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Freuden und Leiden der Archäologie

Museen finde ich einfach nur toll. Kühl, wenn es draußen heiß ist, trocken, wenn es draußen regnet. Aber nicht nur das. Es gefällt mir, dass andere Menschen sich Gedanken gemacht haben, wie sie mir zeigen können, was sie wichtig und erhaltenswert finden, was sie selbst lieben und mit anderen teilen möchten oder was sie ganz einfach schön finden. Das mag das kleine Zwei-Räume-Museum in der Mühle der Urgroßeltern sein oder die gigantischen Hallen des China Agriculture Museums, der einzige Ort in der Millionenstadt Peking, an dem wir wirklich mutterseelenallein waren. Mal abgesehen von den toten Fliegen in den leicht verstaubten Schaukästen.
Ganz besonders mag ich Museen mit einem Sinn für Humor. Wie etwa in Trier, wo neben der Goldpracht des millionenschweren Münzfundes auch der schnöde Plastikeimer ausgestellt ist, mit dem die perplexen Baggerfahrer den Goldsegen auf der Abraumdeponie erstmal einsammelten. Wie in Genf, im „ausgestopften Museum“ zur Naturkunde, wo sich ein Steifftier zwischen präparierten Artgenossen tummelt.
In Brugg ist das Ausstellungsstück etwas größer und im Kellergeschoss zu bewundern.
In den beiden oberen Stockwerken des sehr pompösen 1890er Baus zeigten stolze und reiche Bürger die stolzen und reichen Funde ihrer dito Geschichte. Zu den Waffen und Ausrüstungen der wohl größten Römer-Garnison der Schweiz kommen die Funde zu den Handwerkern, die dafür sorgten, dass die Soldaten gut gerüstet waren. Filigranste Glasfläschchen lassen auf einen gewissen Luxus schließen. Römische Spielbretter laden ein, die Freizeitgestaltung nachzuspielen. Allerdings ist auch die Existenz anderer, mit gewissen finanziellen Transaktionen verbundener Aktivitäten belegt. Dazwischen immer mal wieder seltsame Holzkisten mit Zahlenschlösser und Zetteln mit geheimnisvollen Codes.


Die Lösung dieses Rätsels gibt es dann im Keller. Besucher können sich auf ein Rollenspiel einlassen, bekommen mit der Rolle die entsprechenden Kittel zugeteilt und damit, ob sie ausgraben, analysieren, konservieren, am Computer vermessen und katalogisieren oder letzendlich als Museumsleitung entscheiden, ob der gefundene, konservierte und katalogisierte Fund in die Museumsvitrinen kommt. Das alles begleitet von Fragebögen mit Aufgaben, deren Antworten helfen, den Code der Zahlenschlösser zu knacken, worauf die Kisten unerwartete Ausblicke auf verborgene Schätze geben.
Der ganze Keller des Museums ist also ein einziger großer Archäologie-Abenteuer-Spielplatz. Komplett mit Erdhügeln zum Graben und Finden, Laboren zum Reinigen und Konservieren, Computerterminals, Druckern und und und…


Dazwischen das wohl kurioseste Ausstellungsstück: ein Dixie-Klo.
Schon oben in der Ausstellung gab es Vitrinen mit dem Untertitel „… oder kann das weg?“. Ein ganzer kleiner Hügel von wertlosem Gedöns, der in seiner Anhäufung nur zu deutlich machte, dass Archäologenleben weitgehend von Enttäuschungen geprägt ist, bevor der Pinsel das eine, das einzigartige Fundstück freilegt.


Im Dixie-Klo vermittelt uns dann ein Audio-Dokument einen weiteren Aspekt der mit den Grabungen verbundenen Freuden und Leiden der Feldarbeit der Archäologie.
Den hatte ich in meinen gelegentlichen Archäologie-Träumen überhaupt noch nicht bedacht.
Also wieder etwas gelernt heute.
Leider…

Sehr frei nach Robert Gernhardt/ Feu ô lac

Drohnen find ich sowas von beschissen,
so laut, aggressiv, irgendwie nicht gut;
es macht mich ehrlich richtig krank zu wissen,
daß wer Drohnen fliegt. Daß wer den Mut

hat, heute noch so’n dumpfen Scheiß zu bauen;
allein der Fakt, daß so ein Typ das tut,
kann mir in echt den ganzen Tag versauen.
Ich hab da eine Sperre. Und ne Wut…

Gut, der Herr Gernhardt lässt sich über Sonette aus und wird noch sehr viel expliziter in seiner Sprache.

Ich finde aber, sein Gedicht passt auch ganz gut auf Drohnen, besser gesagt zu Drohnen-Fliegern, die den Mut, die Unverfrorenheit haben, anderen den Tag zu versauen. All den Wandervögeln, die gemütlich vespernd am Quellsee einer Levada auf Madeira sitzen, das Gesicht im stillen Genuss der Sonne zu gewandt. Bis einer seine Drohne auspackt und es vorbei ist mit der Stille. All den Wanderern, die auf der Plaine des palmistes im Cirque de Salazie eine kurze Rast einlegen, bevor sie weiter in den Talkessel absteigen. Ein bisschen Kraft sammeln, eine kleine Ruhepause einlegen. Bis einer seine Drohne auspackt und es vorbei ist mit der Ruhepause.

Und auch, wenn es nur Monsieur und ich sind, die händchenhaltend auf dem Burgturm hoch über dem Flusstal stehen, so wird uns die ganze Romantik versaut, wenn so eine Riesenhornisse bedrohlich laut, aggressiv und aufdringlich um uns herumschwirrt. Wie gesagt, einzelne Drohnen, die mich umschwirren, find ich irgendwie nicht gut…

Beim Feu ô lac sind es 1300 Drohnen. Über tausend Drohnen, die mit ihren Lichtern Bilder schaffen, die „Neptune“ als Geisterschiff aus Irrlichtern über den See gleiten lassen. Bilder, die sich aufbauen, verweben, tanzen, bewegen, um den farbig leuchtenden Jet d’eau herum.

Und das ist dann natürlich etwas ganz anderes!

Feu ô Lac

Ach, Annette!

