacher – die Mannschaftsquartiere der unverheirateten Soldaten. Wir fahren durch dieses Gebiet und sehen die riesigen parkähnlichen Gärten. Unser Führer nickt: das alles gehöre nach wie vor der Armee, der indischen inzwischen, und wer hier etwas ändern wollte, müsse sich auf einen langen und mühsamen Weg durch die Instanzen einstellen. Sein eigener Großvater, bei der Unabhängigkeit ein hoher indischer Offizier, hätte der Armee damals eines dieser Häuser abgekauft, indem die Familie heute noch wohnen würde.

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Und so beenden wir den Nachmittag mit einem indischen Tee, kandierten Früchten und Kuchen in einem sehr indisch eingerichteten britischen Bungalow.

 

 

Geisterstadt

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Das 19. Türchen öffnet sich knirschend und knarrend auf eine Geisterstadt: Fathepur Sikri, Hauptstadt des Großmoguls, der nicht zu Unrecht Akbar „Der Große“ hieß, auch wenn er – laut unseres Führers Kamlindhra – eher klein und knubbelig war. Der König hatte mit 26 alles, nur nicht das, was er sich sehnlichst wünschte: einen Thronfolger.

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Und das trotz der 5000 „ladies“ in seinem Harem, eine Zahl, auf die Kamlindhra immer wieder fasziniert zurückkommt. Da hört der Mogul von einem heiligen Eremiten, pilgert hin und erhält von ihm die Prophezeiung, dass er Vaters eines Sohnes werden wird. Tatsächlich trifft die Vorhersage bald darauf ein. Im zynischeren Teil meiner Fantasie kann ich mir einige Kausalitäten zwischen längerer Abwesenheit des Hausherrn und plötzlicher Schwangerschaft vorstellen, aber das will ich nun der königlichen Dame nicht unterstellen.

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Der König jedenfalls ist dem Eremiten so dankbar, dass er seine Hauptstadt von Agra auf das Felsplateau des Eremiten verlegen lässt. Ohne vorher darüber nachzudenken, ob so ein karges Plateau, ohne irgendeine natürliche Wasserquelle, wirklich der ideale Ort ist, eine große Stadt hochzuziehen. Weshalb sie kurz nach der Vollendung wieder aufgegeben und zur Geisterstadt wird.

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Was er aufbaut, ist wirklich staunens- und bewundernswert. Nicht nur die Architektur, auch der aufgeklärte Geist dahinter. So finden sich hier Hindutempel neben Moschee neben Kirche. Eine der Hauptattraktionen ist seine private Audienzhalle, in deren Mitte eine mächtige Säule steht. Von der Säule gehen vier Brücken in die vier Ecken. In jeder Nische saß ein Vertreter der großen Religionen, um dem König in der Mitte Rede und Antwort zu stehen. Unten am Boden schrieben (meist Hindu-)Chronisten alle Diskussionen mit, nicht ohne süffisant zu vermerken, dass der König oft mit der Antwort der Imane unzufrieden war und sich dann den anderen Vertretern zuwandte. Die gleiche Offenheit im Denken zeigte der Mogul auch seinen Untertanen gegenüber, denen er Religionsfreiheit gewährte.

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Der Mogul selber, gebildet, obwohl Analphabet, lebte asketisch, schlief wenig und stand bei Sonnenaufgang auf, um sich an einem bestimmten Fenster der Öffentlichkeit zu zeigen. Der Sohn, als über die Maßen verwöhnter Prinz, verfällt Opium und Wein, trinkt, laut Kamlindhra, jeden Abend 27 Gläser Wein. Er hätte sich nie bei Sonnenaufgang der Bevölkerung gezeigt, was sicher für diese auch kein schöner Anblick gewesen wäre.

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Eines der prachtvollsten Gebäude ist die große Moschee, die am Ausgang des UNESCO-betreuten Geländes liegt.  Dort liegt das Grab des verehrten Eremiten in einem kleinen, weißen Marmorgebäude. In der Moschee kann ich unverhüllten Hauptes umhergehen, das Grab betreten nur mit Kopftuch. Ich ziehe einen Schal aus der Tasche und dann kommt einer der schönsten Augenblicke dieser Reise. Kamlindhra kommt mit zwei kleinen Salatsieben aus gelbem Plastik, so sehen sie jedenfalls aus. Sie entpuppen sich aber als die obligatorische Kopfbedeckung für Männer. Monsieur beäugt seine skeptisch und setzt sie dann widerstrebend auf. Ha!

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Wir werden mit den Gläubigen einmal rund um das Grab geschoben. Vor dem Ausgang wird ein Segen über uns ausgesprochen und als ich kurz vor der ausgetretenen Marmorschwelle zögere, strecken sich gleich drei Hände nach mir aus, um mir darüber zu helfen. Ich möchte zwar rufen: Ich bin nicht so alt!, aber insgesamt ist es eine tiefe Erfahrung, die ich nicht missen möchte.

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Touristen kommen nicht gerne hier her, erklärt Kamlindhra im Hof, und wir sehen nach ein paar Schritten auch weshalb. Ganze Heerscharen von Händlern stürzen sich auf uns, kaum dass wir den heiligen Ort verlassen haben. Pfiffig sind sie auch noch. Aus Höflichkeit will ich nicht sagen, dass mir der kitschige Kram nicht gefällt, ich wähle das diplomatischere: „Das ist nicht mein Stil.“, worauf sofort ein „Geschenk für eine Freundin?“ kommt.

Besonders anhänglich-aufdringlich sind die Kinder mit den „edelstein“verzierten Kugelschreibern. Einer verfolgt mich hartnäckig trotz meiner Weigerung. Irgendwann wird es mir zu bunt, ich erkläre ihm noch einmal, dass ich nichts kaufen möchte und schließe mit: „Und überhaupt solltest du zuhause sein und deine Hausaufgaben machen!“ Da starrt er mich entsetzt an, schreit „No, ma’am, no!“ und ergreift die Flucht.

1:0 für mich!

Mutter Theresa kommt abhanden

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Das achtzehnte Türchen öffnet sich auf eine Enttäuschung.

Geplant war das natürlich ganz anders. Als ich mir in der Planungsphase die vorgeschlagenen Hotels anschaute, eines schöner als das andere, jedes auf seine ganz eigene Art, fiel mir auf, dass dieses Hotel doch ein bisschen mehr kostete als wir sonst so für eine Übernachtung ausgeben wollen. Das ist etwas ganz Besonders, sagt unsere Reiseplanerin, gönnen Sie sich das. Außerdem können Sie da nichts anderes tun als zu entspannen. Nach zwei Wochen Indien brauchen Sie das.

Ich schau mir die Angebote des Hotels an und vor meinem Auge entsteht ein Bild: ein Nachmittag, eingeleitet mit einer Massage, dann Rückkehr ins kuschelig warme Zimmer und süßes Nichtstun bis zum Abendessen.

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Wir nähern uns dem Hotel, einem 300 Jahre alten Fort, auf einem Felsen, weithin sichtbar. Das Fort, ein großer Monolith, scheint aus dem Felsen zu wachsen. Wir werden durch das Tor, unten in der Ebene, eingelassen, es folgt das übliche Gewusel mit heißen Tüchern, kalten Getränken, passport, please, Formulare ausfüllen. Dann werden das Gepäck und wir in einen Jeep geladen und die Serpentinen hochgekurvt. Zwischendurch wird uns das Touristenbespaßungsprogramm vorgestellt, vom Kamelkarrenritt bis zum Besuch des örtlichen Webers. Kennen wir, brauchen wir heute nicht. Das Spa-Programm dagegen, ja, bitte, das interessiert mich.

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Das Fort entpuppt sich als ein Labyrinth von neun Stockwerken, angeordnet um einen Innenhof, der im Sommer kühlend wirken soll, durch den aber heute kalter Wind zieht. Wir sind im siebten Stock untergebracht, unser Begleiter öffnet die Tür. Wunderschön ist das Zimmer, in einem der Türme, das Bett in der Rundung, aber sehr kalt, das Bad nebendran geradezu eiskalt. Wir schließen die Tür und stellen als Erstes die Klimaanlage auf heizen, was zur Folge hat, dass die Zimmertemperatur in den nächsten Minuten weiter sinkt. Wir kramen Jacken aus dem Koffer, stellen die Klimaanlage wieder aus und rufen den Service an. Kurz darauf klopft es, ein Mann tritt ein, geht zur Fernbedienung und erklärt uns, wie wir die Klimaanlage anschalten könnten. Monsieurs Mundwinkel verziehen sich. Er mag es nicht, wenn man ihn für zu blöd hält, einen Schalter zu bedienen. Wir bitten den Herrn doch mal die Hand in den kalten Luftstrom zu halten. Ja, ja, warten Sie zwanzig Minuten, das muss sich erst aufheizen. Es tut sich natürlich nichts, weshalb wir wieder anrufen und innerhalb von fünf Minuten einen kleinen Heizlüfter gebracht bekommen. Der macht nun zwar warme Luft, aber auch eine Menge Lärm und reicht für den großen Raum natürlich nicht aus. Immerhin steigt die Raumtemperatur um 0,5 Grad. Wir knobeln schon mal aus, wer morgen eine halbe Stunde früher aufstehen und das Öfchen ins Bad tragen muss.

