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El islote

Unsere letzte Wanderung soll etwas Kleines, Kurzes sein.

Wir nehmen die ruta littoral als Ausgangspunkt, die einzige Wanderung, die man im Nationalpark ohne Führung, ob Bus oder zu Fuß, laufen darf. Für den Punkt „kurz“ machen wir ein paar Änderungen an der Streckenführung, starten am Ortsende von El Golfo, folgen der Küste bis zum Strand von El Paso und wenden uns dann landeinwärts.

Das bringt uns ganz nah an „neue“ Lavatunnel des 1730er Ausbruchs, an eingestürzte Tunnel, an die scharfkantige junge Lava.

Die fließt ab El Paso um die Islote Moron, ein Inselchen alter Lava, das aus dem Inferno von vor 200 Jahren herausgeragt hat.

Der Unterschied ist verblüffend: hier schwarz, scharfkantig, lebensfeindlich, auf der anderen Seite braun verwitterte Erde, darauf runde Euphorbien, schöne gleichmäßige Habkugeln. Monsieur betrachtet sie mit einer Mischung aus Neid und Respekt. Diese Formen laufen in Frankreich unter dem Begriff „moutonnement de buissons“, „Schäfchenherde-Büsche“. Das ist das, was Monsieurs Frau gerne in ihrem Garten sieht und was Monsieur mit der Heckenschere umzusetzen versucht. Hier hat Mutter Natur das ganze in natürlicher Eleganz übernommen, ohne dass auch nur eine menschliche Hand eingegriffen hat.

Am Horizont steht ein einsamer Park-Ranger und sucht mit dem Fernglas den Himmel ab. Nach Piraten? Adlern? Touristen? Wer weiß das schon. Wir hingegen wollen von ihm wissen, wie lange der alte Ausbruch her ist und er sagt 80 Millionen Jahre, genug Zeit selbst für Lava zu Staub und Erde zu verkrümeln. Wenig später hält sein Geländewagen neben uns, er kurbelt das Fenster herunter und meint „Zu viele Nullen, nicht 80 Millionen, achtzigtausend Jahre.“ Wir hätten den Unterschied eh nicht bemerkt.

Aber wo er gerade schon mal anhält, fragen wir ihn nach der seltsamen Drahtkonstruktion ein paar Meter zurück. Das wäre der Kaninchen-sichere Käfig zur Anzucht neuer Pflanzen.  Der Park versucht Pflanzen anzusiedeln, die zwar in die Gegend gehören, aber Kaninchen nicht schmecken. Um das herauszufinden, müssen die Pflanzen aber erstmal eine Chance haben, heranzuwachsen. Rundum geschützt mit Drahtgitter, auch nach unten. Mal sehen, was die Kaninchen sich dann einfallen lassen, wenn Karnickel-Junior mosert: „Ich mag das aber nicht!“

Drink am Meer gibt es im Las Salinas, gefolgt von köstlichen Tapas. Wir müssen uns stärken für eine letzte Schatzsuche.

Irgendwie hatte ich in meinem kindlichen Gemüt angenommen, den einzigen Olivin-Strand gefunden zu haben, aber ein kurzer Blick ins Internet zeigt, dass der schwarze Strand vor den Salinen DER Fundort für diese Steine ist. In der Tat, liegen dort zuhauf die goldgrünen Steine herum. Dummerweise eingeschlossen in Felsbrocken von beachtlicher Größe – und Schwere. Das wird selbst die toleranteste Airline nicht als Handgepäck durchgehen lassen. Die kleineren Steine sind natürlich auch schön, nur haben Wind und Wellen sie schon rund- und die kristallinen Strukturen abgeschliffen. Ein Kompromiss ist wohl nötig. So schlendern wir über den steinigen Strand, heben auf, begutachten, verwerfen, stecken in die Hosentaschen, bis die Hose zu rutschen beginnt. „Genug jetzt“, spricht Monsieur schließlich mit einem Anflug von Strenge, „und im Hotel muss jeder drei Steine wieder aussortieren.“ Es vergeht ein Augenblick, dann sagen wir beide, fast gleichzeitig: „Gut, dann nehme ich einfach noch drei mit!“

Im Hotel packen wir alle Steine – auch die drei zum Aussortieren – in die Wanderschuhe und stopfen ein paar alte Socken zum Abschluss drauf. Das Ganze kommt mit den Travelcubes in den Koffer und dann bleibt uns noch Zeit für einen letzten Drink an der Bar. „Auf’s Haus“, sagt Jason, „ist ja Ihr letzter Abend.“

Am nächsten Morgen zähle ich zweimal nach im Airport: auf der Anzeigetafel der heute startenden Flüge zeigt sich ein eindeutiger Trend. Von den 38 Flügen gehen 24 auf die britischen Inseln, je einer nach Paris, Amsterdam und Frankfurt, der Rest innerspanisch. Kein Wunder, dass wir mehr Englisch als Spanisch hören um uns herum.

In Madrid werden wir erst zu Gate J56 geschickt, bis fünf Minuten vor Boarding eine fast unverständliche Ansage uns zu Gate H4 schickt, am entgegengesetzten Ende des Terminals, wahrscheinlich das Fitnessprogramm der Airline.

Stunden später stehen wir im Wohnzimmer und schauen hinaus in den Garten: Felsenbirne, Forsythie, Zierkirsche, alles blüht.

Und biegt sich unter der Wucht des heftigen Schneesturms.

Wir sind wieder zuhause.

You teach me

„You teach me, lady“, sagt der junge Mann und strahlt mich an. Offensichtlich war mein Gesichtsausdruck doch nicht ganz Pokerface, als er mit der Aperolflasche und den Whiskygläsern mit Eiswürfeln zurückkommt. „You teach, I learn“, strahlt er weiter nach dem Geständnis, dass er noch nie einen Aperol Spritz gemixt hätte. Er bringt die gewünschten Zutaten – mit Abstrichen, Prosecco ist natürlich illusorisch – und mixt dann Monsieurs Aperol Spritz zurecht. Ohne Orange und im falschen Glas, aber mit offensichtlicher Freude am Tun. Die imposanten Muschel- und Fischplatten serviert er danach ganz ohne Hilfestellung, das hat er drauf, gelernt ist gelernt. Als der Drink dann nicht auf der Rechnung auftaucht und wir ihm das andeuten, ist er fast beleidigt. „On the house, lady, my pleasure.“

Órzola ist der kleine Hafen, von dem die Fähren zum Nachbarinselchen La Graziosa übersetzen. Wir haben uns zwar gegen so eine Fahrt entschieden, wollen uns aber ein bisschen dort umsehen und Monsieurs „Drink am Meer“ umsetzen.