Die Windböen zerren meine Haare in alle möglichen – und einige schier unmögliche – Richtungen und ich muss an Annette von Droste-Hülshoff denken, die „einem artigen Kinde“ gleich, nur heimlich ihr Haar flattern lassen darf im Winde. Als ich das Gedicht zum ersten Mal gelesen habe, war ich voller Zorn und Empörung auf die Gängelung, die Unterdrückung, die Ungerechtigkeit. War unzufrieden mit der Welt und ihren Normen, aber auch mit Annette, die „nur heimlich“ wagte, aufzubegehren und sich aufzulehnen. Ach, Annette! Heute hat sie mein Mitgefühl und eine gewisse erleichterte Dankbarkeit, dass zumindest mir keiner vorschreibt, ob und wann der Wind mein Haar zersauseln kann. In all diesen poetischen Gedankenkuddelmuddel hinein klopft mein Unterbewusstsein an, klopft nochmal an und spricht und ist so stur, dass ich irgendwann hinhöre und mir etwas klar wird.

Das ist dann der Moment, in dem die ganze Wilde-Haare-Poesie den Bach runtergeht und ich Monsieur, der vor mir radelt, zurufe, dass ich wohl irgendwo meinen Fahrradhelm habe liegen lassen. Monsieur – ganz der Gentleman – schlägt vor, dass er zurückfährt und sucht.

Das möchte ich aber nicht. Erstens habe ich es vermasselt und sollte es nun auch „entmasseln“. Zweitens wollen wir mit dieser kurzen Tour antesten, wie Monsieurs vor sechs Monaten gebrochenes Bein auf Radfahren reagiert, da muss er keine Extratouren fahren.

Monsieur – nun ganz der Genießer – akzeptiert mit einem „Dann setze ich mich solange in die Sonne.“

Mein Helm wartet ruhig und entspannt auf mich in L’Abbaye, wo wir eine kurze Pause gemacht haben, um diese kleine Mogelpackung zu bestaunen. Von der ganzen namensgebenden Abtei steht neben dem Turm nämlich nur noch ein einzelner Spitzbogen, der allerdings sehr romantisch am Seeufer. Das hat den großen Vorteil, dass man den hässlichen Klotz der Nobeluhrenschmiede im Ort nicht sehen kann. Andere noble Namen kreuzen unseren Weg auf dieser Radtour rund um den Lac de Joux, Kernland der „Haute Horlogerie“, der hohen Uhrmacherkunst. Ein kleiner Blick – völlig neidfrei – ins Internet zeigt, dass unsere ersten drei Autos – zugegebenermaßen alt und gebraucht gekauft – weniger gekostet haben – zusammen – als ein Einsteigermodell dieser noblen Unternehmen.

Mit Helm – und ohne flatternde Haare – mache ich mich ein drittes Mal auf die Strecke von L’Abbaye nach Le Sentier, im Hinterkopf die Warnung von 17tobak auf der Informationstafel an der Abtei: man solle sich nicht ohne Waffe auf diesen Weg begeben, da es ein Wolfsland sei, in dem es zudem nur so von Bären wimmle.

Die Schweiz hat wohl eher Angst vor anderen Feinden, dass sie quer durch die Landschaft vom See zum romanischen Turm diese Panzersperren baut, die aber in der Romandie eher verniedlichend nur „Toblerone-Linie“ genannt werden.

Auf der anderen Seeseite bedarf es dieser Sperren nicht, da spielt der See „Lofoten“, was uns heute Morgen zu der Erkenntnis bringt, dass eine Tour rund um einen See herum nicht unbedingt nur radeln im Flachen bedeutet.

Monsieur, der völlig ahnungs- und somit wehrlos in der Sonne sitzt, wartet aber von Bären und Wölfen unbeschadet auf mich und wir schließen den Rest der Rundfahrt ab. Über die Straße, denn der Holzsteg, der durch die sumpfigen Uferzonen des Lac de Joux führt, ist nur für Fußgänger freigegeben. Das führt natürlich zur Planung für den nächsten Tag, die einen lockeren Wechsel von Auto, Rad und Wanderschuhen vorsieht, für den Vormittag.

Und dann spricht Monsieur das Zauberwort: „Romainmôtier“, verbimst es aber sofort mit der prosaischen Ansage von 600 Höhenmetern.

Mal sehen, aber ich glaube, das wird nichts, jedenfalls nicht mit dem Rad.

Bergwertung – andersrum

Sachzwang? Ist vielleicht ein zu großes Wort. Aber nachdem Monsieur mit unserer zeitweiligen Mitbewohnerin abgeklärt hat, dass ein drittes Fahrrad durchaus in den Kofferraum meines Kombis passt, sind wir ja nun fast schon gezwungen, etwas zu unternehmen. Wo es schon mal hinten drin ist.

Zum Glück hatte ich da ja schon etwas vorbereitet, wenn auch nur für zwei Räder auf dem Fahrradträger.

Also fahren wir in die Schweiz, hoch zum Col de Marchairuz, hinter dessen Scheitelpunkt sich die Combe des Amburnex ausbreitet. Ein wunderschönes Jura-Hochtal mit satten Almwiesen, uralten Bruchsteinmauern und – ganz wichtig – dem ein oder anderen bewirtschafteten Chalet. Die Combe hat den kurzfristigen Vorteil, dass sie erst mal im sanften Schwung bergab läuft. Der Plan ist, ihr etwa eine Stunde zu folgen, eine schöne Almbeiz für die Mittagpause zu finden. Dann kommt der langfristig nicht zu leugnende Nachteil des deutlich anstrengenderen Rückwegs bergauf.

Radfahren wird zur Idylle. Nun gut, da gibt es diese Schilder. Schilder, in drei Sprachen. Sie warnen Wanderer und Radfahrer davor, dass wegen der Gegenwart von Wolfsrudeln die hier frei und wild lebenden Kühe kampfbereiter wären als ihre Artgenossen. Diese Aussage ist auf so vielen verschiedenen Ebenen beunruhigend, dass wir sie erst mal ignorieren. Das geht so lange gut, bis dann die vierbeinigen Straßensperren kommen. Herden von kastanienbraunen oder schwarzglänzenden Kühen, die unser Herannahen durchaus interessiert betrachten, erst im allerletzten Moment nonchalant aus dem Weg treten, der Klügere gibt nach, ihr versteht. Bis auf die Mutterkuh, deren Kälbchen gerade frühstückt. Da sind wir diejenigen, die einen ganz weiten Bogen um die zwei schlagen.