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Wir beschweren uns noch einmal und suchen dann wärmere Gefilde. Monsieur am Pool, ich bleibe als Burgfräulein auf dem Fenstersitz draußen im siebten Stock. Dort liegen ein dickes Polster und viele Kissen in der Sonne, der ideale Platz, um zu lesen oder Postkarten zu schreiben. Ich trage meine Schreibmappe aus dem kalten Zimmer in die warme Sonne und mache mich an die Arbeit. Schreiben, adressieren, frankieren. Auf jede Karte kommt ein Herr für 5 Rupien und Mutter Theresa für 20 Rupien. Den Herrn haben wir im Zehnerstreifen erhalten. Mutter Theresa kommt zehn Mal einzeln daher und ist sehr unternehmungslustig. Dauernd kommt sie abhanden. Sie verschwindet zwischen einer Postkarte und der nächsten. Mal liegt sie unter den Karten, mal in der Schreibmappe und irgendwie schafft es tatsächlich eine, auf ein Kissen zu klettern.

Kaum bin ich im kalten Zimmer zurück, erscheinen zwei Herren mit Leiter und Werkzeug. Erklären noch einmal, wie man… und hebeln dann auf meine genervte Reaktion hin zwei Klappen in der Decke auf. Drehen, messen, nicken und schlagen die Klappen zu. An der Temperatur im Zimmer ändert sich nichts. Ja, ja, kommt die Standardantwort, warten Sie zwanzig Minuten, das muss sich erst aufheizen.

Sie verabschieden sich und der eine greift nach dem Lüfter. Ein herrisches „Nein!“ meinerseits stoppt ihn. Ich gebe doch nicht so einfach mein Heizöfchen her! Lieber das Öfchen in der Hand als die Klimaanlage auf dem Dach, oder wie auch immer dieser Spruch lauten mag.

Weise Entscheidung, denn der Luftstrom bleibt unangenehm kalt.

Zehn Minuten später ruft der Manager an, sie hätten ja nun alles geregelt, ob wir zufrieden seien. Das ist dann der Moment, indem Monsieur zu höflichen, aber bestimmten Worten greift. Drei Minuten später steht der Manager vor unserer Tür und dreißig Minuten (Geben Sie mir Zeit, zu prüfen, ob die Heizung dort funktioniert) ziehen wir in eine Suite um, die beeindruckend groß, vor allem aber kuschelig warm ist. Ich überlege einen Moment, ob ich nicht doch das Heizöfchen…, gebe ihnen dann aber ein Vertrauensvotum.

Trotz allem nicht, was wir uns erwartet hier hatten. Auf Spa habe ich auch keine Lust mehr.

Der Abend wird aber trotzdem noch nett, dank eines jungen Kellners, der uns begeistert sein Wissen ausbreitet, da wir aus Frankreich kommen. Ob wir denn schon einmal da oder dort gewesen seien, diesen oder jenen Wein getrunken hätten? Dann erklärt er uns sehr ernsthaft, dass es auch in Deutschland Weine gäbe, aber nur Riesling. Denn hinter dem Elsass läge ein großer Berg, der die südlichen Winde davon abhielte nach Deutschland zu wehen. Weshalb es da so kalt sei, dass da nur der Riesling gedeihe.

Was immerhin mehr ist, als wir über indische Weine wussten.

Fake und andere Fakten

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Das 17. Türchen bringt uns fake und anderen Fakten. Jaipur, Hauptstadt Rajasthans, ist eine faszinierende Stadt und bekannt als „The Pink City“. Was sich als fake news herausstellt. In den 1870ern kommt der Prince of Wales zu Besuch und der Maharadscha schaut sich seine Stadt an. Von seinem Urur…großvater um 1720 am Reißbrett entworfen, im Schachbrettmuster und mit Prachtstraßen, unter denen schon damals Kanalisation lief, ist sie schon ein bisschen in die Jahre gekommen. Er lässt zu Ehren des hohen Besuches die gesamte Stadt neu streichen, in einem warmen Terracotta-Ton, einer glücksverheißenden Farbe. Die mitreisenden britischen Journalisten fanden das Wort Terracotta nicht patriotisch-britisch genug und machten kurzerhand ein „pink“ daraus, was dann als Berichterstattung um die Welt ging.

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Die anderen Fakten gehören eher in die Sparte: Will ich das wirklich wissen? Im City Palace des Maharadschas laufen wir an einer langen Reihe der illustren Vorfahren des heutigen Titelträgers entlang, bis wir vor einem wahrhaft großen König stehen. Wir hatten schon in Jodhpur die Waage gesehen, mit der zeremoniell das Königspaar gewogen wurde.  Das Gewicht in Getreide oder anderen Lebensmitteln wurde dann an die Bedürftigen verteilt. Ein Maharadscha hatte also fast eine soziale Verpflichtung zu einer kräftigen Statur. Dieser nahm das wohl etwas zu ernst und brachte 250 kg auf die Waage. Das sich vorzustellen, ist schwierig. Deshalb stellen sie im Textilmuseum nicht nur sein gigantisches Prachtgewand aus. Darunter hängen seine goldbestickten Unterhosen, 147 Zentimeter Spannweite bzw. knappe drei Meter, um einmal um den ganzen Herrn Maharadscha herumzugehen. Will ich dieses Bild jetzt wirklich im Kopf haben?

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Der Palast der Winde am Abend

Der City-Palast ist unsere vierte Station für heute, zwei davon nur Fotostopps. Der erste, auf dem Hinweg, am Palast der Winde, der nur einen Raum tief, quasi nur Fassade ist und den königlichen Damen einen Blick auf die Aktivitäten der Herren erlaubte. Der zweite, auf dem Rückweg am Wasserpalast, der zwar schön liegt im See, der regierenden Familie aber durch ungeklärt dort einfließende Abwässer verleidet ist.

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Dazwischen liegt für uns Fort Amber. Seit 1727 wohnen die Maharadschas im City Palace, davor war es der Palast im Fort, ein paar Kilometer außerhalb der Stadt. Wir kommen recht früh weg, obwohl wir Dillip und unseren neuen Führer Radjuk ein paar Minuten im kalten Morgen warten lassen. Eine nette Dame der Hotelleitung begrüßt uns im Frühstücksraum, will wissen, wie es uns gefällt, welche Pläne wir haben und wir reden uns ein bisschen fest. Zum Schluss beglückwünscht sie uns zu unserem weisen Entschluss, uns auf Rajasthan zu konzentrieren. Südindien hätte zwar Tempel, aber hier, hier hätten sie Architektur. Das ist doch gut zu wissen!

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Fort Amber hat dann eine ganze Menge Architektur, im Fort, am Fort und ums Fort herum. Etwa einen an die chinesische Mauer erinnernden Wall weit um Fort und Stadt herum. Das sei Absicht, sagt Radjuk, der Maharadscha hätte davon gelesen und es en miniature nachbauen lassen. Diese Mauer wird ähnlich wie beim Original von Wachttürmen unterbrochen und auf den Hügeln oberhalb des Forts liegen weitere Festungen, die den Palast beschützen sollen. Eine davon mit einer der weltgrößten Kanonen, direkt vor Ort gegossen. Mir ist das ein bisschen zu beklemmend: wo immer auch ich im Fort stehe, schaut von irgendwo eine Festung in den Hof. Da musste der Maharadscha schon sehr viel Vertrauen in die Loyalität seiner Soldaten und Offiziere haben. Die seiner Untertanen erwarb er sich durch drei Heiraten, mit einer Muslimin, einer Hindufrau und einer Christin. Damit waren bevölkerungstechnisch alle Problemfelder abgedeckt, aber wie das dann zuhause weiterging…

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Wir erreichen das Fort im Jeep, das sei nicht so gefährlich wie der Elefantenritt, hatte uns gestern noch der örtliche Reisevertreter erklärt. Gefährlich ist die Jeepfahrt nicht, nur extrem unbequem und holprig. Sehen können wir auch nicht viel aus den niedrigen Fenstern. Da wäre der Blick vom Elefantenrücken schon besser gewesen. Allerdings nur bergauf, bergrunter geht es nur zu Fuß. Die Elefanten haben wohl eine gute Gewerkschaft. Fakt war, dass ihre Besitzer sie bis zu zwölf Stunden mit bis zu sechs Personen bergauf, bergrunter laufen ließen. Deshalb wurde ein Gesetz gemacht, dass die Arbeitszeit auf sechs Stunden, sechs Durchgänge, zwei Personen und die nur berghoch beschränkte. Ob das umgesetzt wird, wissen wir natürlich nicht. Schön anzusehen ist es jedenfalls, wenn sie mit ihrer Last den Berg hochwanken.