Jeden Morgen im Frühstücksraum ist es lustig anzusehen, dass neben fast jedem Teller ein Wanderführer liegt, der dann während oder nach dem Frühstück eifrig durchblättert und diskutiert wird. So kommt es, dass aus dem Auto, das vor uns parkt, zwei Gäste unserer Finca aussteigen, ganz offensichtlich auch auf Kurs Montana Corona.

Der Berg ist eine kleine positive Mogelpackung. Vor 3000 Jahren hat er den ganzen Norden in Schutt und Asche gelegt, aber Lanzarote auch neben der Verwüstung die beiden Touristenmagneten des Lavatunnels und der Wasserkrebschen-Höhle gebracht. Zurück geblieben ist ein moderat hoher Kegel, dessen Einstieg noch ein bisschen niedriger liegt. Im Aufstieg, durch Weinberge, wirkt der Berg graugrün, einmal oben angekommen, entfaltet das Kraterinnere seine leuchtend-dunkelrote Pracht. Das ist sehr beeindruckend und schön anzusehen. Wir diskutieren kurz, kommen aber zu dem Entschluss, dass weitere Höhenmeter bis zum Kraterrand diesen Eindruck nicht nennenswert steigern werden.

Deshalb wenden wir uns faul dem Abstieg zu, weglos, am Zaun entlang, auf die Umspann-Anlage zu, steht im Wanderführer. Nur sind inzwischen wohl so unzählig viele Wandererfüße der weglosen Beschreibung gefolgt, dass sich ein breiter Trampelpfad den Berg hinab windet. Bleibt nur noch der „Drink am Meer“, den jede auch noch so kurze Wanderung verdient.

Orzola bietet große Parkplätze, allerdings nur für Fährengäste, die ein Ticket vorweisen können. Ein bisschen weiter finden wir einen freien Platz und ein schönes Beispiel für Pragmatismus. Parken darf man dort – laut Gesetz Nummero Sowieso – nur mit Parkscheibe. Oder – so steht es pragmatisch darunter – mit einem Stück Papier mit der Ankunftszeit drauf. Papier hätten wir, Stift ist natürlich im Hotel, nicht im Rucksack. Wir klopfen beim Nachbarauto an und handeln ein Deal aus: wir dürfen ihren Stift benutzen, sie erhalten ein Eckchen Papier von uns. Win-Win.

Danach schlendern wir am Hafenbecken entlang, verwerfen das eine Lokal als zu touristisch, das andere als zu laut, bis wir ganz am Ende der Mole um die Ecke biegen und ein Restaurant mit Tischchen direkt an der Hafenmauer finden. Wir setzen uns, bestellen Aperol Spritz und der junge Mann strahlt mich an.

Hindernislauf

Man kann so einem Wetter ja nicht alles durchgehen lassen. Zumal Monsieurs Lebensgefährtin behauptet, dass es erst ab 18 Uhr richtig stürmisch und regnerisch wird.

Also stehen wir zum zweiten Mal in dieser Woche auf dem schmalen Grat oberhalb Femés und schauen fasziniert auf die Wanderer, die links von uns durch eine rote Steinwüste bergab rutschen und schlittern. Das ist unser Rückweg, aber davor fürchte ich mich, wenn es so weit ist.

Wir gehen rechts, zuerst auf den Höhenlinien, ganz angenehm trotz schmalem Pfad. Wenn da nicht dieser blöde dicke schwarze Schlauch wäre. Aus der Ferne hatten wir das beim ersten Versuch für ein Sicherungsseil an der Wand gehalten. Aus der Nähe entpuppt es sich als ärgerliches Hindernis. Der Pfad ist kaum weit genug für zwei Füße und nun macht der Schlauch sich breit darauf. Mal links, mal rechts, mal in Knöchelhöhe als Fußangel quer über den Weg. Wenn das zu langweilig wird, liegt auch schon mal ein Felsbrocken auf dem Weg, um den Schlauch genau dort zu fixieren.

Wir kommen zu der Stelle, an der es abgeht zu einem kleinen Aussichtspunkt, ein paar Höhenlinien über uns. Aussicht haben wir hier genug, Wind auch, das sparen wir uns. Allerdings wechselt der Weg an diesem Punkt von der „Innenseite“ des Berges zur meerzugewandten „Außenseite“ und wird laut Führer doch etwas unangenehmer. Es kommen nun die Passagen, die uns den ersten Versuch haben abbrechen lassen, die mit „exponiert“, „trittsicher“ und „schwindelfrei“ in der Beschreibung. Können wir nun alles bestätigen, auch, dass wir im Nachhinein heilfroh sind, es nicht bei Sturm gewagt zu haben. Der Weg ist im Geröll kaum zu erkennen. Rechts geht es steil in scharfkantige Lavafelsen. Der ein oder andere Feigenkaktus würde einen Sturz vielleicht freundlicherweise etwas bremsen, aber aufhalten?

Zum ohnehin unangenehmen Zustand des Weges kommt dann noch der Schlauch als Bonus und die Stelle, an der wir kurz das Umkehren andenken. Dort hat sich ein riesiger Feigenkaktus quer über den Weg ausgebreitet in all seiner stachligen Pracht. Nun finden wir das ja an und für sich toll, wie diese ruppigen Gesellen sich im kargen Gelände behaupten, aber ausgerechnet hier? Wir schauen uns das ganze lange an und wagen es dann, testenden Schritt für testenden Schritt im Abhang, rund um Stachelkugel herum. Im Jura, in den Alpen muss man auch gelegentlich um einen Windbruch herumklettern, aber da kann man sich wenigstens an den Ästen des Baumes festhalten. Irgendwie erscheint uns das hier nicht als eine Option.

Ein paar hundert ruppige Meter weiter verlässt der Schlauch den Pfad und strebt geradewegs auf einen Ziegenstall zu. Ah ja!

Wir erreichen, was der Wanderführer eine „Einsattlung“ nennt und damit den Punkt, wo wir uns zur anderen Seite der Insel wenden. Hinter uns liegen Playa Blanca und Meer, nun schauen wir auf Puerto del Carmen – und Meer, natürlich.

Das Tal weitet sich zu grandioser Einöde, in der sich hier und da kleine Steingärten auftun. Locker ins Geröll getupfte Pflanzen in Grün und Gelb nehmen der kargen Landschaft etwas von ihrer abweisenden Härte.