Wir kommen zu der Stelle, wo links die Veloroute 7 bergab nach Nyon führt und es rechts hoch zum Chalet des Pralets geht. Der Weg rechts ist geschottert, mit weiteren Straßensperren – und deren Hinterlassenschaften – versehen, das Chalet und das Rösti einfach und „währschaft“. Der Blick auf die kuscheligen Fellknäuel auf der Wiese unten drunter begeistert nicht nur die Familien, die ihre Kinder kaum vom Zaun wegbekommen können. Nein, nein, wir haben uns nicht nach Tibet verfahren, die Yaks weiden wirklich auf Schweizer Jurawiesen.

Wir sitzen in der Sonne, genießen die Pause und fangen langsam an, uns vor dem steilen und anstrengenden Rückweg zu fürchten. Bis wieder einer mit so einer „Wir könnten doch“-Idee kommt. Die Veloroute 7 kreuzt in Genolier die Veloroute 50 nach Genf. Die kennen wir und wissen, dass sie in Crassier auf die Voie Verte nach Divonne stößt. Von Divonne aus gibt es die französische Voie Verte bis fast nach Hause. Die sind wir bisher immer nur andersrum gefahren, aber ich glaube, das kriegen wir hin. Zwei Frauen schauen Monsieur begeistert an. „Wir fahren nach Nyon, du zurück zum Auto und kommst uns dann irgendwo abholen.“ Monsieur lässt mir ja viel durchgehen, aber hier sagt er einfach nein. Wenn wir fahren, dann will er bei dem Spaß dabei sein.

So kommt es, dass wir kurz darauf die Jurahänge hinuntersausen, fast so schnell wie die Tour de France Bergwertung bergauf – nur eben andersrum. So etwas könnte mich richtig euphorisch machen – der Rausch der Geschwindigkeit, gewissermaßen -, wenn ich nicht so viel Furcht vor meinem eigenen Tempo hätte. Die paar Kilometer mit dem frischen Rollsplitt – das hätte nun wirklich nicht sein müssen – bremsen mich dann völlig aus. Wie schon mal erwähnt: das ist keine Angst, das ist einfach viel zu viel Phantasie meinerseits. Ich kann mir nur zu lebhaft vorstellen, was da alles passieren kann.

Trotzdem ist es berauschend schön. Wir „rasen“ bergab durch Jurawälder, wir sausen durch Weinberge, durch Wiesen und Felder. Der heftige Wind beutelt uns gelegentlich, Bäume werden durchgeschüttelt, Getreidefelder bewegen sich wie Brandung. Bauern mähen Gras, umkreist von Raubvögeln in großer Höhe. Bevor das ganze aber zu idyllisch-kitschig werden kann, kommen in Gingins von meinem Vorderrad schlapp-schlapp-schlappende Geräusche.

Dann heißt es nicht mehr, wieviel Kilometer oder wieviel Stunden sind es noch? Die Einheit, mit der wir messen, ist eine andere. Mit wieviel Aufpumpstopps kommen wir nach Hause? Es werden fünf, viel weniger als befürchtet.

Zuhause, da müssen wir dann gleich nochmal los, um mein Auto oben im Jura abzuholen. Ganz einsam und verlassen steht es auf dem Wanderparkplatz im hellen Licht des frühen Abends. Weit und breit ist kein Wolfsrudel zu sehen. Noch nicht…

Kunst in Zeiten der Corona

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Eine Kunstausstellung besuchen? In Zeiten von Corona?

Hast du da keine Bedenken? fragt die eine Freundin. Macht das denn überhaupt Spaß? die andere.

Im Rückblick kann ich mit einem bestimmten „Ein bisschen“ antworten.

Die Eduard Hopper-Ausstellung in Basel war fest für unsere nächste Deutschland-Tour als Zwischenstopp eingeplant. Unsere nächste Deutschland-Tour war fest für Ende März eingeplant – und dann schlossen sich erst die Grenzen und anschließend ganz Frankreich im confinement ein.

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Ab dem 9. Juni waren zwar in der Schweiz wieder die Museen geöffnet, die Grenzen jedoch nicht. Allenfalls ein ganz kleines bisschen. Erste Lockerungen ließen zu, im Transit durch die Schweiz zu reisen, wenn man zwei Bedingungen erfüllte. Man musste glaubhaft nachweisen können, dass man a) einen sehr guten Grund hatte nach Deutschland zu reisen und b) genügend Treibstoff im Tank hatte, um die Schweiz aus eigener Kraft wieder zu verlassen. Denn Zwischenstopps waren strengstens verboten. Weder zum Tanken, noch zur Tigerjagd. Und für einen Museumsbesuch schon gar nicht.

Die danach in Deutschland für uns vorgesehenen zwei Wochen Quarantäne machten das Ganze doch eher unattraktiv.

Also warteten wir die Öffnung der Grenzen ab. In der Zwischenzeit hatte „mein“ Rotkreuz-Museum auch wieder geöffnet und alle offiziellen und ehrenamtlichen Mitarbeiter über die eidgenössischen Richtlinien und Rahmenbedingungen zu Museumsbesuchen informiert. Information gibt im Allgemeinen Sicherheit, hier jedoch bringt die Vielfalt an Vorgaben und Einschränkungen ein bisschen Unsicherheit. Maskenzwang, E- ticket, am Boden markierte Leitlinien zur Lenkung der Besucherströme, das klingt nicht nach unbeschwertem Stromern, Schauen und Genießen.

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Es zeigt sich, dass das alles nur halb so wild ist in der Praxis. Ja, man soll seine Tickets im Netz kaufen und selber ausdrucken, um Schlange stehen zu vermeiden. Wir sind die einzigen auf der E-Ticket-Spur. An der traditionellen Kasse stehen etwa 20 Menschen, bei zwei Meter Abstand zwischen jedem eine beeindruckend lange Schlange.

