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Nassauische K(l)einbahn

In das tolle Museum in Neapel hatten wir es ja nicht mehr geschafft, dafür wirbt in Nastätten das „charmanteste Museum der Region“ um unseren Besuch.

Charmant ist es wirklich und zwei Damen vermitteln sehr kompetent und begeistert ihr Wissen zum „Blauen Ländchen“. Wenn die Herstellung des blauen Farbstoffes auch eher abschreckend klingt – ich sage nur: Waid (ok, aber dann kommt’s:), Urin (in großen Mengen) und dicke Maden in demselben (fragt bitte nicht weiter) – bin ich jetzt angemeldet für einen Waid-Färber-Kurs.

Blaue Textilien sind einer der Schwerpunkte dieses sehr liebevoll ausgestatteten Museums, die Nassauische Kleinbahn ein anderer. Die Bahn gibt es nicht mehr, aber ihre Trasse wird als Wander- und Radweg beworben. Das wollen wir erstmal zu Fuß austesten, bevor wir die Ardenner auf den Fahrradträger hieven.

Auf dem Parkplatz am Friedhof von Becheln fotografieren wir den eingezeichneten Rundweg ab, unsere Wander- bzw. Radweg-Apps kennen ihn nicht. Die ersten Zweifel kommen uns schon nach den ersten hundert Metern. Am Wanderplatzschild hing ein fotokopierter Zettel für „Erst-Wanderer“, ein Wort, das ich bis dato auch noch nicht kannte, mit detaillierten Hinweisen zu Be01-03 als „Zuwanderungen“ zur Bahntrasse. Nur lassen sich in der realen Natur des Taunus keine Wegzeichen, ja fast keine Spuren eines Wanderweges finden. Monsieur will trotzdem diesen Pfad rechts am Feldrain nehmen, der steil nach unten führt. So etwas macht mich immer misstrauisch. „What goes up, must come down“, singen Blood, Sweat and Tears, aber in unserem Fall ist es ja eher umgekehrt: was wir bergab gehen, müssen wir später mühsam wieder hochlaufen. Unser Auto kommt leider nicht, wenn wir pfeifen.

Tatsächlich mündet der Pfad auf eine breite Trasse – wir haben sie gefunden, die Bahnstrecke der Nassauische Kleinbahn. Auf der Trasse ist fein wandern, unterbrochen von Tafeln zu Geschichte und Geschichten der Bahn. Dass die Bauern im Dorf A ihr Land der Bahn unentgeltlich zur Verfügung stellten, unter der Bedingung, dass Dorf A einen Bahnhof erhalte und dieser auch einen beheizten Warteraum haben müsste. Dass dafür im Dorf B ein Bollerofen im Bahnhof abgebaut worden sei, jener Ofen aber nie im Dorf A angekommen sein. Intrigen über Intrigen! Dann kommen mehrere Tafeln mit zeitgenössischen Fotos zu umgekippten, zusammengestoßenen, von den Gleisen gesprungenen Zügen. Wir bekommen den Eindruck, dass diese tolle neue Technologie noch nicht wirklich beherrscht wurde.  Von den Krawallen der betrunkenen Bahnbauarbeiter, die auch mal mit Dynamitstangen – angezündeten! –  um sich warfen, ganz zu schweigen. Sehr schön in diesem Zeitungsbericht, die Erwähnung, dass die „sehr resolute Wirtin“ die Situation in den Griff bekam – lange bevor die Polizei kam.

Die tief in den Hang eingeschnittenen Abschnitte der Trasse erklären das Vorhandensein der Dynamitstangen und lassen uns über die Arbeit der Landvermesser nachdenken, die in dieser Gegend der steilen Bachtäler eine geeignete Streckenführung suchen mussten. Um 1903 war sie fertig, die Kleinbahn, Ende der 1970er wurde sie eingestellt, also keine Bahn mehr, aber die Trassen wurden in Wirtschaftswege umgewandelt.

Wir laufen an den Be01- und Be02-Abzweigungen vorbei, wir wollen die Be03-Variante am Mühlbach entlang zurück nach Becheln nehmen. Just dort kreuzt ein Viadukt den Bach, aber der Bahntrassen-Wegweiser zeigt links auf ein paar sehr steile Holzbohlen-Treppenstufen bergab. Über den kleinen Bach suchen wir uns einen – eher feuchten – Übergang, dann geht es weitere Holzbohlen-Stufen hoch und da ist sie dann wieder, die Trasse. Monsieur – immer der kleine Forscher – will nun wissen, weshalb der Umweg und geht nachforschen. Er kommt zurück mit der Erkenntnis, dass eine Brücke, von der nur noch die Pfeiler stehen, eine Überquerung für Mensch und Fahrrad eher unangenehm gestalten würde.

Aus der Gegenrichtung kommt ein Mountainbiker angekeucht und bestätigt uns, dass diese kleine Passage die einzig unangenehme auf dem weiteren Weg nach Braubach am Rhein sei.

Das hört sich doch ganz gut an, so ein paar Treppenstufen sollten die Ardenner schaffen.

Die ersten Etappen der Radtour sind somit gesichert und wir machen uns mit Be03 auf den Rückweg zum Auto. Allerdings hat Be03 seine eigenen Vorstellungen dazu, was ein Wanderweg sein soll. Er sieht sich eher als Trimmpfad. Umgestürzte Bäume zwingen zum Drüber- oder Drunterdurch-Steigen, abgebrochene Wegränder zum Balancieren auf schmalen Pfadresten, es ist sehr kurzweilig.