Wir steigen hinab in ein Bachtal, überqueren – trockenen Fußes – das Bachbett und erreichen bald ein „Refugio“. Eine gemauerte Zisterne mit eingestürztem Dach zeugt vom Versuch, diese Einöde zu besiedeln.

Der Weg ist kurz eine Fahrspur, dann kehren wir ihm den Rücken. Er geht rechts bergab an die Küste, wir drehen uns nach links, irgendwie müssen wir ja wieder auf unseren Grat über Femès zurück. Wir bleiben fast auf den Höhenlinien, das Tal kommt höher und dann steht vor dem Aufstieg ein Wegweiser mit drei Schildern. Monsieur kneift die Augen zusammen, blinzelt und liest vor: „Links geht es zum Lift, rechts zur Rolltreppe und gerade aus zur Bar auf der Terrasse.“

Haha, netter Witz! Ich finde bergauf eigentlich immer doof und tue das auch meist lautstark kund. Ist nicht persönlich gemeint, ich beschimpfe jeden Berg völlig unparteiisch, jedenfalls so lange ich noch genug Luft bekomme zum Nörgeln zwischen dem Jappsen. Das ist der Grund, weshalb Monsieur im Anstieg immer ein bisschen Sicherheitsabstand zu mir hält.

Was uns der Wegweiser tatsächlich verrät, ist die Tatsache, dass die nächsten 900 Meter uns 200 Höhenmeter hochbringen werden.  

Wir stehen vor dem Berg und tun uns schwer, auch nur die Spur eines Weges zu finden. Das es den gibt, wissen wir. Schließlich haben wir heute Morgen andere da hinunterrutschen gesehen.

Der Weg finden wir im Näherkommen inmitten einer Wunderwelt von Farben, das Farbspiel ist umwerfend. Wir arbeiten uns auf eine olivgrüne Felsnase zu, die beim Umrunden zu schwefelgelb wechselt. Das Ganze vor einem tief bordeauxrotem Hintergrund. Fast vergesse ich dabei zu schimpfen und zu jammern.

Während ich mich den Berg hochkämpfe, strahlt Monsieur, den bergauf meist weniger beeindruckt als mich, das sei der prächtigste Aufstieg, den er seit langem gemacht habe. Nun ja, jedem das Seine.

Erstaunlich kurze Zeit später stehen wir im Nieselregen auf dem Grat, ich völlig aus der Puste, aber sehr zufrieden, dass ich doch mit erheblich weniger Geschimpfe als befürchtet dahin gekommen bin.

Unser nächster Wanderurlaub ist übrigens schon geplant für Mai. Radwandern im hübschen, flachen Münsterland. Da ist es schön flach und grün. Und flach, falls ich das noch nicht erwähnt haben sollte.

Ich freue mich schon!

Walking on the moon

Wir laufen ein fast wegloses Stück an der Steilküste entlang, ein kurzer Ausflug, ein paar Kilometer nur, etwas Einfaches, Flaches mal zur Abwechslung.

So ganz genau kann ich nicht ausmachen, ob es an mir oder an Lanzarote liegt.

Gestern fand ich das alles noch imposant und faszinierend, heute ist es mir eindeutig zu trostlos, zu viel Schroffheit, zu viel Mondlandschaft.

Ich kann mich heute so gar nicht begeistern für die bizarren, scharfkantigen Formen, gigantischem Silvester-Bleigießen ähnlich, die in den Himmel ragen. Vielleicht bin ich es auch einfach nur müde, bei jedem Schritt auszutesten, wie und wo ich auftreten kann.

Monsieur geht weise ein paar Schritte hinter mir, genießt das phantastische Zusammenspiel von Felsen und Brandung, fotografiert nach Herzenslust.

Ein paar Mal müssen wir umgehen, weil der „gesehene“ Weg nun eben doch nicht der Weg ist und irgendwann stehen wir direkt am Steilhang über der donnernden Brandung. Ich setze meinen Wanderstock auf einen Steinbrocken, der bricht ab und reißt die Steine nebendran mit in die Tiefe. Für mich bestand nie Gefahr, aber es dauert doch einige Sekunden, bis ich weitergehen kann. Von da suchen wir die Alternativen lieber ein bisschen weiter landeinwärts.

Ein paar Mosereien und Grummeleien später kommen wir zu einem kleinen Strand und da wird meine Laune endlich besser. Wir sitzen lange und schauen der Flut zu, wie sie in Felskesseln immer neue Strömungsbilder zeichnet, schreiben die natürlichen Pools dem unumgänglichen César Manrique – kubistische Phase natürlich – zu und genießen die Natur. Irgendwann bückt Monsieur sich und hebt einen kleinen schwarzen Handschmeichler auf, als Souvenir. Ich will es ihm gleichtun und finde einen Schatz: von der einen Seite sieht der Stein schwarz aus, auf der anderen Seite leuchten goldgrüne Olivin-Einschlüsse. Nun gibt es kein Halten mehr und die Schatzsuche weitet sich aus: je einen für die Kinder, den für die Nachbarin, den für eine steinsammelnde Freundin, den…

Monsieur hüstelt und macht klar, dass er nicht bereit ist, unendlich viele Steine nach Hause zu tragen. Nun gut, die Schönsten haben wir ja eh schon gefunden.

Der Rückweg ist dann deutlich beschwingter als der Hinweg, die dumme Stelle an der Klippe schnell umklettert, überhaupt geht es mir wieder besser. Ich glaube ja so gar nicht an „cristal healing“, aber dieses Olivin, also, dieses Olivin, das hat doch etwas bewirkt bei mir.

Am Abend finden wir dann noch die Lösung eines Rätsels, das uns seit einigen Tagen beschäftigt. Wir sind an mindestens acht Verkehrszeichen vorbeigefahren, die vor Kühen warnten. Die Kühe auf den weißroten Dreiecken waren durchaus stattliche Exemplare, die Kühe in der Realität unauffindbar. Hinzu kommt, dass die Landschaft hier so gar nicht für Kühe geeignet zu sein scheint, nirgendwo üppiges Grün, alles karg und trocken. Wie meine Hunsrücker Großmutter sagen würde: Das Land ist so arm, da sitze‘ die Mäus‘ mit rotgeweinte‘ Auge‘ vorm Brotkasten…

Monsieur hat für heute Abend in einem Restaurant namens „Die Käserei“ reserviert, sehr schön in alten Stallungen untergebracht. Und da finden wir – neben sehr leckerem Essen – die Antwort auf unsere Fragen: die Kühe sollen eigentlich Ziegen sein, aber für die gäbe es keine EU-konformen Straßenschilder.