Ja, es gibt vorgeschriebene Wege für den Zugang und den Ausgang, aber innerhalb der Ausstellungsräume kann man sich frei bewegen.

Ja, Masken werden empfohlen, aber nicht vorgeschrieben. Wir tragen sie in der Hopper-Ausstellung mit ihren gut besuchten Räumen. In der „Stille“-Ausstellung nicht, da sind wir allein.

Hoppers Bilder sind natürlich genauso geheimnisvoll unterkühlt wie eh und je, die Menschen gefangen in ihrer abgrundtiefen Einsamkeit. Beunruhigend, bei all der trügerischen Ruhe, die sie ausstrahlen. Für mich spielen sich die Geschichten, die diese Bilder erzählen, hinter der scheinbar glatten, gelegentlich sogar unbeschwerten Fassade ab.

Wenn ich dieses Bild sehe, habe ich direkt einen halben Tennessee Williams im Kopf.

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Das Bild heißt Noon und ich frage mich natürlich sofort, wieso steht die Dame da allein um Mittag im offenen Bademantel in der Haustür?
Hat sie gerade ihren Liebhaber verabschiedet? Erwartet sie ihn? Vergeblich? Wieviel Gin Tonic hat sie schon intus? Oder ist das noch der Hang over von gestern…

Kann natürlich auch sein, dass sie völlig alleine lebt und nur mal schnell den Hund hinausgelassen hat, wer weiß das schon?

 

Und das Bild, das hat uns auch ausgesprochen gut gefallen.

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Kleiner Nachtrag: Kunst in Zeiten von Corona ist befremdlich. Ein ganz kleiner Teil des Museumsbesuches ist für mich auch immer der Kunstrezeption bei der Arbeit zuzuschauen. Die schief gelegten Köpfe, das alberne Geflüster zweier Freundinnen, das Herangehen und Abstand Schaffen zum Bild, die kunstsinnigen Fingerzeige eines Paares vor einem Bild, das Lächeln, das Stirnrunzeln. Das geht natürlich durch Masken und social distancing teilweise verloren. Aber ich fürchte, das ist etwas, woran wir uns werden gewöhnen müssen.

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Viel seltsamer finde ich unseren ersten Restaurantbesuch in Deutschland, ein Ausfluglokal mit weitläufig platzierten Tischen unter mächtigen Kastanien. Schon vom Wanderparkplatz aus heißt es: Maskenzwang bis zum Tisch und für alle Gänge im Bereich des Lokals. Die Kellner tragen alle Schirmmasken und man erhält statt der Karte als erstes den Fragebogen zu den Kontaktdaten. Da tue ich mich ein bisschen schwer mit der Leichtigkeit des Seins.

20200620_134806_resizedDafür gibt es zum Espresso „schokolierte“ Espresso-Bohnen. Kannte ich bis dato auch noch nicht, weder die Bohnen noch das Wort.

 

 

 

 

 

 

Höllisch gute Schokolade

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Vor Jahren stand ich in Genf mal im Paquis, am Seeufer, am Bootssteg und wartete auf die Mouettes, die kleinen Boote, die wie Busse vom einen zum anderen Seeufer fahren. Meine Viererbande (1-7 Jahre alt) stand bzw. saß oder hing in ihren diversen Behältnissen zum Tragen und Schieben an, vor und neben mir.
Das Boot hielt und aus stieg eine schon etwas ältere Blondine mit wilder 70er Jahre-Walle-Mähne. Gut, ihr „Best by-Date“ war schon etwas überschritten, was durch viel Schminke wettgemacht wurde. Sie trug, passend zur Haarfarbe, einen weit schwingenden rotgoldenen Pelzmantel, der trotz High Heels fast bis zum Boden reichte.
In der Hand hielt sie zwei Leinen, an denen sie zwei riesige schwarzweiß gefleckte Dänische Doggen führte. (Die, nebenbei gesagt, farblich überhaupt nicht zum Pelzmantel passten.)
Mitten auf dem Steg begegneten wir uns. Ihr Blick ging über mich – Kinder, Jeans, Sweat-Shirt -, meiner über sie und jeder von uns beiden war deutlich anzusehen, dass sie dachte: „So?! Niemals!“

Und glücklich und zufrieden gingen wir unserer Wege…

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An diese Begegnung muss ich denken, als ich mit meiner Schulfreundin am Paquis stehe und auf die Mouette warte, die uns zum Port Noir bringen soll. Besuch von Freunden ist immer schön, ganz besonders dann, wenn diese Freunde Genf noch nicht (oder kaum) kennen. Da gebe ich mir Mühe, Genf von seiner besten, der Touristen-Seite zu zeigen. Das hilft gegen den latenten genervten Augenaufschlag meinerseits, weil „Genf“ für mich eigentlich nur Staus und rote Ampeln ist.

Mit einem Tagesticket der TPG ausgestattet, trödeln wir mit der 18er Tram zum Place de Neuve, wo uns die Linie 3, die uns den kleinen Aufstieg zur Altstadt abnehmen soll, gerade vor der Nase wegfährt, weil die Genfer Stadtwerke just zwischen den Tramschienen einen Handwerker im offenen Gulli versteckt haben. Der könnte nun ja den Kopf einziehen und der Tram die Weiterfahrt erlauben, aber so einfach geht das natürlich nicht.

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Auf der anderen Seite ist der Aufstieg in die Altstadt nicht wirklich anstrengend und so gehen wir durch schmale Gassen hoch zum Rathaus, wo sie stolz ein paar Kanonen ausstellen, die sie irgendwann den Österreichern geklaut haben. Gleich nebendran ist das Maison Tavel, Genfs ein bisschen über-restauriertes Stadtmuseum. Da interessiert mich eigentlich nur der dritte Stock, weshalb jeder Besuch dorthin geschleppt geführt wird. Dort gibt es nämlich ein Stadtmodell, das die kleine Altstadt inmitten ihrer riesigen Festungsanlagen zeigt, beengend schon beim Draufschauen. Das damit verbundene Lebensgefühl mag ich mir nicht vorstellen. Dass diese Festungswälle mit dem Beitritt Genfs zur Föderation überflüssig wurden, führte dann unter Herrn Fazy zu schönen Parks und Prachtboulevards im Genf des 19. Jahrhunderts.