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Das lenkt aber nur geringfügig von den Schönheiten der Audienzhalle ab. Ein Traum in Weiß und Spiegelglas und bunten Einlegearbeiten, inzwischen mit einem Geländer abgesperrt. Zu viele Touristen hatten versucht, kleine Glas- oder Spiegelelemente aus der Wand zu pulen.

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Radjuk warnt uns noch vor den fliegenden Händlern, die alles für „Ten“ anbieten. Zeigt man Interesse, werden aus den zehn Rupien plötzlich zehn Dollar oder Euro, je nachdem, wie sie den Ausländer einschätzen. Allerdings ist das, was sie anbieten, so kitschig, dass wir spontan beschließen, unserer Familie und den Freunden zu Weihnachten zu schenken, dass wir ihnen nichts davon mitbringen.

 

Im City-Palast werden wir dann mit den königlichen Unterhosen konfrontiert und mit vier exquisiten Toren. Bei zweien gelingt es Monsieur tatsächlich, blitzschnell eine Lücke zwischen all den Selfie-Idioten auszunutzen, bei den anderen ist die Warteschlange so lang, dass er aufgibt.

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Wir sehen Wachen, die uns mehr gemütlich als furchteinflößend erscheinen und martialisch aussehende „Speerträger“, deren Aufgabe es ist, die Tauben aus den königlichen Kronleuchtern zu scheuchen.

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Dann, als wir schon leicht angemüdet, zum Entschluss kommen, dass wir nun alles gesehen haben, bringen uns Radjuk und Dillip zum Observatorium und das ist der Moment, in dem es „Klick“ macht. So etwas Einzigartiges haben wir noch nie gesehen. Der Maharadscha fühlte sich wohl 1727 mit dem Aufbau einer gesamten Stadt nicht ausgelastet und ließ auf einem Gelände neben dem Palast 1728 ein riesiges Observatorium aufbauen.

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Unterschiedlichste Gebilde versuchen Sonnen- und Planetenlaufbahnen zu vermessen, dienen als Sonnenuhren oder der Sternenbeobachtung, erzählen von einer schon an Obsession grenzenden Faszination mit den himmlischen Bewegungen. Monsieur grummelt zwar ein bisschen, dass all diese astronomische Forschung „nur“ im Dienste der Astrologie stand, ist aber gleichermaßen fasziniert von all den Fakten, die Radjuk vor uns ausbreitet.

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Ich habe ein ganz kleines Problem, ein Luxusproblemchen, ein ästhetisches. Einige dieser Gebilde sind von wirklich exquisiter Schönheit und genialer Ausfertigung. Andere muten geradezu futuristisch an in ihren himmelstrebenden Bögen. Genau da liegt für mich das Problem. Die „Messgeräte“ mit ihren Feinsteinteilungen sind alle aus Marmor und wie gesagt von umwerfender Schönheit. Die gemauerten Träger sind gestrichen worden, mit einer Farbe, die zum Teil abblättert, vom Regen schwarz verfärbt worden ist, ein kränkliches Gelbgrün aufweist, kurzum, mich nur allzu lebhaft an die Bedürfnisanstalten auf französischen Campingplätzen der 1960er erinnert. Ich weiß, ich weiß, aber das ist stärker als ich.

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Nach so viel Kultur, meint unser Reiseveranstalter, wäre es Zeit für ein bisschen buntes Leben bei einem abendlichen Bummel durch die Basarstraßen Jaipurs. Das ist sicher toll, aber erst brauchen wir eine kleine Pause bei so interessanten neuen Erfahrungen wie mit Walnusspaste gefüllten Kartoffeln, geschmort in Kashmirisoße oder Kichererbsenragout.

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Radjuk übergibt uns an Krithi, eine junge Frau, die für eine „Heritage-Foundation“ arbeitet und uns durch die Straßen hinter dem Palast führt. Es werden zwei Stunden voller neuer Erfahrungen, wenn uns auch das „pralle Leben“ gelegentlich etwas zu prall ist, wie etwa bei den verschiedenen Versuchen, sechsspurige Straßen zu Fuß zu überqueren. Dafür erfahren wir, dass ein jedes Haus einen Sitzplatz vor der Haustür hat, auf dem müde Wanderer sich ausruhen können.

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Sie führt uns auch zu verschiedenen „food stands“ mit lokalen Spezialitäten. Einige probieren wir, andere nicht. Dabei kommen wir uns sehr mutig und abenteuerlustig vor, mal sehen, was unser Magen morgen davon hält. Wir ziehen durch Straßen, in denen es nur Küchenutensilien zu kaufen gibt zu Gassen, in dem ein Juwelier neben dem anderen haust. Kann mich alles nicht (mehr) reizen, allerdings werde ich in einem Stoffladen schwach, lege meine Jacke auf den Tresen und lasse den Verkäufer seine Schätze ausbreiten. Als ich mein Glück gefunden habe, meint Krithi: „Fixed price!“ Dabei hatte ich mich am Morgen schon so schön warm gehandelt. Trotzdem verlassen wir den Laden stolz mit meinem Kauf – aber ohne meine Jacke, die unter all den anderen Waren liegen bleibt.

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Merken werde ich das aber erst, als Dillip uns wieder im Hotel abliefert und ich vergeblich erst im Auto, dann im Zimmer danach suche. Es gibt ein bisschen hin und her, ich schalte die Rezeption ein, als mir klar wird, wo meine Jacke sein kann. Tatsächlich bestätigt ein Telefonanruf das, allerdings wird mein Vorschlag, einen Tuktukfahrer damit loszuschicken, abgelehnt, zu unsicher, nicht zuverlässig genug. Letztendlich bleibt es an Dillip hängen. Mein Einwand, dass er nun schon zehn Stunden für uns im Dienst gewesen sei, wird weggewischt: „Indian men very strong, ma’am!“

Eine Stunde später überreicht man mir meine Jacke.

Dillip hatte am ersten Tag zu uns gesagt: „You are my guests, you are my gods.“

Ich kann heute nur sagen: „Dillip, you are my hero!“

 

 

 

Pünktlichkeit ist eine Zier

 

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Das sechzehnte Türchen enthält eine wertvolle Lehre zur Pünktlichkeit, auch wenn unsere französischen Freunde über diese deutsche Tugend lächeln, während unsere italienischen Freunde darüber richtiggehend lachen können.

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Niemand Geringeres als Brahma, Schöpfer des Universums und oberster aller Götter, beschließt eine glücksbringende Zeremonie am See von Pushkar abzuhalten, erzählt unser Führer Gobhal. Alle Götter sind eingeladen, alle Götter erscheinen pünktlich am See. Nur Brahmas eigene Frau, Sarasvati, Göttin der Wissenschaft, ist noch nicht da, weil sie sich noch schminken muss. Sie schminkt und schminkt und schminkt, die Götter warten und warten und warten, weil die Zeremonie nicht ohne die Frau des obersten Gottes beginnen kann.

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Irgendwann sind Brahma und seine Gäste die Unpünktlichkeit seiner Frau leid und Brahma schickt nach dem erstbesten schönen Mädchen in der Nähe. Die heiratet er auf der Stelle, die Zeremonie kann beginnen und alle sind zufrieden und glücklich. Bis auf Sarasvati, die viel zu spät, aber sicher perfekt geschminkt, erscheint. Irgendwie scheint sie das Geschehene nicht ihrer Unpünktlichkeit zuzuschreiben. Sie ärgert sich nur über ihren Mann und spricht zwei Flüche aus: dass es auf alle Zeiten nur einen einzigen Brahma-Tempel in Pushkar geben soll und dass alle Mönche, bevor sie Brahma huldigen, morgens erst dem heiligen Wasser des Sees huldigen sollten.

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Natürlich steht dieser Brahma-Tempel auf unserem Programm, nach einem späten Frühstück im B&B, dass zwar sehr lecker ist und mit viel Herzlichkeit serviert wird, mich aber durch und durch frieren lässt. Nachdem wir uns geweigert haben, draußen, im feuchtkalten Morgennebel auf dem Viewpoint zu frühstücken, tragen drei „Boys“, alles ausgewachsene Männer, das aufgebaute Büffet wieder ins Haus, wo die Temperaturen bei weit geöffneten Fenstern und Türen nur minimal höher sind. Odlo sei Dank bin ich gewappnet, trotzdem fühle ich mich durch und durch kalt, als wir im Auto in die Stadt fahren. Die Sonne kommt durch den Nebel, als der Führer zu uns steigt, aber meine Füße sind eiskalt, als wir vor den Tempelstufen stehen. Deshalb verweigere ich mich dem barfüßigen Tempelbesuch und setze mich auf den Stufen in die Morgensonne. Kurz darauf leistet eine Inderin mir Gesellschaft. Sie sei in Udaipur gestürzt und könne kaum laufen, was denn meine Ausrede sei. Eiskalte Füße gehen durch, nickt sie.

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Zehn Minuten später kommt Monsieur zurück und meint, meine Wahl sei die richtige gewesen, viel hätte ich nicht versäumt. Er beschreibt mir – absolutes Fotografierverbot – das Innere des Tempels, während wir durch den Basar – weitere Sehenswürdigkeit Pushkars – zur letzten Attraktion laufen, den Gaths, den Stufen, die zum heiligen Wasser führen.