Irgendwann wird der Weg dann wieder breiter, dafür bietet ein alter Stollen Höhlenforscher-Abenteuer am Wegrand. Uns ist mehr nach Waldromantik, wenn auch das Leben für Monsieur eine herbe Enttäuschung parat hält. Der hatte nämlich auf der abfotografierten Wanderkarte vier Teiche als Forellenzucht interpretiert mit Gedankenspielen, die in Richtung eventuell zu kaufender Forellen gingen mit weiterführenden Ideen zu Mandelbutter und Petersilienkartöffelchen.

Aber das Leben kann ja so uneinsichtig sein und die Forellenzucht entpuppt sich als die Kläranlage der Gemeinde mit algen- und wasserlinsenbedeckten Klärteichen. Wirklich gemein!

Der Rückweg aus dem Tal ist so steil wie befürchtet, aber irgendwie schaffen wir das, mit dem festen Entschluss, der Kleinbahn bis Braubach zu folgen. Von da aus entlang des Rheinradweges und der viel größeren – und leider auch lauteren – Trassen von Bundesbahn und Bundestraße bis Koblenz und dann wieder nach Hause.

Jetzt müssen wir nur noch das Wetter überreden mitzuspielen.

Hügelinchen

Bahrom erwartete uns auf der tadschikischen Seite der Grenze, unser Führer für die Tage in Tadschikistan. Es ist also Bahrom, den ich frage, wie sie die Berge im Hintergrund nennen. Es ist Bahrom, der darauf grinsend antwortet: „Diese Berge nennen wir Hügel.“ Denn in Tadschikistan gilt alles unter 3000 Metern Höhe nicht als Berg.


Würde mich mal interessieren, was Bahrom zu unseren deutschen Mittelgebirgen sagen würde. Die Eifel ein Gebirgelchen, der Hunsrück ein Hügelinchen?


In dieses Hunsrück-Hügelinchengewirr tief eingeschnitten sind Täler, die so viel mehr zu bieten haben als schroffe, kahle Berggipfel.


Wir haben uns die Ehrbachklamm ausgesucht. Als Rundwanderung, weshalb sie zur Ehrbachklamm-Traumschleife wird. Über die Traumsteige und -schleifen habe ich schon genug gelästert, aber hier ist der Zusatz Traum wirklich verdient.

Wenn man denn schwindelfrei ist und keine Höhenangst hat, sonst wird es schnell zum Alptraum.


Unsere Traumwanderung beginnt auf den Hunsrückhöhen inmitten von blühenden Ackerstreifen. Zwischen die Monokulturen von Mais und Rüben hingetupfte bunte Pinselstriche erfreuen das Auge und die Insekten: Ringelblume, Borretsch, Phacelis, klar, auch eine Menge Disteln und Habichtskraut. Solange das nicht in meinen Beeten blüht, finde ich es ganz hübsch.


Am Anfang der Schleife stehen viele Hinweisschilder, zur Streckenführung, zum Wert der Schleife, des Wanderns allgemein und ganz klein unten drunter das Höhenprofil. An einem Punkt, etwa zur Hälfte der Wegführung, muss es einen Aufzug geben. Anders ist es nicht zu erklären, dass die Linie (fast) senkrecht nach oben geht. Nunja, davor fürchte ich mich, wenn wir da sind.


Zuerst lockt der Rundweg mit bergab auf breiten Wegen. Im Tal wird es dann schnell abenteuerlicher. Kleine Leitern sind die Aufwärmübung, dann kommen Seilpassagen und wandern wird stellenweise zu klettern. Das alles eingebettet in die lichtflirrende grüne Märchenwelt der deutschen Laubwälder. Die Begleitmusik bietet der Ehrbach, mal fast lautlos, mal durchaus lebhaft. Sehr selten hört man eine menschliche Stimme, wenn der ein oder andere Mensch uns entgegenkommt. Die meisten mit diesem leicht verschämt wirkenden Grinsen reiner Freude auf dem Gesicht.


Die Klamm ist gut erschlossen und unterhalten, mit Stegen, Brücken, Seilen, Leitern. Das hilft besonders mir bei etwas delikateren Passagen, weil die Seile mir sagen, dass nicht nur ich hier ein bisschen weiche Knie bekomme. An einer Stelle allerdings wirkt der fünf Meter bachaufwärts liegende Steg so marode, dass wir lieber über die Steine durch den Bach hüpfen. Außerdem fünf Meter Umweg? Bergauf? Dann lieber durch den Bach!


Wir machen Rast an der Abzweigung zur Rauschenburg. Monsieur muss da hoch – ich nicht.

Er kommt zurück mit Bildern für mich und der Erkenntnis: „Steht nicht mehr viel!“ für sich.

Die Rast mit Stullen und Gurkenscheiben soll uns Kraft geben für das Aufzug-Stück. Es ist tatsächlich atemberaubend – wortwörtlich. Steil, steinig, rutschig, mit Seilen versehen ist es mir bei all meiner Flucherei und Schimpferei doch hundertmal lieber bergauf als bergab.


Irgendwann komme ich oben an, Monsieur wartet wie immer auf seine Nachzüglerin, nur um zu sehen, dass die freundlicherweise dort hingesetzte Bank schon besetzt ist, von einem Paar, das genauso erschöpft aussieht wie ich mich fühle.