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Nach so viel Mittelalter brauchen wir erst mal Römerzeit. Über die „Hühnerleiter“, eine schmale steile Treppenpassage, geht es zum Bourg de Four, der so etwas wie „die gut Stub“ Genfs ist.

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Dort, auf dem alten römischen Marktplatz, gibt es dann Cappuccino in der Sonne, bevor wir mit dem Genfer Sinn für Humor konfrontiert werden. Auf dem Weg zum See müssen wir erst durch die Fegefeuer-Straße zur „Rue de l’Enfer“, die aber ironischerweise eine von Genfs besten Chocolateries beheimatet. Interessanter theologischer Ansatz, das.

Wir genießen kleine Kostproben der höllisch guten Schokolade (sorry, der Kalauer musste jetzt sein!) und legen dann schützend die Hand auf unsere Taschen. Nicht, dass sich unsere Scheckkarten beim Anblick der Preise in den Nobelboutiquen und Uhrenläden zu sehr erschrecken.

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Unsere Vergnügen sind da doch eher preiswert. Mit unserer Tageskarte fahren wir von der Horloge Fleurie zum Paquis zum Port Noir zu Chateaubriand zu Port Noir zum Paquis zum Molard. Im Zickzackkurs hin und zurück über den See, vorbei am, ja fast unter dem Jet d’Eau durch. Das ganze bei strahlendem Sonnenschein – gute Laune-Doping!

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Das letzte Boot setzt uns am Molard ab und von dort sind es nur ein paar Minuten am Pont de la Machine und dem Rhone-Ufer entlang zum Place Bel-Air, wo uns die 18 einsammelt.

Ein schöner Tag in Genf, ganz ohne Staus und rote Ampeln. Letzteres liegt natürlich an der Tram. Die hat – so erzählt ein kleines Werbe-Video in der Tram – nämlich so ein kleines gelbes Männlein in Form eines elektrischen Funkens. Nähert sich die Tram einer Straßenkreuzung, spurtet dieses Männlein vor, klettert den Ampelmast hoch und stellt die Ampel so um, dass die Tram „Grüne Welle“ hat.

Dass klappt tatsächlich und ist somit wohl auch wahr. Oder? Sollten die TPG uns da ein Märchen erzählen?

 

Pass(t) schon

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Nein, das passt nicht, geht nicht, keine Chance. Nase an Nase stehen der Bus und ich in der Haarnadelkurve hinter dem Furkapass. Ich fahre ganz rechts ran, der Busfahrer schüttelt den Kopf. Ich klappe meinem Auto die Ohren ein, der Busfahrer schüttelt wieder den Kopf und macht dann so eine wedelnde Handbewegung, als ob er ein lästiges Insekt verscheuche. Ich bin zwar tief getroffen von der Geste, setze aber langsam zurück um die Kurve bis zu dem Wiesenstreifen, auf dem ein halbes Dutzend Kälber gelangweilt wiederkäuend das Ganze beobachtet.

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So etwas passiert schon mal, wenn man sich auf Alpenpässe versteift. Dabei ist das eigentlich reine Notwehr. Wenn wir schon fast einmal quer durch die Schweiz fahren, dann hätten wir da auch gerne ein bisschen Schweiz von der Schweiz. Nun ist die Strecke durch das Berner Mittelland aber eher – wie sage ich das jetzt – landschaftlich etwas herausgefordert, langweilig, nicht sonderlich „Schweiz“. Dass wir dieses Stück in der letzten Zeit häufiger fahren müssen, macht es auch nicht „unlangweiliger“. Bedenkt man außerdem, dass der traditionelle Zürcher Stau inzwischen schon fast im Mittelland anfängt, wird diese Autobahn für unsere Fahrt an den Bodensee immer unattraktiver. Was „attraktiv“ angeht, hat die Schweiz doch ganz andere Strecken anzubieten. Strecken, auf denen man spürt, dass man in der Schweiz ist, in den Bergen.

Bis Brig bezweifeln wir allerdings mehrmals, ob unsere Entscheidung für Furkapass und Oberalppass wirklich die richtige Wahl ist. Denn was diese Strecke durch das Rhonetal vor allem zu bieten hat, ist Landstraße ab Sion und darauf jede Menge Wohnwagen-Gespanne, Wohnmobile und LKWs.

Hinter Brig wird unsere Fahrt dann doch noch so Bilderbuch-Schweiz, wie ich mir das beim Planen vorgestellt habe. Da biegen sehr viele zum Simplonpass ab und wir kommen in die Wohnwagen-Gespann-freie Zone. Durch Orte mit diesen wunderschönen, von der Sonne schwarz verbrannten Holzhäusern. In manchen Dörfchen stehen sie so hoch und so nah an der schmalen Straße, dass sie uns etwas einschüchternd über die Schulter schauen. Dazwischen die kleineren Holzscheuern, erst auf massive Pfosten gesetzt, um den Nagern das Erreichen des kostbaren Gutes zu erschweren. Zwischen den Holzpfosten und dem Scheunenboden liegt dann eine massive überkragende Steinscheibe, um es noch ein bisschen schwieriger zu machen. Bei so viel menschlicher Findigkeit muss ich immer lächeln, denn ich würde zu gerne wissen, was die Mäuse diesen Ideen entgegengesetzt haben.

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Wir folgen der immer schmaler werdenden Rhone, die milchigweiß über riesige Felsbrocken tost.

