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Radweg-Lehrling

Im Frühstückssaal des Hotels hängt ein Spruch:

Nos menus sont comme la vie: ce qu’arrive n’est pas forcement ce que tu attends.

Unsere Menüs sind wie das Leben:  was kommt/passiert, ist nicht unbedingt das, was du erwartest.

Das könnte unser Leitmotiv für heute werden.

In Frankreich gibt es diese lustigen gelben Straßenschilder mit der Information: „Trous en formation“, Löcher in der Ausbildung, also Löcher-Azubis oder Löcher-Lehrlinge. Wir haben in 35 Jahren Frankreich nicht herausgefunden, was das Ziel dieser Ausbildung ist, nur dass sowohl die Löcher-Azubis als auch die Schilder sich rasend schnell vermehren.

Vielleicht hätten sie zu Beginn der Voie Bleue auch so ein Schild aufstellen sollen: Velo-route en formation. Für uns ist die Teilstrecke Lyon-Macon nämlich ein Radweg in der Ausbildung, ein Radweg-Lehrling sozusagen.

Dementsprechend sind unsere Erlebnisse heute eine sehr durchwachsene Mischung aus reiner Radel-Freude, „das hat schon viel Schönes“ und „da geht aber noch was, oder?“.

Der Start in Lyon hat schon leicht groteske Züge. Das, was die Stadt Lyon als Radweg nach „Confluences“, dem Dreieck zwischen den zwei Flüssen ausweist, ist ein schmaler Streifen auf einer vierspurigen Ausfallstraße, nur durch eine gelbe Linie getrennt. Nachdem die dritte Großbaustelle uns mit massiven Betonblock-Absperrungen in den fließenden Verkehr zwingt, haben wir genug und biegen kurz entschlossen in die nächste Straße rechts ab, queren das Dreieck an der Basis, vorbei am „Orange Cube“, zum Saône-Ufer. Da ist es dann wunderschön ruhig, in dem alten Industriehafen-Gebiet, das nun durch moderne Neubauten zum Kulturviertel wird. Natürlich radeln wir erstmal an die Spitze, vorbei am Cube Vert. Es ist nicht so ganz klar, welcher Cube von welchem Cube abgekupfert hat, dass sie „von einander inspiriert“ sind, lässt sich nicht leugnen.

An der Spitze radeln wir erst noch ein paar Minuten Rhone-aufwärts, zum einem um sagen zu können: an der Rhone bis zur Saône-Mündung gefahren, zum anderen, weil wir uns die eindrucksvolle Architektur des Confluences-Museums ein bisschen näher ansehen wollen – nur von außen heute.

Dann kommt das Startfoto auf unserem Radweg-Lehrling. Im Internet hat die Voie Bleue Lyon-Luxemburg einen tollen Auftritt mit Fotos der Wegweiser mit ihrem hübschen Logo und den Kilometerangaben für die nächsten Etappen. Hier in Lyon ist davon weit und breit nichts zu sehen. Das ist nicht weiter schlimm, der Fluss ist Wegweiser genug, also folgen wir ihm aus Lyon hinaus. Es geht flott voran auf breiten gekiesten Parkwegen, die ihre ganz eigenen Gefahren bergen. Aber wir lernen schnell, die Boule spielenden alten Männer weiträumig zu umfahren und auf keinen Fall dem „Cochon“, der kleinen roten Kugel, zu nahe zu kommen. Das alles unter freundlichen „Bonjour“ und „Bonne route!“ Rufen, schließlich sind wir nicht in Paris.

Ein paar Kilometer hinter Lyon lockt Paul Bocuses Nobel-Restaurant uns nicht wirklich. Noch viel zu früh, außerdem haben wir gar keine Zeit für vielgängige Menüs und überhaupt freuen wir uns schon auf die Mittagspause in einer der vielen „Ginguettes“ am Saône-Ufer. Das sind kleine Restaurants, die ihre Tische direkt ins Gras am Ufer stellen, les pieds dans l’eau, im Schatten mächtiger Maulbeerbäume und die bei den Öffnungszeiten den schönen Nachsatz haben: wenn es nicht regnet.

Idyllisches Radeln unter uralten Platanen auf geteerten Treidelpfaden wechselt ab mit Rückenfolter auf schlaglöchrigen Feldwegen. Weite Flussauen mit uralten Scheunen gehen über in Industriegebiete und in Jassans-Riottier verbockt es der Radweg-Lehrling fast. Immer noch schild- und hinweislos zeigt der GPS-Track den Weg mitten im Fluss an. Auf der Karte sehen wir, dass er irgendwo durch das Industriegebiet gehen muss, nur wo? Wir sind etwas ratlos, da fährt der neben uns geparkte LKW los und wir sehen eine schmale Öffnung zwischen zwei hohen Mauern – bingo. Kurz darauf weitet sich der Weg wieder und es geht durch frisch gemähte Wiesen, über die Dutzende von Störchen staksen, weiter.

Vor Trevoux lockt ein Restaurant am Ufer. Eine große Gruppe schmaust fröhlich am langen Tisch, wir wollen – müde, verschwitzt, durstig – nur etwas trinken. Die Kellnerin bürstet uns brüsk ab: Küche wäre schon zu, Bar, also nur Getränke, machen sie nicht und überhaupt hätten sie schon geschlossen.

Wir müssen so maßlos enttäuscht ausgesehen haben, dass der Chef kommt und uns zum Nachbartisch führt. Solange die anderen noch feiern würden, könnten sie eh nicht schließen und was wir denn bitte schön gerne trinken würden. Es kommt das woher? und wohin? und als wir von der Voie bleue erzählen, ist er etwas erstaunt: die wäre doch noch gar nicht in Betrieb, der Abschnitt Macon – Lyon würde doch erst im Herbst offiziell eröffnet. Was nun einiges erklärt.

Unser Hotel für die Nacht hat den Begriff „Charme“ im Namen, entpuppt sich aber als eine äußerst charmebefreite Ansammlung von kleinen Bungalows. Auch die Dame am Empfang ist uncharmant bis ruppig. Die Zimmer sind so „groß“, dass man bei geöffneter Badezimmertür nicht zum Bett kommt. Wir kommen zu der Überzeugung, dass sich das „charme“ ausschließlich auf die Hainbuchen (le charme) im Park der Anlage bezieht.

Als wir vom Essen zurückkommen, verschließt ein mannshohes Tor den Zugang zum Hotel. Ganz offensichtlich hatte die Dame am Empfang „vergessen“ uns den Code für das Tor mitzuteilen. Wir sind kurz davor, es mit drüberklettern zu versuchen, da wird endlich auf unser Sturmklingeln reagiert. Die Dame öffnet uns, ohne Gruß, ohne Entschuldigung, nur mit dem Vorwurf, wir hätten sie aus den hinteren Bereichen der Anlage hierhin gejagt.

Wahrscheinlich kommt sie aus Paris.

Ohne Orks und Drachen

Wir packen die letzten Dinge in die Fahrradtaschen und ich habe ständig ein Bild vor Augen:

Bilbo Beutlin, der aufgeregt winkend durchs Auenland läuft und seinen Nachbarn zuruft: „I’m going on an adventure!“ Ein kleines bisschen fühle ich mich wie er, was natürlich sehr vermessen von mir ist.

