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Freitag/Samstag: Guilin – Hongkong – Frankfurt – Genf

Zuvor ein Wort in eigener Sache. Wir haben kurz nach unserer Ankunft in Beijing festgestellt, dass China bestimmte Internetseiten zensiert und blockiert. Google gehört dazu, was ärgerlich ist, wenn man sich in Europa gesagt hatte, den Weg zu dem Tempel schaust du dir in Beijing noch mal genauer an. Äußerst ärgerlich war aber für mich, dass eben auch WordPress zensiert und blockiert wird. So stand ich da mit meinem ersten Beitrag und konnte meinen Blog nicht öffnen.

Zum Glück reise ich ja mit meinem eigenen, ganz persönlichen IT-Berater, der bis jetzt immer noch Lösungen für die Probleme seiner Computer-Legasthenikerin gefunden hat.

Die Lösung hieß diesmal: remote desk top.

Während ich also meine Beiträge in China schrieb, wurden sie über Monsieurs Computer in seinem Büro in Genf veröffentlicht. Ein langwieriges, zeitaufwändiges Verfahren, besonders für die Bilder, und bei den meist wackligen Internetverbindungen auf dem Land ein Lotterie-Spiel. Es lief nicht immer ohne Fluchen und Schimpfen ab, aber es funktionierte.

Ich finde, Monsieur hat sich viel Anerkennung verdient.

Okay, es ist soweit.

Heute geht es wieder heimwärts. Eine Woche Beijing und eine Woche Reisterrassen gehen zu Ende. Ist das die gute oder die schlechte Nachricht?

Es hat die ganze Nacht ununterbrochen heftig geregnet. Vielleicht war Herrn Changs melodramatische Evakuierungsaktion doch keine so schlechte Idee gewesen. Monsieur streift ein letztes Mal fotografierend über die Märkte. Wir kaufen saftig-süße Pomelos und diese kleinen, knapp fingerlangen Bananen, die uns in Laos schon so gut gefallen haben.china4b

Um dann zwei Stunden später in der Abflughalle vor dem Hongkong Terminal mit einem großen Schild konfrontiert zu werden, dass die Einfuhr von Pflanzen und Früchten strengstens untersagt. Also gibt es einen Obsttag. Es ist 14:00 Uhr, das Terminal macht in einer Stunde auf. Vor uns stehen zwei resolute Britinnen und ein kanadisches Paar. Wir überlegen, ob wir einen Kaffee trinken gehen sollen, entscheiden uns aber dagegen. Das ist gut so, denn binnen weniger Minuten wächst die Schlange rasant. Hinter uns, dafür sorgen die Britinnen. Die Chinesen sind Weltmeister im Vordrängeln. Kleines Beispiel: man steht in einer kleinen Gruppen am Lift, drei Europäer, ein Chinese kommt dazu. Logischerweise stehen wir etwas zurückgesetzt, damit die Aussteigenden eben das tun können. Just in dem Moment, in dem der Lift „Bing“ macht, schiebt sich der Chinese direkt vor die aufgehende Tür und quetscht sich vor allen anderen in die Kabine. Das gleiche Spiel in der U-Bahn. Besonders schön die Ich-seh-dich-nicht-Variante. Die Schlange steht relativ geordnet vor einem Schalter, einer Tür o.ä. Da kommt von hinten schräg links eine Chinesin, die ganz angestrengt nach hinten schaut. So „sieht“ sie nämlich nicht, dass sie sich an allen anderen vorbei nach vorne schiebt und sich ganz an der Spitze reinquetscht. Wird sie angesprochen, reagiert sie ganz überrascht. „Schlange? Hier? Ach, hab ich gar nicht gesehen!“china4c

Ich bin da durch die mangelnden Sprachkenntnisse und meine angeborene Schüchternheit ja etwas gehandicapt, aber die Britinnen schicken alle Chinesen, die „nur mal gucken wollen“ resolut zurück. Wie den älteren Herren, der mit Gesten signalisierte, er wolle nur mal in den Abfertigungsbereich schauen, dann seinen Rollkoffer vor seine Füße zog und vor den Damen stehen blieb. Mit einer dreisten Selbstverständlichkeit, die man fast schon bewundern könnte. Nicht so die beiden Damen. Die tippten ihm auf die Schulter und schickten ihn wieder zurück. Ganz scharf beäugen sie eine äußerst resolute Reiseleiterin, die alle Pässe ihrer chinesischen Gruppe in eine Plastiktüte eingesammelt hat und immer mal wieder nonchalant zur Sperre spaziert, um in den Abfertigungsbereich zu schauen. Die Gruppe steht nicht in der Schlange, sondern links neben der Sperre, strategisch günstig für einen überraschenden Flankenangriff. Das scheinen die Britinnen auch so zu sehen, denn plötzlich arrangieren sie ihren Koffer-Caddy und ihr Gepäck zu einer kleinen Barrikade.

china4aUm drei Uhr erscheinen ein paar Herren in Uniform, Teetassen in der Hand. Um zehn nach drei scheinen sie den immer noch nicht ausgetrunken zu haben. Trotzdem bewegt sich die Schlange, rückt auf, schiebt nach vorne, wird kompakter, sieht schlecht aus für die chinesische Reisegruppe. Dann wird die Sperre geöffnet, eine Angestellte der Dragon-Air führt die Schlangenspitze am Zoll vorbei direkt zu den Check-In-Schaltern. Wir legen unsere Papiere vor, fragen, ob das Gepäck direkt bis nach Genf durchgecheckt werden kann. „Kein Problem“, sagt die Dame am Schalter und gibt unsere Daten in den Computer ein. Worauf der Computer abstürzt.

Eine Viertelstunde und ein paar Entschuldigungen später geben wir dem Immigrations-Offizier unsere Pässe und verlassen bald darauf China mit Ziel Hongkong.

In Hongkong haben wir sechs Stunden Aufenthalt vor dem zwölf Stunden Flug. Dafür reicht es in Frankfurt nur für eine Tasse Kaffee – Kaffee! Richtigen Kaffee! – bevor man die Passagiere nach Genf aufruft. Samstagmorgen um sieben scheint es keinen besonderen Sturm auf Genf zu geben, wir sind nur eine Handvoll Fluggäste. Sehr entspannt.

Unser Freund holt uns trotz der frühen Stunde gut gelaunt ab und so kommen nach den 8200 km Flug Genf-Beijing und den 9500 km Hongkong-Genf noch die 20 km nach Hause dazu.

Die knapp 7000 km, die wir in China selbst zurückgelegt haben, fallen da fast schon nicht mehr auf. Ich glaube, ich muss morgen einen Baum pflanzen, so zum CO2 – Ausgleich…

Bonjour de chez nous.

Und Euch wünsche ich weiterhin:

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Donnerstag: … und mach dann noch ’nen zweiten Plan, gehn tun sie beide nicht.

Wie recht der gute Bertold doch hat!

Die gute Nachricht zuerst: es regnet, es schüttet, es gießt…

Die schlechte Nachricht: Monsieur will trotzdem auf den Terrassen wandern.

china3gAber nach so vielen Jahren Ehe weiß man, dass Partnerschaft nicht darin besteht, alles gemeinsam zu tun, sondern zu akzeptieren, dass der andere auch mal eigene Wege geht. Ganz besonders dann, wenn ihn diese eigenen Wege im strömenden Regen durch nebelverhangene Berge führen. So ist Monsieur aufgebrochen, mit meinem Wanderstock und seiner Lebensgefährtin als Halt und Begleitung, während ich – getreu dem gängigen Rollenbild – mich um die häuslichen Dinge gekümmert habe. Das Bisschen, was wir nachts zuvor zum Schlafen den Rucksäcken entnommen hatten, wieder eingepackt und dann die zwei Rucksäcke zum Auto geschleppt. Ohne auch nur einmal zurückzuschauen, habe ich Abschied genommen von Ping’An.