Kein Problem, nur ein paar hundert Meter weiter (bergauf, aber nur noch „orange“ auf der App, nicht mehr „rot“) steht eine andere Bank mit berauschender Aussicht und einer Tafel. „Die Peedsches-Trampler“ informieren uns, dass sie es sind, die Pfade und Bänke unterhalten. Vielen Dank dafür!


Wir laufen auf der Höhe weiter, sehen auf der anderen Seite die Rauschenburg – das, was noch steht -, genießen das Gesamtkunstwerk der Natur. Die Weite des Landes, die Farben der Bäume, das Rauschen der Wälder und der Gesang der Vögel, der Geruch des Waldes an einem sommerheißen Tag, ein vielfältiges Feuerwerk an Eindrücken.


Tja, und dann verbimst die Natur es, indem sie uns zwei weitere Seitentäler in den Weg schiebt. Ich hasse es, einmal mühsam erklommene Höhenmeter wieder absteigen zu müssen, im Wissen, dass es auf der anderen Seite wieder hoch geht. Und das gleich zweimal hier.


Dafür gibt sich die Natur besondere Mühe, die Anstrengung lohnend zu gestalten. Die reine Vielfalt der Eindrücke ist überraschend: auf breiten Waldwege laufen wir durch lichte Laubwälder, kurz darauf klettern wir über klitschig-feuchte Felsstufen direkt im engen dunklen Bachtal.

Am Talgrund locken grüne Wiesen, gerahmt von hüfthohem Springkraut. Das Wasser reflektiert die Sonnenstrahlen und zaubert Bewegung auf die Moosflächen am Uferhang, aber bald müssen wir uns auf schroffe Felsspalten konzentrieren, um die Füße richtig zu setzen.

Ich komme vor lauter Schauen und Staunen fast nicht zum Mosern und Schimpfen ob der Höhenmeter.


Schauen und Staunen und Mosern und Schimpfen bringt uns hoch zum Winkelholzberg, Waldkindergarten der Gemeinde. Wie wundervoll muss es sein, hier seine Kindheit zu verspielen!

Wenig später kann ich am Auto die Wanderschuhe ausziehen. Ziemlich erschöpft, aber auch ziemlich glücklich.


Im Kopf schon das Menü für heute Abend: als primo mache ich Raddicchio-Risotte, secondo wird Saltimbocca sein mit ganz viel Salbeibutter. Den Nachtisch habe ich schon heute morgen vor der Wanderung gemacht: Espresso-Mousse, stilgerecht in kleinen Tassen serviert.
Haben wir uns verdient, das Menü.

Die Fakten

Die Traumschleife Ehrbachklamm wurde durch das Deutsche Wanderinstitut mit 98 Erlebsnispunkten bewertet. Länge 8,9 km, 390 Höhenmeter.

Weltkulturerbetag

Das klingt ja nun erstmal nicht so spannend. Brusthohe Brennnesseln auch nicht.

Aber in der Kombination mit „Limesverlauf suchen“ wird dann ein recht amüsanter Nachmittag daraus.

Angekündigt war eine dreistündige Führung „durchs Gelände“, um dem Limesverlauf zwischen Holzhausen und Pohl zu suchen, zu finden, zu folgen.

Wir sind die einzigen, die sich am Treffpunkt einfinden. Los geht die Wanderung am Wachtturm 2/XXIX. Weil der aber nicht mehr existiert, einigen wir uns auf den auffindbareren Parkplatz am Friedhof. Der Führer heißt hier Limes-Cicerone und stellt sich gleich mit „Ich bin der Cice-Reno“ vor.

Spricht’s und holt ein Tuch hervor, auf das er liebevoll eine Karte des römischen Reiches, unsere Ecke Germanien, gemalt hat. Wir müssen Germanien mit beiden Händen festhalten, damit der Wind uns nicht die Grenzen verweht.

Reno folgen wir zu besagtem Wachtturm, von dem nichts zu sehen ist außer einem liebevoll geschnitzten Schild. Es sei hier gleich verraten, dass von den Wachturm-Kollegen 2/XXVIII bis 2/XXV auch nichts bis nicht viel zu sehen sein wird, aber das macht den Charme der Übung aus. Es gibt übrigens auch Türme mit a nach den Ziffern, weil der preußische Offizier, der sich um 1880 die Mühe gemacht hat, zu finden, zu protokollieren und durchzunummerieren, was noch zu finden, zu protokollieren und durchzunummerieren war, eben doch nicht alle gefunden hat.

Einer der Wachturm-Kollegen hat außerdem eine sehr moralische Geschichte parat: ein örtlicher Energieanbieter legt seine Gas-Pipeline mitten durch das Fundament eines Wachturms. Als das die Archäologen erfahren, gibt es natürlich Ärger und die Firma wird zu hohen Strafen verurteilt. Die Archäologen freut’s, sie setzen das Geld zur elektromagnetisch genauen Vermessung des weiteren Limes-Verlaufs ein. Die Firma zeigt sich zerknirscht und lernbereit und verspricht bei weiteren Bauvorhaben erst das entsprechende Landesamt zu befragen. Happy End für alle, außer dem Turm, natürlich.

Wir schlagen uns mit Reno durch inzwischen weglosen Wald. Das 2005 mit der Erhebung zum Weltkulturerbe durch Pfähle markierte Kastell Pfarrhofen ist so wenig besucht, dass die Wege völlig zugewachsen sind und uns Brombeeren und Brennnesseln in Brusthöhe zunicken. „Arme über den Kopf!“ gibt Reno vor und stapft vor uns durchs Gestrüpp.