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Der Basar bietet eigentlich nur Buntes der Sorte Touristenkitsch, wie etwa Silberteller mit zwei Reihen Swastikas am Rand. Das Angebot Gobhals uns in ein „Gipsy warehouse – only looking, no need to buy“ zu führen, lehnen wir ab. Da bleibt mehr Zeit für die Stufen. Von Tempeln und prachtvollen Residenzen umgeben, liegt der See in der Sonne. Die Residenzen wurden von verschiedenen Königen gebaut, für ihr Seelenheil. Sie stehen Pilgern kostenlos zur Verfügung. Die kleinen Tempel sind mal mehr, mal weniger elaboriert, meist mit Blumenketten geschmückt. Auch vor den kleineren Götterstatuen stehen Schalen mit Blütenblättern, aus denen die Affen zielstrebig die Rosenblätter heraussuchen.

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Der Tempel aber, der mir am besten gefallen hat, ist der Tempel of coffee, zu dem Gobhal uns bringt.

Da gibt es die besten Espressi der letzten zwei Wochen, bevor wir Dillip wiederfinden und uns auf den Weg nach Jaipur machen.

Die letzten Wochen war es so, dass wir noch in jeder Stadt begeistert waren, von dem, was wir sehen konnten. Jedes Mal waren wir der Meinung, das Gesehene wäre so schön oder so außergewöhnlich gewesen, dass die nächste Stadt es wohl kaum überbieten kann. Noch jedes Mal hat uns dann die nächste Stadt eines Besseren belehrt. Mit einer Ausnahme: Pushkar…

Bollywood oder Discovery Channel

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Das fünfzehnte Türchen stellt uns vor die Wahl: Discovery Channel oder Bollywood.

Discovery Channel läuft links, am Nachbartisch, als ein Streifenhörnchen sich aus dem riesigen Banyanbaum fallen lässt und auf diesen Tisch springt. Dort zieht es zielstrebig eine Papierserviette (! – in der Wüste wurde der Tisch mit gestärkten Servietten gedeckt, hier nicht!) aus dem Halter und faltet sie geschickt in der Mitte, einmal, zwei-, dreimal, bis es einen kompakten Papierball hat, den es im Schnäuzchen nach oben trägt. Das Ganze dauert keine zwei Minuten und ich bin immer noch perplex ob der akkuraten und flinken Geschicklichkeit des kleinen Nagers.

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Bollywood läuft rechts, auf dem Pontonfloß vor dem Tempel, der an das Hotel grenzt, offenbar ein beliebter Platz, mit See und Palast im Hintergrund, für „pre-wedding-photo-shootings“. Schon gestern mussten durften wir unser Frühstück mit einer Drohne teilen, die die ach so romantischen und ungestellten Bilder schoss. Die Braut wechselte fünfmal den Dress, zum Glück bleibt der Bräutigam der Gleiche. Schoss die Drohne gestern nur Fotos aus allen Richtungen, ist der heutige Fotograf ambitionierter: er will eine Geschichte erzählen. Gut, kann er haben. Sie – in leuchtendem Rot, großer Schleppe und viel Glitzer – steht am Ufer, an das Geländer gelehnt, die Hand an der Augenbraue. Untertitel: „Schrott, jetzt habe ich so viel Geld für das Kleid ausgegeben und habe vergessen, mir den passenden Mann auszusuchen.“ Sie dreht sich hin und her, sucht mit dramatischer Geste den Horizont ab. Untertitel. „Irgendeiner, irgendeiner sollte doch zu finden sein!“ Plötzlich fällt ihr Blick auf einen wehrlosen einsamen Mann, der auf dem Ponton „zufällig“ am Geländer lehnt. „Hmmmm, besser als gar keiner!“ Und sie fliegt ihm, wallende Schleppe und flatternde Haare, in die Arme.

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Die zweite Geschichte wechselt die Perspektive. Diesmal steht sie an der Reling des Pontons, einsam, allein, Rücken zum Fotografen und uns. Man sieht aber ihrer ganzen Haltung an, dass sie schwer nachdenkt. Wahrscheinlich Gedanken in Richtung „Wie lange, sagte der Verkäufer, kann ich das Kleid zurückgeben?“ Da schleicht er von hinten an sie heran, legt die Arme um ihre Taille und sie wirbelt herum, ein glückseliges Strahlen im Gesicht. Wahrscheinlich erleichtert, dass sie jetzt doch nichts umtauschen muss, weil sie den Kassenbon eh schon verschluddert hat.

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Bollywood beschäftigt uns auch auf dem Weg zu unserem ersten Ziel, der Festung Chittorgah. Diese Festung hat in ihrem 700 Jahren so viele grausige und blutrünstige Geschichten erlebt, das reicht für Dutzende von Bollywood-Filmen. Dachte sich auch ein Regisseur und griff eine Episode heraus, erzählt Chandra, eingebettet in eine Geschichtslektion mit vielen Jahreszahlen. Die Bösen sind mal wieder die Moghulen, die die Festung belagern. Der Moghul-Anführer ist wie besessen von der Schönheit der Rajputen-Königin und schlägt einen Handel vor. Sie soll ihn nur einmal ihr unverschleiertes Gesicht sehen lassen, dann würde er mit seinem Heer abziehen. Dieses unmoralische Angebot wird natürlich empört vom König abgelehnt, bis seine Frau ihn dazu bringt, mal in Ruhe nachzudenken. Sie würde sich opfern, wenn es denn Tausenden von Soldaten das Leben retten könnte.

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Gesagt, getan. Der Moghul-Anführer bekommt einen „Take it or leave it“-Vorschlag. Er könne die Königin sehen, jedoch nur als Spiegelbild. Er ist so verrückt nach der Dame, dass er ohne Rückfragen zusagt. Also wird das Bild der Dame erst im Seewasser vorm Palast gespiegelt, dann mit einem Handspiegel zu ihm zurückgeworfen. Monsieur hat mir ja gestern allerhand über Brechungswinkel und Reflexion erzählt. Ich war zugegebenermaßen etwas abgelenkt, aber selbst mir ist klar, dass das kein sehr befriedigendes Ergebnis für den Herrn Moghul gewesen sein kann. Aber Ehrenwort ist Ehrenwort, also zieht er ab, kommt aber am nächsten Wochenende wieder vorbei mit dem bei solchen Geschichten vorhersehbaren Ende: blutige Schlacht und freiwilliger Feuertod für die Königin.

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Das ist aber nur der Anfang der Geschichte, die Chandra erzählt. Der Bollywood-Regisseur dreht einige Szenen an Originalschauplätzen in Chittorgarh und der Inhalt des Filmes sickert durch. Es gibt einen Aufschrei der Empörung in ganz Rajasthan: nie! Nie! Und niemals würden Rajastani-Frauen sich vor einem Fremden entschleiern und eine Königin schon dreimal nicht. Der Aufruhr ist so groß, der öffentliche Druck so hoch, dass der Regisseur sich gezwungen sieht, einen Teil des Drehbuchs abzuändern und neu zu drehen. Nun geht es nicht mehr um diese Königin, sondern nur um „irgendeine fiktive“ Königin in „irgendeinem fiktiven“ Land, die natürlich gar nichts mit Rajasthan und schon dreimal nichts mit einer Rajputen-Königin zu tun haben. Der Regisseur, allerdings, hat geschworen, nie wieder einen Film in Rajasthan zu drehen oder auch nur einen Fuß in diesen Teilstaat zu setzen.

Für den Film war das Ganze natürlich ein einziger PR-Gag, denn halb Indien lief in die Kinos, um zu sehen, worum die ganze Aufregung sich drehte.

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Die zweite Lektion in angewandter Geschichte ist nicht ganz so blutrünstig.  Die Bösen sind immer noch oder wieder die Moghulen. Es scheint mir so, als würden etwa alle hundert Jahre wilde Moghul-Anführer aus der mongolischen Steppe sich sagen: „Lass uns doch mal nachsehen, was die Cousins im Süden so treiben und mal schauen, ob wir sie nicht so ein bisschen vom Thron stoßen können.“ Also verläuft die Geschichte ähnlich wie oben, nur dass im letzten Moment, als die Feinde die Festung stürmen und die gesamte Herrscherfamilie töten wollen, eine tapfere Magd ihren eigenen Sohn ins prinzliche Kinderbett legt und den wahren kleinen  Prinzen in einem Obstkorb versteckt aus der Festung schmuggelt. Sie bringt ihn zu Verbündeten, wo er zu einem großen König heranwächst und die gesamte Geschichte wahrscheinlich wieder von vorne anfängt.