Eine enge und kurvige Bergstraße bringt den Führer und mich von Ping’An ins Tal, eine weitere enge und kurvige Straße bringt uns einige Täler weiter nach Dazhai, einer Ansammlung kleiner Dörfer, die sich vom Talgrund bis hoch an den Berggrat ziehen. Offensichtlich wurde es selbst den flinken Zhong-Reisbauern irgendwann zu viel, jeden Tag 1000 Höhenmeter für die Feldarbeit zurückzulegen und die neuen Dörfer wurden immer etwas höher gebaut. Wir sind im Wisdom Inn untergebracht, der in seiner großen Weisheit im Tal liegt, gut für mich und die Rucksäcke, schlecht für Monsieur. Es regnet, während ich ins Hotel einchecke. Es nieselt, während ich mit Herrn Chang die glatten ausgetretenen Steinstufen des unteren Dorfes hochsteige zum ersten Aussichtspunkt. Der Regen wird stärker, weshalb wir umkehren und eine „Harmoniepause“ im Hotel einlegen. Danach wollten wir eigentlich mit der Seilbahn auf den Berg fahren und von dort durch die Reisterrassen zurücklaufen. Ja, Seilbahn. Obwohl das Dorf viel ursprünglicher ist als Ping’An, gibt es eine Seilbahn, großer Busparkplatz inklusive. Inzwischen gießt es in Strömen, so dass die meisten der chinesischen Touristen keine Lust haben, 120 Yuan für eine Seilbahn-Tour auszugeben. Die Busse kommen, halten kurz, wenden und fahren wieder. Das heißt aber auch, dass die Zhong-Frauen, die mit ihren Tragekörben den Gepäcktransport anbieten, sich gleich zu mehreren auf den vereinzelten Touristen stürzen, der wirklich aussteigt.china3e

Wir beschließen, ein Rückfahrtticket zu kaufen, eine Stunde über rutschige Steinplatten im strömenden Regen muss nicht sein. Herr Chang wird zudem immer unruhiger und telefoniert dauernd. Wir trudeln sehr langsam mit der Seilbahn nach oben, begleitet von Sicherheitshinweisen auf Englisch und Chinesisch. An der Bergstation läuft eine Plattform um die Bergkuppe und man hat einen wundervollen Blick auf die Terrassen. Sie sind abgeerntet, ohne Wasser, aber der Kontrast der gelbbraunen Reisstängeln zu der roten Lehmerde der Mauern tritt gut hervor. Diese Terrassen folgen der Kontur der Berge. Dort, wo der Berg sanft ins Tal fließt, bilden sie lang geschwungene Bögen. Dort, wo der Berg kleine Auswüchse oder Verwerfungen hat, gibt es kleine Terrassen, die diese Verwerfungen getreu nachbilden. Dort, wo isoliert ein kleinerer Berg steht, streben die Terrassen in konzentrischen Kreisen bis hoch zu dem künstlichen Plateau, das den Abschluss bildet. Ein unglaublich schöner Anblick. Da hinein geschmiegt auf halber Höhe ein Dorf von einem guten Dutzend Häusern. Von oben sieht man nur die im Regen dunkel glänzenden Dachschindeln. Eine einsame, etwas wackelig wirkende Stromleitung führt hin, ansonsten hätte es ein Bild aus einer anderen Zeit sein können. Dummerweise habe ich meine Kamera nicht dabei. Das kommt davon, wenn man sich sonst auf seinen Fotografen verlassen kann.

china3dVon Monsieur kommen ab und an SMS über den Stand bzw. den Fortgang der Wanderung. Er sei klatschnass, aber frohgemut. Was ich ihm von Herzen gönne. Beides. Auch er muss sich diverser Träger- und Führer-Dienste erwehren, da er bei diesem Wetter der Einzige ist, der von Ping’An unterwegs ist. Auch andere Angebote werden ihm gemacht. Die Zhong-Frauen schneiden ihr schwarzglänzendes Haar mit 18 Jahren zum letzten Mal. Danach wird es erst wieder zu ihrer Beerdigung geschnitten. So tragen die Frauen ihre langen Haare unter einem Kopftuch zu kunstvollen Gebilden aufgetürmt. Nur eine Welle über der Stirn schaut heraus. Und sie haben ihren ganz eigenen Wirtschaftszweig entdeckt. Sie bieten Touristen an, ihr Haar zu öffnen und sich fotografieren zu lassen, gegen Bezahlung natürlich. Nun kann ich gut verstehen, dass jemand eine Alternative zur knochenbrechenden Arbeit auf den Reisterrassen sucht und findet. Aber dieses Angebot hinterlässt doch einen seltsamen Beigeschmack.china3f

Irgendwann vertreibt uns der Regen von der Plattform und wir fahren in der halboffenen und deshalb ziemlich nassen Gondel ins Tal, Herr Chang immer am Telefon. Schließlich fasst sich Herr Chang ein Herz. Er möchte uns angesichts des Wetters und ganz besonders angesichts unseres Heimfluges am nächsten Tag aus dem Tal herausbringen. Es habe schon Bergrutsche gegeben auf der einzigen Straße und bei den kontinuierlichen Regenfällen seien andere zu erwarten. Zwei Möglichkeiten gäbe es. Die einfachste sei, heute Nachmittag noch nach Guilin oder zumindest Longsheng in der Ebene zu fahren und dort zu übernachten. Die andere sei: er fährt das Auto in die Ebene. Wir übernachten im Wisdom Inn. Gibt es keinen Erdrutsch, holt er uns ab, gibt es einen Erdrutsch, fahren wir mit dem lokalen Bus bis zum Rutsch, klettern mit dem Gepäck über die Stelle auf die andere Seite, wo er uns dann erwarten würde. (Was passiert, wenn es nicht nur einen Erdrutsch geben sollte, wird nicht weiter angedacht.) Wir halten das zwar alles für ein bisschen melodramatisch, wollen aber keinesfalls unseren Flug nach Hongkong verpassen. Also geben wir dann mit etwas schwerem Herzen der Vernunft den Vorrang. Was auch bedeutet, dass wir statt im ganz aus Holz gebauten Wisdom Inn in einem recht einfachen Mittelklassehotel in Guilin übernachten. china3cDafür gibt es die neueste Touristen-Attraktion Guilins: den Wasserfall, der die Fassade des Lijiang Waterfall Luxushotels herunterfällt. Und das jeden Abend, pünktlich um halb neun. Der Verkehr stockt, Reiseführer fuchteln im Dunkeln mit ihren Fähnchen, um ihre Gruppe zusammen zu halten und nach ein paar Minuten ist der Spaß vorbei. Dann bleibt fürs chinesische Lebensgefühl nur der Spaziergang um den See mit der Silbernen und der Goldenen Pagode. Herr Chang erklärt ganz stolz, dass die Stadt jedes Jahr viele Tausend Yuan ausgibt, um Büsche und Bäume in Neonfarben anzustrahlen. Das Publikum liebt es und wir sehen viele Chinesen, die sich im Dunkeln vor einem leuchtendroten oder quietschegelben Busch fotografieren lassen.

Gute Nacht aus Guilin

Und immer schön dran denken

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Mittwoch: Chinesisch touristisch

Die schlechte Nachricht zuerst: Ping’An, angepriesen als „600 Jahre altes traditionelles Bauerndorf“ ist ein ins unermesslich gesteigerter, abstoßender Touristenrummel.

Die gute Nachricht? Fällt mir vielleicht morgen ein…

china2dOkay, macht mal die Augen zu und stellt Euch eines dieser Alpendörfer vor, in die in den Siebzigern zwischen die traditionellen Holzhäuser diese riesigen Hotelkomplexe gebaut wurden. Jetzt stellt Euch außerdem vor, dass in jede Lücke zwischen den Hotels nochmals Gebäude hochgezogen wurden. Ohne Rücksicht darauf, dass man den schon existierenden Häusern Licht und Ausblick wegnimmt. Dazwischen keine Straßen, sondern Treppenwege von etwa einem Meter Breite. Auf der einen Seite Häuser, auf der anderen Seite manchmal Häuser, manchmal nichts. Nein, nicht ganz nichts, etwa zwei, drei Meter unter dir liegen Bauschutt und Abfall. Dazwischen winden sich die Abwasserrohre. Gelegentlich riecht man, dass es Probleme mit der Dichtheit dieser Rohre gibt. Vor den Hotels dann noch Stände, die dir von Pashima über Jade zu chinesischer Medizin und Lampions Souvenirs verkaufen wollen. Um Kunden anzulocken, plärrt Musik aus Lautsprechern und blinken Lichtdekorationen. Frauen in der Nationaltracht treten dir alle paar Schritte in den Weg, bieten dir etwas an und tun so, als ob sie in Tränen ausbrechen, wenn du abwinkst.china2b

Ping’An ist ein ins unermesslich gesteigerter Touristenrummel oder wie ein Holländer am Nachbartisch sagte „chinesisch touristisch“. Selbstsüchtige Gewinnmaximierung und hemmungslose Kommerzialisierung ohne auch nur einen Funken Bewusstsein für das, was dabei zerstört wird.

