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Gut und schön und richtig

Die Bundesbahn verbimst unser Mittagessen. Sie schafft es tatsächlich auf knapp anderthalb Stunden Fahrzeit 50 Minuten Verspätung zu addieren. Das wird nun leider nichts mit der Mittagspause in der netten Brasserie in Sarreguemines, da selbst französische Restaurants nach 14 Uhr keine Gäste mehr annehmen. Schade, sah wirklich nett aus.

So kaufen wir im Saarbrücker Bahnhof bei einer französischen Kette – wenigstens ein bisschen Frankreich – ein „Sandwich finlandais“ mit so typisch finnischen Zutaten wie Avocado, Feta und getrockneten Tomaten. Schmeckt sehr gut auf der Bank am Ufer der Saar, wenn da nicht diese kleine dunkle Wolke wäre. Monsieur grummelt vor sich. Es ist nämlich das falsche Ufer der Saar. Unser Radweg liegt auf der anderen Seite, eingeklemmt zwischen Autobahn und Fluss in der prallen Sonne. Gefällt mir gar nicht, was ich sehe, und da habe ich noch nicht erwähnt, dass wir erst auf einer sechsspurigen Brücke die Saar überqueren und lange Umwege fahren müssten, um auf den Radweg zu kommen. Monsieur besteht darauf, dies sei genau der Radweg, den ich ausgesucht hätte und dass wir den jetzt nehmen müssen/dürfen/sollen/können. Ich aber hatte auf der großen Info-Tafel vorm Bahnhof gesehen, dass es diesseits auch einen Weg gibt, der ein paar Brücken weiter ohne Umwege auf die andere Seite führt. Den möchte ich hier und jetzt weiterfahren, nach dem Sandwich, mit einem grummelnden Monsieur, der nicht versteht, warum seine Frau erst einen Weg plant und dann einen anderen fahren will.

Dass wir sehr schön unter großen Bäumen durch idyllische Parks fahren, während die andere Seite ungeschützt in der Sonne liegt, zählt nicht. Dass wir ganz vielen Radlern begegnen, während die andere Seite vereinsamt ist, zählt nicht, Monsieur grummelt. Grummelt auch noch, als wir elegant und schwungvoll auf einer kleinen Brücke die Saar kreuzen und auf der anderen Seite sehen, dass der andere Radweg gesperrt ist, Aufräumungsarbeiten nach dem Hochwasser.

Da grummelt er noch: Das konnte ich ja nicht wissen, gesteht mir immerhin zu, dass meine Idee doch ganz gut gewesen sei.

Von kleineren Straßensperren abgesehen, rollt es sich sehr schön an der Saar entlang, wenn auch die weggeschaufelten Schlammhügel rechts und links ahnen lassen, wieviel Schäden und Arbeit das Hochwasser hinterlassen hat.

Sarreguemines begrüßt uns mit dem melancholischen Schiffsfriedhof und beschert uns seltsame Begegnungen. Der Radweg kreuzt große Straßen an Fußgängerampeln. Es wird grün, wir sind – die Ardenner schiebend – schon fast auf der anderen Seite, als ein abbiegendes Auto hupend und quietschend Zentimeter vor unseren Rädern bremst, der Fahrer das Fenster runterkurbelt und uns übelst beschimpft. Der Motorradfahrer hinter ihm, auch in seiner Fahrt behindert, hupt und gestikuliert wild, während er noch schnell versucht, sich zwischen uns und dem Auto durchzudrücken. Etwas verunsichert warten wir bei der nächsten Ampel den jungen Fußgänger ab, da verbeugt er sich galant und lässt uns den Vortritt. „Siehst du“, sage ich zu Monsieur auf Deutsch, „es gibt sie noch, die französische Höflichkeit.“ – „Ja, so sind wir erzogen“, gibt der Junge auf Französisch zurück. „Immer höflich sein – zu den Alten!“ Grinst und ist weg.

Wir verlassen die Saar und wenden uns der Blies zu, anfangs auf französischen Straßen, bis Monsieur die Vertrauensfrage stellt. Der Wegweiser zeigt steil bergauf und gibt als Zielrichtung Sarreguemines und Frauensberg an, da sind wir gerade durchgefahren. Monsieur meint, wir müssen da jetzt hoch, ich will auf der ebenen Straße bleiben. Er schaut erst auf die Karte, dann mich an und stellt die Frage, ob ich ihm denn nicht vertraue.

Das ist nun eine schwierige Situation, denn eigentlich sind das ja ganz viele Fragen. Vertraue ich ihm persönlich? Natürlich – bedingungslos, absolut und noch vieles mehr. Vertraue ich seinen Fähigkeiten, eine Karte zu lesen? Ja, jedenfalls eher als meinen eigenen. Vertraue ich darauf, dass er Wegweisern richtig folgen kann? Bedingt, da gab es schon so einige Situationen.

Die letzte Frage ist doch die: vertraue ich Koomot, dass sie die Route richtig geplant haben? Absolut nicht – und da war eine steile Lernkurve involviert.

Monsieur aber besteht darauf, dass wir da nun hochradeln müssen und siehe da – tatsächlich zeigt oben ein Wegweiser rechts nach Sarreguemines und links einer nach Blieskastel, unserm Ziel.     

Das ist sie dann, die Bahntrasse der Bliesbahn, die uns in grüner Natur zum Etappenziel bringt. Nur Natur, Kultur fällt gleich doppelt aus. Erstens ist heute Montag und zweitens ist der Europäische Kulturpark Bliesbruck-Reinheim zur Behebung der Wasserschäden vorübergehend ganz geschlossen.

Die Folgen des Hochwassers sehen wir in vielen Orten, durch die wir kommen.

Blieskastel bietet mit seinem barocken Stadtbild ein schönes Gegengewicht zu all der Fachwerkromantik der letzten Wochen – und eine Kellnerin mit Hang zum Kalauern. „Haben Sie einen Weißwein von der Nahe?“, fragt Monsieur. „Nein, nur einen aus der Ferne“, kontert sie und schlägt einen Trebbiano aus den Abbruzzen vor.

Knapp 55 Kilometer an einem Nachmittag, das ist – finde ich – eine ganz nette Etappe. Einmal habe ich meinen Kopf durchgesetzt und es war schön und gut so. Einmal hat Monsieur seinen Kopf durchgesetzt und es war richtig und gut so.

Also, alles gut und schön und richtig…


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