In Gletsch fürchten wir uns ein bisschen vor den falschen Haarnadelkurven. Nachdem das Navi uns die Autoverladung schmackhaft machen will – was wir aber standhaft ignorieren -, fahren wir auf den Grimselpass und seine beeindruckende Straßenführung zu. Ein bisschen blauäugig gehen wir davon aus, dass wir unseren Furkapass gefunden haben. Dieser blauäugige Glaube hält an, bis wir vor der ersten Haarnadelkurve nach rechts weitergeschickt werden. Die Rhone wird immer schmaler und jugendlicher, ein Springinsfeld von einem Bach bis zu ihrem Quellwasserfall unterhalb der Passhöhe. Die Landschaft ist Bilderbuch-Idylle und der Furkapass gibt sich mit den vielen Kurven große Mühe, die atemberaubenden Ausblicke gleichmäßig zwischen Fahrer- und Beifahrerseite aufzuteilen. Deshalb wechseln wir uns auch ab mit den gegenseitigen Beteuerungen, wie schön es hier zu fahren sei, wie recht wir mit unserer Wahl hatten. Es liegt sicher nicht nur an der Höhe und dem Sauerstoff, dass es uns so leicht ums Herz wird. Fehlt nur noch eins: Irgendwo hier wollen wir zu Mittag essen, auf 2500 m Höhe. Auf der Passhöhe selber sieht es uns ein bisschen zu rummelig aus, aber ein paar Kilometer weiter gibt es ein Gasthaus mit grandiosem Blick und Sonnenterrasse.

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Ein paar Hundert Kilometer und einen obligatorischen Pickerl-Kauf später kommen wir in Lindau an. Vor dem Hotel ein wunderschöner Lotus-Oldtimer, aus dessen Kofferraum ein Hotelangestellter die Koffer auslädt. Dahinter zwei Tourenrädern, von denen der Hotelangestellter mit dem gleichen Lächeln die Fahrradtaschen abschnallt und auf den Kofferwagen legt. Dazwischen wir.

Pass(t) schon.

 

 

 

Vergiss Rousseau

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Vergiss Rousseau! Vergiss Calvin, den Jet d’Eau und die UNO!

Genf hat so viel mehr zu bieten.

Die Kinder unserer Gäste sind viel neugieriger auf die Schildkröte mit den zwei Köpfen.

Die wohnt seit 20 Jahren im Naturhistorischen Museum und scheint in relevanten Publikationen weit vor UNO und CERN zu rangieren. Natürlich kennen wir Kröte und Museum, das bei unseren Kindern immer als „Das ausgestopfte Museum“ lief. Das Naturhistorische Museum erfüllt seinen Bildungsauftrag mit einem Augenzwinkern. In der Glasvitrine mit den Singvögeln ist etwa ein kleiner Steiff-Vogel zu sehen und im Alpenpanorama tummeln sich an den – „ausgestopften“ – Bächen auch schon mal Murmeltiere mit Biberschwänzen. Da wir – gefühlt – jeden zweiten verregneten Wintersonntag mit unseren (und Hunderten anderer) Kindern in diesen Hallen verbracht haben, lassen wir unsere Gäste alleine losziehen.

CERN0.jpgDafür erkunden wir gemeinsam das Roulave-Tal, das bei unserer Älteste einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Um die Kinder in den Osterferien zu beschäftigen, hatte ich mir aus der Schweizer Sagenwelt jene Geschichte geklaut vom Drachenschatz, der nur karfreitags zu finden sei, da der Drache da Osterputz machen und seine Höhle zu verschiedenen Besorgungen verlassen würde. Wir schleichen also durch das Roulave-Tal, die Großen als Vorhut, die kleine Schwester im geländegängigen Kinderwagen, das Baby vor der Brust, bis wir auf halber Höhe im Hang die Höhlen entdecken. Die Großen bekommen die verantwortungsvolle Aufgabe auf die Kleinen aufzupassen, während die ach so mutige und tapfere Mutter den Hang hochklettert, um sicher zustellen, dass der Drache wirklich nicht zu Hause ist. (Und natürlich, um so unauffällig wie möglich die silberne Kiste, in der sonst die Weihnachtsplätzchen lagern, in der Höhle zu verstecken.)

Es dauert über 25 Jahre, bis die Große mir eines Tages gesteht, wie viel Angst sie gehabt hat. Angst, dass der Drache an diesem Ostern ausnahmsweise auf den Osterputz verzichten würde (ein Konzept, das sie von ihrer Mutter kennt), dass er zuhause und  gar nicht gut auf Eindringlinge zu sprechen sei. Ihre größte Sorge war dann aber nicht, dass der Drache uns alle auffrisst, sondern wie sie alleine ihre drei Geschwister nach Hause bringen sollte, davon ausgehend, dass so ein Drache nach einer wohlgenährten Mutter pappsatt sei und auf vier kleine Appetithappen verzichten würde.

Diese Angst geht dann aber wohl in der Aufregung unter, als sie mit ihrem Bruder nach der offiziellen Drachenfreigabe durch mich in die Höhle klettert und die Schatzkiste findet. Dass der Drache darin statt Goldstücken Gummibärchen gehortet haben soll, finden die beiden Großen leicht irritierend. Das Baby verschläft die Aufregung.

Natürlich erzähle ich diese Geschichte, als wir durch das idyllische Tal hochsteigen zum Pont de Roulave, der die Schweizer-französische Grenze markiert. Dort geht es aus dem schattigen Tal in die heißen Weinberge und über einen kleinen Schlenker zurück zum Parkplatz an der Allondon. Unterwegs spannen Bauern Elektrozäune in Kniehöhe über den Weg. Wir dürfen aber drübersteigen, denn die Zäune sollen Dachse und Wildschweine von den fast reifen Weintrauben abhalten. Von Drachen ist keine Rede.

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Abschluss der Genfer Tage ist eine Führung im CERN. Es beginnt mit einem sehr professionellen und hochemotionalen Film, dessen Kernaussage eigentlich ein Bekenntnis zu internationaler Völkerverständigung und Friedensarbeit ist. Die eigentliche Aufgabe erscheint fast als Nebenprodukt: Achja – weil wir doch ein kleines bisschen neugierig sind, forschen wir auch noch dazu, was unsere Welt eigentlich so im Inneren zusammenhält. Nachdem wir also erfahren haben, dass kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges Forscher aus bis vor kurzem noch verfeindeten Nationen ihre Staaten zum gemeinsamen Aufbau eines großen Labors überzeugten, geht es zum ersten Cyclosynchroton von 1957. Der riesige rote Aufbau, der entfernt, sehr entfernt an ein japanisches Torii erinnert, wird zur Projektionsfläche eines weiteren Filmes, der die Geschichte des CERNs erläutert. Es fallen die Namen mehrerer Nobelpreisträger, das WWW wird erwähnt, alles noch recht anschaulich und für mich verstehbar.