Die Reisterrassen selber sind abgeerntet und ohne Wasser. Sie sind sehr schön, auch im Nebel. Morgen wollen wir von diesem Dorf Ping’An ins übernächste Dorf wandern. Und ich hoffe so, dass es regnet und ich nicht noch einmal durch diesen abstoßenden Rummel muss.

china2cDabei hatte der Tag ganz anders angefangen. Gut, es kann sein, dass ich unseren Veranstalter in die Nervenkrise getrieben habe. Erst andauernd die Routen geändert, dann andere – einfachere! – Hotels verlangt. (Unser Führer/Fahrer schläft in einem besseren Hotel als wir, mitten im Ping‘An-Trubel, weil ich ein kleines ruhigeres Hotel zu Beginn des Dorfes ausgesucht habe. Wir haben dafür ein Eckzimmer mit zwei riesigen Fenstern und traumhaftem Blick auf die Reisterrassen.) china2aUnd jetzt, wo alles gebucht ist und wir hier sind, will ich einen weiteren Programmpunkt hinzufügen. Ich hatte vor kurzem von den Wind-und-Regen-Brücken gelesen und wollte die auch noch sehen. Angeblich hat der Veranstalter dem Führer/Fahrer genervt gesagt, der solle entscheiden, er wolle sich um mich nicht mehr kümmern müssen. Armer Mann. Ein paar hundert Yuan später ist die Entscheidung gefällt und wir auf dem Weg nach Chengiang.

china2jDort liegen fünf Dörfer an einem Fluss, über den die Dhong in Gemeinschaftsarbeit diese Brücken gebaut haben. Die Dhong sind eine Minorität, die matriarchalisch lebt. Der zukünftige Bräutigam kommt zwei Jahre vor der Eheschließung in die Familie seiner Frau. Dort muss er dann diese zwei Jahre in der Familie mitarbeiten: auf den Reisterrassen, beim Hausbau, beim Stofffärben, alles, was halt so anfällt. Nach der Hochzeit, als Ehemann, muss er keinen Handschlag mehr tun. Sein Leben besteht dann nur noch aus Rauchen, Karten Spielen und Musizieren. Herr Chang schlägt Monsieur jovial vor, in ein solches Leben einzuheiraten. Monsieur denkt ernsthaft nach und schüttelt dann den Kopf: „Zu langweilig!“

china2gDie Wind-und-Regen-Brücken sind eine Art Kommunikations- oder Gemeindezentrum. Ein Dach über der Brücke schützt vor Regen, halbhohe Seitenwände vor Wind, Bänke laden ein zum Sitzen und Reden, Pavillons zum Kaufen und Verkaufen. Die Dhong sind gute Handwerker und so sind Häuser und Brücken aus Holz ohne einen einzigen Nagel erbaut, alles ist ineinander verzapft. In der Dorfmitte steht ein großer Trommelturm, mit dem vor Feuer oder Feinden gewarnt wurde, jetzt mit Bänken, Tischen und einem Fernseher der Treffpunkt der Alten des Ortes. Man wird zwar beim Betreten des Turmes mit einer Hanchina2hdbewegung auf eine Spendenbox hingewiesen, ansonsten herrscht eher freundliche Neugier als kommerzielles Interesse an den Fremden. Wir werden gefragt, ob wir die „Flöte“ hören möchten und stellen uns auf hohe dissonante Töne ein. Das Instrument, das in der Ecke steht(!), ist dann sehr überraschend: eine fast drei Meter hohe Konstruktion, die an drei Orgelpfeifen aus Bambus erinnert, mit dem Mundstück in etwa 1,50m Höhe. Sie spielt sehr tiefe, dunkle Töne. Die daran anschließend angebotene gemeinsame Runde Pfeifchen haben wir freundlich abgelehnt.china2f

Die Dhong färben für ihre Trachten den Stoff mithilfe der Indigo-Pflanze nachtschwarz. Dazu wird der Stoff solange im Pflanzensud gekocht, bis die gewünschte Farbtiefe erreicht wird. Der Stoff wird getrocknet und danach so lange geschlagen, bis er glänzt. Beim Spaziergang durch die Dörfer wehen an vielen Häusern die Stoffbahnen wie Banner im Wind.

Mittagessen gab es dann auf einer weiteren Brücke. Am letzten Pavillon saß eine junge Frau an einer tragbaren Feuerstelle. In der Glut lagen Süßkartoffeln und in Schilfblätter eingeschlagene Klebreis-Kegel. Monsieur und der Führer wählten die Kartoffeln, ich ein Reis-Päckchen, Mittagessen für drei für acht Yuan. Der dazu angebotene Öl-Tee, der mit zwei Löffeln Puffreis und Erdnüssen aufgepeppt wurde, war dann allerdings so gar nicht mein Ding.

Gute Nacht aus Ping’An.

Und hier noch das Bild des Tages:

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Dienstag: „Speedy boarding“ auf Chinesisch

Die gute Nachricht zuerst: Die Rückfahrt zum Flughafen Kunming hat ohne Probleme geklappt.

Die schlechte Nachricht: Wir sind nicht mehr die einzigen Europäer. Unter den Tausenden von Chinesen in der Abflughalle habe ich tatsächlich andere Europäer erspäht. Acht sitzen allein an unserem Gate, so viel waren es die letzten vier Tage zusammen nicht. Das heißt dann wohl, dass es nix wird mit „speedy boarding“ auf Chinesisch. Wer einmal miterlebt hat, wie chinesische Stewardessen 300 Passagiere innerhalb von 10 Minuten auf ihren Plätzen haben, Handgepäck verstauen inklusive, sieht das verträumte Trödeln europäischer Mitreisender – den Handkoffer links ins Fach? Oder doch lieber rechts? Oder doch ganz wo anders? Und das alles natürlich im Mittelgang stehend und alle anderen blockierend – mit ganz anderen Augen. Jeder Chinese, der nicht im Laufschritt seinen Platz anstrebt, dabei mit Basketball-Profi-ähnlicher Präzision sein Gepäck in die Fächer pfeffert, zieht sich einen ganz gepflegten Anschiss von mindestens zwei chinesischen Stewardessen, der vor und der hinter ihm, zu. Wir waren sehr beeindruckt.

Jackie Chan, von dem wir inzwischen wissen, dass er Kunst mit Schwerpunkt Musik studiert hat, fährt wieder zu Strauß. Die linke Hand liegt am Lenkrad, von der rechten gelegentlich nur die Fingerspitzen, der Handrücken dirigiert mit. Auf einer Autobahnraststätte zeigt er uns mit ein paar Walzerschritten, dass er seine Lieblingsmusik auch tanzen kann.