Wieder etwas gelernt.

Caldera Blanca, endlich

Heute Morgen werden wir wach zu einem ungewöhnlichen Naturphänomen. Die Älteren unter Euch werden sich vielleicht noch erinnern an „strahlender Sonnenschein“. Wie all diese Phänomene ist auch dieses nur von kurzer Dauer, reicht aber, uns in Euphorie und völlig außer planmäßig aufbrechen zu lassen.

Ein paar hundert Meter vor dem Visitor’s Center geht ein rauher Feldweg ab zu einem kleinen Parkplatz. Ein gutes Dutzend Autos steht schon da. Menschen, die Wanderschuhe anziehen, sitzen in offenen Türen. Andere hieven Kleinkinder in Tragegestelle und wiederum andere sind schon ein Stück voraus hinter der ersten Welle im Lavastrom verschwunden.

Das alles sieht schroff, abweisend und lebensfeindlich aus und doch gibt es kleine Helden, die in dieser Umgebung ihr Leben aufbauen, Flechten, Euphorbien, wilder Tabak und als kleine Überraschung etwas Gepunktetes.

Wer die Caldera Blanca besteigen will, muss sich erst einmal durch ein Lavafeld durchkämpfen. Dann stehen wir noch immer nicht vor „unserem Berg“, vorher kommt die kleine Schwester, die Montaneta Caldereta, das Kraterchenbergchen. Wir bekommen hier nämlich zwei Krater zur Anstrengung von einem. Das Bergchen hört sich zwar niedlich an, ist aber mit seiner großen Schwester standhaft genug gewesen, dem Lavastrom der 1730er Eruption die Stirn zu bieten. Die Lava musste sich also mit den Hindernissen arrangieren und floss zwischen den beiden hindurch. Für die Wanderer bedeutet das, dass wir an der Flanke vom Kraterchen hochsteigen bis Oberkante Lavafluss und von dort aus einen Weg hinüber zur Caldera Blanca finden müssen. Von oben sehen wir später andere Wanderer unter uns im Lavafeld, hören ihre Schritte im Geröll knirschen.

Am Hang des großen Kraters geht es dann außen entlang, auf Pfaden, die in engen Einschnitten liegen. Als Berg ist die Caldera sehr angenehm, es geht schön langsam und stetig höher, bis wir dann doch etwas atemlos stehenbleiben beim ersten Blick in den Krater.

Mit diesem Blick zur Rechten geht es oben auf dem Kraterrand weiter bis zum höchsten Punkt. Links erstrecken sich die Feuerberge des Nationalparks, die fehlende Sonne verhindert, dass sie leuchten.

Beim 458 Meter Punkt angekommen verzichten wir dann doch auf das Picknick, der Wind macht es zu ungemütlich. Der Abstieg gestaltet sich anfangs unangenehm. Wir finden den Einstieg nicht vom Kraterrand zum fünfzehn, zwanzig Meter unter uns sichtbaren Pfad. Ich bin fast bereit, auf Respekt und Selbstachtung verzichtend die Hosenboden-Methode zu probieren, da sieht Monsieur eine Möglichkeit, auf der wir zwar auch rutschend und schlitternd, aber immerhin aufrecht auf unseren zwei Füßen nach unten kommen.

Einmal wieder in der Ebene kommen wir um die Basis des Vulkans herum an ein schwarzes Tuffloch, ideal als geschützter Picknickplatz. Die Tuffwände sind so weich, dass wir mit dem Fingernagel Striche hineinkratzen lassen. Das hat es wohl auch „Klaus“ leicht gemacht, in meterhohen Buchstaben mitzuteilen, dass er 2013 hier war. Eine Information, die die Welt dringend braucht.

Am Fuß der Wände finden wir zwei kleine Säugetierschädel und mehrere Knochen. Das hat wohl nichts mit „Klaus“ zu tun und ist eher ein Hinweis auf den auf vielen Tafeln beschworenen seltenen Lanzarote-Geier.

Die letzten zwei Kilometer fühlen sich dann doch deutlich länger an als nötig, aber wieder am Auto sind wir richtig zufrieden mit unserer Wanderung.

Monsieur will zum würdigen Abschluss „Drink mit Meer“. Meer finden wir im kleinen Fischereihafen La Santa, der Drink kommt nach längerer Wartezeit und das von mir bestellte Essen wird unsere erste schlechte Erfahrung auf Lanzarote. Das „Zicklein auf alte Lanzaroter Art“ entpuppt sich zu 80% als Knochen, die abgeknabbert werden müssen. Ich habe nichts gegen Abknabbern, aber es soll mich doch wenigstens satt machen. Als wir das dem Wirt sagen, wird uns sehr deutlich gemacht, dass wir ja eh nie wiederkehren würden und ihm unsere Zufriedenheit völlig egal sei.

Zum Glück endet der Tag nicht auf dieser Note. Unser Hotelbesitzer ist mit einer Ukrainerin verheiratet und heute findet im Hof der Finca eine Benefiz-Veranstaltung statt, die gut besucht ist. Wir kommen gerade rechtzeitig zur Auslosung der Tombola, Gutscheine lokaler Anbieter. Das Essen für zwei wird bejubelt, die Ayurveda-Massage auch. Das Wochenende „dog-sitting“ ruft bei der Gewinnerin ein Stirnrunzeln hervor. „Ich habe gar keinen Hund. Betreuen Sie auch meinen Mann?“

Zur Verlosung sind wir zu spät, also versuchen wir unser Glück beim „Lucky dip“ und erstehen „Wundertüten“ örtlicher Kitsch- und Kunstanbieter als Mitbringsel für Familie und Freunde.

Die werden sich sicher freuen beim Öffnen der Wundertüten.

Oder sollten es zumindest überzeugend vortäuschen…

Der unumgängliche César

Wir haben Kombitickets zu diversen Attraktionen auf der Insel. Achtzig Prozent davon haben mit César Manrique zu tun. Scheint unumgänglich zu sein auf Lanzarote.

Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, in welchen Jacken- oder Hosentaschen wir die Tickets „auffindbar“ versteckt haben und uns dann die Reihenfolge überlegen.

Wir fangen mal mit César Manrique an, dem unumgänglichen César, und schauen dann mal, ob wir mit César Manrique weitermachen.