Erstens gehen wir nicht auf eine unerwartete Reise, sie ist durchaus geplant. Zweitens hängt nicht die Zukunft einer ganzen Zwergennation von dieser Radtour ab und drittens werden wir wohl kaum gegen Orks und/oder Drachen zu kämpfen haben. Hoffe ich jedenfalls. Nein, bin ich mir eigentlich sicher. Ziemlich sicher…

Also eher ein Mini-Abenteuer für uns.

Nunja, mit Mini-Drachen, zum Beispiel in Gestalt des TER-Zuges nach Lyon, vier hohe Stufen vom Bahnsteig ins Abteil, sehr enge Tür – und davor wir mit vier Fahrrädern. Bis wir uns überlegt haben, wo und wie wir die Räder hochhieven, haben andere erfahrenere Radfahrer ihre Räder auf die zwei (2!) Haken pro Waggon gehängt, so dass für uns nur das Parken im Gang in Frage kommt. Der Schaffner will meckern, aber da die Räder nun just genau unter dem Fahrradsymbol am Fenster stehen, gibt er nach und flirtet lieber mit den fröhlichen Mädels zwei Sitzreihen weiter. Deshalb liebe er seinen Beruf, erklärt er, die meisten Reisenden wären gut gelaunt, wären höflich mit Bonjour und Merci und S‘il vous plaît. Also hier in der Provinz, setzt er nach. In Paris, ja, in Paris, also da wäre das ja ganz anders, in Paris. Sprichts und sprintet an uns vorbei zur Abteiltür, reißt ein Telefon vom Hörer und verkündet schwungvoll die Einfahrt in den Provinzbahnhof von Ich-weiß-nicht-wo. Stürzt aus dem Zug, läuft am Waggon vorbei, springt ins Gras hinter dem Bahnsteig (es ist ein sehr ländlicher Provinzbahnhof), kontrolliert nochmal seinen Waggon, bläst voller Begeisterung in seine Trillerpfeife und sprintet zurück in unser Abteil. Kurzum, er wirkt wie jemand, der mit fünf Jahren beschlossen hat, dass Schaffner sein Traumberuf ist und sich nun jeden Tag daran erfreut. Definitiv kein Ork!

Lyon-Hauptbahnhof begrüßt uns mit Umbauchaos, aber wir finden die Radwege zum Place Bellecour. Dies sei der größte und schönste Platz Lyons, den können wir auf dem Weg ins Hotel schon abhaken. Ja, groß ist er der Platz, sehr groß, aber kein „und“, nicht für mich. Als wir kurz die Helme abnehmen, taucht ein Kamerateam auf und möchte uns vor laufender Kamera zu brennenden Fragen interviewen. Unser Argument, dass wir als Deutsche vielleicht nicht die richtigen Ansprechpartner seien, wird als irrelevant weggewischt, mein Argument, dass ich nicht verschwitzt und mit vom Helm zerzausten Haaren im Fernsehen gezeigt werden will, widerspruchslos akzeptiert.

Kurz danach wird uns im Hotel eine kleine Seitentür geöffnet, die direkt in einen Viktor-Hugo-Roman führt. Durch schmale Gänge, vorbei an alten ausgetretenen Treppen schieben wir die Räder in einen winzigen Hof, das 19. Jahrhundert schaut aus den Nachbarhäusern auf uns herab. „Und hier ist Ihr Backstage-Pass,“ sagt die Rezeptionistin und zeigt uns die Abkürzung durch Küche und Keller zur Rezeption.

Lyon macht uns ein Angebot, das wir nicht ablehnen können. Für 1,90€ so lange und so weit fahren, wie wir in einer Stunde wollen, mit welchen Verkehrsmittel auch immer. Das mit lang und weit nutzen wir nicht aus, zwei Stationen Metro bis Bellecour, eine bis Vieux Lyon, aber dann wechseln wir in die Funiculaires de Fourviere, die Zahnradbahn hoch zum Aussichtsplateau über Lyon. Die tolle Aussicht über das Dächergewirr der Altstadt ist das eine, aber dann gibt es da ja noch die Kathedrale. Meine Freundin versucht mich zu warnen, ja, selbst die Kathedrale versucht mich zu warnen (Plakette, dass sie 1870 gestiftet wurde, zum Dank, dass Lyon vom preußischen Heer verschont blieb), aber ich schlage beide Warnungen in den Wind.

Augenblicke später muss ich einen Lachanfall unterdrücken, so unfreiwillig komisch ist das pompöse Geschwurbel im Inneren der Kirche. Der Kitsch ist so überwältigend, dass sogar Monsieurs Handy sich erstmal weigert, das auf ein Bild zu bannen. Irgendwann gelingt es Monsieur, wenigstens einen schwachen Abklatsch der goldlastigen Bombastigkeit aufzunehmen, dann sind wir ganz schnell, immer noch mit dem Lachen kämpfend, wieder draußen. Ganze drei Schritte hatte ich ins Mittelschiff getan, mehr habe ich nicht geschafft.

Dafür bezaubern uns die Gassen und Gässchen der Altstadt mit ihrem „Les Miserables“-Flair. Wir gönnen uns eine Pause, Monsieur bestellt ein Bier. „Pinte ou demi?“ fragt die Bedienung, „demi“ bestellt Monsieur und will kurz darauf etwas perplex wissen, weshalb in einem „demi“ nur ein Viertelliter Bier sei. Die Bedienung wirft die Hände hoch: „C’est la France, monsieur!“ Als unsere Freundin dann vom badischen „halben Viertele“ erzählt, wird uns die kulinarische Bruchrechnung doch zu kompliziert und wir begnügen uns damit, den „traboulés“ zu folgen. Wie der geneigte Asterix-Leser sich erinnert, haben diese versteckten Gänge zwischen den Häuser- und Straßenreihen schon die römischen Legionen in die Verzweiflung getrieben.

Wir hingegen folgen ihnen vergnügt im Zick und Zack von einer Straße zur anderen, bevor wir vor der gotischen Kathedrale landen. Die ist nun eher unser Geschmack, überrascht aber mit Zettelwirtschaft. An jeder der zahlreichen Säulen hängt ein fotokopierter Zettel: „Harmonie! Silence absolue, svp!“ Nun ist mir schon verständlich, dass zum Beispiel in einer Beziehung absolute Stille der Harmonie gelegentlich durchaus zuträglich ist, aber hier? Des Rätsels Lösung liegt in den seltsam fragenden, klagenden Tönen aus dem Mittelschiff. Die Kathedrale hat zwei Orgeln und deren Organisten stimmen sie im Wechselspiel fragend angespielter Noten und knappem „Stopp“ auf einander ab.

Und hier begegnen wir unserem Mini-Ork: Eine resolute Dame marschiert lautstark telefonierend durch die Kirche, völlig unberührt von den Zisch- und Psst-Lauten ihrer Mitmenschen. Sie ist so in ihrem selbstsüchtigen Verhalten versunken, dass sie mich anrempelt. Ich fahre sie an, sie solle mit dem Telefonieren aufhören, das sei schließlich eine Kirche. Sie faucht zurück, das sei kein Grund für mich, nicht erstmal mit „Bonjour“ zu grüßen. Da hat sie natürlich recht, schließlich sind wir in der Provinz, nicht in Paris.