china1cZwischen den beiden Autobahnen, die uns aus dem Süden nach Kunming bringen, liegt ein langes Stück Landstraße. Es führt uns durch mehrere größere und kleinere Städte bzw durch deren Rand- und Industriegebiete. Die chinesischen Industriegebiete stehen in Charme und architektonischem Reiz den europäischen in nichts nach. Nur sehen wir weniger Industrieagglomerate als offene Handwerksbetriebe. In einer Stadt fällt mir ein Muster auf. In schöner Regelmäßigkeit wiederholen sich Steine, Bonsais, Löwen. Es gibt ein chinesisches Sprichwort: Kommt Zeit, kommt Glück. Dabei ist das Wort Zeit identisch mit dem Wort Stein, so dass es auch heißen könnte: Kommt Stein, kommt Glück. Und das mit dem Stein ist natürlich viel leichter zu arrangieren als das mit der Zeit. Also stellt, wer sich einen Garten leisten kann, einen großen Stein auf, in dem festen Bewusstsein dass das Glück nun einfach kommen muss. Dieser Stein muss idealerweise vier Bedingungen erfüllen: china1ber soll erstens hoch und schlank sein, dabei zweitens etwas gefaltet oder gedreht. Drittens soll er viele Mulden und Löcher haben, von denen viertens mindestens eines zum Hindurchschauen sein soll. Da die Natur nun manchmal sehr uneinsichtig ist, helfen diese Handwerksbetriebe nach. Dort stehen Männer mit Presslufthammer und Trennscheibe und gestalten Löcher und Mulden in große Steine, trennen ab, was die ideale Form stört, arbeiten nach, was die Natur vernachlässigt hat. Der gleiche Ansatz kommt eine Werkstatt weiter bei den Garten-Bonsais zum Einsatz. Diese großen Bonsais wurden nicht durch jahrzehntelanges Zupfen und Drahten in Form gebracht. Hier wurden alte, bizarr gewachsene Bäume ausgegraben und in eine große Bonsaischale getopft. Dann wurden in etwa einem Meter Höhe die Hauptäste gekappt und gewartet, bis am Stamm ein paar Blätter wieder austrieben. Kettensägen-Bonsais…china1a

Und die Löwen? Die gab es in allen Formen und Größen, natürlich immer paarweise. Und funkelnagelneu. Ein Joghurt, in Wasser aufgelöst darüber gepinselt, sorgt in Kürze für Moos und Patina. (Das ist kein chinesischer Trick, den haben wir von einem Baumeister, der im Lozère alte Granitbauernhäuser renoviert.)

Stein, Bonsai, Löwen, alles da für den idealen chinesischen Garten: Die Löwen, die den Eingang bewachen, der Stein, der vor Dämonen schützt und das Glück herbeizwingt und den Bonsai, vor dem man meditieren kann. Alles ein bisschen gefälscht, aber wer weiß? Das Glück ist ja inzwischen auch schon etwas älter und sieht vielleicht auch nicht mehr so gut…

china1f Heute geht es von Kunming mit dem Flieger nach Guilin. Unsere Zeitplanung hat so viel Spielraum, dass wir doch noch die Zeit zum Essen finden, wie immer „was Kleines“, wie immer nur drei Gerichte. Das Essen wird in diesen kleinen Lokalen frisch für uns zubereitet. Meistens steht am Eingang eine Kühlvitrine, vor der wir mit Jenny beraten: etwas hiervon, etwas davon, vielleicht noch das? Die lokale Spezialität? Dazu grünen Tee oder ab und an auch mal ein Bier. Der Reis steht meist in dem großen Holzbottich, in dem er gekocht wurde, auf einem Tisch zur Selbstbedienung.

Das Geschirr wird für alle – auch Einheimische – eingeschweißt auf den Tisch gestellt. Outsourcing der Hygiene? Jedenfalls wird das benutzte Geschirr in großen Bottichen mit Firmenaufschriften gesammelt.

china1gDann erscheinen die Platten, eine nach der anderen, wie die Küche sie fertiggestellt hat und du zückst deine Stäbchen. Von Himmelsdrachen (geröstete Kakerlake) und Erddrache (geschmorter Regenwurm) wurde uns mehrmals erzählt, sie wurdem uns aber noch nie angeboten. Und was „Drei Mal Quieken“ ist, erzähl ich euch nicht. Es reicht, wenn es mich schüttelt.

Dass ich in unserem letzten Lokal schon wieder meine sehr praktische, wenn auch wenig attraktive Reisehandtasche hängen lasse, zwingt uns nach zehn Minuten Fahrt zu hektischen Wendemanövern und mich zum Nachdenken. Vielleicht könnte ich mit einem hübscheren Exemplar ein engeres Verhältnis aufbauen. Das erste Mal war übrigens direkt auf dem Frankfurter Flughafen. Da hat sie mir ein freundlicher Mitpassagier nachgetragen, Pass, Boardingticket, Kreditkarten inklusive…

Jenny stürzt sich mit uns ins Getümmel der Abflughalle, wo an dreißig Schaltern alle Flüge aller Airlines eingecheckt werden, allerdings alles nur auf Chinesisch. Sie verabschiedet sich vor der Sicherheitskontrolle von uns. In Guilin werden wir von Herrn Chang abgeholt, Fahrer und Führer in einem, der uns zu den hiesigen Reisterrassen begleiten soll. Im Gegensatz zu Jennys Englisch ist sein Deutsch hervorragend.

Gute Nacht aus Guilin, 27 Grad am Abend

Das Foto des Tages: da kann ein weiser Mensch lange drüber nachdenken..

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Montag: Tiger, Taillen und Tuniken

Die gute Nachricht zuerst: Wir waren um 6:30 wach für den Sonnenaufgang auf den Reisterrassen.

Die schlechte Nachricht: Die Sonne hat sich nicht ans Drehbuch gehalten, erst Wolken und plötzlich war sie dann schon über den Berg.

Aber schön war‘s trotzdem. Und im Frühmorgennebel sah das Dorf verzaubert aus.

Unser Weg führte uns durch den Wochenmarkt von Shengchun und wir sind natürlich ausgestiegen. Im ersten Drittel gibt es viel von der Sorte Hässlich, aber nützlich: Plastikwannen, Aluspritzguss, Besen…

DSC_0002_jiDann kamen die Stände mit den Stoffen. Die Frauen des Ye- Volkes lieben es bunt. Dagegen ist die Tracht der Hani von großer Schlichtheit und Eleganz. Eine 7/8 Hose in dunkelblau oder –grün, darüber eine oberschenkellange Tunika, asymmetrisch auf der rechten Schulter geknöpft mit vielen kleinen Silberkugeln oder drei großen Silbermünzen. Das gefiel mir so gut, dass ich mir durchaus vorstellen konnte… Aber die Stoffballen sagten ja wohl, dass diese Tuniken selbst geschneidert werden mussten. Doch dann war da hinter den Marktständen ein Geschäft, in dem mehrere fertige Tuniken auf der Stange hingen. Nun sind die Hani-Frauen klein und zierlich, zumindest die jüngeren. Aber unter den Älteren hatte ich auch einige kräftigere Exemplare gesehen, sodass Hoffnung bestand, etwas zu finden, was einer normalgewichtigen Europäerin passen könnte. DSC_0054_jiAlso hinein in den Laden. Jenny erklärt und plötzlich packen zwei Hände mich beherzt in der Taille. Sie werden zurückgezogen, die Verkäuferin betrachtet die Distanz  zwischen ihren Händen und nickt. Die Größe scheinen sie zu haben. Dann schießen ihre Hände wieder vor, je eine Hand grabscht je eine meiner Brüste, schiebt sie ein-, zweimal hin und her und konstatiert, was mir bisher noch nie jemand gesagt hat: „Zu groß!“ um dann den abschließenden Stoß zu setzen: „You too tall!“ Also keine Tunika für mich. Was sie aber nicht davon abhielt, mir dann geschäftstüchtig eines der Kopftücher anzubieten, das zur Tracht gehört oder die schwarze Schürzen, die die Hani Frauen gelegentlich hinten und vorne wie ein Mini-Röckchen über der Tracht tragen. Aber die wollte ich dann nicht mehr, so.DSC_0005_ji

Weiter geht es an Ständen vorbei, die selbstgeflochtene Körbe zum Transport von Hühnern und Schweinen (!) anbieten zum bunten Gemüsemarkt. In all der grünen Vielfalt fällt ein Stand auf, der Tannenschösslinge verkauft und gute Geschäfte macht. DSC_0048_jiMehrere Frauen haben die wurzelnackten Pflänzchen in ihren Tragekörben. Eine Investition in die Zukunft, das Brennholz weit entfernter Winter. Schließlich geht es auf einer Seitenstraße zurück zum Wagen. Ich bilde mir ja ein, einigermaßen krisenfest zu sein, was interkulturelle Begegnungen angeht. Aber als uns kurz hintereinander an drei verschiedenen Ständen ganze Tigertatzen, komplett, mit noch 20, 30 cm Tiger dran, Haut, Sehnen, Knochen, angeboten werden, wird mir doch übel. Jenny ist genauso geschockt, natürlich sei das illegal, aber diese Bergvölker, sie zuckt die Schultern. Jackie Chan reagiert gelassen: „Fake!“, meint er.