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Das ändert sich dann im zweiten Abschnitt der Führung. Es geht aus den kühlen Hallen der Wissenschaft in die brütende Sommerhitze und zu Fuß hinüber zu ATLAS, vorbei am Globe, einem Danaäer-Geschenk der Schweiz, vorbei an mehreren Kunstwerken zum höheren Lobe der Physik.

Der ATLAS-Bau schmückt sich mit einer Grafik des großen Detektors, der tief unter unseren Füßen liegt. Vor etlichen Jahren, als der Detektor noch im Aufbau war, durfte ich bei einer anderen Führung noch mit dem Fahrstuhl in den Tunnel und stand wirklich ehrfürchtig in den kathedral-artigen Räumen, in denen Schicht für Schicht dieses riesige Instrument zusammen gebaut wurde.

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Heute ist das anders: wir werden in die Halle geführt, die den control room enthält und stehen vor riesigen Glasfenstern. Es hat schon etwas von „Streichelzoo“: freilaufende Physiker in ihrem natürlichen Habitat.

Unser Führer, selbst Physiker bei ATLAS, erklärt anhand von Zeichnungen, wie und wozu die Teilchen im Tunnel kollidieren. Wunderschöne Bilder, begeisterte Erklärungen, faszinierende Erkenntnisse.

Ich könnte stundenlang zuhören, ohne ein Wort zu verstehen.

Aber dafür habe ich schließlich Monsieur.

Und am Ende sind alle tot

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… fasst sie den Inhalt des Stückes für uns zusammen. Kommt jetzt nicht wirklich überraschend und war abzusehen. Auch wenn wir mit Shakespeare nicht so richtig auf Du und Du sind, können wir uns denken, dass „Julius Caesar“ kein Happy End hat. Zumindest für die Titelrolle nicht.

Meine Reisemädels legen auf dem Rückflug einen längeren Zwischenstopp in Genf ein. Nicht ahnend, dass ihre skrupellose Mutter sie für Kost und Logis hart arbeiten lassen wird, entweder im unkrautüberwucherten Gemüsegarten jäten oder in luftiger Höhe Spinnweben und Staub hinter und auf den Bücherreihen entfernen.

Abends sitzen wir alle müde und erschöpft, aber durchaus zufrieden mit den Resultaten – besonders ich! – auf der Terrasse und genießen die Aussicht.

Die Jüngere wird nostalgisch, ob wir uns noch erinnern an die Shakespeare-Abende auf Schloss Prangins? Apero auf der Schloss-Terrasse, Theater im Schlosshof? Und schließt mit einem tiefen Seufzer, für den sie eigentlich noch viel zu jung ist: „Ach, das würde ich ja sooooo gerne noch einmal machen!“

Nun gibt es da ja nicht nur so ein Internet, wir haben auch eine britische Nachbarin und beide sind gewöhnlich gut informiert über Shakespeare in unserer Gegend. Ein paar Klicks und Gespräche weiter sind die Karten gekauft und der Transport organisiert. Das wackelige Wetter hat zumindest den positiven Nebeneffekt, dass Freilichtbühnen noch Karten haben.

Apero auf der Schlossterrasse gibt es nicht mehr, das hat das Schlosscafé nach drei verregneten Sommern aufgegeben, aber das heißt ja noch lange nicht, dass man sich nicht mit einem Picknick auf der Terrasse oder in den Parks von Prangins niederlassen kann.

Die Freundinnen unserer Nachbarin reservieren noch drei Plätze mehr für uns und wir mischen uns unter die „motley crew“, die mit Sandwich und Glas in der Hand über den Vorplatz spaziert. Kleidungsmäßig ist alles vertreten, vom leichten Sommerkleid der Optimistinnen über die Regenjacken der Pessimisten zu den Fleece-jacken derjenigen, die die Jurafallwinde nach Sonnenuntergang kennen. Auch ein paar sehr britische Hüte sind zu sehen.

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Irgendwann werden wir von einer römischen „plebs“, die Poster trägt und „Julius – Caesar!“ skandiert, auf unsere Plätze gelockt und das Spiel beginnt.

Ein paar nette Ungereimtheiten machen das Ganze noch charmanter. Als Brutus seine Verschwörer mit dem Hinweis, es sei jetzt drei Uhr morgens nach Hause schickt, versteift sich die Dorfuhr von Prangins, acht Mal zu schlagen. Als die Priester den heftigen Sturm als böses Omen für Caesar deuten, reißen die Wolken auf und zeigen einen strahlend blauen Himmel. Und Brutus hochdramatischer Sterbensmonolog geht fast unter im genauso dramatischen Ehestreit einer Rotschwanzfamilie im Efeu des Schloshofes.

Am Ende sind dann doch nicht alle tot, Oktavian und Markus Antonius überleben. Letzterer muss ja noch mit Liz Taylor, Tschuldigung Kleopatra nach Ägypten, wenn ich mich recht erinnere.

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Zum Theaterabend in Prangins gehören dann auch der beschwingte Rückweg vom Schloss durch blühende Sommerwiesen zum Parkplatz und die Fahrt durch das romantische Nyon.

 

Und das Staunen über Shakespeares Weitsicht: „The abuse of greatness is, when it disjoins morality from power.“

 

 

 

 

Freitags gibt es immer Fisch

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Heute, Mittwoch, auch, allerdings nicht auf dem Teller, sondern im Aquatis in Lausanne. Genau genommen Lausanne Ausfahrt Vennes, rue de Berne. Das kennen wir, das ist einfach, das schaffen wir auch ohne Navi. Stimmt. Fast. Wir stehen in Lausanne an der Ampel, sehen direkt vor uns rechts den beeindruckenden Rundbau des Aquariums und biegen folgerichtig rechts ab. Merken diesen einen Augenblick zu spät, dass dies nicht die Aquatis-Zu- sondern die Autobahnauffahrt ist. Unser Navi zeigt Größe, meckert weder, dass es das schon hätte kommen sehen, noch gibt es wenig hilfreiche Ratschläge zum möglichen Wenden. Also fahren wir eine Extrarunde zur nächsten Ausfahrt und stehen zehn Minuten später wieder an obiger Ampel. Da wir in Maßen lernfähig sind, klappt das diesmal mit der richtigen Einfahrt.