Immerhin knallt sie frustriert ihr Handy in ihre Tasche und stürmt aus der Kirche. Ich drehe mich zu Monsieur um und sehe hinter ihm eine Gruppe Menschen mir freundlich zunicken und dann mit erhobenen Händen applaudieren. Lautlos, natürlich, in absoluter Stille. Wegen der Harmonie.

Einfach mal ausprobieren

Wir wollen das einfach mal ausprobieren. Ob das geht, wie das geht und wie es uns damit geht.

Könnten wir jetzt ökologisch verbrämen als umweltfreundliches Reisen, ist aber nicht unsere Hauptmotivation.

Das ist schlicht und einfach die Neugier.

Morgen geht es also los, drei Tage Kurzurlaub ohne Auto, mit Freunden. Mit dem Rad von zuhause zur Endstation der Tram 18, mit der Tram zum Bahnhof Cornavin in Genf und von da aus mit dem Zug nach Lyon, auf ins Beaujolais.

Den ersten Stopp in Lyon habe ich schon vorreserviert. Zwei DZ für vier Personen und Stellplätze für vier Räder. Die Reservierung wird prompt bestätigt, zwei DZ, allerdings nur für zwei Personen. Ich rufe im Hotel an, um klarzustellen, dass wir zu viert eintreffen. Ich kann das Lächeln am anderen Ende der Telefonleitung förmlich hören: „Madame, das habe ich mir bei vier Fahrrädern schon fast gedacht.“

Nie Schokolade, nie Pralinen

Am Tag, nachdem die „ébouyeurs“, die Müllmänner, mit den Kalendern da waren, klopft es abends wieder. Ohne seinen orange-gelben Overall hätte ich ihn fast nicht erkannt, den Mann, der vor der Tür steht.

Ob Monsieur denn zu Hause sei, will der Mann von der Müllabfuhr wissen. Doch als er in der Küche Monsieur gegenübersitzt, hat er sichtlich Schwierigkeiten die richtigen Worte zu finden. Also Delphin, wir kennen doch Delphin?, ja, also Delphin hätte ihm gesagt, dass Monsieur gerne Wein trinke und dass Monsieur auch etwas von Wein verstünde. Er wartet jedes Mal auf Monsieurs Nicken, um fortzufahren. Ob Monsieur Interesse hätte, eine größere Menge Wein von ihm zu kaufen. 350 Flaschen, aber nur „en vrac“, als Gebinde, dafür zum unschlagbaren Preis von zehn Francs die Flasche.

Das Angebot ist nicht ungewöhnlich, in vielen Familien gibt es den Schwager des Mannes der Kusine aus der ersten Ehe der Großmutter, der im Roussillon, im Rhonetal, oder bei Bordeaux ein kleines Weingut hat und die Verwandtschaft als Zwischenhändler einsetzt. Aber 350 Flaschen! Monsieur, mehr um die sichtliche Überwindung des Mannes zu ehren als das Angebot, fragt nach Lage und Jahrgang. Der Mann schüttelt den Kopf, hebt die Schultern, steht auf und sagt. „Da müssten Sie schon mitkommen.“

Eine Viertelstunde später stehen und staunen wir in einem Keller. An vier Wänden laufen raumhohe Regale entlang, nur die Türöffnung ist ausgespart. Wir stehen und staunen in ehrfürchtigem Schweigen. An jeder Regalreihe klebt ein Schildchen mit einer Jahreszahl, beginnend mit 1963, die Weine auf dem Regalbrett kommen allerdings in einer bunten Mischung von Jahreszahlen und Anbaugebieten daher. Wir suchen vergeblich nach dem System dahinter. „Gut, 3000 Francs für das alles!“, missinterpretiert der Mann unser Schweigen. „Und die Regale können Sie auch dazu haben!“ Monsieur schüttelt den Kopf. „Der Preis ist nicht das Problem. Und die Regale würde ich Ihnen gerne abkaufen. Aber wie um alles in der Welt sind Sie zu dieser Sammlung gekommen?“ Der Mann zuckt die Schultern, die Handflächen nach oben gekehrt. „Ich bin ja bei der Müllabfuhr.“ Er macht eine Pause, wir nicken. Er hebt die Hände nach oben. „Jedes Jahr zu Weihnachten schenken die Leute mir Wein, immer nur Wein, Wein, Wein, dreißig Jahre lang. Nie Schokolade, nie Pralinen, das passt wohl nicht zur Müllabfuhr.“ Er zögert, lässt die Hände sinken. „Sehen Sie: Ich mag keinen Wein, vertrag ihn einfach nicht.“

Es dauert einen ganzen staubigen Tag, bis wir die Schatzhöhle geleert und im Keller wieder eingerichtet haben. Monsieur sortiert, ordnet und katalogisiert die Flaschen mit wissenschaftlicher Genauigkeit. Das begeisterte Brummen, das von Zeit zu Zeit aus dem Keller tönt, klingt wiederum weniger wissenschaftlich.

Die erste Flasche, einem Gigondas, machen wir mit Delphin auf.

Das liegt an der Jahreszeit

Letztes Jahr, Corona, Lockdown und Ausgangssperre, couvre-feu um 18 Uhr, da kamen sie nicht. Dieses Jahr sind sie wieder da. Ein Klopfen in neblig-düsteren Abendstunden, dunkle Schatten, die aus dem Nebel vor unsere Haustür treten. Das liegt an der Jahreszeit.

Zum Glück haben wir gelernt, dieses Klopfen, diese dunklen Schatten im Nebel vor unsere Haustür richtig einzuordnen. Wie gesagt, es liegt an der Jahreszeit.

Im ersten Jahr hier in Frankreich waren wir jedoch ziemlich perplex. Unsere erste Erfahrung dieser Art ist die Briefträgerin, in Uniform, am frühen Abend. Sie zieht kein Telegramm aus ihrer Mappe, es ist ein Stapel Kalender. Zwischen zwei bunt bedruckten Kartondeckeln wechseln sich die Monate ab mit Informationsblättern der französischen Post. Wer will, kann sich informieren über die Vorwahl zu den DOM-TOM, den exotischen Territorien, die Frankreich auf der anderen Seite des Ozeans „outre-mer“ besitzt, oder die Nummer der nächsten Ortsgruppe der Anonymen Alkoholiker erfahren.

Das ganze gepresst zwischen Hochglanzfotos von niedlichen Welpen, verschmusten Kätzchen, langbeinigen Füllen oder wuscheligen Küken. Ob dies den Geschmack der Briefträgerin oder den von France Telecom widerspiegelt, ist uns nicht klar. Wir wählen das Bild eines verspielten Marderknäuels, Hommage an Braquette.

Die Frage der Bezahlung ist delikat. Es handelt sich hier um „fund raising“, merken wir schnell, es geht es sozusagen um das Weihnachtstaschengeld unserer Briefträgerin. In Anbetracht der Jahreszeit tragen wir großzügig bei zum Gelingen des Weihnachtsfestes.