DSC_0076_jiIm Walzertakt reisen wir nach Jian Shiu, das mit einem fast vollständig erhaltenen Dorf des 19. Jhds, Tuan Shan,  und einer fast intakten Altstadt dienen kann. Das Dorf ist eine Zeitreise. Eine Familie, reich geworden durch Minen, hatte sich einen landschaftlich schönen Hügel gekauft und darauf eine große Residenz errichtet. Andere Familienmitglieder zogen dazu und so entstand ein Konglomerat von recht reich und prunkvoll gestalteten Häuser, alle im Stil der gleichen Epoche, aber jedes individuell nach dem Geschmack seines Erbauers. Man fühlte sich in einen Historienfilm versetzt. Wir suchen und finden den heruntergekommenen Tempel des Dorfes, Jenny gesteht, dass sie da noch nie gewesen sei. Über geborstene Stufen geht es hoch zu den Tempelwächtern, grausige Gesellen, dahinter die Tempelhalle mit einem Buddha. An den Wänden ebenfalls Zeitreise: Mao Porträts und Zeichnungen aus der Zeit der Kulturrevolution.DSC_0111

Als Ausgleich zum Guesthouse sind wir heute im Vier-Sterne-Hotel untergebracht. Wir betreten die Halle und zucken zusammen: in acht Meter Höhe funkelt in der nachtblauen Decke ein LED-Sternenhimmel. Was uns mehr beunruhigt, ist das in Gold getriebene Relief der Altstadt Jian Shius hinter der Rezetion. Und das riesige meterhohe Lotusteich-Relief in Sandstein an der Stirnseite der gigantischen Eingangshalle ist ein ganz schlechtes Zeichen. Denn im Allgemeinen gilt: je größer die Halle, desto niedriger die Chancen, dass alles funktioniert. Okay, das Zimmer ist sehr groß, das Bad, mit ebenerdiger, geräumiger Dusche ebenso. Aber vor dem Hotel liegt eine Shopping Mall, deren ohrenbetäubende Musik, unterbrochen von hektischen Durchsagen, bis hoch in den 15. Stock dröhnt, und das bis spät in die Nacht. Die tolle Dusche ist verstopft und setzt als Konsequenz das Badezimmer unter Wasser und der Fön gibt einen letzten Seufzer von sich und erstirbt.DSC_0121

Aber zuerst geht es in die Altstadt, deren schöne alte Gassen ein Geschäft neben dem anderen bieten, zum zweitgrößten Konfuzius-Tempel Chinas. Gelegen in einem riesigen Park und an einem großen künstlichen See, den Jenny abwechselnd als „das Meer der ewigen Weisheit“ und „den See des immerwährenden Lernens“ bezeichnet, schauen ihm die Hochhäuser der modernen Stadt über die Schulter bzw. den Mauerrand. Ich kann Jennys Ausführungen nicht so recht folgen. Zum einen ist ihr Englisch furchtbar anstrengend, zum anderen habe ich Gärtner entdeckt, die auf dem See die verblühten Lotuspflanzen abschneiden und über das Geländer werfen. So bin ich damit beschäftigt, die schönsten Lotusfrüchte aus dem alten Laub herauszuklauben.

Lotusfrüchte aus dem Meer der ewigen Weisheit, dem See des immerwährenden Lernens. Hmmm, das klingt gut.

Gute Nacht aus Jian Shiu.

Übrigens: Am nächsten Morgen liefert der Toaster eine Scheibe Toast, die auf der einen Seite schwarz, auf der anderen weiß und kalt ist.

Und hier noch ein Bild des Tages

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Sonntag: Mit dem Rollkoffer durch die Reisterrassen

DSC_2130_jiKleine Vorbemerkung: Jackie’s Guesthouse gehört zu den einfacheren Unterkünften, die ich unserem Veranstalter ab- bzw. aufgequatscht habe. Er meinte, es sei für Europäer nicht geeignet, der Standard und Komfort entspräche nicht unseren Erwartungen. Ich aber wollte meinen Sonnenaufgang auf den Reisterrassen haben, in einem der Dörfer, und nicht vom Vier-Sterne-Hotel zu einem View Point gekarrt werden. Während wir heute Morgen durch einige schockierend heruntergekommene und verdreckte Dörfer gewandert sind, beschlichen mich doch langsam Zweifel an der Weisheit meiner Entscheidung.

Die gute Nachricht zuerst: Jackie’s Guesthouse ist ein sehr einfaches, aber sauberes Gasthaus in einem Dorf mitten in den Reisterrassen.

Die bessere Nachricht: Wir haben ein Zimmer ganz oben, beim „sunrise viewing balcony“und es hat ein eigenes Badezimmer.

Und die beste Nachricht: dieses Bad hat eine europäische Toilette! Mensch, ist das schön!

DSC_2162_jiHeute Morgen sind wir nach einem sehr chinesischen Frühstück aufgebrochen zur ersten Wanderung in den Reisterrassen. Dazu mussten wir erst alles, was man als Standard-Europäer als unerlässlich hält in die Rucksäcke packen. Jackie’s Guesthouse ist mit dem Auto nicht zu erreichen, ins Dorf geht es nur zu Fuß. Und „Mit dem Rollkoffer durch die Reisterrassen “ klingt sicher gut als Buchtitel, ist aber wenig praktikabel. Also, Schlafanzug, Pass, Zahnbürste & Co in den Rucksack. Und los geht’s. Allerdings führte unser erster Weg in einen Supermarkt. Ich habe mich mit einer entzündeten Achilles-Sehne durch Beijing gekämpft und langsam waren Schmerzen und Schwellung so, dass ich sie nicht mehr weg-ignorieren konnte. Also brauchte ich einen Wanderstock, um den Fuß zu entlasten (plus ein paar Ibuprofen). Und tatsächlich gab es neben Opa-Stöcken auch zwei Teleskop-Wanderstöcke in diesem Markt. Der Stock kostete dann weniger als mein Luxus-Cappuccino auf der Luxusmeile in Beijing. Gut, er ging in Qingkou auch beim ersten Verstellen direkt kaputt, aber Monsieur kann so ungefähr alles reparieren. Während Monsieur den Stock reparierte, kam ein alter Mann daher und zeigte uns stolz seinen Stock, den er aus einem Bambusrohr geschnitzt hatte, Schlangenkopf inklusive. Dann stellte er sich neben mich – er reichte mir knapp bis unter die Brust – und wollte sich schier ausschütten vor Lachen über den Größenunterschied. Schön, wenn man etwas für die lokale Bevölkerung tun kann.DSC_2026_ji

Qingkou ist ein sehr schönes sauberes Dorf, Unesco Welterbe, mit großem Dorfplatz und Dorfhalle, in der ein kleines Museum untergebracht ist zu Trachten und Werkzeugen der Hani, die in 1300 Jahren mühsamster Arbeit diese Reisterrassen angelegt haben. Die Mühen sind kaum vorstellbar. Die Dörfer liegen auf einer Höhe von 1800 – 2000 m, die Terrassen gehen hinab ins Tal bis 1000 m Höhe. Jedes Jahr im Herbst nach der Ernte werden die Terrassen ausgebessert, angesammelter Lehm-Matsch wird auf die bestehenden Mauern oben drauf geklatscht, um sie zu erhöhen und zu verstärken. DSC_1986_jiAlles, was auf die Felder gebracht bzw. auf ihnen geerntet wird, Saatgut, Düngematerial, Reisernte, tragen die Hani-Frauen auf ihren Rückenkörben mit Stirngurt nach unten oder oben. Im Dorf konnte man auch noch zwei Mühlen sehen, in denen den Reis gemahlen wird und eine Art Stampfmühle, bei der in einem Loch im Boden ein Wasser getriebener Schlegel gekochten Reis zerstampft. Der wird dann zu kleine Laiben geformt und als Vorrat getrocknet. Vom Dorf führt ein ausgeschilderter Weg etwa 6 km durch die Reisterrassen zu anderen Dörfern und wieder zurück zur Straße. Steht im Internet und haben wir unserer Führerin erklärt, die davon nichts wusste. Der Weg war sehr schön zu laufen, manchmal etwas matschig, aber völlig ohne Probleme zu machen. Der Blick auf die Terrassen war durch nichts verstellt. Durch das wechselhafte Wetter und das Ziehen der Wolken gab es immer wieder Momente, in denen der Wasserspiegel der Felder ganz stumpf wurde, um kurz darauf wieder aufzuleuchten. Jenny erklärte uns, dass die Hani in jeder Pflanze, jedem Tier, der Natur einen Geist verehren und achten. Deshalb schockierte uns der allgegenwärtig offen herumliegende Müll, auch rechts und links des Pfades doch ziemlich. Auch in den Dörfern wird der Müll einfach in den Straßengräben entsorgt. Die freilaufenden Schweine verteilen ihn dann noch ein bisschen. Gleichzeitig sahen wir mehrmals Frauen, die auf der Straße das Laub beiseite kehrten. Sehr verwirrend.DSC_2077_ji

