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Wie schon Schiller sagte

Sch…wetter.

Gut, ich kann gerade für dieses Zitat nicht die Quelle belegen, aber ich bin sicher, dass er das irgendwann gesagt hat. Hier in Weimar, im Dauerregen.

Wir sind mit der Recherche zu meinem zukünftigen Buch beschäftigt: Die schönsten Museumscafés. Über den Anspruch (Deutschlands, Europas oder gar noch mehr) muss ich noch ein bisschen nachdenken.

Hier und heute ist es so etwas wie Notwehr. Corona und das Wetter haben sich gegen uns verschworen. Wir laufen im strömenden Regen durch den Park an der Ilm, vorbei an der Stadtburg und einem sehr nassen August auf einem sehr nassen Pferd. Identifizieren die Amaliabibliothek als das Haus mit der langen Schlange davor, in die wir uns kurz einstellen. Als Monsieur von einem Erkundungsgang zurückkommt mit der Nachricht: Zwei Stunden Wartezeit – mindestens, sagen wir Amalia erstmal Tschüss. Die Seifengasse bringt uns auf – ohne Fahrradsattel wieder – romantisch-altmodischem Kopfsteinpflaster ins Zentrum, wo wir grinsend die lange Schlange vor Goethes Haus betrachten. Vielen Dank, genau die Ausrede, die wir brauchen. Bei Schiller ist es nicht ganz so voll – typisch, nicht wahr -, aber trotzdem zu ungemütlich, um zu warten. Wir erfinden uns unsere Weimarer Sehenswürdigkeiten, wie Hoffmann’s Buchhandlung (deren Deppen-Apostroph, nicht meiner), in der ganz sicher schon Goethe drinnen in dicken Wälzern blätterte, während der arme Schiller sich draußen am Fenster die Nase plattdrückte.

So kommen wir über die Schillerstraße zum Theaterplatz mit dem berühmten Denkmal. Goethe versucht gerade Schiller vom Sockel zu schubsen, während ich rasch im Haus der Weimarer Republik nachfrage, ob sie vielleicht… Haben sie und wir setzen uns nieder zu intensiver Recherche. Die lokale Spezialität, eine XXL-Nussecke aus Mürbeteig und Nussmasse ist mit einer dicken Schicht Schokolade überzogen. Vollwertkost nennt Monsieur so etwas. Der Mohnstreuselkuchen ist allerdings nicht mehr ganz frisch. Das bringt leider Abzüge in der B-Note. Wir sind so konzentriert am Testen, dass uns entgeht, dass es Besuchsbeschränkungen gibt. Weshalb wir die Wartezeit – noch mehr Kaffee und Kuchen erscheint uns nicht gerechtfertigt – mit Bummeln durch Weimars Straßen verbringen.

Wir treten hinaus auf den Theaterplatz, wo gerade Goethe versucht Schiller den Lorbeerkranz aus der Hand zu reißen, und machen uns auf den Weg zum Markt. Es ist Kunstforum in Weimar und drei singende Bananen haben uns Wichtiges mitzuteilen. Monsieur ist mehr an einer Thüringer Bratwurst interessiert und holt uns kurz vorm Herderplatz ein, der uns zeigt, dass ein Dichter es auch nicht immer leicht hat damit ernst genommen zu werden.

Inzwischen ist es Mittagszeit, die Restaurants sind gut besetzt und wir hegen die Hoffnung, dass auch Amalia-Besucher lieber etwas essen gehen, als Schlange zu stehen. Unser Plan geht auf, genau drei Leute stehen vor der Tür, als wir dazukommen und uns sofort einen gepflegten Anschnauzer einhandeln, von der Hüterin des Tores. Ob wir die Ringelhütchen nicht sehen würden? Da sollten wir uns gefälligst dran halten, schließlich sei Corona. Diese Warnhütchen ziehen sich an der gesamten Amaliafront entlang. Vor Corona hätte ich gedacht, dass sie uns vor herabstürzenden Ziegeln warnen sollen, heute geben sie uns die anderthalb Meter Abstand vor, die streng eingehalten werden müssen. Dafür wird die Besucherzahl etwas lockerer gesehen. Zwei Personen verlassen die Bibliothek. „Zwee Leute“, ruft die Cerberusin. „Wir sind aber drei,“ antwortet die Familie vor uns. „Na juut,“ kommt es. Bei uns spielt sie das gleiche Spiel für vier. Drinnen geht es dann weiter mit Handdesinfizieren, Kontaktbögen ausfüllen und weiteren Wartezeiten. Diesmal geht es nicht nach dem Ermessen der Dame vor dem Großen Saal. Wir müssen warten, bis genug Riesenfilzschlappen zurückgegeben worden sind. In diesen schlurfen wir dann voller Anmut und Grazie durch den Rokoko-Saal und bewundern die wiederhergestellte Pracht. Nur einige wenige Brandflecken im Parkett und eine absichtlich nur teil-restaurierte Balustrade erzählen ihre Geschichte. Wie ein Raunen läuft immer wieder von Traurigkeit geprägt „Fünfzigtausend“ durch den Raum, oft gefolgt von „Kannst du dir das vorstellen? Fünfzigtausend Bücher, verbrannt!“ In den Regalen stehen sie dann Einband an Einband, die geretteten, die restaurierten und die versehrten Bücher in ihren Schubkartons. Nur der eine große Karton, da oben in der Ecke des ersten Regals, der hat bei näherem Hinschauen ein Kameraauge und tarnt sich nur als Buch.

Von der Amalia aus machen wir uns wieder auf den Weg zum Museum der Weimarer Republik, das inzwischen auch Platz für uns hat. Die multimediale Ausstellung ist sehr intensiv und entlässt uns mit dem Gefühl, dass Demokratie ein sehr hohes lebendiges und schützenswertes Gut ist. Ein Gut, dass wir nicht als zu selbstverständlich sehen dürfen.

Auf dem Theaterplatz ist Goethe ein bisschen beleidigt, dass wir, tief in Gedanken versunken, gar nicht auf ihn achten. Wir bieten ihm an, im „Gretchen“ in der Seifengasse einen Kaffee zu trinken, schließlich eine seiner Hauptfiguren. Gretchen hat Schokotorte und Joghurtkuchen im Angebot, Rharbarber-Spritz und Kaffee-Spezialitäten. Als wir, in vielerlei Hinsicht satt und zufrieden, an die Heimfahrt zum Hotel denken, fällt mir auf, dass ich meinen Schirm bei der Republik habe stehen lassen. Also gibt es noch einmal Weimar im Schnelldurchlauf, bis ich mit dem Schirm in der Hand auf den Theaterplatz trete.

Und Goethe grinst.


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