Das ist die Anfänger-Übung, denn kurz darauf stehen im Dunklen die Herren der Müllabfuhr vor der Tür, zu zweit, in den weithin leuchtenden, gelb-orangen Overalls, die hier und jetzt offensichtlich den Dienstausweis darstellen. Der Hersteller ihrer Kalender hat eine pädagogische Ader. Unter dem Titel der „Schönheiten Frankreichs“ verbergen sich keine Pin-Ups, sondern historische Monumente von Schloss Chambord über die Kapelle von Brancion bis zu den Schieferhäusern von Bonneval. Wir wählen eine romanische Schönheit aus Burgund und stehen vor einem Problem. Zahlen wir pro Verkäufer oder pro Ware. Ach, komm, schließlich ist bald Weihnachten.

Abends betrachtet Monsieur unsere erbaulichen Dekorationsstücke und steigt dann hinab in den Keller, um in Delphins Eisenwaren zu rumoren. Immerhin brauchen wir inzwischen zwei Nägel.

Trotz dieser Fingerübungen ist mir nicht ganz wohl, eines Abends, als drei beeindruckend breitschultrige Schatten, dunkel gekleidet, vor der Tür stehen. Es sind drei Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr, die ins Licht treten, mir gut bekannt als Helfer der Suchaktion.

Diesmal bleibt uns die Qual der Wahl erspart. Es gibt nur ein Motiv: die gesamte Truppe der freiwilligen Feuerwehr, breit grinsend, in schmucken Uniformen, aufgereiht vor ihrem Einsatzwagen.

Zu meinem: „Frohe Feiertage und hoffentlich sehen wir Sie erst für die nächsten Kalender wieder.“ lächeln sie pflichtschuldig. Wahrscheinlich hören sie das in jedem Haus.

Monsieur klettert brummelnd die Kellerstiege hinab, einen weiteren Nagel suchen.

Nur Kinder unter dreizehn Jahren

Der letzte Morgen ist den großen Boulevards gewidmet. Außerdem möchte ich Monsieur mitnehmen auf die Terrasse der Galeries Lafayette. Den Blick von da oben zu genießen, das wäre doch etwas. Monsieurs Lebensgefährtin bringt uns zum Boulevard Haussmann, wir treten ein in die Jugendstilherrlichkeit der Galeries.

„Und jetzt?“ fragt Monsieur. „Fahren wir erstmal in den sechsten Stock“, erkläre ich. Worauf Monsieur sich zum Aufzug umdreht und ich auf die Rolltreppe trete.

Die nächste halbe Stunde verbringen wir damit einander zu suchen. Er wartet am Aufzug auf mich, ich auf der Terrasse auf ihn. Er fährt schließlich hoch, ich hinunter. Seine Botschaften erreichen mich nicht, weil mein Handy mal wieder – ach lassen wir das lieber… Ich kann ihn nicht kontaktieren, weil mein Handy mal wieder – ach lassen wir das lieber…

Für ein Uhr haben wir Tickets für den Eiffelturm, wenn alles nicht hilft, werden wir uns da wiederfinden, beschließe ich und mache mich auf den Weg nach draußen. Fünf Schritte vor dem Ausgang knackt es in den Lautsprechern und ich höre: „Madame Paonia, Madame Paonia wird gebeten, sich in der Concièrgerie zu melden.“

Mit roten Ohren mache ich mich auf die Suche nach der Concièrgerie. Da steht Monsieur und meint: „Sie haben mir gesagt, dass sie eigentlich nur Kinder unter dreizehn Jahren ausrufen. Aber für dich würden sie eine Ausnahme machen.“

*

*

*

Der Rest des Tages, Trocadero, Fahrt auf die Spitze des Eiffelturms, die abendliche Heimfahrt nach Genf ist spannend und wunderschön, aber nicht halb so aufregend wie der Besuch der Galeries Lafayette.

Alles ganz einfach

Vor Jahren schenkte mir Monsieur eine Woche Berlin zum Geburtstag, traumatisierende -18° bei Schneesturm. Ich revanchierte mich im nächsten Jahr mit zehn Tagen Kambodscha zu seinem Geburtstag, schwülfeuchte 30° im Sonnenschein. Angkor Thom war überwältigend, aber uns fiel bald ein Muster auf. Wo auch immer ein Fries, ein Löwe, eine riesige Naga fehlte, hing da ein Schild „Musée Guimet, Paris“. Das führte dann natürlich zum nächsten Geburtstagsgeschenk. Seitdem ist das Musée Guimet eines meiner Lieblingsmuseen – und am Montag geöffnet, was für uns ein großer Pluspunkt ist.

Die Metro entlässt uns direkt vor dem Museum zu drei Stunden reiner Freude. Leider ist dann kurzfristig Schluss mit der reinen Freude. Der Regen, der uns anfangs noch harmlos erschien – Die Metro nehmen? Deswegen? Ach was, das sind doch keine 20 Minuten bis zum Triumphbogen! – verwandelt sich in eine wahre Sturzflut und wir suchen notdürftigen Schutz im Eingang eines der großen Prachtbauten der Avenue Iena. Bisschen ungeschickt nur, dass der gerade renoviert wird und wir alle paar Minuten in den Regen treten müssen, um einen Handwerker mit Farbeimer oder Trittleiter durchzulassen. Dafür weht uns jedes Mal ein Schwall warmer Luft, gesättigt mit dem Geruch nach frischer Farbe, entgegen.

Es wird uns klar, dass wir so oder so nass werden werden, also sprinten wir zwei Hausecken weiter bis zum nächsten Bistro, wo wir uns wieder aufwärmen können. Der Regen hat auch bald ein Einsehen und eine halbe Stunde bevor wir unser Zeitfenster auf dem Triumphbogen haben können wir uns fast trocken dem Kunstwerk nähern. Diesmal durch den Tunnel unter dem Kreisverkehr hindurch, dafür auf die Rotunde des Bogens, sozusagen auf Augenhöhe mit der Verpackung. Abgeriebene Ecken und Kanten, das unterliegende Blau schimmert durch das Silber, zeigen wie unmöglich es ist der Versuchung zu widerstehen, das Material anzufassen. Irgendein ein Idiot hat tatsächlich geglaubt, darauf sein Graffiti hinterlassen zu müssen. Es schimmert noch matt unter der Übermalung durch.

Wir stellen uns in die kurze Schlange vor dem Aufgang zur Terrasse, eine letzte Sicherheitskontrolle und dann kommt der Teil mit den 330 Treppenstufen. Es liegt also nicht nur an dem atemberaubenden Blick von da oben, dass ich ein bisschen kurzatmig bin. Für die Verpackung der Terrasse wurde ein widerstandsfähigeres Material ganz in Silber gewählt und so spazieren wir wie auf weichen Teppichen über das Kunstobjekt. Zwei ältere Damen hinter mir fassen ihre Kunsterfahrung zusammen, im breitesten Badisch: „Schön hat er das gemacht, der Christo, nett ist es“, lobt die eine und die andere stimmt zu „Aber halt auch sehr viel Arbeit.“

Dann kommt der „einfache“ Teil des Tages. „Alles ganz einfach“, hatte unser Freund gesagt. „Du gehst einfach auf die Velolib-Seite und meldest dich einfach an. Dann suchst du dir in Paris einfach ein Rad an einer der zig Mietstellen aus und fährst dann einfach an der Seine entlang.“ Ganz so einfach, wie die Häufung des Wortes suggeriert, ist es dann doch nicht. Was an verschiedenen Aspekten liegt, nicht zuletzt daran, dass die Mieträder wahre Panzer und sehr schwerfällig sind und wir am Triumphbogen starten und die Seine weit weg ist. Hinzu kommt, dass sich meine Erfahrungen mit Stadtverkehr bisher auf solche Metropolen wie Poligny und ein wenig Genf beschränkten. Da ist der Schritt zum Radfahren auf der Champs Elysées doch recht gewaltig. Dafür versucht die Stadt Paris mir ein bisschen Sicherheit zu geben mit der Abgrenzung der sehr schmalen Radspur durch sehr hohe Bordsteine. Das hilft aber nur so lange, bis ich ein ungeduldiges Klingeln hinter mir höre und mir klar wird, dass da jemand vorbei will.