Sein ehemaliges Haus in Tahiche steht auf einem Lavafeld. In unterirdischen Lavagängen und -blasen, teilweise zum Himmel offen, erweckte er im toten Gestein eine Oase des Genießens, einfach nur traumhaft schön. Die schwarzen Lavawände sind weiß getüncht, in den Felsen gehauene Steinbänke laden ein, der Swimmingpool liegt im Schatten tropischer Pflanzen, jetzt noch ein kühles Getränk für mich, das passt schon.  

Im Wohnbereich hingegen fühle ich mich nicht ganz wohl: zu viele sorgfältig inszenierte Fotos, César in Super-Macho-Posen, César in durchkomponierter Selbstdarstellung mit Freunden, César im bunten Partyleben der 70er. Alles ein bisschen „zu zu“, wenn da nicht auch seine Texte wären, die von seiner überschäumenden Lebensfreude sprechen, alegría de vivir kommt in fast jedem Text vor. Lebens- und schöpferische Freude, in der alles erlaubt und möglich sein soll. Das einzige Ge/Verbot, die einzige Sünde: einem anderen Menschen Schmerz zuzufügen.

Wir nehmen nicht nur Bilder mit aus diesem Haus, es beschäftigt mich so, dass ich erst gar nicht merke, dass ich Monsieur in die falsche Richtung schicke. Die einzige Möglichkeit zu drehen ist vor der Einfahrt einer Gärtnerei. Das muss ein Zeichen sein. Bald können wir die ganze stachelige Vielfalt, die sich in der kleinen Gärtnerei auftut, bewundern. Bei einer schokoladenbraunen Verlockung werde ich schwach. Nun muss ich sie nur noch – gut verpackt – nach Hause schmuggeln.

Dieser kleine stachelige Abstecher versöhnt uns dann etwas mit unserem nächsten Stopp. Der Kaktusgarten, gestaltet von – na, ratet mal – richtig! – César Manrique, ist schon sehr beeindruckend mit seinen baumgroßen Exemplaren, aber alles ist auch sehr durchkomponiert und abgezirkelt. Als sie dann im Café noch nicht mal einen freien Platz für uns haben, sind wir uns einig: die Gärtnerei hat uns – kaktusmäßig – besser gefallen.

Zum Schluss – und da unser Heimweg eh fast die Stadt streift – halten wir in Arecife. Oktopus mit Blick auf die Lagune und ein bisschen schlendern durch nette alte Gassen, aber auch halb ausgestorbene Einkaufsstraßen.

Damit hätten wir unsere Tickets „abgearbeitet“, sind also frei in der Planung für morgen. Mal sehen…

Montañas del Fuego

Die Passatwinde werfen ihre gesammelte Luftfeuchtigkeit so heftig gegen die Fenster, dass die Scheiben unter Regen und Sturm rattern. Heute Morgen hat der Regen, wenn auch nicht der Sturm aufgehört, große Pfützen stehen auf den Wegen, der schwarze Sand unter den Palmen glänzt nass.

Im Frühstücksraum treffen wir zwei Damen aus der Normandie, die erzählen, dass sie – gestern angekommen – sich heute einen Reiseführer kaufen und dann ihre Zeit hier planen würden. Also im Prinzip das, was wir auch gemacht haben, aber als Konzept. Interessanter Ansatz.

Unser Plan für heute sieht die Caldera Blanca vor, klar.

Aber auch der wirkliche Plan, Pico de Redondo, scheitert. Die Windgeschwindigkeiten sehen im Wetterbericht auf dem Laptopbildschirm deutlich harmloser aus als auf einem Berggrat. Die Wanderer hinter uns haben einen Yorkshire-Terrier dabei, seidig-gepflegtes Fell, spitzbübische Augen. Der schießt – schneller als ich, zugegebenermaßen – im Anstieg zum Kamm mehrmals an mir vorbei, voller Elan und Tatendrang. Vor uns am Kamm angekommen, wirft er sich verängstigt auf den Boden, macht sich ganz flach und wartet bange auf seine Menschen. Die nehmen ihn hoch, wenden sich dem Einstieg in die Felswand zu und – könnte ich nun melodramatisch schreiben – wir haben sie nie wieder gesehen. Das würde sogar der Wahrheit entsprechen, denn wir entscheiden uns, vom Sturm hin und her gebeutelt, gegen eine Wanderung auf schmalem Felspfad. Teilweise exponiert, stand im Führer, Trittsicherheit und Schwindelfreiheit seien erforderlich. Trauen wir uns alles zu, aber nicht bei Sturmböen. Auch das junge Paar, das nach uns über den Kamm kommt, dreht nach kurzer Diskussion kopfschüttelnd um. Uff! Wir sind nicht die einzigen Angsthasen.

Und nun?

Wir pirschen uns an den Dienstagsplan heran. Ein paar Kilometer weiter bietet die Kamelfarm einen erheiternden Fotostopp. Da nicht alle Touristen das gleiche Gewicht in den Sitz bringen, bekommt der leichtere Partner ein paar Sandsäcke mit auf den Stuhl geschnallt.

Und dann ist sie da, die Abzweigung zu den Montañas del Fuego im Nationalpark Timanfaya, ganz ohne Schlange. Jedenfalls am Anfang, die kommt später, als der gesamte Verkehr auf unserer und der Gegenspur gestoppt wird, damit die Linienbusse an allen anderen vorbeiziehen können.

Auf dem Parkplatz dirigieren durchsetzungsfreudige Herren in grellen Westen nicht nur die Parkplatzsuche. Kaum ausgestiegen werden wir mit „Bus, english, deutsch, espagnol, this way! This way!“ vom Umschauen abgehalten. Der Bus startet kurz darauf zu atonaler futuristischer Musik, die gut in die grandiose Landschaft passt. Dann rauscht es und der erste spanische Text lässt die Schlüsselwörter erraten, der englische bestätigt das. Beim deutschen Text winken wir mental ab, wissen wir doch alles längst. Was der Text nicht bietet, ist die Erklärung, warum der Bus plötzlich stoppt. Aber wir lernen schnell, dass da dann etwas besonders Spektakuläres rechts oder links zu sehen ist. Die Busfahrt zieht sich unendlich langsam durch die umwerfende Landschaft. Unendlich langsam ist gut, denn die Straße ist einspurig und die Straßenführung nichts für Menschen, denen beim Autofahren leicht schlecht wird. Wer schon in den Alpen beim Kurvenfahren Schwierigkeiten hat, sollte hier am Besten die Augen zu machen. Wie der ältere Herr neben mir, der seine nur an den Stopps aufmacht.