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Chittorgah ist eine riesige Anlage, aber nur diese beiden Geschichten sind von Bollywood ausgeschlachtet worden, so dass sich an diesem Sonntag Menschenmassen um den prinzlichen Turm und den Seepalast knubbeln. Menschenmassen sind mir eh schon nicht geheuer, hier aber besonders unangenehm, weil mit der Zahl der Menschen auch die Zahl der Selfie? Selfie?-Anfragen steigt. Selfies sind für mich eine der dümmsten Erfindungen unserer Zeit. Ich sehe keinen Sinn darin Selfies zu schießen und möchte schon gar nicht auf den Selfies anderer erscheinen. Ich versuche, das höflich (I’m too shy!) aber fest klar zu machen. Leider wird das nicht immer akzeptiert und meist noch schnell ein Foto aus dem Seitenwinkel herausgeschossen. Noch „netter“ die „unauffälligen“ Rufe von Familienbanden: „Schnell, schnell, mache ein Foto von ihr!“

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Einziger Trost für mich: Ich sehe auf Fotos meist furchtbar aus. Da können sie ihren Freunden das Fotos höchstens als „the wicked witch oft he West“ verkaufen oder – besser noch – gleich löschen. Gönne ich ihnen!

 

In Chittorgah verlässt uns Chandra. Er kehrt nach Udaipur zurück, wir wollen nach Pushkar. Aber erst fragt Dillip: „Coffee? Tea? Restroom?“ Wir brauchen alles drei nicht, da gesteht er, dass er etwas essen möchte vor der langen Fahrt. Er steuert ein ganz kleines Restaurant an, deponiert uns im Innenraum und verschwindet nach hinten, dorthin, wo die Fahrer unter sich sind und in Ruhe essen können. Dieses Lokal ist genau das: lokal. Die anderen waren eher Touristenkitschbasar mit angebautem Restaurant. Der Besitzer kommt, ist ein ganz kleines bisschen enttäuscht, dass wir nur einen Kaffee, nichts essen wollen, fängt sich aber schnell. „What country from?“ und strahlt: „You my first international guest!“ als ihm klar wird, dass wir durch Nationalität und Wohnsitz sozusagen doppelt international sind. Dann legt er mir die Visitenkarte auf den Tisch und bittet uns, ihm eine gute Bewertung auf Tripadvisor zu geben. Wir schauen uns um: der Raum ist kahl und kühl, die Plastikschutzhülle auf den Kunstlederstühlen hängt in Fetzen herunter, gegessen haben wir nichts, der Kaffee ist eher so lala. Ich hab’s! Ich schreibe: Sehr freundlicher Gastwirt!

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Dillip hat seine Pause, wir machen uns auf den Weg, der bald etwas alptraumhafte Züge annimmt. Der existierende National Highway soll auf sechs Spuren ausgebaut werden, was für uns heißt: Baustellen, Umleitungen, Behelfsstraßenführungen zum ganz normalen Chaos mit Kühen auf der Fahrbahn und Gegenverkehr auf unserer Spur. Hinzu kommt, dass heute der Tag ist, an dem das nationale Mautsystem eingeführt wird und – sorry, Indien – natürlich nicht funktioniert. Kilometerlange Schlangen vor den Mautstellen, LKWs, die auf unserer Spur gegen die Richtung durch eine Mautstelle fahren, ein Ansatz, den Dillip – mit ein bisschen Stimmaufwand – ebenso erfolgreich durchsetzt. Es wird Nacht, fast alle fahren mit Fernlicht, wir sind mehr als zwei Stunden hinter der geplanten Zeit. Dillip fragt mehrmals nach „Restroom?“, was wir verneinen, wir wollen einfach nur ins Hotel. Irgendwann fällt uns auf, dass unser Fahrer sich immer wieder die Augen reibt und wir möchten dann doch eine Kaffeepause. Er zieht an einer Garküche nach links, wir steigen aus. Dillip entschuldigt sich: Local restaurant, not for tourists. Dass das uns viel lieber ist als die Touristenbusstopps, sieht er nicht ein. Wir stehen, ein Glas Tee in der Hand, vor den Sitzplätzen, plötzlich taucht ein Mädchen vor mir auf, stellt sich vor und will meinen Namen wissen. Weiter geht es mit den üblichen Fragen, dann frage ich sie ein bisschen aus über ihre Schule und ihre Pläne. Plötzlich wird sie mutig, ob ich vielleicht auch Französisch könnte. Wir wechseln die Sprache, was dann doch deutlich holpriger wird als Englisch. Sie erzählt, dass Französisch ihre zweite Sprache sei und sie jetzt mit Sanskrit angefangen hätte. Beeindruckend! Da taucht der Inhaber des Lokals auf: „You made my granddaughter so very proud, please have one!“ und deutet auf die Aloo Paratha auf der Theke.

Wir teilen mit Dillip und eine schier unendlich scheinende Stunde auf dem zerstörten Highway später treffen wir den Motorradfahrer, den das B&B uns entgegengeschickt hat. Ohne ihn hätten wir das schöne Haus, tief in den Feldern und Wäldern auf einer riesigen Sanddüne gelegen, nie gefunden.

Nach der Begrüßung werden wir zum Dinner-Pavillon geführt, wo rein vegetarische Köstlichkeiten auf uns warten, schließlich sind wir in der heiligen Stadt Pushkar. Die überwältigende Gastfreundschaft des Nimaj Kothi umarmt uns und wir wissen: endlich sind wir angekommen.

Octopussy und Chetak

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Unsere Hotelzimmertür, das 14. Türchen, öffnet sich auf islamisch angehauchte Arabesken, geschwungene Bögen, Spiegelmosaiken in den Nischen und bunte Glaskugeln an der Decke. Die reflektieren die ihrerseits vom Seewasser zurückgeworfenen Sonnenstrahlen.  Der See ist der Pichola-See, wörtlich „der See hinter dem Palast“, was jetzt wenig über Geografie, aber viel über das Ego des Maharanas aussagt. Das Hotel liegt genau gegenüber dem Palast, erbaut um 1700 von einen Minister, der für die Umbauten am Palast verantwortlich war. Er ließ das Material auf einem Grundstück am anderen, eben unserem Ufer lagern. Nachdem die Bauarbeiten abgeschlossen waren, war „zufällig“ noch so viel Material übrig, dass der Minister beim König anfragte, ob er sich damit am Lagerplatz ein Haus bauen könnte. Honni soit qui mal y pense…

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Frühstück ist auf der Hotelterrasse, im Frühnebel, weil es noch ein bisschen früh am Morgen ist. Dabei haben wir uns schon für die „faul&feige“-Option entschieden und die Stunde Musik- und Gesangsunterricht auf Indisch um 9 Uhr (nach einer Stunde Anreise durchs Verkehrschaos) abgesagt. Wer uns schon einmal hat singen hören, weiß, dass das ein Akt der Nächstenliebe ist. So folgen wir Chandra über die Fußgängerbrücke durchs Stadttor und die Altstadt zum Palast. Rechts und links Restaurants, die Lunch und Dinner anbieten, mit Octopussy in Endlosschleife. Dieser Film hat Udaipur auf die Tourismuskarte gesetzt, auch wenn während der Dreharbeiten die ganze Stadtbevölkerung sich gefragt hat „James wer? Bond? Nie gehört!“

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Im Palast stehen wir erst einmal sprachlos vor der Fassade. Wir waren ja schon in Bikaner beeindruckt, in Jaisalmer noch mehr und konnten uns nach dem Fort von Jodphur nicht vorstellen, dass es eine Steigerung gibt. Tja, falsch gedacht.

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Wir sind wie gesagt sprachlos, obwohl ein Drittel der Festung sozusagen ein Fake ist. Da hat der Herr Maharana eine Festungsattrappe vor dem Burgfelsen hochgezogen, damit der anschließende echte Bau nicht über den daneben liegenden Felsen erklimmbar wurde. Wir betreten den Bau durch den „Fraueneingang“ und stehen vor einem Bruchteil der 10000 Besucher, die die Festung an einem normalen Samstag so hat, 90% Einheimische, der Rest andere Touristen. Es wird eng, es wird sehr laut und es wird sehr unterhaltsam und lehrreich. Ich lerne mehr über Kriegsführung, als mir eigentlich lieb ist. Die angreifenden Mogul-Heere, Moslems, trieben Kuhherden vor sich her. Die Hindus konnten da einfach nicht attackieren. Die Mogulherrscher ließen Rajasthan, 80% Wüste und uninteressant, erst einmal auf ihrem Siegeszug links liegen und konzentrierten sich auf das südlichere Indien. Einmal etabliert, kehrten sie mit ihren Heeren und Kampfelefanten zurück. Diese Elefanten waren wahre Kampfmaschinen. Sie wurden vor der Schlacht mit Opium zugedröhnt und erhielten außerdem ein spezielles Schwert in den Rüssel gedrückt, mit dem sie willkürlich hin- und herschwankend Massaker unter den leichten Reiterheeren der Rajasthani anrichteten. Die sannen auf Gegenwehr und erinnerten sich, dass Elefanten jedes Jungtier, egal ob zur eigenen Herde gehörend oder nicht, schützen. Also wurden die Pferde mit Rüsselattrappen ausgerüstet. Dieses Jungtier-und-doch-nicht-Jungtier verwirrte die Elefanten so, dass die Reiterheere eine Chance hatten.