Wir kurven um Herrn de Gaulles herum, zu Herrn Churchill und auf die goldene Pracht der Pont Alexandre zu. Ein bisschen am Quai d’Orsay entlang und zurück zum Place Concorde. Ab da wird es dann wirklich ganz einfach. Die ehemalige Stadtautobahn direkt am Seine-Ufer ist für den Autoverkehr gesperrt und erlaubt unbeschwertes Radeln entlang des Flusses. Die beiden Autobahntunnel machen das Ganze etwas spannend, sie stehen wadentief unter Wasser, was beim Durchfahren zu netten Wasserspielen und nicht mehr ganz trockenen Hosenbeinen führt. Ansonsten ist heute Nachmittag Paris light angesagt. Es ist Montag, der Louvre ist geschlossen, Musée d’Orsay ist ebenso geschlossen und in den Tuilerien ist Fahrrad fahren streng verboten. Da bleibt uns quasi nichts anderes übrig als leichten Herzens an diesen Pariser Sehenswürdigkeiten vorbeizuradeln, im Sonnenschein, an der Seine entlang.

Irgendwann drehen wir um, wechseln über die doppelten Louis-Brücken (einmal Saint und einmal -Philippe) zu Notre Dame und kreuzen zum Rive Gauche. Hinterm Eiffelturm haben wir dann irgendwann genug und geben die Räder wieder ab. Mit einem herzhaften Klacken springen sie in ihre Halterung, kurz darauf erhält Monsieur eine Rückmeldung über Mietdauer und gefahrene Kilometer.

Die interessieren uns aber da schon weniger als das nette Bistro an der nächsten Straßenecke. Als ob wir heute noch nicht nass genug geworden sind, tropft beim Hinsetzen ein Schwall Regenwasser von der Markise in Monsieurs Nacken. Das hindert uns aber nicht daran, unseren wohl verdienten Aperitif zu genießen.

Von da sind es später nur noch ein paar Minuten zu Fuß bis zu dem wirklich niedlichen kleinen Restaurant, das uns unser Hotel empfohlen hat.

Wirklich alles ganz einfach.

Nein zur Ehe!

Der TGV von Genf nach Paris ist bis Bourg-en-Bresse eher ein TPV, ein train petite vitesse, bis hin zum Stillstand. Erst nach dem Anhalten werden wir darüber informiert, dass wir angehalten haben. Den Franzosen und Engländern wird in ihrer Sprache mitgeteilt: Bitte versuchen Sie nicht, die Türen zu öffnen! Den Deutschen traut man wohl zu, dass ihr Versuch erfolgreich sein wird, uns wird klipp und klar befohlen, es nicht zu tun.

Hinter Macon meldet sich der Zugführer und begrüßt uns erst im falschen Zug, um uns dann anzukündigen, dass wir nun – endlich! – mit fast 300 km/h auf Paris zubrausen werden.

In Paris gibt es Fahren nach Zahlen mit der Metro 14 und 12 bis ins 15. Arrondissement, wo Monsieur ein winziges Hotel in einer winzigen Gasse aufgetan hat. Fünf breite Steinstufen führen hinunter aufs Kopfsteinpflaster, rechts und links eingerahmt von schmalbrüstigen, schön renovierten Häuschen des 19. Jahrhunderts. Einzig der brutal-hässliche hohe Wohnblock, der am Ende der Gasse die Sicht blockiert, zeigt uns, dass wir nicht in einer Geschichte von Victor Hugo gelandet sind. Wir betreten unser Zimmer, stellen die Koffer ab, draußen tut es einen Donnerschlag und ein Wolkenbruch verwandelt das Kopfsteinpflaster in einen Bach. Hmmm, damit ist unser erster Plan – trödeln gehen auf einem der großen Pariser Flohmärkte – schonmal ins sprichwörtliche Wasser gefallen.

Wir nehmen das mit einem Schulterzucken wahr, schließlich sind wir in Paris, da wird sich wohl irgendetwas finden lassen. Nach einer Stunde Regen-Siesta kommen wir mit einem lockeren Ansatz von: Wir nehmen die 12 bis Pasteur und die 6 bis Bir Hakeim, vielleicht auch Passy, laufen über die Art-Deco-Brücke bis zur Schwaneninsel mit ihrer Mini-Freiheitsstatue und schauen auf der Brücke nach, ob die „Kunscht“ dort tatsächlich so hmja speziell ist, wie ich gelesen habe. Danach un p’tit blanc in einem kleinen Bistro und dann sehen wir weiter.

Dieser sehr locker entworfene Plan wird genauso locker verworfen in dem Augenblick, in dem wir sehen, wie die Endstation der Linie 6 heißt. Wir bleiben also sitzen bis zum Place de l’Etoile und sind richtiggehend überwältigt, als wir aus der Metro kommen. Nicht nur von Christo, nein, der gesamte Platz ist für den Verkehr gesperrt, die einmündenden großen Boulevards auch. Dort, wo wochentags der Verkehr sechsspurig im Kreisverkehr rauscht – und der Legende nach ängstliche Autofahrer erst in die Verzweiflung und dann in den Hungertod treibt -, ist nun eine riesige Fußgängerzone. Statt tausender Autos bewegen sich tausende Menschen um das Monument. Das Rauschen des Autoverkehrs wird ersetzt durch das Brausen begeisterter Diskussionen, Festival-Atmosphäre herrscht.

Kleiner Abstrich in der B-Note – oder zusätzliche Attraktion, je nach Sichtweise – ist die abendliche Flammenzeremonie unter dem Bogen, wegen der der Zugang zum Monument selber gesperrt ist. Das heißt, man kann nicht durch den Bogen laufen, Christos Verhüllungen von nah sehen, ja anfassen, mit vielen Sinnen erleben. Das haben wir eh erst für morgen geplant und so können wir das Schauspiel gelassen aus der nahen Ferne genießen: Die silberfarbene Verhüllung, die sich im Wind bewegt und diesem doch sehr monumentalen Klotz etwas von seiner Statik nimmt. Die riesige Tricolore, von den letzten Gewitterböen hin- und hergepeitscht, deren oberer roter Streifen wie eine aggressive Zunge aus der Mundhöhle des Bogens fährt und nach Beute zu suchen scheint, wirklich faszinierend.

Irgendwann haben wir uns – für heute – satt gesehen und suchen einen Weg nach draußen.

Die Ile aux cygnes ist ein bisschen enttäuschend, eigentlich eine sehr romantische Promenade in der Seine, nur leider völlig lieblos und vernachlässigt dem Verfall preisgegeben.