Irgendwann – mit der Wiederbesiedlung der Einöde durch Flechten und Insekten – hört die Informationsschleife auf, es kommt nur noch Musik. Atonale, düstere Musik. Die aber just in dem Moment, als der Bus auf schmalstem Grat zwischen zwei steilen, schier bodenlosen Kratern rechts und links durchfährt, zu einem barock schmetternden „Requiescat in Pace“ wechselt, sehr beruhigend. Das Requiem geht dann über in die ersten Töne von „Also sprach Zarathustra“ und ich erwarte um die nächste Kurve den Höhepunkt der Tour, den Krater der Krater, lebendiges Höllenfeuer. Mindestens.

Was kommt hinter der nächsten Kurve, sind dann Parkplatz und Restaurantgebäude, etwas enttäuschend. Dafür bekommt der Busfahrer die volle Punktzahl fürs Timing. Mit der letzten Note steht er vor der Mauer des Gebäudes und stellt den Motor aus.

Den Rest der Touristenbespaßung (Wasser bzw Gestrüpp, das in ein Erdloch gegossen bzw geworfen wird und in Dampf und Rauch aufgeht) sparen wir uns, die überm Vulkan gegrillten Hähnchen auch, denn wir wollen unser Glück ausreizen. Tatsächlich ist der Parkplatz vor dem Besucherzentrum fast leer. Unser Timing ist gut, kurz darauf kommt in charmantestem Spanisch-Deutsch durch die Lautsprecher, dass in Kürze im Keller ein Vulkanausbruch stattfinden wird – auf Deutsch. Trotz dieser beängstigenden Ankündigung begeben wir uns in den Keller, wo unter wildem Grollen und Beben die Felswand aufbricht und LED-Lava herabfließt.

Der Boden erbebt, Tiere blöken in Panik, Kirchenglocken läuten, aber der überwältigende Eindruck ist das Fauchen und Grollen der Erde, zu dem dann das Zischen kommt, als die „Lava“ das Meer erreicht.

Wir sind gebührend beeindruckt.

Den Rest des Tages verbringen wir in Golfo. Erst an der „Grünen Lagune“, eher enttäuschend, dann auf dem Anfangskilometern der „Ruta Littoral“, absolut spektakulär, schließlich auf der Terrasse des Caleton, sehr lecker.

Morgen besteigen wir dann die Caldera Blanca. Mal wieder…

Undercover unterwegs

„Seltsam“, nickt die Rezeptionistin, „um diese Jahreszeit regnet es sonst nie!“ Wir nicken auch, verschweigen aber schuldbewusst, dass wir es sind, die den Regen wie magisch anziehen.

Unter einem versöhnlichen Regenbogen „planen“ wir den Tag. Dieser Plan sieht die Ersteigung und Umrundung der Caldera Blanca vor, die Nummer-1-Top-Must-do-Wanderung auf Lanzarote. Allerdings wollen wir keinesfalls in Sturm und Regen exponiert um einen Kraterrand laufen. Das ist der Plan, den wir fürs Scheitern anbieten.

Unter der Hand, undercover sozusagen, arbeiten wir an etwas, dass wir eine Alternative, einen Vorschlag, Option, Dingens nennen, alles nur nicht einen Plan. Dieses Dingens könnte eine Umrundung der Montana Colorada enthalten, weil es da Lavabomben gibt, die Monsieur sehen möchte. Die Wanderung ist kurz, eine knappe Stunde, das trauen wir uns im strömenden Regen zu. Das Hotel hat eine Sauna, da werden wir wieder warm werden zur Not.

Sollte der Regen ein Einsehen haben, geht hinter dem Vulkan eine zweite Wanderung los, die nicht eine, nicht zwei – nein ganze vier Vulkanumrundungen anbietet und an die drei Stunden erfordert. Mal sehen, was das Wetter uns ermöglicht. Monsieur hat schon die GPS-Tracks auf Handy geladen, für die Caldera Blanca natürlich – und heimlich auch für die Dingens-Alternative.

Wenig später stehen wir in Regen und Sturm auf dem Lehrpfad um die Montana Colorada und lesen, dass Lanzarote so karg sei, weil es hier keine Niederschläge gebe, nur die Luftfeuchtigkeit der Passatwinde. Wir schauen in die prasselnde Luftfeuchtigkeit und kommen uns schon etwas verschaukelt vor. Monsieur fotografiert seine Lavabomben und verstaut dann den Fotoapparat im Rucksack, um ihn vor der Nässe zu schützen.

Der Regen lässt etwas nach und wir entscheiden uns die Alternative zu wagen. Damit ändert sich vieles: wir verlassen den breit angelegten Lehrpfad und laufen über ein fast Weg-loses scharfkantiges Lavafeld. Der Sturm beutelt uns, bläst aber auch den Regen fort. In die Landschaft getupftes Grün zeugt vom Überlebenswillen der Natur und zeichnet schöne Kontraste zu den abweisenden Lavafeldern. Der Weg ist kaum noch zu erkennen, wir orientieren uns an Steinmännchen. Zweimal müssen wir umkehren und es anders versuchen, weil sich die angepeilten Steinmännchen als hochkant erstarrte Lavagebilde entpuppen.

Dann kreuzt unter dem nächsten Vulkan plötzlich ein breiter Fahrweg, Zugang zu den Steinbrüchen, die der Mensch großflächig in die Flanke des Berges gerissen hat, um den in deutschen Gärten so beliebten (oder verhassten, je nach Standpunkt) Kiesschotter abzubauen.

Die Wege bringen uns um Vulkan drei und vier herum, bis wir vor der Caldera de Santa Catalina wieder etwas ratlos auf eine riesige zerrissene Ebene schauen. Der erste „gefundene“ Weg entpuppt sich als Sackgasse, der zweite auch, der dritte Versuch gelingt Monsieur, Handy in der Hand. Vorwärts kommen wir dann doch nicht, zu häufig bremsen wir uns selbst aus mit einem „Hast du das gesehen?“ oder „Schau dir mal die Farbe an!“

Einen Kilometer vor dem Ende stoßen wir wieder auf Weg und Spuren, große Pfeile aus Lavabrocken gelegt, die den Einstieg in die Einöde zeigen, aus der wir gerade kommen. Sieht so aus, als seien wir die Wanderung „falsch herum“ gelaufen.