Jeder kleine Hügel, jede Erdverwerfung wird von mir mit einem: Ist das jetzt? begrüßt, aber da Reno weiterstapft, wieder verworfen. Als wir schließlich vor einem kleinen Wall stehen bleiben, ist das natürlich etwas unterwältigend. Aber Reno erklärt uns die Grundmauern des Wachturms und dann stehen wir einige Schritte weiter wirklich im Limes-Graben.

Drei, vier Meter hoch ist er, unten im Graben fast zwei Meter breit und gar nicht so schnurgerade, wie ich mir das vorgestellt hatte. Die Römer haben wohl vorgefundene Hügelgräber sehr taktvoll – oder abergläubisch – umrundet. Wir folgen dem Limesgraben wie einem Wanderweg. Wanderweg mit Fitness-Programm, da hineingestürzte Bäume zum Klettern auffordern. Die imposante Limes-Erfahrung hört am Waldrand schlagartig auf. Es ist verständlich, dass ein Bauer nicht unbedingt einen vier Meter hohen Wall, einen zwei Meter breiten Graben pflügen oder mähen will, aber schade ist es schon, dass der Limesverlauf in den Wiesen und Feldern nicht mehr zu sehen ist.

„Oberflächlich nicht zu sehen ist“, korrigiert Reno und zieht laminierte Fotos aus seiner Tasche, die auf den ersten Blick wie eine Mondlandschaft aussehen. Beim zweiten Blick erkennen wir mit Renos Interpretation den Limesverlauf mit Türmen und zwei Kastellen, mehrere keltische Hügelgräber und zwei Bombentrichter des letzten Krieges.

Am Turm2/ XXV sind auf den originalen Fundamentresten Mauern hochgezogen wurden. Mit „recycelten“ Bruchsteinen einer abgetragenen alten Scheune, die vielleicht, vielleicht aus den „recycelten“ Bruchsteinen der römischen Ruinen aufgebaut wurde. Direkt daneben sind der kreisrunde Graben des ersten Holzturms (Ausbauphase I, erklärt Reno) und ein großer Grabhügel zu sehen. Nur der schmale Graben, der den Palisadenzaum vor dem Limes enthielt, der sei nicht römisch. Der wäre preußisch, von den Ausgrabungen der Reichs-Limeskommission.

Wir finden, ohne zu graben, Reste römischer Sandalen und Brustpanzerplatten. Allerdings fürchte ich, dass sich diese Interpretationen archäologisch nicht halten lassen werden.

Nach vier unterhaltsamen Stunden (offensichtlich haben wir zu viele Fragen gestellt zwischendurch) kommen wir im nachgebauten Römerkastell in Pohl an, das von einer ehrenamtlichen Organisation belebt wird. Bei „germanischem“ Bier, aber römischen Kleinigkeiten zu essen beobachten wir Kinder, die sich als römische Legionäre verkleiden dürfen und Erwachsene, die durch die Räume des Kastells streifen.

Wir bleiben lieber sitzen, sind genug gestreift für heute, haben genug gelernt für heute. Jeden weiteren Wissenserwerb verschieben wir auf ein anderes Mal. Vielleicht verbunden mit einer Lukanischen Bratwurst.

Kleiner Nachtrag:

Wenn man mit Monsieur verheiratet ist, gibt es oft den einen oder anderen unerwarteten Nachtrag. „Limes“ sinniert Monsieur abends beim Rotwein, sei natürlich kein archäologisches Monopol und der Großbuchstabe schon gar nicht richtig. Viel wichtiger sei ja der limes mit Kleinbuchstaben, der lateinisch die Grenze und mathematisch den Grenzwert bedeute, viel bedeutender als alles Archäologische. Sprichts und strahlt mich an: „Und was ist dann limes eins durch x für x gegen unendlich.“

Finde ich echt lieb von ihm, dass er glaubt, dass ich das weiß.

Nun sind die Mathematik und ich noch nicht mal fast beste Freundinnen, aber ich weiß, dass man Mathematikern mit solch wundersamen Zahlen wie Pi oder e eine Freude machen kann. Monsieur nickt anerkennend. „Netter Versuch, aber nein, überleg weiter. Wenn 1 durch zwei schon nur die Hälfte und eins durch vier noch weniger ist, was ist dann eins durch unendlich.“

So gefragt ist das natürlich klar: Null.

Hätten sie aber auch gleich sagen können, die Mathematiker. Oder?

El islote

Unsere letzte Wanderung soll etwas Kleines, Kurzes sein.

Wir nehmen die ruta littoral als Ausgangspunkt, die einzige Wanderung, die man im Nationalpark ohne Führung, ob Bus oder zu Fuß, laufen darf. Für den Punkt „kurz“ machen wir ein paar Änderungen an der Streckenführung, starten am Ortsende von El Golfo, folgen der Küste bis zum Strand von El Paso und wenden uns dann landeinwärts.

Das bringt uns ganz nah an „neue“ Lavatunnel des 1730er Ausbruchs, an eingestürzte Tunnel, an die scharfkantige junge Lava.

Die fließt ab El Paso um die Islote Moron, ein Inselchen alter Lava, das aus dem Inferno von vor 200 Jahren herausgeragt hat.

