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Kein Aufzug, keine Rampe – nur zwei Treppen

Das Frühstück hat genauso wenig Hainbuche wie das ganze Hotel. Da wir für heute nur vierzig Kilometer Strecke vorgesehen haben, war ein Punkt „schön lang frühstücken“ gewesen. Den streichen wir nun drastisch zusammen. Kommen wir halt früher weg, das nimmt ein bisschen den Druck aus der Planung. Wir müssen unbedingt um zwei vor vier in Macon auf dem Bahnhof stehen, da da der einzige Zug fährt, den wir nehmen können. Der einzige mit einer TER-Verbindung nach Lyon und dann nach Genf. Natürlich gibt es andere Verbindungen, aber die sehen die Benutzung des TGVs vor. Die ist aber nur für Klappfahrräder in ihrer Koffertasche erlaubt. Die Ardenner haben nur kopfschüttelnd aufgewiehert. Ähnlich ist es mit der Verbindung über Bourg-en-Bresse und dann mit dem Fernreisebus. Auch etwas, das mit Ardennern nur mäßig praktisch ist. Also streben wir diese Zugverbindung an, mit etwas Bauchweh. Ganze zwei Minuten hält der Zug in Macon und in diesen zwei Minuten müssen wir vier Fahrräder und acht Taschen ins Abteil stemmen, von den vier Reisenden ganz zu schweigen.

Doch das ist noch weit weg an diesem frisch geputzten Morgen. Die bedrückenden 33° von gestern sind angenehmer Kühle gewichen, die Saône leuchtet zwischen ihren grünen Ufern. Nur die Reiher sind nicht ganz so begeistert, dass wir sie beim Frühstücken stören und „rauschen ab“, im wahrsten Sinne des Wortes mit lautem Flügelschlag.

Auch laut, aber nicht halb so majestätisch schön, ist der TGV, der uns ein kurzes Stück begleitet, um eine Seenplatte herum, deren Umgehung uns landeinwärts führt. Und dort – nach fast 80 Kilometern Strecke auf der Voie Bleue – treffen wir unseren ersten wirklichen Wegweiser.  Kurz vor Macon – also, das lohnt sich doch fast nicht mehr.

Dann stehen wir mittags in Macon auf der ziemlich unschönen Mitterand-Brücke, was uns aber den Blick auf die viel schönere mittelalterliche Sankt-Laurent-Brücke erlaubt.

Der Plan ist, Taschen und Räder am Bahnhof einzuschließen und die restlichen Stunden in Macon zu verbummeln. Aber wir und Pläne – nunja.

Also, erstens hat es seine Gründe, dass wir auf -zig Burgundfahrten immer erst hinter Macon von der Autobahn abgefahren sind. Nur zur Verdeutlichung: von den 10 Top Sehenswürdigkeiten in Macon war lange Zeit erstens: Fahrt ins Beaujolais, gefolgt von zweitens: Fahrt nach Lyon.

Außerdem macht uns die SNCF ein Angebot: wir könnten auch um zwei vor eins nach Genf fahren. Das klingt sehr verlockend, heißt es doch drei Stunden früher in Genf, drei Stunden früher in der Tram und dann noch bei Tageslicht bergauf nach Hause radeln. Das klingt so gut, dass wir Frauen den Männern die Zügel in die Hand drücken und uns im Bahnhof um die Karten kümmern.

Die Dame am Schalter fragt uns tatsächlich, ob wir schon über sechzig seien, was wir als Kompliment nehmen. Allerdings gibt es bei Bestätigung immerhin 25% Rabatt auf den Fahrpreis und das schlägt die Eitelkeit.

Wir unterhalten uns sehr nett mit ihr, bis sie damit herausrückt, dass wir aufs andere Gleis müssten – und Macon zwei Treppen zu bieten hätte, nur zwei Treppen, kein Aufzug, keine Rampe, nicht mal eine Schiene. Wir sind perplex. Was ist mit Kinderwagen, was mit Rollstuhlfahrern, dem gesetzlich zugesicherten Zugang zum öffentlichen Leben? Ja, für Rollstuhlfahrer würde jemand kommen, aber das sei „une prestation“, eine Dienstleistung, kostenpflichtig und nur mit Ausweis anzumelden. Alle anderen, also auch wir mit den Rädern, müssten eben sehen, wie wir zurechtkommen.

Wir Frauen stehen noch am Kopf der ersten Treppe, da kommt von hinten: „Soll ich Ihnen helfen, Madame?“ und ein junger Mann schnappt sich mein Rad, setzt es auf dem ersten Absatz ab und dreht sich um: „Jetzt muss ich erst noch Ihrer Freundin helfen, Madame!“ Dann sind aber auch schon unsere Männer wieder da und gemeinsam schaffen wir es die vier Räder auf der anderen Seite hochzutragen.

Der Zug trifft pünktlich ein und das Einsteigen ist genauso hektisch, stresserfüllt und knochenbrechend harte Arbeit wie befürchtet. Mit nur ganz leichter Verspätung fährt der Zug ab, alle Fahrräder, Taschen und Radler im Zug, wenn auch nicht unbedingt da, wo sie hinwollten. Eines unserer Räder hängt tatsächlich am dafür vorgesehenen Haken an der Decke, der zweite Haken ist ausgerissen. Also schieben wir die restlichen Räder ins nächste Abteil, erste Klasse, wie wir zu spät merken. Das ist uns aber in dem Moment völlig egal. Wir lassen uns auf die Polster fallen. Im Zweifelsfall fallen auch unsere Fronsössischkenntnisse – auf rudimentäres „Nix-verstehen“-Niveau.

Wir fahren also recht nobel – und unkontrolliert – von Macon nach Lyon, wo das Umsteigen zwar körperlich nicht ganz so anstrengend ist – es gibt einen Aufzug, der Zug wird hier eingesetzt -, aber immer noch vier  enge, steile Stufen in den Zug beinhaltet.

In Genf kommen wir mitten im Berufsverkehr an, die Tram ist recht voll, die ersten Stationen ein ständiges Sich Entschuldigen bei den Mitreisenden. Letztlich sind wir froh, die Räder aus der Tram schieben zu können und die letzten Kilometer in Angriff zu nehmen.

Zuhause gibt es erst ein alkoholfreies Weizenbier für den Mineralhaushalt und dann Spaghetti alio-olio als „Sportlernahrung“.

Wir lassen die Tage ausklingen, ziehen eine gemischte Bilanz zum „Geht das?“ (mit Schweizer Zügen sicher besser) und kommen frei nach Karl Valentin zu der Erkenntnis:

Umweltfreundliches Reisen ist schön – macht aber viel Arbeit.

Achja, die nächste Reise wäre dann ein Stück  Eurovelo 6, aber mit der SBB ab Basel…


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