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Zu besonderen Ehren kam das Ross des damaligen Maharanas, Chetak, das, obwohl von einem Elefantenschwert am Hinterlauf verwundet, seinen verletzten Reiter über sieben Kilometer Schlachtfeld trug, einen Fluss überquerte, den König damit rettete und dann tot zusammenbrach. Chetak ist der Held der ersten Ausstellungsräume, wo ein großes (leider absolut unfotografierbares) Gemälde die Geschichte wie eine Art Comic erzählt. Am rechten Rand des Bildes die Schlacht, der König am Sonnenkranz leicht zu erkennen, mitten drin. Etwas weiter links im gleichen Schlachtenbild die Verwundung von Pferd und Reiter. Je weiter man am Bild nach links geht, desto weiter geht man in der Geschichte, bis zum fatalen Sprung über den Fluss und zum Tod Chetaks.

Diese Art von völlig unnützem Wissen finde ich einfach nur herrlich. Das kann mein Kopf speichern. Telefonnummern, ja, das ist etwas ganz anderes.

Wir lassen Chetak zurück, werden ihm aber in der Silberkammer wiederbegegnen, wo er das Hochzeitsgeschirr trägt, in Silber, mit Glöckchen und allem drum und dran. Es kann natürlich „nur“ ein x-beliebiges weißes Pferd sein, aber ich teste mein neu erworbenes Wissen am Museumswärter. „Chetak?“, frage ich, worauf er begeistert nickt. Der Rest in den Silberkammern rangiert eher unter „… oder kann das weg?“

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Die königlichen Räume entsprechen auch nicht so ganz meinem Geschmack, was die Einrichtung angeht. Hübsch finde ich allerdings, dass sie, als sie die Glaseinlegearbeiten vor ein paar Jahren restaurieren wollten, im Iran Nachfahren der persischen Handwerker fanden, die vor fast 150 Jahren die Originale gestaltet haben, immer noch in der gleichen Branche tätig.

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Der Palastteil, der besichtigt werden darf, ist höchstens ein Drittel der Anlage. Ein Luxushotel, ein Restaurant, eine Privatschule und natürlich der Herr König selber bzw. seine königlichen Gemächer beanspruchen den Rest. Trotzdem ist da genug zu sehen. Wir sind nach fast drei Stunden Besichtigung etwas angemüdet und legen eine Kaffeepause im Innenhof ein, bevor es zum Haupttempel der Stadt geht. Dort gibt es wieder exquisite Skulpturen, jünger und nicht ganz so ausgefeilt wie gestern, dafür sind hier nicht nur halbnackte Damen, sondern auch eine große Menge Pferde und Elefanten zu sehen.

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Dann schmeißen wir wieder das Programm um. Chandra soll uns mit dem Tuktuk zum Auto, das Auto zu einem Park mit Springbrunnen bringen. Haben wir uns gestern Abend noch schnell im Internet angeschaut und beschlossen, dass das nicht sein muss. Stattdessen schlendert Chandra auf unseren Wunsch mit uns durch die Gassen der Altstadt, zu Schneidern und Hochzeitsausstattern, vorbei an Marihuana-Verkäufern und Lasteseln. Was wir sehen, ist faszinierend und schön, besser ist aber, was wir nicht sehen. Der Müll ist von den Straßen verschwunden, auf dem See schwimmt ein „Cleaning boat“, das den wenigen treibenden Müll herausfischt, alles Anstrengungen auf dem Weg Udaipurs zur „Smart City“. Es ist vielleicht sehr eurozentrisch von mir so zu reagieren, aber ich genieße die Abwesenheit von Müllhaufen und treibendem Plastikmüll sehr.

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Chandra begleitet uns zurück zum Hotel, zu Fuß, obwohl die Angebote der Tuktukfahrer sehr charmant sind: „Tuktuk? Indiens Antwort auf Privatjet.“ Am Hotel verabschiedet er sich für zwei Stunden, dann holt er uns zu einer Bootsfahrt im Sonnenuntergang ab, um 17 Uhr, am Palast.

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Wir verpassen unser Boot beinahe, denn das Tuktuk, das wir angesichts der ganzen Lauferei am Morgen nehmen wollen, steckt schon vor der Brücke im Verkehr fest und wir beschließen, dass wir zu Fuß sicher schneller sind. Das Boot tuckert mit uns erst am Palast vorbei auf unser Hotel zu, dreht dann und nimmt Kurs auf den Seepalast, heute ein Luxushotel, und die dahinterliegende „Hochzeitsinsel“. Die Insel kann man für Hochzeiten mieten, das Brautpaar darf mit der engsten Familie in den Suiten übernachten, alle anderen Gäste obligatorisch im Seepalast, wo die Nacht 500$ und aufwärts kostet. Da für diese Art Hochzeiten – erzählt Chandra – auch schon mal Beyoncé oder Shakira eingeflogen werden, fallen die Hotelkosten sicherlich unter ferner liefen…

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Wir genießen ganz ohne Stars unsere Bootstour. Wie schön wäre es, wenn das Boot uns am Anlegesteg unseres Hotels absetzen könnte, aber das geht leider nicht – städtische Vorschriften und eine Menge Ärger für den Bootsführer, falls wir ihn tatsächlich überreden könnten.

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So geht es ein letztes Mal zu Fuß über die Brücke und die Gässchen zum Hotel, wo wir schon vorher einen Tisch am Seeufer reserviert haben. Der gleiche Kellner wie gestern begrüßt uns. Das erste Bier, wohlverdient nach fast zehn Kilometern Lauferei, unterstützt uns beim Studium der Karte. Unser Essen kommt, der Mond geht auf, der Palast erstrahlt in dezenter Beleuchtung, die goldene Spiegelbilder aufs Wasser wirft.

Das alles ist so romantisch, dass Monsieur mir tief in die Augen blickt und dann über Totalreflexion spricht.

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Eine magische Royal Enfield Bullet

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Das dreizehnte Türchen zeigt uns, dass wir uns nicht gut genug versteckt haben. Oder aber, dass der Regen noch pfiffiger und ausdauernder ist als wir dachten. Gestern jedenfalls fallen die ersten Tropfen, als die Naans auf den Tisch gestellt werden. Zusammen mit einigen anderen Gästen flüchten wir aus dem Garten ins Restaurant. Der wahre Regen kommt während der Nacht, die großen Pfützen rechts und links der Straße nach Udaipur lassen erahnen, was wir verschlafen haben.

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Einen ersten Stopp machen wir an einem eher bizarren Tempel. Unser Fahrer sorgt sich um unser Heil, diesmal nicht Seelenheil, eher das körperliche. Wer nämlich diese Straße nimmt und dort nicht ein Gebet zu der Gottheit sendet, riskiert einen Unfall beim Weiterfahren. Wobei die Gottheit in diesem Fall ein Motorrad ist, in einem Glaskasten und blumengeschmückt. Mit diesem Motorrad hatte ein junger Mann hier vor zwanzig Jahren einen tödlichen Unfall. Die Polizei nahm das Motorrad mit auf die Wache. Am nächsten Morgen war es verschwunden und wurde nach langer Suche am Unfallort gefunden. Das wiederholte sich mehrere Male, obwohl die Polizei Gegenmaßnahmen ergriff, wie etwa den Tank zu leeren oder das Motorrad an eine Kette und hinter Schloss und Riegel zu legen. Die Menschen sahen diese Wunder als Indiz für die Heiligkeit des Motorrads und errichteten ihm einen Tempel. Wie so oft sprangen drumherum sofort kleine Stände aus dem Boden und fliegende Händler bieten glücksbringende Amulette, geweiht an der magischen Royal Enfield Bullet.

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Wir lassen Dillip das Seine tun für unsere sichere Weiterreise, bauen aber doch mehr auf seine langjährige Erfahrung als Fahrer.

Die bringt uns dann auch sicher nach Ranakpur, einem 600 Jahre alten Jain-Tempel mit recht modern anmutender Baugeschichte und einem Hauch BER.

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Der Rajput von Mewar möchte um 1400 einen Tempel bauen und beauftragt seinen Jain-Finanzminister sich um das Organisatorische zu kümmern. Der träumt in der Nacht von einem Tempel, so licht und leicht und himmelstrebend, dass er zu fliegen scheint. Genau so einen Tempel will er bauen. Recht modern mutet an, dass er einen Architektenwettbewerb ausschreibt, an dem viele teilnehmen und 50 in die nähere Auswahl kommen. Dann aber trifft er auf einen Architekten, der ihm seine Ideen erzählt, die, Zufall oder gute Recherche, genauso himmelstrebend und hochfliegend sind wie die Träume des Finanzministers. Alle anderen Teilnehmer des Wettbewerbs wird mitgeteilt, dass dieser zu Ende sei und der junge Architekt den Tempel bauen wird. Damit beginnt der Hauch BER, denn das Unterfangen dauert 60 Jahre. In dieser Zeit bauen sie drei der geplanten sieben aufstrebenden Stockwerke. Die Handwerker, die es irgendwann leid waren, in dem nicht fertig gestellten Tempel nicht beten zu können, haben sich längst einen eigenen, kleineren nebendran gebaut. Der Finanzminister, inzwischen biblischen Alters und krank, will vor seinem Tode sein Werk vollendet sehen und drängt auf Abschluss der Arbeiten, und sei es mit „nur“ drei Stockwerken.