Am Ziel, Quanfuzhuang, angekommen, dauerte es ziemlich lange, bis es Jackie Chan gelang, uns auf der einzigen Straße weit und breit zu finden. Wir fuhren zu einer Aussichtsterrasse, Bada, wo wir auch essen sollten. Das „Lokal“ bestand aus einer kleinen Terrasse, links von den drei Tischen lagen Gerümpel, Bauschutt und aufgequollene Zementsäcke, rechts aufgeplatzte Mülltüten. Wir sind ja sehr für authentische Nähe, aber das war uns dann doch zu viel und wir haben uns schlicht und einfach geweigert. Das nächste Lokal sah schon rein äußerlich viel ansprechender aus. Auf unseren Einwand „Nichts Großes“ nickte Jenny: „Okay, nur drei Platten!“

Im nächsten Ort gab es einen Stau. Ein LKW stand so, dass man nicht vorbeikam. Monsieur stieg aus, um die Gelegenheit zum Fotografieren zu nutzen und plötzlich befanden wir uns mitten in einer Hani-Beerdigung, die den Verkehr weit vor dem LKW zum Erliegen gebracht hatte. Vorneweg lief eine Gruppe junger Männer, die immer wieder Böller auf die Straße warfen. Danach kam der Sarg, in ein Gestell mit Trageseilen eingehängt und dahinter die Trauernden, alles Männer. Danach eine Gruppe Frauen, die in blauen Tüchern Reisstroh und Plastikmüll, Flaschen, Chipstüten, trugen, wahrscheinlich Beweis der Größe der Trauerfeier. Dazu diente wohl ebenso die Schubkarre, die den Abschluss bildete, bis obenhin gefüllt mit den Knochen der verzehrten Tiere.

Achja, der „Sunset point Mouth of the Tiger” war dann doch eher enttäuschend. Vierzig Minuten Fahrt, 418 Stufen bergab (und hinterher natürlich wieder bergauf) und dann gibt die Sonne sich noch nicht mal richtig Mühe mit dem Sonnenuntergang.

Na gut, eines hat sie erreicht, die Sonne: wir werden heute Nacht sehr gut schlafen.

Gute Nacht aus Duoyishu

Samstag: Das Land südlich der Wolken

Guten Morgen aus Yunnan DSC_1979_ji

Die schlechte Nachricht zuerst: Nach zehn Stunden Fahrt begrüßt uns im Hotel eine chinesische Hochzeitsfeier, die im Festsaal des Hotels tobt.

Die gute Nachricht: Ich habe geschlafen wie ein Stein. Trotz der Feier…

Kunming begrüßte uns nach sechs Tagen grauen Smogs mit Bayrisch-Weißblau, ein Stimmungsaufheller erster Güte. Kunming ist einer der ältesten Flughäfen Chinas und eine der ersten Langstrecken-Destinationen der damals noch Luft Hansa. Wir gingen durch die Gänge und Hallen des Flughafens und sahen uns zunehmend besorgter an, war das schon Alzheimer? Beginnende Altersdemenz? Wir waren schließlich zweimal hier gelandet und gestartet, jedes Mal im Dunkeln zwar, spät abends bzw. früh morgens, aber an irgendwas sollten wir uns doch erinnern?

In der Halle wartete „Jenny“ auf uns, deren Englisch doch sehr begrenzt ist. Der Fahrer sieht aus wie ein angeheirateter Stiefzwilling von Jackie Chan in einer seiner „Cop“-Rollen, ganz in Schwarz, schwarze Sonnenbrille, weiße Handschuhe und einen Bluetooth-Knopf im Ohr. So weit so gut. Direkt am Flughafen geht es auf die Autobahn und Jenny erzählt, dass der Flughafen erst 2012 fertiggestellt wurde. Ach so.

Bis Liu Jiu Ba läuft es hervorragend, dann stehen vor einem Tunnel alle Ampeln auf Rot, davor ein kleiner Stau. Der einzige Verkehr auf der Gegenseite sind mit Erde und Gestein beladene LKWs. Jackie Chan geht fragen. Hinter dem Tunnel hat es vor ein paar Minuten einen Erdrutsch gegeben, die Autobahn ist blockiert, man arbeite dran, in einer halben Stunde hätte man eine Spur frei. Nach fünfzehn Minuten beginnen die ersten Autos zu drehen und die einmündende Einfahrt hoch zu fahren. Jackie fragt nochmals, jetzt heißt es, weitere 60, vielleicht 90 Minuten. Es wird beschlossen, statt der Autobahn die alte Straße durch die Berge zu nehmen und irgendwie zu versuchen, bei der nächsten Ausfahrt wieder auf den „Expressway“ zu kommen. Es beginnt eine landschaftlich zwar sehr schöne, aber sehr zeitaufwändige Odyssee. Jackie Chan liebt Johannes Strauss. So fahren wir zu Walzer-Klängen durch die tiefste chinesische Provinz. Manchmal ist Johannes stärker als Jackie und Jackie singt ein paar Tage lauthals mit. Wunderschöne Stimme, wenn man Walzer mag.

DSC_2053_jiDie Strecke führt uns durch Berge und sehr viel, sehr authentisches China. Es gibt sie tatsächlich, die Klischee-Chinesen mit dem Reisstrohhut und den zwei Körben an der Tragestange. Wir fahren durch Dörfer mit Lehmhütten, überholen Pferdewagen und Ochsenkarren, bewundern kleine Tempel und sind doch etwas geschockt über die wilde Müllentsorgung rechts und links der Straße und den vielen qualmenden Müllfeuern. Die Straßen sind schmal, manchmal gut, manchmal sehr schlecht und in den Dörfern werden sie sehr eng, da jeder die Straße als Lager für Baumaterial oder Holzvorräte nutzt. Nach einer Stunde quäkt Monsieurs Lebensgefährtin, dass es zur Autobahn links abgehe, geradeaus aber nach Longpinan. Monsieur fragt höflich an, man bestätigt genauso höflich, dass man natürlich auf die Autobahn wolle, lehnt seinen Vorschlag aber freundlich lächelnd ab. Gut vierzig Minuten später sind wir in Longpinan, wahrscheinlich die einzigen europäischen Touristen, die diese Stadt je besucht haben, und der Fahrer muss eingestehen, dass er sich verfahren hat. DSC_1975Monsieurs Lebensgefährtin schlägt eine Route geradeaus auf einen anderen Expressway und von dem auf unseren, aber das wird abgelehnt. Also gurken wir die Strecke wieder zurück, bis zur Einmündung, gurken eine weitere knappe Stunde durch dunkler werdende Landschaften und erreichen bei Dunkelheit die Autobahn, etwa 20km von der ersten Ausfahrt entfernt. Jackie Chan „rast“ mit 110 durch die Nacht, immer links. Inzwischen ist klar, dass wir unser Hotel nicht zur Essenszeit erreichen werden, also geht es kurz ab von der Autobahn und hinein ins nächste Dorf. Vor einem Gasthaus, vor dem ein chinesischer Bus steht, halten wir. Wir wollen eigentlich nur eine Kleinigkeit essen, sagen wir und Jenny nickt. Es kommen dann eine Suppe mit Wasserkresse und sehr leckeren Tofubällchen, gepökeltes und gebratenes Schweinefleisch, eine Art Kohlstängel mit Blüten, gebraten und eine Gemüse-Hack-Mischung. Während wir essen, schleichen die Passagiere des Buses alle auffällig unauffällig durch die Halle zu unserem Tisch, wo sie dann überrascht tun, wenn wir sie bemerken, um dann mit den Fingern auf das Pökelfleisch – eine lokale Spezialität – zu zeigen und heftig grinsend zu nicken. Wir grinsen nickend zu. Zu guter Letzt werden noch Kleinkinder hereingetragen, damit sie uns anschauen und uns zuwinken können. Irgendwie habe ich das Gefühl, dahin verirren sich nur selten Europäer.