Der Unterschied ist verblüffend: hier schwarz, scharfkantig, lebensfeindlich, auf der anderen Seite braun verwitterte Erde, darauf runde Euphorbien, schöne gleichmäßige Habkugeln. Monsieur betrachtet sie mit einer Mischung aus Neid und Respekt. Diese Formen laufen in Frankreich unter dem Begriff „moutonnement de buissons“, „Schäfchenherde-Büsche“. Das ist das, was Monsieurs Frau gerne in ihrem Garten sieht und was Monsieur mit der Heckenschere umzusetzen versucht. Hier hat Mutter Natur das ganze in natürlicher Eleganz übernommen, ohne dass auch nur eine menschliche Hand eingegriffen hat.

Am Horizont steht ein einsamer Park-Ranger und sucht mit dem Fernglas den Himmel ab. Nach Piraten? Adlern? Touristen? Wer weiß das schon. Wir hingegen wollen von ihm wissen, wie lange der alte Ausbruch her ist und er sagt 80 Millionen Jahre, genug Zeit selbst für Lava zu Staub und Erde zu verkrümeln. Wenig später hält sein Geländewagen neben uns, er kurbelt das Fenster herunter und meint „Zu viele Nullen, nicht 80 Millionen, achtzigtausend Jahre.“ Wir hätten den Unterschied eh nicht bemerkt.

Aber wo er gerade schon mal anhält, fragen wir ihn nach der seltsamen Drahtkonstruktion ein paar Meter zurück. Das wäre der Kaninchen-sichere Käfig zur Anzucht neuer Pflanzen.  Der Park versucht Pflanzen anzusiedeln, die zwar in die Gegend gehören, aber Kaninchen nicht schmecken. Um das herauszufinden, müssen die Pflanzen aber erstmal eine Chance haben, heranzuwachsen. Rundum geschützt mit Drahtgitter, auch nach unten. Mal sehen, was die Kaninchen sich dann einfallen lassen, wenn Karnickel-Junior mosert: „Ich mag das aber nicht!“

Drink am Meer gibt es im Las Salinas, gefolgt von köstlichen Tapas. Wir müssen uns stärken für eine letzte Schatzsuche.

Irgendwie hatte ich in meinem kindlichen Gemüt angenommen, den einzigen Olivin-Strand gefunden zu haben, aber ein kurzer Blick ins Internet zeigt, dass der schwarze Strand vor den Salinen DER Fundort für diese Steine ist. In der Tat, liegen dort zuhauf die goldgrünen Steine herum. Dummerweise eingeschlossen in Felsbrocken von beachtlicher Größe – und Schwere. Das wird selbst die toleranteste Airline nicht als Handgepäck durchgehen lassen. Die kleineren Steine sind natürlich auch schön, nur haben Wind und Wellen sie schon rund- und die kristallinen Strukturen abgeschliffen. Ein Kompromiss ist wohl nötig. So schlendern wir über den steinigen Strand, heben auf, begutachten, verwerfen, stecken in die Hosentaschen, bis die Hose zu rutschen beginnt. „Genug jetzt“, spricht Monsieur schließlich mit einem Anflug von Strenge, „und im Hotel muss jeder drei Steine wieder aussortieren.“ Es vergeht ein Augenblick, dann sagen wir beide, fast gleichzeitig: „Gut, dann nehme ich einfach noch drei mit!“

Im Hotel packen wir alle Steine – auch die drei zum Aussortieren – in die Wanderschuhe und stopfen ein paar alte Socken zum Abschluss drauf. Das Ganze kommt mit den Travelcubes in den Koffer und dann bleibt uns noch Zeit für einen letzten Drink an der Bar. „Auf’s Haus“, sagt Jason, „ist ja Ihr letzter Abend.“

Am nächsten Morgen zähle ich zweimal nach im Airport: auf der Anzeigetafel der heute startenden Flüge zeigt sich ein eindeutiger Trend. Von den 38 Flügen gehen 24 auf die britischen Inseln, je einer nach Paris, Amsterdam und Frankfurt, der Rest innerspanisch. Kein Wunder, dass wir mehr Englisch als Spanisch hören um uns herum.

In Madrid werden wir erst zu Gate J56 geschickt, bis fünf Minuten vor Boarding eine fast unverständliche Ansage uns zu Gate H4 schickt, am entgegengesetzten Ende des Terminals, wahrscheinlich das Fitnessprogramm der Airline.

Stunden später stehen wir im Wohnzimmer und schauen hinaus in den Garten: Felsenbirne, Forsythie, Zierkirsche, alles blüht.

Und biegt sich unter der Wucht des heftigen Schneesturms.

Wir sind wieder zuhause.

You teach me

„You teach me, lady“, sagt der junge Mann und strahlt mich an. Offensichtlich war mein Gesichtsausdruck doch nicht ganz Pokerface, als er mit der Aperolflasche und den Whiskygläsern mit Eiswürfeln zurückkommt. „You teach, I learn“, strahlt er weiter nach dem Geständnis, dass er noch nie einen Aperol Spritz gemixt hätte. Er bringt die gewünschten Zutaten – mit Abstrichen, Prosecco ist natürlich illusorisch – und mixt dann Monsieurs Aperol Spritz zurecht. Ohne Orange und im falschen Glas, aber mit offensichtlicher Freude am Tun. Die imposanten Muschel- und Fischplatten serviert er danach ganz ohne Hilfestellung, das hat er drauf, gelernt ist gelernt. Als der Drink dann nicht auf der Rechnung auftaucht und wir ihm das andeuten, ist er fast beleidigt. „On the house, lady, my pleasure.“

Órzola ist der kleine Hafen, von dem die Fähren zum Nachbarinselchen La Graziosa übersetzen. Wir haben uns zwar gegen so eine Fahrt entschieden, wollen uns aber ein bisschen dort umsehen und Monsieurs „Drink am Meer“ umsetzen.