Der Pont de Bir Hakeim selbst ist beeindruckend schöne Industriearchitektur, die Kunst in seiner Mitte dagegen wirklich so „ähm ja, doch, ja, interessant, ähm“, wie erwartet. Dort steht eine Statue, eine wilde Frau auf einem wilden Pferd. In den 1930ern von den in Paris lebenden Dänen der Stadt geschenkt, soll es Jeanne d’Arc darstellen. Nur befinden die Beschenkten, dass diese wilde Kriegerin doch bitte schön eher wie eine Walküre aussehe, gar nicht so, wie Jeanne d’Arc halt auszusehen habe und weigern sich die Statue aufzustellen.

Paris ist nicht glücklich, die Dänen sind nicht glücklich und wenn ich mir das arme Pferd so anschaue, ist das auch nicht glücklich. Bevor es zu einer diplomatischen Krise kommt, wird ein Kompromiss gefunden. Unter dem neuen Namen „La France renaissante“ wird die Statue dann 1958 aufgestellt. Zum Glück fragt mich ja keiner…

Aus dem kleinen Bistro wird eine Brasserie, aber mit dieser Art von Planänderung können wir gut umgehen.

Achja übrigens, es ist unser 40. Hochzeitstag und die Schweiz gratuliert uns heute Morgen mit einem Abstimmungsplakat auf der Tram. „Nein zur Ehe!*“ steht da in riesigen Lettern.

„Zu spät“, brummt Monsieur und steigt ein.

*Diese Initiative gegen eine Ehe für alle wurde mit einer Zweidrittelmehrheit abgelehnt.

Käse? Welcher Käse?

Der Tag beginnt mit einem Protest. Meine Oberschenkel protestieren heftig dagegen, wieder in den Sattel steigen zu müssen. Das wundert mich ein bisschen, ging das gestern Abend mit dem Flanieren und Treppensteigen doch ganz locker und entspannt. Jetzt sind sie richtig beleidigt und informieren mich, dass sie einer Muskelgruppe angehören, die gestern schließlich fast hundert Kilometer – von den Steigungen mal ganz zu schweigen – hätten leisten müssen, während diese Faulenzer von der anderen Gruppe nur genüsslich kichernd zugeschaut hätten. Dass zweimal Treppensteigen und einmal rund um die Dorfkirche ja nun wirklich nicht zu vergleichen wären mit… Bevor sie mir mit Streik drohen, versuche ich sie zu beruhigen mit der Versicherung, dass es erstmal nur bergab gehe. (Von den Steigungen erzähle ich ihnen später, wenn sie ein bisschen besser gelaunt sind.)

Wir kommen auf dem Weg bergab durch Arc-et-Senans an einem Wegweiser vorbei: Mouchard 8 km. Kurz darauf biegt die Veloroute ab mit: Mouchard 14 km. Das wird dann ein bisschen das Motto des Tages: Warum auf dem kürzesten Weg zum Ziel, wenn die kleinen Sträßchen uns viel verschlungener dahin bringen können.

Dafür sind sie sie wirklich schön, diese kleinen Landsträßchen, entlang der Loue, etwa. Wo uns Kanufahrer zeigen, dass man auch ganz andere Probleme an Stromschnellen haben kann. Durch kleine Dörfchen, deren Brunnen einen köstlichen Sinn für Humor haben. Oder vielleicht ist es doch der des Besitzers des Weingutes gegenüber, der die gleiche Warnung zum moderaten Konsum hat anbringen lassen, die er von Gesetz wegen auf seine Flaschen drucken lassen muss.

Gelegentlich auch durch etwas befremdliche Orte. In Port-Lesney steht an der Viertel-Brücke eine sehr ausführliche Erklärung zur kleinen Kapelle neben dran, aber nichts zu dem geheimnisvoll-unvollendet in die Loue ragenden Brückenbogen (Im Internet habe ich nachgelesen, dass die Gemeinde die mittelalterliche Brücke 1951 nach dem Bau der neuen hat sprengen lassen. Wahrscheinlich schämen sie sich immer noch für diese Barbarei.) Dafür bezaubert mich das rosenumwachsene Straßenschild.

In Arbois sind wir trotz der Umwege und Hügel recht früh, gerade recht für eine Kaffeepause am zentralen Platz. Der bietet sein eigenes Unterhaltungspotential. Denn anders als in 99,99% von Frankreich gibt es hier keinen Kreisverkehr, die Vorfahrt ist anders geregelt. Das führt dazu, dass ausländische Autofahrer völlig überfordert sind mit der Situation. Wir sind kurz davor zu wetten, ob die Waadtländerin mehr als 10 Minuten braucht, da traut sie sich beim fünften Ansatz endlich und schießt in den Verkehrsstrom – unter lautem Gehupe all derer, denen sie dann doch die Vorfahrt genommen hat.

Ja, es ist recht unterhaltsam hier, auch die Spekulation, ob die leicht verwitterte Plastikscheußlichkeit über dem Platz noch vom 14. Juli übrig ist oder schon Weihnachtsdeko oder vielleicht sogar beides und das seit drei Jahren, vertreibt die Zeit. Trotzdem ist es immer noch zu früh zum Mittagessen. Ist aber nicht weiter schlimm, damit haben wir eigentlich gerechnet und die Mittagspause im „Maison du Comté“ in Poligny, der Hauptstadt des Comtés eingeplant. Die bieten eine Käse-Degustation an, das stellen wir uns gleichzeitig nahrhaft, lehrreich und unterhaltsam vor. Natürlich nicht mit vorgestern Abend zu vergleichen, aber das haben wir ja schon gewusst. All unsere Käseeinkäufe werden wir da auch – keine 30 Kilometer zum Auto – nachholen und uns die Satteltaschen füllen.

Arbois gefällt uns richtig gut mit seinen mutigen Häusern, direkt überm Fluss, seinen Bars, seiner – bei inzwischen 29° – angenehm kühlen romanischen Kirche (solides Schiff, sagt die Beschreibung, wahrscheinlich, weil sie Jahrhunderte überdauerte, obwohl – oder weil? – keiner ihrer Gewölbebögen wirklich gerade steht), seinem kleinen Anspruch auf den Ruhm. Gestern, um Dole herum, berief sich jedes Dörfchen, jeder Brunnen, ja, fast jede Parkbank darauf, dass Louis Pasteur hier einmal was auch immer getan hatte. Arbois‘ Ansatz ist ruhig und bescheiden: „Pasteur pria dans cette église“, steht an einer der Kirchenbänke.