Jackie Chan verfährt sich noch zweimal, sagt Monsieurs Lebensgefährtin. Jenny behauptet, man habe mit Absicht diese Straße gewählt, die andere sei zu gefährlich. Irgendwann löst sich in totaler Dunkelheit die ungefährliche StrDSC_1980aße in Schlaglöcher und dann in tiefen Matsch auf und Jackie Chan bleibt kopfschüttelnd stehen. Ich gratuliere mir in Gedanken zu der Weitsicht, einen Schlafsack eingepackt zu haben, da es so aussieht, als ob wir heute Nacht im Auto schlafen werden. Doch dann gibt der Fahrer seinem Herzen einen Stoß und der Wagen quält sich erfolgreich durch den Schlamm. Nochmal einige Zeit später fahren wir vor der Einfahrt des Yunti-Hotels vor. Und werden von der lauten Musik einer großen Feier empfangen.

Samstag: Ja, mach nur einen Plan…

Die gute Nachricht zuerst: das mit dem Flug nach Kunming hat prima geklappt. Der Taxifahrer war fünf vor sechs in der Lobby, brachte uns zum richtigen Flughafen und entsprechendem Terminal, wo wir ohne Probleme eincheckten. Ein bisschen Fummeln bei der Kontrolle war ok. Und dann haben wir sogar mitbekommen – mehr aus Zufall, aber immerhin – dass sich das Abflug-Gate unseres Fluges geändert hat.

Die schlechte Nachricht: Ich bin einfach zu müde, um zu erzählen, warum wir erst knapp zehn Stunden später in unserem Hotel Yunti ankamen.

Gute Nacht aus Yunnan, dem Land südlich der Wolken

Freitag: Good bye, Beijing

Die gute Nachricht zuerst: Ich habe einen Adapter gekauft, damit wir im ländlichen China an Strom kommen. Hat mich 28 Yuan und 20 Minuten gekostet im „Wu-Mart“ das Ding zu finden und dann – authentisches China erleben – mit 200 Leuten an der Kasse zu stehen.

Die schlechte Nachricht: das garantiert natürlich noch lange nicht, dass wir in besagtem China auch Internet haben. Ich habe meinen Teil jedenfalls getan.

Der letzte Tag in Beijing. Was kann ich mir noch ansehen? Alles!

Was muss ich noch ansehen? Nichts!

Die Entscheidung fiel auf den Lama-Tempel und das Nationale Kunst-Museum. Den Lama-Tempel fand ich beim ersten Besuch sehr beeindruckend. Außerdem ist er einfach zu finden. Die U-Bahnstation heißt freundlicherweise „Yonghegong Lama Tempel“. Ist man erstmal draußen, muss man nur seiner Nase folgen, die Räucherstäbchenschwaden führen einen. Wenn man eine so orientierungsmäßig herausgeforderte Nase wie ich hat, erstmal zum Hintereingang. Das verschaffte mir aber 40 Minuten später entscheidende Vorteile, denn ich wusste, wie man von diesem Hintereingang direkt zur U-Bahn kam. Anders als die fünf aufgeregt diskutierenden älteren Chinesinnen, die sich auf keine Richtung einigen konnten, erwartungsvoll beäugt von einem Taxifahrer.

P1120230Der Lama-Tempel ist der größte tibetanische Tempel außerhalb Tibets und sehr alt. Mehrere Hallen staffeln sich hintereinander, flankiert von Bibliotheken, Studienräumen, einer Art Apotheke. . In der letzten Halle steht ein Buddha, der aus einem 24 m hohen und 8 m Umfang dicken Holzstamm geschnitzt wurde, ein Geschenk des damaligen Dalai Lamas an den Tempel. Drei Jahre hat allein der Transport des Stammes gedauert.P1120227 An diesem Morgen wurde eine Andacht in der vorletzten Halle gehalten. Fünfzig oder mehr Mönche saßen in der Halle, sangen, schlugen Trommeln oder Becken und tröteten in Abständen in sehr dissonante „Alphörner“. Um sie herum drängten sich Hunderte Gläubige, Räucherstäbchen in der Hand, eine ganz eigene Art von Beijinger Smog kreierend.

Das Nationale Kunst-Museum, tja. Meine Erwartungen waren sehr hoch: Jahrhunderte alte Tuschezeichnungen, Drucke oder schwungvolle uralte, vergilbte Kalligraphien wollte ich mir ansehen, die nationalen Schätze eben. Ich weiß nicht, wo sie die ausstellen, in diesem Museum jedenfalls nicht. Der ganze obere Stock war einem mexikanischen Maler gewidmet, dessen Stil mich überhaupt nicht ansprach. Hinzu kam, dass die Bilder alle ausschließlich in Chinesisch ausgezeichnet waren. So war das Einzige, was ich lesen konnte z.B. 94 x 123 cm, aber weder Titel noch Anlass.

P1120232Im 2. Stock gab es acht Räume moderne Kalligraphie. Gut, drei davon habe ich „gemacht“. Und unten gab es dann jede Menge sozialistische Kunst: pausbäckige Kinder kerniger Landarbeiter schauten energiegeladen in die Zukunft. Okay, wem’s gefällt. Eigentlich habe ich danach nur ein Café gesucht und dabei bin ich über die Sonderausstellung gestolpert, die wirklich faszinierend war: ein Fotograf hatte Schwarzweiß-Bilder geschossen im Stil chinesischer Tuschezeichnungen. Ich fürchte unsere Fotos der Reisterrassen werden nicht so wunderschön.

P1120235Vom Museum bin ich dann mit dem Taxi (ja, gut, ich hatte mich verlaufen, aber das muss man ja nicht gleich an die große Glocke hängen) zur Einkaufsmeile Wangfujing. Hier reiht sich ein Nobel-Kaufhaus ans andere. Anders als im Hongqiao Market oder im Yuanling Silk Store sind die Prada-Taschen hier echt. Und ebenso anders als dort werden die Verkäuferinnen hier nicht um 75% mit dem Preis runtergehen. Ich habe mir hier nur eine Pause mit einem Cappuccino geleistet. Monsieur wollte in einer Stunde von der Uni kommen. Wir haben es dann tatsächlich geschafft, uns im Gewühl eines Beijinger U-Bahnhofs zu finden.

P1120242Von Hepingmen aus ging es in den Liulichang Hutong, die Straße der Künstler und Akademiker. Dort reiht sich ein Kunstgeschäft ans andere, dazwischen die Läden mit dem, was der Künstler oder der Gelehrte so braucht(e): Pinsel aller Größen, Papier und Tuschesteine. Daran an schließen sich in engen und engsten Gassen Märkte und Wohnviertel. Einige im Zustand des Zerfalls, bei anderen setzt die „Gentrification“ schon ein. Die Frau eines amerikanischen Kollegen wies den Besuch der Hutongs von sich: „Das sind doch nur Slums.“ Wir fanden es faszinierend, ganz besonders als am Ende einer der kleinen verwinkelten Sträßchen ein Lokal auftauchte, das „German White Beer“ anbot.P1120243

Das hatten wir uns wirklich verdient.

Morgen müssen wir dem Taxifahrer um 6 Uhr früh (immer vorausgesetzt er kommt) klar machen, dass wir zum Terminal 2 für Inlandsflüge müssen. Dann aus den drei fast gleichzeitig startenden Flügen nach Kunming den richtigen, unseren, herausfinden und am richtigen Schalter, der „unserer“ Airline, einchecken. Drückt uns mal die Daumen. Hier hilft die Taxi-Notfall-Lösung nicht, es sind fast 3000 km.