Jeden Morgen im Frühstücksraum ist es lustig anzusehen, dass neben fast jedem Teller ein Wanderführer liegt, der dann während oder nach dem Frühstück eifrig durchblättert und diskutiert wird. So kommt es, dass aus dem Auto, das vor uns parkt, zwei Gäste unserer Finca aussteigen, ganz offensichtlich auch auf Kurs Montana Corona.

Der Berg ist eine kleine positive Mogelpackung. Vor 3000 Jahren hat er den ganzen Norden in Schutt und Asche gelegt, aber Lanzarote auch neben der Verwüstung die beiden Touristenmagneten des Lavatunnels und der Wasserkrebschen-Höhle gebracht. Zurück geblieben ist ein moderat hoher Kegel, dessen Einstieg noch ein bisschen niedriger liegt. Im Aufstieg, durch Weinberge, wirkt der Berg graugrün, einmal oben angekommen, entfaltet das Kraterinnere seine leuchtend-dunkelrote Pracht. Das ist sehr beeindruckend und schön anzusehen. Wir diskutieren kurz, kommen aber zu dem Entschluss, dass weitere Höhenmeter bis zum Kraterrand diesen Eindruck nicht nennenswert steigern werden.

Deshalb wenden wir uns faul dem Abstieg zu, weglos, am Zaun entlang, auf die Umspann-Anlage zu, steht im Wanderführer. Nur sind inzwischen wohl so unzählig viele Wandererfüße der weglosen Beschreibung gefolgt, dass sich ein breiter Trampelpfad den Berg hinab windet. Bleibt nur noch der „Drink am Meer“, den jede auch noch so kurze Wanderung verdient.

Orzola bietet große Parkplätze, allerdings nur für Fährengäste, die ein Ticket vorweisen können. Ein bisschen weiter finden wir einen freien Platz und ein schönes Beispiel für Pragmatismus. Parken darf man dort – laut Gesetz Nummero Sowieso – nur mit Parkscheibe. Oder – so steht es pragmatisch darunter – mit einem Stück Papier mit der Ankunftszeit drauf. Papier hätten wir, Stift ist natürlich im Hotel, nicht im Rucksack. Wir klopfen beim Nachbarauto an und handeln ein Deal aus: wir dürfen ihren Stift benutzen, sie erhalten ein Eckchen Papier von uns. Win-Win.

Danach schlendern wir am Hafenbecken entlang, verwerfen das eine Lokal als zu touristisch, das andere als zu laut, bis wir ganz am Ende der Mole um die Ecke biegen und ein Restaurant mit Tischchen direkt an der Hafenmauer finden. Wir setzen uns, bestellen Aperol Spritz und der junge Mann strahlt mich an.

Hindernislauf

Man kann so einem Wetter ja nicht alles durchgehen lassen. Zumal Monsieurs Lebensgefährtin behauptet, dass es erst ab 18 Uhr richtig stürmisch und regnerisch wird.

Also stehen wir zum zweiten Mal in dieser Woche auf dem schmalen Grat oberhalb Femés und schauen fasziniert auf die Wanderer, die links von uns durch eine rote Steinwüste bergab rutschen und schlittern. Das ist unser Rückweg, aber davor fürchte ich mich, wenn es so weit ist.

Wir gehen rechts, zuerst auf den Höhenlinien, ganz angenehm trotz schmalem Pfad. Wenn da nicht dieser blöde dicke schwarze Schlauch wäre. Aus der Ferne hatten wir das beim ersten Versuch für ein Sicherungsseil an der Wand gehalten. Aus der Nähe entpuppt es sich als ärgerliches Hindernis. Der Pfad ist kaum weit genug für zwei Füße und nun macht der Schlauch sich breit darauf. Mal links, mal rechts, mal in Knöchelhöhe als Fußangel quer über den Weg. Wenn das zu langweilig wird, liegt auch schon mal ein Felsbrocken auf dem Weg, um den Schlauch genau dort zu fixieren.

Wir kommen zu der Stelle, an der es abgeht zu einem kleinen Aussichtspunkt, ein paar Höhenlinien über uns. Aussicht haben wir hier genug, Wind auch, das sparen wir uns. Allerdings wechselt der Weg an diesem Punkt von der „Innenseite“ des Berges zur meerzugewandten „Außenseite“ und wird laut Führer doch etwas unangenehmer. Es kommen nun die Passagen, die uns den ersten Versuch haben abbrechen lassen, die mit „exponiert“, „trittsicher“ und „schwindelfrei“ in der Beschreibung. Können wir nun alles bestätigen, auch, dass wir im Nachhinein heilfroh sind, es nicht bei Sturm gewagt zu haben. Der Weg ist im Geröll kaum zu erkennen. Rechts geht es steil in scharfkantige Lavafelsen. Der ein oder andere Feigenkaktus würde einen Sturz vielleicht freundlicherweise etwas bremsen, aber aufhalten?