Irgendwann müssen wir uns losreißen vom charmanten Arbois für die Etappe nach Poligny. Wir meistern den Nicht-Kreisel problemlos und sehen kurz darauf ein Schild: Poligny, 3 km. Wird auch langsam Zeit, denke ich, denn es ist heiß, es ist anstrengend, die ersehnte Pause im Maison du Comté mehr als willkommen. Unsere Veloroute hat andere Pläne und führt uns auf weiten Umwegen – zugegebenermaßen zur Vermeidung der stark befahrenen Route Nationale 5 – erst durch Felder und dann in brütender Sommerhitze durch das – gefühlt – hässlichste Industriegebiet Frankreichs. Dass Poligny nicht mit Arbois mithalten kann an Charme und Ausstrahlung, das ist mir von früheren Besuchen – Durchfahrten eher – klar, aber so unattraktiv muss es sich ja wirklich nicht zeigen. Ich bin ein bisschen verquer drauf – Hitze und Hunger gehen immer ganz schlecht bei mir, in Kombination erst recht -, was sich natürlich nicht bessert, als wir uns ein paarmal verfahren, weil alle alten „Maison du Comté“-Schilder abgeklebt, aber keine neuen aufgestellt worden sind. Mit dieser Laune fahren wir vor das neue, recht eindrucksvolle Gebäude und finden dort eine große Schiefertafel. Fassungslos lesen wir: „Wir sind das Haus des Comté. Wir stellen keinen Comté her, wir verkaufen keinen Comté.“ Meine Große geht zweimal um das Schild herum, bevor sie glauben kann, was sie da liest. Die im Internet angepriesene Degustation beläuft sich auf zwei Stück Käse zum stolzen Preis von 8 Euro. Auf jedem Markt bekomme ich mehr Auswahl zum Probieren – und das natürlich freiwillig, gratis, kostenlos.

Natürlich verzichten wir unter diesen Umständen auf die angebotene anderthalbstündige Lichtbildschau – auf leeren, knurrenden Magen, den lehrreichen Rundgang und den spielerischen Ansatz zum Comté. Wir sind am Schmollen und das intensivst. Dass die angefahrenen Käsereien – irgendwann wollten wir ja noch die Satteltaschen mit Käse füllen – gerade alle Mittagspause haben, hilft nicht wirklich. Dass wir nun aus Trotz in Poligny dann auch nicht mehr zu Mittag essen wollen, erweist sich im weiteren Verlauf als ungeschickt. Dafür ist unser Fluchtweg aus Poligny heraus – Richtung Saint Lothian – sehr schön zu fahren. Nur das erhoffte kleine Café du Progrès, das kleine Bistro finden wir in keinem der Dörfchen, die wir durchfahren.

So kommt es, dass wir ein paar Kilometer vor unserem Anfangs- und Endpunkt im Schatten alter Bäume an einem Mühlenkanal im Gras sitzen und unser Mittagsmahl genießen: zwei verschiedene Sorten von Vollkornkeksen und leicht lauwarmes Wasser. Natürlich nicht mit vorgestern Abend zu vergleichen, aber das haben wir ja schon gewusst.

Kurz darauf laden wir die Ardenner auf den Fahrradträger. Es liegen 155 Kilometer (viel) Velo&(wenig)Fromage hinter uns, 900 Höhenmeter (kumulativ) und viele schöne Erlebnisse.

Wir geben Monsieur unsere Ankunfstzeit durch und er verspricht etwas Leckeres für uns zu kochen. Natürlich nicht mit vorgestern Abend zu vergleichen, aber das ist uns so was von egal. Wir freuen uns schon darauf!

Fuchs, du hast die Gans gestohlen

In Sellières steppt der Bär, ganz offensichtlich. Ein handgemaltes Plakat auf Pappe zeigt „Concert“ an, ein weiteres ebenso aus Pappe weist den Weg zu einem „Stadium“ und ein drittes, aus Metall, aber so alt und verblasst, dass es in ein solches gehört, bezeugt die Existenz eines Museums. Nur leider hat der Bär hier so gesteppt, dass wirklich alle Straßen in Sellières aufgerissen (Wasser? Abwasser? Strom?) und nur sehr provisorisch wieder mit Schotter gefüllt sind, so dass wir eine Menge Staub schlucken, bis wir aus diesem vergnügungsorientierten Dörfchen wieder heraus sind und in Chaux-de-la-Bresse auf „unsere“ Velo-Route Jura Loisir treffen.

Schmale Landsträßchen führen durch weite, sanft gehügelte Landschaften, durch Dörfer, deren Namen vor Kreativität sprühen. Wir sehen kaum Autos, haben dafür ab und zu sehr, sehr vorsichtige Begegnungen mit Traktorfahrern, die ihre weit auskragenden Heuwender mit großer Sorgfalt an uns vorbeiführen.

Rechts taucht plötzlich ein Schild zur Ferme Le Goupil (Reineke Fuchs) auf. Unter dem Bild eines listig dreinblickenden Fuchses bietet der Hof den Verkauf von Hühnern und Gänsen an. Wahrscheinlich vom Nachbarn … Die nächsten Kilometer geht mir das Kinderlied nicht aus dem Kopf.

Die Brücke über den Doubs wirkt nicht richtig vertrauenserweckend, aber während wir fotografieren, testet ein Auto für uns die Tragfähigkeit aus, sehr beruhigend. In Tavaux führt die Strecke weg vom Fluss und auf schmalen Gartenwegen an Hinterhöfen und Gärtchen uralter schiefer Häuslein vorbei, in denen uralte schiefe Männlein sich nach Unkraut bücken.

Kurz darauf beginnt der Abschnitt, auf den ich mich besonders gefreut habe: wir treffen auf den Rhone-Rhein-Kanal, das heißt wir lassen die Räder schnurren auf flachen Treidelpfaden, vorbei an Schleusen, vor denen gelangweilt wirkende Hausbootkapitäne ihre Einfahrt abwarten. Es ist nun schon deutlich nach Mittag, der Hunger meldet sich. Dole – und damit die Mittagspause – liegen nur noch wenige Kilometer vor uns, da klauen sie uns zehn Minuten vorm Mittagessen unsere Trasse. Der Treidelpfad ist gesperrt. Nicht französisch gesperrt, nein, richtig gesperrt gesperrt. Zwei schwere Metallgatter stehen quer über die Einfahrt, mit rot-weißem Band zusammengewoben, ein Einfahrt-verboten-Schild hängt am Gitter, eines in gelb mit „Déviation“ zeigt nach links und eine ganze Seite Text mit einer Menge Wappen und Stempel erklärt uns, warum es nach Sturm und Hochwasser zu gefährlich sei… Nun, wenn sie sich schon so viel Mühe gegeben haben, denken wir, machen wir ihnen die Freude und halten uns daran. Das bereuen wir natürlich keine fünf Minuten später, als die steile Umleitungsstraße in einen genauso steilen Feldweg mündet, vorbei an einem verwunschenen Château, das wir sonst zugegebenermaßen wohl nicht gesehen hätten, bevor eine schlagloch-perforierte Gasse uns wieder zum Treidelpfad führt.

Ein paar Minuten später fahren wir in Dole unter den massiven Befestigungsanlagen entlang, über kleine Brücken zu unserem Lokal, das einfach nur „Le local“ heißt und wunderschön am Ufer des Doubs unter den Bögen einer alten Brücke liegt. Das Essen ist einfallsreich komponiert und sehr lecker, natürlich nicht mit gestern zu vergleichen, aber das haben wir ja schon gewusst.

Doles Doubsufer wird auch gerne als „Kleines Venedig“ bezeichnet, wobei die einzige Gemeinsamkeit wohl das Wasser ist. Hübsch ist es trotzdem am Ufer zu flanieren, bevor wir die Ardenner die steilen und schmalen Altstadtgässchen hochschieben, die teilweise für den Autoverkehr gesperrt, aber auch für Fahrräder nur bedingt geeignet sind.