Zum Abschluss noch das Bild des Tages, aufgenommen auf der Rolltreppe eines Beijinger Supermarkts.

Gute Nacht aus Beijing  P1120231_ji

Donnerstag: Seufzen für den Kaiser

Die gute Nachricht zuerst: fünfzig Kilometer außerhalb Beijings ist China sehr ländlich und friedlich.

Die schlechte: die Smog-Glocke reicht auch bis hierhin.

Was dann auch der Grund war, dass Herr Han, Fahrer und Führer in Personalunion, den wir für unsere ganz persönliche Exkursion zu den Ming-Gräbern angeheuert hatten, immer wieder Sätze begann mit: „Hier links könnten Sie jetzt … sehen, wenn…“

p2014_10_23_15h29_52Vor den 13 Ming-Gräbern liegt der Heilige Seelenweg, eine Prozessionsstraße, die die noch lebenden Kaiser entlangzogen, um den toten Kaisern ihre Ehre zu erweisen. Prachtvolle Portale stehen zu Beginn und Ende des Wegs und dazwischen überlebensgroße Steinfiguren aus dem 14. Jahrhundert. Zuerst kommen die Menschen, immer im Viererpack. Würdevolle, wenn auch etwas gelangweilt dreinschauende hohe Würdenträger, furchtbar wichtige, wenn auch siehe oben Hofbeamte, grimmige, wenn auch siehe oben Generäle. Und dann die Tiere, Elefanten, Pferde, Kamele und drei Fabelwesen, jeweils zwei stehend und zwei liegend bzw. sitzend. Zum Sitzen und Stehen gibt es zwei Erklärungen. Der einen Theorie nach sollen die stehenden männlich sein, die weiblichen liegend. Gut, diese Theorie konnte man durch einmal genau hinschauen widerlegen, alle unbestreitbar männlich. Herr Han hatte einen zweiten Ansatz: der Legende nach wechseln die Tiere sich beim Stehen ab. Das Tip2014_10_23_15h34_52er, das tagsüber steht, legt sich nachts zum Ausruhen hin, während der Kollegen den Job übernimmt. Und im Morgengrauen, kurz bevor die Touristen kommen, wechseln sie wieder zurück. Finde ich plausibel, die Erklärung.

Die Ming-Gräber wurden von den jeweiligen Kaisern schon zu Lebzeiten in Auftrag gegeben und hergestellt. Der eine Kaiser überlebte die Fertigstellung seines Grabes sogar um 28 Jahre. Es sei ihm gegönnt. Die Gräber sind alle unterschiedlich groß, aber keines größer als das des ersten Kaisers Yongle. Nur, damit das ganz klar ist, wir reden hier von Zhu di, der bei seiner Thronbesteigung den Namen Yongle wählte und den Tempelnamen Cheng Zu erhielt, nach dem Tod aber natürlich Wen genannt wurde. Alles klar?

p2014_10_23_14h27_35Die Gräber sind auch alle gleich aufgebaut und mit einer hohen Mauer umgeben. Man betritt sie durch ein Tor, dahinter steht ein Seelentor, ein reich geschmückter Holztorbogen. Durch diesen betritt man symbolisch das Reich der Toten. Auf dem Rückweg darf man auf keinen Fall vergessen, wieder durch dieses Tor zu treten. Dabei muss man möglichst viel Lärm machen, damit die Lebenden merken, dass man wieder unter ihnen weilt. Wie zum Beweis kam eine chinesische Reisegruppe und schritt unter großem Gelächter und Hallo durchs Tor.

Hinter dem Torbogen sind zwei weitere Hallen und danach kommen direkt vor dem Seelenturm die Opferaltäre. In der Mitte steht ein großer Altar mit Gefäßen für Räucherstäbchen, rechts und links davon gemauerte Öfen, in denen Seidenrollen und Geld als Opfer verbrannt wurden.p2014_10_23_14h50_34

Hinter dem Altar erhebt sich der hohe Seelenturm. Er bewacht den Eingang in die unterirdische Grabkammer, der natürlich verschüttet und geheim ist. Die Grabkammer ist dem Palast des Kaisers nachgebildet. Nur eines der 13 Gräber wurde in den 50er Jahren ausgegraben. Da man aber viele der gefundenen Grabbeigaben nicht vor dem Zerfall schützen konnte, lässt man die anderen Grabkammern in Ruhe. Die Grabkammer selber ruht unter einem künstlichen Hügel, der von einer Mauer umgeben ist. Am Fuße des Hügels gibt es einen Schacht. Er führt in das separate Grab der Konkubinen. Jedem Kaiser standen neben seiner Ehefrau und Kaiserin 72 Konkubinen zu. Bei seinem Tod wurde den Konkubinen, die noch keine Kinder hatten, die zweifelhafte Ehre zuteil, lebendig neben dem Kaiser begraben zu werden. Bei Yongle waren es immerhin zwanzig junge Frauen. Durch den Schacht wurden sie herabgelassen und durch den Schacht kontrollierten die kaiserlichen Eunuchen in den ersten Tagen, ob die Konkubinen auch richtig jammerten und seufzten um den verstorbenen Kaiser. Damit sie das auch ausgiebig taten, wurde in den ersten Tagen Essen und Trinken in den Schacht heruntergelassen. War man der Meinung, dass die Damen genug geseufzt hatten, wurden dem Essen Drogen zugemischt. Und dann hatte es sich irgendwann ausgeseufzt…

Diese Gräber sind ein wichtiger Teil des nationalen Selbstverständnisses der Han-Chinesen und entsprechend überlaufen sind die zwei, die restauriert sind. Her Han ist dann mit uns noch ein wenig über die Dörfer gefahren und hat uns kleinere Gräber  weniger wichtiger Kaiser gezeigt. Einige wurde gerade renoviert, andere waren zugewuchert. Die Diskrepanz zwischen der stolzen Unesco-Welterbe-Plakette aus Marmor auf ihrer kleinen Stele und den zerfallenen Mauern, aus denen Bäume wuchsen, hätte schöner nicht sein können.p2014_10_23_14h09_52

Achja, und dann war heute Abend das Konferenz-Dinner im großen Saal. Nobel gedeckte 10er Tische mit einer drehbaren Glasplatte in der Mitte. Darauf standen (für zehn Personen) zwei Flaschen Wein, zwei Flaschen Saft und eine Kanne Tee. Außerdem eine große Flasche Reisschnaps 48% und eine winzige Flasche lokaler Sprit 70%. Ein chinesischer Kollege, der mit am Tisch saß, meinte, man solle sich vorsichtshalber die Zimmernummer in die Hand schreiben, bevor man von diesem Gebräu trinken würde, so stark sei es. (Der Sprit war das Ergebnis einer kleinen Rivalität. Bei der letzten Konferenz in Russland hatten die Russen damit angegeben, etwas Stärkeres als ihren Wodka gebe es nicht. )Das Essen, das dann kam, wurde in vielen Schüsseln immer und immer wieder auf das Glaskarussell gestellt: in Sojasauce geschmortes Rindfleisch, marinierte Tofu-Streifen, geröstete Mandeln in weißer Sauce, Schweinefleischrolle, ausgelöstes Hühnchenfleisch, geschmorte Lotusstängel. Und das sind erst die Vorspeisen. Danach kamen Crevetten, geräucherte Ente, Schweine-und Rindfleisch in Saucen, ein ganzer gedämpfter Fisch, sehr lecker und zart, ein Gericht aus fetten Schweinebauchwürfeln, geschmort mit gr    nen Bohnen und Wachteleiern, gebratenes Gemüse und simpler Reis. Monsieurs chinesischer Kollege, der neben mir saß, erklärte jedes Gericht und forderte mich ganz besonders auf, die geschmorten Baumpilze zu probieren. Sie schmeckten nicht schlecht, ein bisschen glibberig, ein bisschen zäh, viel Knoblauch, viel Chili. Erst als ich ihm durch Nachlegen bestätigt hatte, dass sie mir schmeckten, rückte er mit der Wahrheit heraus: es handele sich um geschmorte Quallen.

Gute Nacht aus Beijing