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Rätsel

Die Ardenner kommen aus der Inspektion, frisch gestriegelt sozusagen. Alles, was geölt, geschmiert, eingestellt und nachjustiert werden musste, wurde geölt, geschmiert, eingestellt und nachjustiert.

Nun kauen sie sozusagen am Gebiss und stampfen vor Ungeduld mit den Hufen.

Aber zuerst geht es mit dem Auto nach Bad Laasphe. Ich fahre, Monsieur langweilt sich und beginnt, dem Rätsel der Reaktionslinien des Wassers und der rechtsdrehenden Quelle nachzulesen. Stößt auf „hexagonales Wasser“ und weigert sich – „So einen Unsinn lese ich nicht!“ – den Artikel überhaupt aufzurufen. Heilige Quellen werden mit einem Griff in die philosophische Kiste – „Natürlich ist Wasser heilig, Ursprung allen Lebens“ – prinzipiell anerkannt, aber dann – kleiner Zyniker, der er ist – sofort wieder relativiert: „Die hatten eben geschäftstüchtige Druiden, die heiligen Quellen.“ Dann liest er sich bei Ortho- und Parawasser fest, bis wir in Weilburg sind. Monsieur braucht nun ein Eis und – naja, das Schloss soll ja auch ganz nett sein, haben wir gehört.

Durch Rheinland-Pfalz und Hessen kommen wir nach En-Er-We und dem Startpunkt in Bad Laasphe. So eine Fluss-Radtour mit ihren langen Abstiegen will schließlich erarbeitet sein. Deshalb fangen wir in Bad Laasphe an und nehmen das Banfe-Tal unter die Räder, 400 Höhenmeter bergauf bis zur Lahnquelle, um uns die Abfahrten in den nächsten Tagen zu verdienen. Alles sehr schön und gemächlich zu radeln, auch durch den kuriosen „Freistaat Lindenfeld“, bis Monsieur wieder mit zwei seiner „Lass uns doch…“ kommt.

Das erste ist ein Kompromiss. Ich wollte ab Feudingen das Ilse-Tal hochradeln, er ab Bad Laasphe über Banfe anreisen. Also bietet er mir, als wir auf das Ilstetal stoßen, an, ein Stück die Ilse bergab zu fahren, um dann auf schmalen Waldwegen wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Die Argumente – die Tour heute ist eh zu kurz…, sind ja nur vier Kilometer Umweg…, du wolltest doch Ilse…, Waldweg ist doch viel schöner als Asphalt… – sind durchaus valide, also machen wir das. Der Waldweg ist wirklich sehr idyllisch, wenn auch schmal und rutschig. Er wäre noch viel idyllischer, wenn er nicht in regelmäßigen Abständen doch sehr schmal und sehr rutschig an den steilen Abhang zur Ilse käme. Aber insgesamt ein schöner Abstecher, der uns eine Dreiviertelstunde später wieder an den chillenden Kühen vorbeiführt, die sich sicherlich fragen, was wir schon wieder hier machen.

Das lässt mich dann leichtfertig dem zweiten „Lass uns doch…“ zustimmen, auch wenn Monsieur zugibt, dass da ein kurzes Stück, ca 800 Meter, auf der Karte nur als Fußweg eingezeichnet sind.

Die schieben wir zur Not, denken wir da noch. Die erste Überraschung kommt nach ein paar hundert Metern mit der Furt. Monsieur klemmt sein Fahrrad unter den Arm und springt von Stein zu Stein. Ich setze mich hin und ziehe Schuhe und Strümpfe aus. Dauert deutlich länger als Monsieurs Ansatz, besonders das wieder anziehen.

Der Weg ist breit und gut zu fahren, bis eben jener schmale Fußpfad abgeht. Der ist sehr eng, rutschig und mit Brennnesseln gesäumt, es geht nur langsam voran. Am nächsten Bach wuchtet Monsieur einen Holzklotz ins Wasser als Hilfe für mich. Ich schaffe es aber trotzdem, im letzten Moment mit dem rechten Fuß im Wasser zu landen.

Danach wird es richtig fies: steil, schlammig, rutschig, selbst Schieben ist fast unmöglich. Das ist wieder so eine Situation, in der Monsieur sich bemüßigt sieht zu bemerken, dass, wenn ich nur halb so viel Energie ins Schieben wie ins Schimpfen verwenden würde…

Und dann liegt eine Buche quer über dem Pfad. Frisch umgestürzt, die Blätter noch grün, ist sie zwar ein Hindernis, aber nicht unüberwindlich. Satteltaschen ab und dann die Räder über oder unter dem Stamm durch – machbar.

Vorsichtshalber klettere ich über den Stamm – ohne Ardenner – um zu kundschaften. Auf den nächsten hundert Metern – dann kommt ein Knick und ich kann den Weg nicht mehr sehen – liegen sieben tote Tannen quer. Tote Tannenspitzen mit abgebrochenen Astquirlen rundherum – stacheldrahtgewordener Baum. Sieben mal. Das ist es dann.

Monsieur hält weise einen gewissen Sicherheitsabstand zu seiner mosernden Frau auf dem Rückweg durch Schlamm und Wasser. Vor der zweiten Furt tritt er kräftig in die Pedale, zieht die Füße hoch und brettert hindurch. Ich traue mich das nicht und – der rechte Schuh ist eh nass, warum soll es dem linken besser gehen – stapfe neben dem Ardenner durchs Wasser.

Es sind die leichten Trekkingschuhe, die mit den Luftschlitzen an den Seiten, weshalb ich auf den nächsten Kilometern eine Wasserspur hinterlasse.

Das alles hat uns natürlich viel Zeit gekostet. Es ist früher Abend, als wir wieder auf die Straße stoßen, der Sturm hat aufgefrischt, die Gewitterwolken sind noch dräuender. Deshalb überlegen wir nur kurz, als der offizielle Weg zur Ilsequelle auftaucht – breit und asphaltiert, natürlich -, entscheiden uns aber dagegen. Heute ist nicht der Tag, das Rätsel der Reaktionslinien des Wassers zu entwirren, auch das Rätsel des rechtsdrehenden Wassers bleibt ungelöst.

Wir fahren über eine sturmumtoste leere Hochebene – die mörderischen Orkane der letzten Jahrzehnte haben eine triste Einöde hinterlassen – zu unserem Hotel an der Lahnquelle und stehen vor dem letzten Rätsel: Warum bekommen wir immer das Zimmer im obersten Stock?

Ohne Aufzug, natürlich…

Dafür aber mit einem lieben Wirt, der erst meine Schuhe in den Heizungskeller stellt und dessen Koch uns dann – nach einem Lillet Wild Berry – mit herzhaft Geschmorten verwöhnt. Zweimal Spätzle und Soße werden nachgereicht. Wir brauchen schließlich Kraft für die Treppen.


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