In der Sonne auf dem Marktplatz stehend, sinniere ich ein bisschen über diesen schönen Morgen nach, während die Große in der Markthalle schnell die allgemeine Käselage in Dole auskundschaftet. Ein Hupen reißt mich aus meinen Träumereien. Das sei ein Autoparkplatz, motzt mich ein unangenehmer Zeitgenosse rüde an, ich solle gefälligst mein Rad entfernen. Am liebsten hätte ich ihm ein „Nenni, ma foi!“ entgegengeschleudert, aber dann denke ich, dass ich mir von einem solchen „connard“ doch nicht den Tag verderben lasse und rücke zur Seite. Er parkt mit Siegerlächeln ein, steigt mit Siegerlächeln aus, plustert sich auf und öffnet den Mund. Weiter kommt er nicht, weil ich ihm sehr dezidiert klarmache, dass er sich doch bitte woanders schlecht benehmen soll und ich mir meine gute Laune nicht von ihm … siehe oben. Ich sehe förmlich, wie er zusammenfällt und sich davon schleicht. Ja. Manchmal kann ich sch…arrogant sein. Und dickköpfig. Und eigensinnig. Schließlich sind wir in der Franche-Comté.

Die Große kommt zurück, ohne Käse. Wir hatten eh schon beschlossen, dass zwei Tage bei 27°-29° in Satteltaschen keine artgerechte Haltung für Comté & Co sei und dass wir morgen, im „Maison du Comté“, in Poligny, der Hauptstadt des Comtés, alle Käseeinkäufe nachholen werden.

Ab Dole folgen wir und unsere Jura-Velo-Route eine Zeitlang der Euro-Velo 6, was zu so netten Kilometer-Angaben führt wie „Besançon 60 km, Schwarzes Meer 3600 km“. Hier ist auch deutlich mehr los, fahrradverkehrstechnisch, wir sehen sicherlich ein halbes Dutzend anderer Radfahrer. Bei dem einen Vater weiß ich wirklich nicht, ob ich ihn bedauern oder bewundern soll: vorne, am Lenker liegt in einem übergroßen Korb das Baby, am Gepäckträger sind mit zwei Stangen die Räder seiner kleinen Jungs verschweißt, ein Tridem sozusagen, und rechts und links türmen sich die Satteltaschen. Doch eher bewundern, denke ich.

Die Route führt durch idyllische Landschaften. Es ist so ruhig und beschaulich, dass Reiher sich nicht die Mühe machen wegzufliegen bei unserem Herankommen. Uralte Bäume spenden Schatten und werfen den Asphalt auf, wie das offensichtlich noch sehr frisch verliebte deutsche Pärchen feststellen muss. Mit „Pass auf, Schatz! Da vorne kommt wieder ein Hubbel, Schatz. – Achja, tatsächlich, Schatz, danke, Schatz. – Aber gern geschehen, Schatz!“ ziehen sie an uns vorbei.

Die Kilometer schnurren einfach nur so weg, langweilig ist es trotzdem nicht. In Sous-les-Roches hängt links ein ganzer Kletterclub in den steilen Kalksteinwänden, beim Frühjahrsputz. Mit weiten Bewegungen räumen sie Blätter und Moder aus den Griffkuhlen ihrer Kletterrouten. Kurz darauf ist rechts die Uferwiese besetzt vom – stelle ich mir vor – örtlichen VHS-Kurs Aquarell-Malen. Ich frage eine der Damen, ob ich das fotografieren dürfe. „Klar doch, mir ist das recht,“ kommt die Antwort, „ich blamiere mich ja hier nicht beim Malen, ich schau nur meinen Freundinnen zu.“ Worauf besagte Freundinnen hell auflachen und mir zunicken.

In Ranchot verlassen wir die schön flache Euro-Velo 6 und steigen mit der Jura-Velo auf in den Forêt domaniale de Chaux. Die Batterien zeigen schon recht niedrige Ladezustände an, deshalb sparen wir ein bisschen und setzen eher auf Muskelkraft. Irgendwann brauchen wir dann eine Pause auf einem kleinen Picknickplatz. Ich liege lang gestreckt auf der Sitzbank, sinniere über die gefahrenen (84) und die verbleibenden Kilometer (nur noch zehn, aber…) nach und darüber, wie und ob ich je die Kraft finden werde wieder aufzustehen. „Du, da läuft eine Spinne auf dein Haar zu,“ sagt meine Große plötzlich und kurz darauf – frech grinsend: „Siehst du, ging doch ganz einfach!“

Die „Saline Royale“ in Arc-et-Senans ist genauso klassisch schön wie letztes Mal und leider genauso leblos. Die revolutionäre Sozialutopie vom besseren Arbeiten und Leben ist im entkernten und umgewidmeten Gebäude nicht mehr zu spüren, es ist nur Hülle.

Vor der Saline verlassen wir dann unsere Route und orientieren uns an der Kirchturmspitze. Dort nämlich, place de l’église, liegt unser kleines Hotel, das uns mit einem großen Schild: Hotel & Restaurant voll begrüßt. Aber wir haben ja zum Glück eine Reservierung, für beides. „Stimmt“, nickt der Chef an der Rezeption, als er unseren „pass sanitaire“ scannt, „aber die war für gestern.“ Nein! Das kann nicht sein, ich bin mir ganz sicher, dass … Da grinst er und meint, er liebe diesen kurzen Moment der Panik und dann der Erleichterung, wenn den Kunden klar würde, dass alles nur ein Scherz… Meine Art von Humor ist das nicht und schon gar nicht nach 94 anstrengenden Kilometern. Und dann warnt er uns noch, dass wir ihnen warnen müssten, wenn wir um halb elf zum Spektakel „Son et Lumière“ in der Saline wollten, da müsste die Küche sich dann entsprechend beeilen, um rechtzeitig fertig zu werden. Halb elf? Beeilen? Spektakel? Da wollten wir eigentlich längst den Schlaf der Müden schlafen.

Das Menü am Abend ist hervorragend, schöne Kombinationen von Gemüse und Fisch. Nur der Gruß aus der Küche – eine mousse de cancoillotte – sagt uns so gar nicht zu, führt aber immerhin zu der Erkenntnis, dass wir diesen Kochkäse in Poligny nicht werden kaufen müssen. Der Anspruch der Küche – alles frisch zubereitet – führt dazu, dass der Service wirklich sehr langsam ist und sich das Essen hinzieht. Beim ersten Mal hat das Monsieur etwas verärgert, weil wir noch 500 Kilometer Fahrt nach Deutschland vor uns hatten. Heute nutzen wir unsere Kenntnis und legen einen kleinen Spaziergang durch die nächtlichen Gassen ein zwischen Hauptgang und Dessert.

Der Mond geht hinter den alten Häusern auf, was schön anzusehen, aber schwer zu fotografieren ist. Unser Dessert kommt dann tatsächlich, nachdem wir wieder am Tisch sitzen, etwas Leichtes, „fromage blanc“ mit frischen Beeren. Das Kännchen Sahne dazu verhindert, dass der Nachtisch zu leicht und gesund wird. Natürlich nicht mit gestern zu vergleichen, aber das haben wir ja schon gewusst.

Die Kirchturmuhr schlägt zehn Mal, als wir die Treppe hochsteigen, leicht verwundert, dass unsere Beine nach den fast hundert Kilometern noch so problemlos ihren Dienst tun. Das Spektakel, das verschlafen wir.