Zum ohnehin unangenehmen Zustand des Weges kommt dann noch der Schlauch als Bonus und die Stelle, an der wir kurz das Umkehren andenken. Dort hat sich ein riesiger Feigenkaktus quer über den Weg ausgebreitet in all seiner stachligen Pracht. Nun finden wir das ja an und für sich toll, wie diese ruppigen Gesellen sich im kargen Gelände behaupten, aber ausgerechnet hier? Wir schauen uns das ganze lange an und wagen es dann, testenden Schritt für testenden Schritt im Abhang, rund um Stachelkugel herum. Im Jura, in den Alpen muss man auch gelegentlich um einen Windbruch herumklettern, aber da kann man sich wenigstens an den Ästen des Baumes festhalten. Irgendwie erscheint uns das hier nicht als eine Option.

Ein paar hundert ruppige Meter weiter verlässt der Schlauch den Pfad und strebt geradewegs auf einen Ziegenstall zu. Ah ja!

Wir erreichen, was der Wanderführer eine „Einsattlung“ nennt und damit den Punkt, wo wir uns zur anderen Seite der Insel wenden. Hinter uns liegen Playa Blanca und Meer, nun schauen wir auf Puerto del Carmen – und Meer, natürlich.

Das Tal weitet sich zu grandioser Einöde, in der sich hier und da kleine Steingärten auftun. Locker ins Geröll getupfte Pflanzen in Grün und Gelb nehmen der kargen Landschaft etwas von ihrer abweisenden Härte.

Wir steigen hinab in ein Bachtal, überqueren – trockenen Fußes – das Bachbett und erreichen bald ein „Refugio“. Eine gemauerte Zisterne mit eingestürztem Dach zeugt vom Versuch, diese Einöde zu besiedeln.

Der Weg ist kurz eine Fahrspur, dann kehren wir ihm den Rücken. Er geht rechts bergab an die Küste, wir drehen uns nach links, irgendwie müssen wir ja wieder auf unseren Grat über Femès zurück. Wir bleiben fast auf den Höhenlinien, das Tal kommt höher und dann steht vor dem Aufstieg ein Wegweiser mit drei Schildern. Monsieur kneift die Augen zusammen, blinzelt und liest vor: „Links geht es zum Lift, rechts zur Rolltreppe und gerade aus zur Bar auf der Terrasse.“

Haha, netter Witz! Ich finde bergauf eigentlich immer doof und tue das auch meist lautstark kund. Ist nicht persönlich gemeint, ich beschimpfe jeden Berg völlig unparteiisch, jedenfalls so lange ich noch genug Luft bekomme zum Nörgeln zwischen dem Jappsen. Das ist der Grund, weshalb Monsieur im Anstieg immer ein bisschen Sicherheitsabstand zu mir hält.

Was uns der Wegweiser tatsächlich verrät, ist die Tatsache, dass die nächsten 900 Meter uns 200 Höhenmeter hochbringen werden.  

Wir stehen vor dem Berg und tun uns schwer, auch nur die Spur eines Weges zu finden. Das es den gibt, wissen wir. Schließlich haben wir heute Morgen andere da hinunterrutschen gesehen.

Der Weg finden wir im Näherkommen inmitten einer Wunderwelt von Farben, das Farbspiel ist umwerfend. Wir arbeiten uns auf eine olivgrüne Felsnase zu, die beim Umrunden zu schwefelgelb wechselt. Das Ganze vor einem tief bordeauxrotem Hintergrund. Fast vergesse ich dabei zu schimpfen und zu jammern.

Während ich mich den Berg hochkämpfe, strahlt Monsieur, den bergauf meist weniger beeindruckt als mich, das sei der prächtigste Aufstieg, den er seit langem gemacht habe. Nun ja, jedem das Seine.

Erstaunlich kurze Zeit später stehen wir im Nieselregen auf dem Grat, ich völlig aus der Puste, aber sehr zufrieden, dass ich doch mit erheblich weniger Geschimpfe als befürchtet dahin gekommen bin.

Unser nächster Wanderurlaub ist übrigens schon geplant für Mai. Radwandern im hübschen, flachen Münsterland. Da ist es schön flach und grün. Und flach, falls ich das noch nicht erwähnt haben sollte.

Ich freue mich schon!

Walking on the moon

Wir laufen ein fast wegloses Stück an der Steilküste entlang, ein kurzer Ausflug, ein paar Kilometer nur, etwas Einfaches, Flaches mal zur Abwechslung.

So ganz genau kann ich nicht ausmachen, ob es an mir oder an Lanzarote liegt.

Gestern fand ich das alles noch imposant und faszinierend, heute ist es mir eindeutig zu trostlos, zu viel Schroffheit, zu viel Mondlandschaft.

Ich kann mich heute so gar nicht begeistern für die bizarren, scharfkantigen Formen, gigantischem Silvester-Bleigießen ähnlich, die in den Himmel ragen. Vielleicht bin ich es auch einfach nur müde, bei jedem Schritt auszutesten, wie und wo ich auftreten kann.

Monsieur geht weise ein paar Schritte hinter mir, genießt das phantastische Zusammenspiel von Felsen und Brandung, fotografiert nach Herzenslust.

Ein paar Mal müssen wir umgehen, weil der „gesehene“ Weg nun eben doch nicht der Weg ist und irgendwann stehen wir direkt am Steilhang über der donnernden Brandung. Ich setze meinen Wanderstock auf einen Steinbrocken, der bricht ab und reißt die Steine nebendran mit in die Tiefe. Für mich bestand nie Gefahr, aber es dauert doch einige Sekunden, bis ich weitergehen kann. Von da suchen wir die Alternativen lieber ein bisschen weiter landeinwärts.