So, das war die Dingens für heute.

Und morgen, da machen wir die Caldera Blanca Wanderung.

Das ist der Plan.

Offiziell jedenfalls…

C’est dur, la culture

Sagt der ältere Herr vor mir zu seiner Frau, während er sich an zwei Stöcken die letzten von gefühlt hundert Stufen zum Ausgang vom Jameos del Agua hocharbeitet. Ich kann ihm nur zustimmen und auch Monsieur hat nun genug von dieser Art von Kultur und drängt auf ein bisschen „art de vivre“, ein gepflegtes Getränk auf der Terrasse eines netten Restaurants, bitte gerne am Meer, und nein, ein weiteres von César Manrique gestaltetes Museumscafé mit Selbstbedienung fällt nicht unter diese Kategorie. Weshalb wir eine gute Stunde – und einigem hoffnungslosen Suchen in ausgestorbenen Ferienorten – später in einer der verwinkelten Gassen von Teguise Platz nehmen. Kein Meerblick, wie gewünscht, aber immerhin auch kein César Manrique, das ist doch schon mal was.

Vielleicht sollten wir anfangen, zu planen etwas nicht zu tun. Wie: nicht zum Besucherzentrum des Nationalparks zu fahren, nicht die obligatorische Führung zu machen, nicht mit der Bustour zum „Feuerberg“ zu fahren. Vielleicht klappt das ja dann.

Heute Morgen kreisen wir – und ein Dutzend anderer – wie die Geier um den Parkplatz des Besucherzentrums. Nach der x-ten Ehrenrunde ist Monsieur es leid, setzt den Blinker und biegt zurück auf die Straße. Gibt Gas und wendet sich an mich: „Und was kannst du für heute sonst noch vorschlagen?“ Einerseits ist das ja ganz lieb, dass er so viel Vertrauen in mich hat, andrerseits komme ich mir nun wie eine zweitklassige Zauberin vor, die nach einem missglückten Zaubertrick jetzt irgendetwas aus dem Zylinder ziehen soll. Ich schaue mir mental meine Kaninchen an (Top Ten von Lanzarote, danke Internet) und ziehe Haria aus dem Hut, hübsches Städtchen, gelegen im grüneren Norden, Sitz des César Manrique Museums. Und wenn wir schon mal im Norden sind, hätte ich da noch das eine oder andere Kaninchen, das verängstigt aus dem Zylinder nach oben schaut. Jetzt aber bloß nichts planen, wer weiß, was passiert.

Was passiert, ist, dass Monsieur in Teguise meint: Lass uns doch mal aussteigen, das alte Kirchlein anschauen.

Das erste, was uns über den Weg läuft, ist jedoch der Covento mit durch die Tür erspähbarer prachtvoller Architektur. Aber nein, sagt die Dame, das sei nicht die Kirche, das sei das „museo“. Sakrale Kunst für zwei Euro, das leisten wir uns. Zwanzig Minuten und einige lästerliche Bemerkungen später sind wir uns einig, über die Kunst zu schweigen, dass aber die monumentale Holzdecke und die exquisiten Schnitzereien durchaus den Besuch wert waren. Besonders, wenn man sie mit dem Gips-Barock der eigentlichen Kirche vergleicht, die dafür wiederum sehr schön von außen anzusehen ist. Was uns begeistert, sind die Plätze und Gässchen von Teguise, so dass wir dort sehr viel Zeit verschlendern.

Das ist gut so, denn in Haira springt für uns so gar kein Funke über beim Spazieren durch die Stadt. César Manriques Anwesen ist natürlich sehr schön, in seinem strengen Garten aus schwarzem Sand und riesigen Palmen. Die Wohnräume (Fotografierverbot) strahlen den Reichtum seines Künstlerlebens aus, was mich aber begeistert sind die Badezimmer, zwei an der Zahl, beide in einer Art Wintergarten, beide mit Pflanztrögen hinter der Badewanne. Im einen sitzen majestätisch große Kakteen (nicht zu ausgiebig räkeln in der Wanne, bitte), im anderen hangeln sich üppige Monstera-Blätter die Wand hoch. Ja, das hat was.

Wir verlassen Haira dann doch sehr schnell wieder und streben auf einem schmalen Sträßchen mit sehr vorsichtigem Kreuzen anderer Autos dem Mirador del Rio zu. Der Rio, den wir wenig später bewundern können, ist kein Fluss, es ist die Meerenge zwischen Lanzarote und La Graziosa. Der Mirador sieht aus wie eine gewaltige von César Manrique umgestaltete Lavablase: runde, organische Formen, fast durchgehende Glasfronten, Kunstobjekte an den Wänden, ein riesiges Metallmobile an der Decke, einfach umwerfend. Und der Apfelkuchen, den Monsieur von der Selbstbedienungstheke abholt, ist auch richtig gut.

Die nächsten Kaninchen finde ich auf der im Handschuhfach halb vergessenen Karte, die uns ein freundlicher Mensch am Airport überreicht hatte. Wir empfanden den Titel der Karte „Lanzarote CACT“ zwar als etwas seltsam, finden aber schnell heraus, dass das mit Art und Cultura zu tun hat, also durchaus unser Interesse trifft. Weshalb wir ihrer Empfehlung folgen zur Cueva des los Verdes, die sich als ein riesiger Lavatunnel entpuppt, entstanden vor 20000 Jahren. Sieben Kilometer erstreckt er sich von der Montana Corona (ja!) bis unters Meer.

Wir erlaufen und ersteigen davon nur einen einzigen, den aber in beeindruckender Schönheit. An manchen Stellen ist der Gang 27 Meter hoch, unterschiedlich erkaltete Lavaströme zeichnen mäandernder Schichten an die Wände. In einer dieser hohen Höhle ist eine Konzerthalle eingerichtet, wegen der einzigartigen Akustik, erklärt die Führerin. Es gäbe kein Echo, sagt sie und klatscht zum Beweis in die Hände. Dass das Baby in der ersten Reihe begeistert zurückklatscht, unterminiert etwas die Beweisführung.

In einer anderen Höhle bricht der Tunnel in schaurige Tiefen ab, nur durch ein niedriges Mäuerchen vom Weg abgegrenzt. Wir schauen in den Schlund und sollen nun ganz still sein, sagt die Führerin, bevor sie einen Stein in die Tiefe wirft. Ganz genau hinhören sollen wir, ob wir den Aufprall in der Tiefe hören. „Das ist doch ein Wasserspiegel,“ flüstert Monsieur mir ins Ohr, Sekundenbruchteile, bevor der Stein die Oberfläche durchbricht und um mich herum überraschtes Gelächter aufkommt. Wir warten noch ein paar Augenblicke, bis das Wasser wieder glatt ist und schauen staunend in die Tiefe, die perfekte Illusion.