So steht er da, der Tempel, mit tausenden von Säulen, licht und leicht und luftig und erst ab zwölf Uhr zu besichtigen, da er vorher den Pilgern und Gläubigen gehört. Auch in den innersten Kreis der Säulen dürfen nur Pilger. Strenge Regeln fordern auf, vor dem Besuch alles aus Leder abzulegen, Nahrung, Getränke und Rauschmittel im Auto oder einem Schließfach zu lassen. Fotografieren der Säulen ist erlaubt, Fotografieren der Statuen der heiligen Lehrer nicht. Eine indische Familie, die sich davor verselfied, wird von einem Priester sehr bestimmt aus dem heiligen Bereich geführt.

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Von Ranakpur aus geht es durch die Berge nach Udaipur und wir sehen zum ersten Mal – außer im Wüstencamp – saubere Natur. Wir sind in einem Naturpark, der Müll am Straßenrand ist so gut wie nicht existent. Es fehlen streunende Tiere. Das liegt an den Leoparden, über 130 bei der letzten Zählung. Die jagen die wilden Hunde und verschmähen natürlich auch Haustiere nicht, weshalb die Bauern ihre Kühe, Ziegen und Schafe in Pferchen am Haus hielten.

Dafür gibt es eine Menge ländliches Indien zu sehen.

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Auch Udaipur ist angenehm müllfrei, verkehrstechnisch aber genauso chaotisch wie jede andere Stadt unserer Indienreise. Unser Hotel liegt fast im See, die Gassen so eng, dass Dillip keine Chancen hat. Wir werden mit einem Tuktuk erwartet, das uns zum Hotel bringt, nachdem der Tuktukfahrer dreimal alle Gepäckstücke nachgezählt hat.

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Unser Zimmer liegt auf fast Seehöhe und hat zwei Erker, sehr romantisch. Nach einem noch romantischeren Essen – bei Vollmond auf der Seeterrasse dem Palast gegenüber – riskieren wir Leib, Leben und Geldbörse bei einem Bummel durch die Gassen. Letztere wird gefährdet durch die ständige Anmache aus den Türen der Läden. Das geht von einen „Shopping nach dem Essen ist gut für die Gesundheit! Das ist wissenschaftlich bewiesen!“, was Monsieur etwas über Wissenschaftler und Wissenschaftler brummeln lässt zum „Madame, machen Sie mich glücklich!“, was Monsieur sicher nicht Recht wäre.

Auf dem Rückweg drängt uns an der schmalsten Stelle der Gasse ein Tuktuk an die Hauswand, wir stehen mit sprichwörtlich angehaltenem Atem und eingezogenem Bauch da, als der Fahrer hält, sich herausbeugt, schaut, wieviel Platz zwischen seinen Reifen und unseren Schuhspitzen ist, nickt und weiterfährt.

Uff!

Bewusstseinserweiternd

 

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Das zwölfte Türchen, naja, Fenster, öffnet sich auf die Erkenntnis, dass Touristen halt manchmal tun müssen, was Touristen halt manchmal tun müssen. Diesmal eben eine als „cultural safari“ deklarierte Good will Tour durch die Dörfer.

Allerdings ist es – mit einer Ausnahme – nicht ganz die schrecklich Touristenfalle, die ich befürchtet habe und deutlich informativer als erwartet. Bewusstseinserweiternd in mehr als einem Aspekt. Es fängt an mit den Bishnoi, einer Bauernsekte, die Herr Singh als öko und grün bezeichnet, weil sie mit Kuhfladen düngen, Bäume nie beschneiden, geschweige fällen würden und alle Tiere schützen. Klingt ziemlich grün auch für meine Ohren, bis Herr Singh erklärt, dass die 29 (bishnoi) Regeln der Sekte im 16. Jahrhundert aufgestellt wurden, von einem müden Helden der Kriegerkaste, der es vorzog als Aussteiger in der Wüste zu leben und zum Guru für die Einheimischen wurde. Einige der Regeln klingen etwas nach „Spaßverderber“: kein Alkohol, Nikotin, Opium, keine Fleischgerichte, andere verlangen Respekt, wie die Aufforderung nie zu lügen, nie in Ärger oder Zorn zu sprechen, nie zu kritisieren. Das mit dem Nicht-kritisieren werde ich heute nicht schaffen, wenigsten wird die Kritik nicht im Ärger geäußert sein.

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Es geht aus der Stadt heraus, 25 rückenbrechende Minuten im Jeep über sagenhaft schlechte Straßen, wie immer im Slalom um Tuktuks, Mopeds und Heilige Kühe. Wir haben eine kleine Meinungsverschiedenheit mit Herrn Singh, aber auch diese nicht im Zorn. Herr Singh erklärt uns, weshalb die Kühe heilig sind: sie geben die fünf heiligen Gaben: Milch, Ghee, Joghurt, Urin und Dung. Dung, das wissen wir, wird als Brennmaterial oder Putz verwendet, die ersten drei sind klar, aber Urin? Ja, nur die Brahmanen hätten das geheime Wissen, den Kuhurin so zu filtern und zu klären, dass man ihn als Medizin einsetzen kann.  Nun gut. Außerdem, erfahren wir, sei der Bulle das Reittier Shivas und deshalb heilig, auch wenn er – erfahrungsgemäß – keine Milch gebe. Auch hätten die Kühe das Recht alles zu tun, was sie wollten. Sie seien ja nicht nur heilig und nützlich, sie seien ja auch viel hübscher als unsere europäischen Kühe. Da ist sie dann, die Meinungsverschiedenheit. Wir diskutieren, bis Herr Singh mit dem Killerargument ankommt, dass unsere Kühe keinen Nackenhöcker hätten und das müssen wir ihm dann zugestehen. Allerdings teilen wir nicht ganz seine Begeisterung für den indischen Ansatz der Tierhaltung: Kühe werden nicht gefüttert, der Bauer lässt sie morgens „frei“, damit sie sich selbst ihr Futter suchen und sie werden nur gemolken, wenn sie abends freiwillig zum Bauern zurückkehren. Auch dass sie meist in den Müllbergen rechts und links der Straßen stehen (was mich meinen milchigen Tea Massala doch mit etwas anderen Augen sehen lässt), verklärt er zu Indiens Ansatz der Mülltrennung. Die Menschen kippen ihren Müll vor die Tür, die Kühe suchen erst alles Essbare heraus. Dann versuchen sie Papier und Pappe zu zermalmen, zurück bleibt der Plastikmüll. Die Menschen seien halt sehr naiv und dächten, irgendwann wird der Müll auch schon wieder verschwinden. Tut er ja auch manchmal, aber leider nur in Städten wie Delhi zum Beispiel, die sehr viel Geld für Müllabfuhr und Straßenreinigung ausgeben.

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Diese Diskussionen bringen uns zum ersten Stopp, einem Töpfer, der die unterschiedlichsten Gefäße für Wasser, Joghurt, Gemüsecurry und anderes herstellt. Sein kleiner Sohn kann noch nicht laufen, sitzt aber neben dem Vater und patscht mit Begeisterung auf einem Tonklumpen herum. Ein großes Wassergefäß, langwierige Handarbeit, kostet bei ihm knapp 100 Rupien, die kleinen Tonfiguren, die er für die Touristen herstellt, ein Vielfaches. Noch teurer sind die Mobiles aus kleinen Fischen und Vögeln, an einer Tonkuppel aufgehängt. Ich betrachte sie mit einem Hauch Heimweh: so etwas Ähnliches, natürlich nicht ganz so elaboriert, hängt bei mir an einem Fenster, von einem meiner Kinder im Kindergarten hergestellt.

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Der nächste Stopp ist dann genau das, was ich befürchtet habe. Wir fahren an einer großen Grundschule vorbei auf den Hof einer halbnomadisch lebenden Familie. Sechs Monate wären sie an den Hängen des Himalayas auf der Suche nach Kräutern und Samen, aus denen sie Essenzen herstellen, die hier auf den Märkten gutes Geld bringen. Sechs Monate leben sie hier. Der Vater sei Schlangenbeschwörer, eine Tätigkeit, die vom Gesetz verboten sei. (Allerdings haben wir einen bei der Arbeit gesehen und das im Regierungsviertel von Delhi.) Deshalb arbeitet er als Steinmetz und haut Handmühlen aus Granitblöcken. Wir fahren auf den Hof und sind sofort umringt von einem Dutzend Kinder, die uns mit Chewing gum? anbetteln. Herr Singh, der die Tour natürlich nicht zum ersten Mal macht, fischt eine Tüte Bonbons aus der Tasche und beginnt Süßigkeiten zu verteilen. Die Zahl der Kinder verdoppelt sich plötzlich, alle lachend, alle mit ausgestreckten Händen. Es reicht ihnen aber auch, wenn man High Five macht, worauf sie sich „Weißer! Weißer!“ rufend vor Lachen fast ausschütten wollen. Nur ein älteres Mädchen hält meinem Blick unbeirrt mit unheimlich traurigen Augen. Unser Jeep wird mit Winken, Lachen und „Weißer! Weißer!“-Rufen vom Hof geleitet. Warum die Kinder denn nicht in der Schule seien, frage ich Herrn Singh, er zuckt nur mit den Schultern. Die Regierung hätte ihnen extra ein Grundstück direkt neben der Schule zugeteilt, wohl in der Hoffnung, dass da etwas „abfärbt“. Er zuckt noch einmal mit den Schultern.