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Wie war das noch mit der Evolution?

Der Eingangsbereich des Aquariums ist mit diesen Menschenmassenleitbarrieren zugestellt, die wir aber ignorieren und auf dem direktesten Weg zur Kasse frech umgehen. Dort merken wir, dass drei besetzte Kassen bei zwei potentiellen Besuchern vor uns in der Schweiz noch lange kein Garant sind, sofort seinen Eintritt bezahlen zu können. Der Betreuungsaufwand der Familie und des Paares vor uns ist sehr hoch und es dauert und dauert. Harmoniepausen mehrerer Familienmitglieder kommen und gehen, unsere Jacken und Taschen sind schon längst in Schließfächern verstaut, als Monsieur endlich unsere Tickets lösen kann, zum stolzen Preis von 29 CHF, pro Person, nicht pro Familie.

Dann – Achtung Kalauer – tauchen wir ein in die Welt des Aquatis. Sanftes Licht, riesige Becken und auf dem Boden, an den Wänden viele Spiegel mit sehr spannenden Effekten. Mir fällt zuerst der Genfer See-Dampfer an der Decke auf, wie er – kopfüber hängend – durch das Wasser pflügt. Erst dann sehe ich sein – nun korrektes – Spiegelbild zu meinen Füßen. Das ganze umspielt mit Unterwasserlauten und leider eher störenden „Erklärstationen“, die ihr Wissen für meinen Geschmack viel zu laut in den Raum plärren. Dramatische Gletscher-Zuwachs- und Schrumpfszenarien, die obligatorische Reise eines Wassertropfens, nichts wirklich Neues, bis ich zum Genfer See Tsunami komme. Um 560 blockiert ein Bergsturz die Rhonemündung am Ostende des Sees, das Wasser staut und staut sich auf, bis es zur Katastrophe kommt. Der natürliche Damm bricht und schiebt eine meterhohe Wasser- und Schlammlawine vor sich her, die alle Siedlungen am Ostufer überschwemmt. Selbst im fast 100 km entfernten Genf ist die Welle noch an die zehn Meter hoch, bricht über die Stadtmauer und tötet viele Menschen. Das klingt alles sehr dramatisch, kann ich aber als „Geschichte“ abtun, ist zum Glück ja schon sehr lange her. Bis dann im Schlusssatz die Warnung Schweizer Geologen kommt, dass sich so etwas jederzeit, jederzeit! wiederholen könne. Da bin ich dann doch froh, dass wir uns kein Seegrundstück haben leisten können und in die Berge gezogen sind.

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Die Erklärerei konzentriert sich zum Glück auf die ersten Räume, danach wird es ruhiger, richtig kontemplativ. Vor den raumgroßen Glaswänden habe ich fast den Eindruck, selber meditativ mit zu schwimmen. Ab und an kommt so ein großer Schatten dann doch erschreckend schnell erschreckend nah, aber im Kopf weiß ich ja, dass ich nicht zum Beuteschema gehören würde. Bis zu dem Becken mit den Piranhas, an dem gleich mehrere Schilder davor warnen, die Hände von oben ins Becken zu tauchen.

Aquatis ist nicht nur Aquarium sondern auch Vivarium. Einige der Glasvitrinen haben dann schon etwas von „Findet Walter“. Neben dem Kasten hängen Bild und Namen der Bewohner, sei es nun Frosch, Salamander, Schlange oder Kröte. Und dann fängt das Suchen an. Knallbunte Frösche machen es einem einfach, aber einige der Tierchen sind schon verflixt gut getarnt. Dass eine der besser getarnten schwarzen Vipern sich fast unsichtbar in die Abdeckungsschlitze der Lüftung presst, ist schon ein bisschen unheimlich. Noch unheimlicher ist das große Krokodil, dessen Augen ich zuerst fast nicht wahrnehme und dessen beeindruckende Größe ich erst sehe beim Blick unter den Wasserspiegel. Die Mangusten, die im Wüstensand der Nachbarvitrine spielen, scheinen sich davon nicht einschüchtern zu lassen. Und das, obwohl es einen Gang zwischen beiden Vivarien gibt und das Krokodil die Mangusten jagen und fressen könnte, wie ein Vater seinen zwei kleinen Mädchen zeigt: „Wow! Cool!“, ist deren Reaktion. Und das finde ich dann richtig unheimlich.

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Der Höhepunkt unseres über zweistündigen Besuches ist aber eher unfreiwilliger Art. Im großen Gehege des Komodo-Warans sieht man – zwei Männer. Es ist nicht ganz klar, ob sie Tierpfleger oder Hausmeister sind. Jedenfalls sind sie dabei mit Akkuschrauber und Brecheisen die Deko zu demontieren. Kein Waran weit und breit. Es stellt sich heraus, dass der Waran es irgendwie geschafft hat, sich hinter die Holzverkleidung zu bugsieren und nun dort kopfüber festsitzt. Ab und an peitscht eine Schwanzspitze durch ein Fenster, ansonsten sieht man nur die zwei Männer, wie sie sich verbiegen und verkrümmen, um ziehend, schiebend, drückend 70 kg Waran aus dieser misslichen Lage zu befreien. Irgendwann kracht es und die Echse plumpst auf den Boden, bleibt benommen stehe und dreht dann den Kopf zu ihren Rettern. Die mit – sorry – affenartiger Geschwindigkeit hinter einer Schutzwand verschwinden. Von dort zielt der eine mit einem Schlauch auf das Tier, das erst den Guss genießt und sich dann schüttelnd in Bewegung setzt. Als die Pfleger zufrieden sind, dass er sich unverletzt fortbewegen kann, kommen sie aus ihrem Versteck und kümmern sich darum, dass der Waran nun wirklich nicht mehr hinter die Verkleidung klettern kann.

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Wie jedes Museum, jeder Zoo hat das Aquatis auch einen Shop, strategisch günstig vor dem Ausgang. Da bin ich dann wirklich froh, dass unsere Kinder inzwischen erwachsen sind. Sonst wären wir hier sicher nicht ohne einen rosa Plüschpiranha herausgekommen.