Der Lavatunnel ist beeindruckend in seiner kantigen Vielfalt, der schieren Größe, seine Fortsetzung in der Jameos del Agua etwas enttäuschend. Ja, die mit Wasser gefüllte Einbruchhöhle des Lavatunnels ist überraschend in ihrer Lieblichkeit. Die von César Manrique gestaltete Umgebung passt sich – bis auf den blendend-weißen Swimmingpool – gut ein, aber alles in allem ist es uns am Ende des Tages zu voll, zu überlaufen. Die eigentliche Hauptattraktion ist winzig: kleine blinde Krebse in der Lagune, einzigartig auf der Welt. Es ist schon faszinierend, dass man mit etwas so Winzigem ein so riesiges Geschäft machen kann.

Wir kämpfen uns schlussendlich etwas enttäuscht hinter dem älteren Herrn die Treppen auf der anderen Seite hoch, wo eine von César Manrique gestaltete Bar mit Meerblick lockt, allerdings auch mit Selbstbedienung, was Monsieur natürlich ablehnt.

So, für morgen machen wir keine Pläne. Mal sehen, was dann passiert.

Grandios gescheitert

Zum Glück gibt es da ja so ein Internet. Mit dessen Hilfe und ein paar erinnerten Stichworten finden wir eine der Wanderungen aus dem verschollenen Führer, ansatzweise zumindest. Diese geht von einer Busstation an der Marina von Playa Blanca los, vorbei an riesigen Hotelkomplexen und geklonten Ferienhausreihen zum Playa des mujeres, folgt der Küstenlinie bis zur Punta del Papagayo, um auf dem gleichen Weg kehrt zu machen. Wir haben ein Mietauto und beschließen bis zum ersten Strand zu fahren und dafür etwas länger der Küste zu folgen, ein paar Strände und Buchten weiter bis zur Caleta Larga, von wo ein Fahrweg quer über die Hochebene zurück zum Parkplatz führt. Wieder an der Punta angekommen gibt es eine Pause mit Mittagessen in einer der zwei kleinen Bars dort. So ist zumindest der Plan. Aber wir sind da offen, denn unsere Pläne haben die Tendenz, sich nicht an unsere Pläne zu halten.

Deshalb stoppen wir auch erst einmal bei einem freundlichen Dinosaurier, um zu erstehen, was ein asiatischer Führer „mother Nature’s packed lunch“ nannte. Unter dem Logo eines grinsenden Sauriers im HyperDino-Mercado erstehen wir hygienisch vorgepackte gelbe Kraftpakete, eine Handvoll Bananen. Wenig später stehen wir, Ende März und Vorsaison, in der Warteschlange vor der Mautstelle zum Strandparkplatz. Drei Euro werden kassiert für die Nutzung des Schotterweges zu den diversen Stränden. Ich weiß nicht, wofür sie die drei Euro einsetzen, für den Erhalt der Straße bestimmt nicht. Wir haben einen Kleinwagen gemietet und einige der Schlaglöcher sind schon beängstigend groß und tief. Monsieur kurvt und kurbelt, ich schimpfe. Wir sind so konzentriert auf die „Straße“, dass wir die Abzweigung zum Strand zu spät sehen. Wenden ist in der langsamen Karawane, in der wir uns bewegen, nicht möglich, also fahren wir, kleine Planänderung, direkt zum Parkplatz an der Punta.

Wenig später stehen wir auf dem Aussichtspunkt an der Spitze Lanzarotes, in den Wind geneigt, mit knatternden Jacken und bestaunen die riesigen Sandstrände. Nicht die der Punta, die sind eher niedlich. Direkt vor uns liegt Fuerteventura, zum Greifen nah. Ein Kreuzfahrtschiff und eine riesige Autofähre begegnen sich kurz in der Meeresenge, bevor ein jedes Schiff langsam seiner Wege zieht.

Wir ziehen nun auch unserer Wege, wie geplant kurz an den Klippen entlang, dann hinunter ans Meer zum Strand, wo uns  die Ebbe es leicht macht, über den Sand zu stapfen. Der Weg steigt wieder an auf die Klippen (59 Meter über dem Meer steht auf einem einsamen Wegweiser) und dieser Rhythmus setzt sich fort, bis zur Caleta Larga. Die Hochebene ist von schroffer öder Schönheit, kein Baum, kein Strauch, nur graubraunes Lavageröll. Was sich an Grün festklammern kann in dieser Einöde, wird vom Wind in bizarre Formen gepeitscht. Es erinnert in seiner strengen Anmutung an japanische Zen-Gärten.

Die Fahrstraße entpuppt sich als in der Natur fast nicht sichtbare Spur, der wir eine Weile folgen, bis wir am Horizont die Straße sehen, auf die wir stoßen wollen, Auto an Auto, Staubwolke an Staubwolke. Das sieht nicht sehr verlockend aus. Also schneidet Monsieur kurz entschlossen links durch Geröll und Gestrüpp ab, auf den nächsten Strand zu. „Und wieder ein Plan, den wir grandios scheitern lassen,“ murmele ich. Monsieur dreht sich um und nickt strahlend: „Da sind wir richtig gut drin, nicht?“

Der nächste Plan scheitert an den beiden Bars. Die eine gewährt Einlass nur mit vorgezeigter Anmeldung, vor der anderen steht schon eine lange Warteschlange. Also statt des geplanten Mittagessens ein kleines gelbes Kraftpaket.

Dafür haben wir nun natürlich viel Zeit, neue Pläne zu schmieden. An der Küste entlang zu trödeln, bis eine Vollsperrung uns zum Umkehren zwingt. Die Salinen zu bewundern, von oben nur. Nicht herunter zu steigen, das ist nicht der Plan.

An sturmumtosten Klippen den rechten Moment für ein spektakuläres Gischt-Foto abzupassen. Um Sekunden später lachend und nass zurückzuspringen, weil das Meer eine Zugabe gibt.

 In dem kleinen Restaurant dort drüben auf der Terrasse einen Kaffee zu trinken.

Das zumindest ist der Plan. Der grandios scheitert, als wir die phantastische Speisekarte sehen.