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Dann kommt der außergewöhnlichste Stopp, der mit dem Jain-Clanchef, der mit der Opium-Zeremonie. Erst bekommen wir den schön geschmückten Hof gezeigt und erklärt, wie vielfältig die Gaben der Natur genutzt werden. Hirse wird gedroschen zum Verzehr. Die Stängel kommen als resistenteres Winterdach auf die Grasdächer der Lehmhütten. Die Hirsespelzen, „Abfallprodukt“ beim Dreschen, werden unter das Brennmaterial Kuhdung gemischt, um ein besseres Anbrennen zu erreichen. Sesampflanzen werden nach dem Dreschen kleingehackt und an die Wasserbüffel verfüttert. Die Tiere sind so etwas wie Statussymbole, werden aber, da sie stärker und wilder als die Kühe sind, angekettet in Hausnähe gehalten und gefüttert. Ihre Milch wird zu Käse (Paneer „Indian mozzarella“) verarbeitet.

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Wir kehren von den Tiergehegen zurück zum Haupthaus, wo der Patriarch auf einem Podest thront, vor sich das Gestell für die Opiumzeremonie. Das kleine Stück Opium, das er aus einer nach losem Tabak aussehende Packung nimmt, hat Ähnlichkeit mit einem angenagten Stück Schokolade. Ein winziges Eckchen wird abgebrochen und im Mörser zermahlen, dann mit etwas Wasser aufgegossen. Aus demselben Wassergefäß wird Wasser zu gemurmelten Segenswünschen über das Gestell gesprenkelt, dann wird die Wasser-Opium-Mischung durch die grünen Hörner in die schön geschnitzten Schalen gefiltert. Opium in Wasser, versichert uns Herr Singh, würde nicht trunken oder berauscht machen, nur stark und ausdauernd, weshalb es früher von der Krieger- und der Bauernschaft gleichermaßen eingesetzt wurde. Er bietet uns dann natürlich einen Schluck an. Nicht nur einen, das Gesetz der Gastfreundschaft gebiete, dreimal aus der hohlen Hand des Patriarchen zu trinken. Und das ist der Punkt, an dem meine Neugier sich verabschiedet und meine Bedenken auf den Plan treten. Jedenfalls überlassen wir Herrn Singh die Ehre, die Gabe anzunehmen.

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Der vierte und letzte Stopp ist dann wirklich herrlich. Der ältere Herr, der Durrie-Teppiche webt, ist ein richtiger Gentleman der alten Schule, plaudert fröhlich mit uns, wechselt, wenn auch mit etwas beschränktem, fachbezogenem Vokabular, zwischen Deutsch, Englisch und Französisch und lässt uns ein paar Minuten lang dabei zu sehen, welch anstrengende Arbeit es ist, die wunderschönen Muster entstehen zu lassen. Monsieur, der eine Zeitlang zuschaut, fragt beeindruckt, wie er denn immer genau wisse, wie viele Kettfäden er hochheben müsse für jede Farbe. Er wird freundlichst angestrahlt: „Glauben Sie mir, sir, mein Finger wissen das einfach!“

Natürlich ist auch dieser Stopp verbunden mit einer kleinen Verkaufsshow. Allerdings sieht meine Reisetasche inzwischen aus, als sei sie im sechsten Monat schwanger. Wir einigen uns darauf, dass er wunderschöne Ware anzubieten habe, wir aber nichts kaufen werden. Das wird mit dem gleichen freundlichen Lächeln akzeptiert wie der Geldschein, den wir ihm für die Ausbildung seines Enkels geben.

Kurz darauf bringt uns der Jeep zurück ins Hotel, wo wir am Pool die Erfahrungen sich setzen lassen.

 

 

Unglaublich

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Das elfte Türchen öffnet sich in der Festung der Stadt Jodhpur, Reiterinnen bekannt als Erfinderin der gleichnamigen Hosen und Stiefel.

Es ist begleitet vom Wörtchen „unglaublich“, das ich in den letzten Tagen unglaublich oft benutzt habe, in unglaublich unterschiedlichen Situationen. Von den Tempeltänzerinnen in Stein über die Farben im Basar bis zu den Spitzenklöppeleien in Sandstein der Hausfassaden.

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Auch die überwältigende Gegenwart des Militärs ist so. Auf dem Highway 11 fährt eine Kolonne vor uns, eine hinter uns und eine auf der Gegenspur. Am linken Straßenrand parkt eine weitere Kolonne, aus der sich ein Jeep löst, der uns dann auf unserer eigenen Spur völlig unbeeindruckt entgegenkommt. Genauso unglaublich wie der Armeelaster, der ohne zu bremsen oder auch nur zu blinken aus der Seitenstraße vor unserem Auto herausschießt. Als Ausgleich gibt es dann kleine komische Szenen, wie etwa die zwei Armeelaster, die „völlig unauffällig“ vor einer Garküche parken, zu denen zwei Soldaten, Papiertüten in der Hand, gebückt zurückhasten, besorgte Blicke in die Umgebung werfend. Oder der Armeelaster, der die Ladeklappe hochklappt und den Blick auf Kohlebecken und Kochgeschirr freigibt, das für ein Picknick abgeladen wird. Mein liebstes Bild ist aber der Tieflader mit Panzer hinten drauf, dessen Besatzung einen platten Reifen wechseln muss.

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Im Fort von Jodphur erhält unglaublich noch eine andere Facette. Die Geschichten, die uns unser Führer (der Erste, der sich eher förmlich mit Mister Singh vorstellt) erzählt, rangieren von einfach unglaublich bis unglaublich grausam. Einfach unglaublich die Geschichte der Maharani, die ihrem in der Schlacht geschlagenen Mann, der sich verletzt in seine Festung retten will, das Tor vor der Nase verschließen lässt mit den Worten, dass Rajasthani siegen oder sterben und sie keine weitere Verwendung für solch einen Versager habe. Unglaublich grausam dagegen das Schicksal der Frauen und Kinder eines anderen Fürsten. Als sie vom Fort aus mitansehen müssen, wie ihre Armee die Schlacht verliert, lässt die Fürstin im Innenhof einen riesigen Scheiterhaufen errichten, in den sie mitsamt ihrem Hofstaat und den Kindern beim Einzug der Sieger springt.

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Auf einer heiteren Note unglaublich ist der Audienzsaal des Königs, in dem er mit seinen Ministern und Vertrauten die Regierungsgeschäfte besprach. An den Wänden fünf kleine Fenster, dahinter saßen seine fünf Ehefrauen, die es sich nicht nehmen ließen, mit Botenjungen und Depeschen in eben diese Regierungsgeschäfte einzugreifen.

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Ganz normal unglaublich ist die Prachtentfaltung in der Festung, von dem feinen Gitterwerk im Frauentrakt bis hin zu Sälen mit Spiegelmosaik an der Wand. Spiegel waren ein aus Belgien importiertes Luxusgut und das Statussymbol der Epoche.

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Um Statussymbole geht es auch bei unserem nächsten Stopp, dem Jaswant Thada.  Ein Memorialbau für einen Maharadscha, wobei sich die Ausmaße solcher Bauten nach dem Karma, der sozialen Stellung und der spirituellen Größe des Toten richteten. Also errichtet der Sohn nach dem Tod des Vaters einen solchen Bau, aber eher in der Kompaktversion. Der Maharani, die offensichtlich ein ganz anderes Bild von der Größe ihres Mannes hatte, war das viel zu mickrig und sie ließ keine vier Jahre später einen prachtvollen Prunkbau, um ein Vielfaches größer, danebensetzen. Unglaublich, nicht wahr?

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Auf seine ganz eigene Art unglaublich deplatziert, aber very british ist der Uhrenturm mitten im Gewusel des Marktes von Jodhpur. Wir wuseln mit, an Gemüseständen und Stoffläden vorbei, bis wir den – laut  Herrn Singh – besten Gewürzladen Jodhpurs betreten. In der nächsten Viertelstunde schnuppern wir uns durch die unterschiedlichsten Massala-Mischungen, dürfen Tees für oder gegen allerlei Zipperlein probieren und bekommen zu guter Letzt ein Löffelchen „Brain Spice“ zum Aufschlecken auf den Handrücken gegeben.

Bis jetzt habe ich noch keine Besserung festgestellt. Einfach unglaublich!