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Radweg-Lehrling

Im Frühstückssaal des Hotels hängt ein Spruch:

Nos menus sont comme la vie: ce qu’arrive n’est pas forcement ce que tu attends.

Unsere Menüs sind wie das Leben:  was kommt/passiert, ist nicht unbedingt das, was du erwartest.

Das könnte unser Leitmotiv für heute werden.

In Frankreich gibt es diese lustigen gelben Straßenschilder mit der Information: „Trous en formation“, Löcher in der Ausbildung, also Löcher-Azubis oder Löcher-Lehrlinge. Wir haben in 35 Jahren Frankreich nicht herausgefunden, was das Ziel dieser Ausbildung ist, nur dass sowohl die Löcher-Azubis als auch die Schilder sich rasend schnell vermehren.

Vielleicht hätten sie zu Beginn der Voie Bleue auch so ein Schild aufstellen sollen: Velo-route en formation. Für uns ist die Teilstrecke Lyon-Macon nämlich ein Radweg in der Ausbildung, ein Radweg-Lehrling sozusagen.

Dementsprechend sind unsere Erlebnisse heute eine sehr durchwachsene Mischung aus reiner Radel-Freude, „das hat schon viel Schönes“ und „da geht aber noch was, oder?“.

Der Start in Lyon hat schon leicht groteske Züge. Das, was die Stadt Lyon als Radweg nach „Confluences“, dem Dreieck zwischen den zwei Flüssen ausweist, ist ein schmaler Streifen auf einer vierspurigen Ausfallstraße, nur durch eine gelbe Linie getrennt. Nachdem die dritte Großbaustelle uns mit massiven Betonblock-Absperrungen in den fließenden Verkehr zwingt, haben wir genug und biegen kurz entschlossen in die nächste Straße rechts ab, queren das Dreieck an der Basis, vorbei am „Orange Cube“, zum Saône-Ufer. Da ist es dann wunderschön ruhig, in dem alten Industriehafen-Gebiet, das nun durch moderne Neubauten zum Kulturviertel wird. Natürlich radeln wir erstmal an die Spitze, vorbei am Cube Vert. Es ist nicht so ganz klar, welcher Cube von welchem Cube abgekupfert hat, dass sie „von einander inspiriert“ sind, lässt sich nicht leugnen.

An der Spitze radeln wir erst noch ein paar Minuten Rhone-aufwärts, zum einem um sagen zu können: an der Rhone bis zur Saône-Mündung gefahren, zum anderen, weil wir uns die eindrucksvolle Architektur des Confluences-Museums ein bisschen näher ansehen wollen – nur von außen heute.

Dann kommt das Startfoto auf unserem Radweg-Lehrling. Im Internet hat die Voie Bleue Lyon-Luxemburg einen tollen Auftritt mit Fotos der Wegweiser mit ihrem hübschen Logo und den Kilometerangaben für die nächsten Etappen. Hier in Lyon ist davon weit und breit nichts zu sehen. Das ist nicht weiter schlimm, der Fluss ist Wegweiser genug, also folgen wir ihm aus Lyon hinaus. Es geht flott voran auf breiten gekiesten Parkwegen, die ihre ganz eigenen Gefahren bergen. Aber wir lernen schnell, die Boule spielenden alten Männer weiträumig zu umfahren und auf keinen Fall dem „Cochon“, der kleinen roten Kugel, zu nahe zu kommen. Das alles unter freundlichen „Bonjour“ und „Bonne route!“ Rufen, schließlich sind wir nicht in Paris.

Ein paar Kilometer hinter Lyon lockt Paul Bocuses Nobel-Restaurant uns nicht wirklich. Noch viel zu früh, außerdem haben wir gar keine Zeit für vielgängige Menüs und überhaupt freuen wir uns schon auf die Mittagspause in einer der vielen „Ginguettes“ am Saône-Ufer. Das sind kleine Restaurants, die ihre Tische direkt ins Gras am Ufer stellen, les pieds dans l’eau, im Schatten mächtiger Maulbeerbäume und die bei den Öffnungszeiten den schönen Nachsatz haben: wenn es nicht regnet.

Idyllisches Radeln unter uralten Platanen auf geteerten Treidelpfaden wechselt ab mit Rückenfolter auf schlaglöchrigen Feldwegen. Weite Flussauen mit uralten Scheunen gehen über in Industriegebiete und in Jassans-Riottier verbockt es der Radweg-Lehrling fast. Immer noch schild- und hinweislos zeigt der GPS-Track den Weg mitten im Fluss an. Auf der Karte sehen wir, dass er irgendwo durch das Industriegebiet gehen muss, nur wo? Wir sind etwas ratlos, da fährt der neben uns geparkte LKW los und wir sehen eine schmale Öffnung zwischen zwei hohen Mauern – bingo. Kurz darauf weitet sich der Weg wieder und es geht durch frisch gemähte Wiesen, über die Dutzende von Störchen staksen, weiter.

Vor Trevoux lockt ein Restaurant am Ufer. Eine große Gruppe schmaust fröhlich am langen Tisch, wir wollen – müde, verschwitzt, durstig – nur etwas trinken. Die Kellnerin bürstet uns brüsk ab: Küche wäre schon zu, Bar, also nur Getränke, machen sie nicht und überhaupt hätten sie schon geschlossen.

Wir müssen so maßlos enttäuscht ausgesehen haben, dass der Chef kommt und uns zum Nachbartisch führt. Solange die anderen noch feiern würden, könnten sie eh nicht schließen und was wir denn bitte schön gerne trinken würden. Es kommt das woher? und wohin? und als wir von der Voie bleue erzählen, ist er etwas erstaunt: die wäre doch noch gar nicht in Betrieb, der Abschnitt Macon – Lyon würde doch erst im Herbst offiziell eröffnet. Was nun einiges erklärt.

Unser Hotel für die Nacht hat den Begriff „Charme“ im Namen, entpuppt sich aber als eine äußerst charmebefreite Ansammlung von kleinen Bungalows. Auch die Dame am Empfang ist uncharmant bis ruppig. Die Zimmer sind so „groß“, dass man bei geöffneter Badezimmertür nicht zum Bett kommt. Wir kommen zu der Überzeugung, dass sich das „charme“ ausschließlich auf die Hainbuchen (le charme) im Park der Anlage bezieht.

Als wir vom Essen zurückkommen, verschließt ein mannshohes Tor den Zugang zum Hotel. Ganz offensichtlich hatte die Dame am Empfang „vergessen“ uns den Code für das Tor mitzuteilen. Wir sind kurz davor, es mit drüberklettern zu versuchen, da wird endlich auf unser Sturmklingeln reagiert. Die Dame öffnet uns, ohne Gruß, ohne Entschuldigung, nur mit dem Vorwurf, wir hätten sie aus den hinteren Bereichen der Anlage hierhin gejagt.

Wahrscheinlich kommt sie aus Paris.


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