Ein paar Mosereien und Grummeleien später kommen wir zu einem kleinen Strand und da wird meine Laune endlich besser. Wir sitzen lange und schauen der Flut zu, wie sie in Felskesseln immer neue Strömungsbilder zeichnet, schreiben die natürlichen Pools dem unumgänglichen César Manrique – kubistische Phase natürlich – zu und genießen die Natur. Irgendwann bückt Monsieur sich und hebt einen kleinen schwarzen Handschmeichler auf, als Souvenir. Ich will es ihm gleichtun und finde einen Schatz: von der einen Seite sieht der Stein schwarz aus, auf der anderen Seite leuchten goldgrüne Olivin-Einschlüsse. Nun gibt es kein Halten mehr und die Schatzsuche weitet sich aus: je einen für die Kinder, den für die Nachbarin, den für eine steinsammelnde Freundin, den…

Monsieur hüstelt und macht klar, dass er nicht bereit ist, unendlich viele Steine nach Hause zu tragen. Nun gut, die Schönsten haben wir ja eh schon gefunden.

Der Rückweg ist dann deutlich beschwingter als der Hinweg, die dumme Stelle an der Klippe schnell umklettert, überhaupt geht es mir wieder besser. Ich glaube ja so gar nicht an „cristal healing“, aber dieses Olivin, also, dieses Olivin, das hat doch etwas bewirkt bei mir.

Am Abend finden wir dann noch die Lösung eines Rätsels, das uns seit einigen Tagen beschäftigt. Wir sind an mindestens acht Verkehrszeichen vorbeigefahren, die vor Kühen warnten. Die Kühe auf den weißroten Dreiecken waren durchaus stattliche Exemplare, die Kühe in der Realität unauffindbar. Hinzu kommt, dass die Landschaft hier so gar nicht für Kühe geeignet zu sein scheint, nirgendwo üppiges Grün, alles karg und trocken. Wie meine Hunsrücker Großmutter sagen würde: Das Land ist so arm, da sitze‘ die Mäus‘ mit rotgeweinte‘ Auge‘ vorm Brotkasten…

Monsieur hat für heute Abend in einem Restaurant namens „Die Käserei“ reserviert, sehr schön in alten Stallungen untergebracht. Und da finden wir – neben sehr leckerem Essen – die Antwort auf unsere Fragen: die Kühe sollen eigentlich Ziegen sein, aber für die gäbe es keine EU-konformen Straßenschilder.

Wieder etwas gelernt.

Caldera Blanca, endlich

Heute Morgen werden wir wach zu einem ungewöhnlichen Naturphänomen. Die Älteren unter Euch werden sich vielleicht noch erinnern an „strahlender Sonnenschein“. Wie all diese Phänomene ist auch dieses nur von kurzer Dauer, reicht aber, uns in Euphorie und völlig außer planmäßig aufbrechen zu lassen.

Ein paar hundert Meter vor dem Visitor’s Center geht ein rauher Feldweg ab zu einem kleinen Parkplatz. Ein gutes Dutzend Autos steht schon da. Menschen, die Wanderschuhe anziehen, sitzen in offenen Türen. Andere hieven Kleinkinder in Tragegestelle und wiederum andere sind schon ein Stück voraus hinter der ersten Welle im Lavastrom verschwunden.

Das alles sieht schroff, abweisend und lebensfeindlich aus und doch gibt es kleine Helden, die in dieser Umgebung ihr Leben aufbauen, Flechten, Euphorbien, wilder Tabak und als kleine Überraschung etwas Gepunktetes.

Wer die Caldera Blanca besteigen will, muss sich erst einmal durch ein Lavafeld durchkämpfen. Dann stehen wir noch immer nicht vor „unserem Berg“, vorher kommt die kleine Schwester, die Montaneta Caldereta, das Kraterchenbergchen. Wir bekommen hier nämlich zwei Krater zur Anstrengung von einem. Das Bergchen hört sich zwar niedlich an, ist aber mit seiner großen Schwester standhaft genug gewesen, dem Lavastrom der 1730er Eruption die Stirn zu bieten. Die Lava musste sich also mit den Hindernissen arrangieren und floss zwischen den beiden hindurch. Für die Wanderer bedeutet das, dass wir an der Flanke vom Kraterchen hochsteigen bis Oberkante Lavafluss und von dort aus einen Weg hinüber zur Caldera Blanca finden müssen. Von oben sehen wir später andere Wanderer unter uns im Lavafeld, hören ihre Schritte im Geröll knirschen.

Am Hang des großen Kraters geht es dann außen entlang, auf Pfaden, die in engen Einschnitten liegen. Als Berg ist die Caldera sehr angenehm, es geht schön langsam und stetig höher, bis wir dann doch etwas atemlos stehenbleiben beim ersten Blick in den Krater.

Mit diesem Blick zur Rechten geht es oben auf dem Kraterrand weiter bis zum höchsten Punkt. Links erstrecken sich die Feuerberge des Nationalparks, die fehlende Sonne verhindert, dass sie leuchten.

Beim 458 Meter Punkt angekommen verzichten wir dann doch auf das Picknick, der Wind macht es zu ungemütlich. Der Abstieg gestaltet sich anfangs unangenehm. Wir finden den Einstieg nicht vom Kraterrand zum fünfzehn, zwanzig Meter unter uns sichtbaren Pfad. Ich bin fast bereit, auf Respekt und Selbstachtung verzichtend die Hosenboden-Methode zu probieren, da sieht Monsieur eine Möglichkeit, auf der wir zwar auch rutschend und schlitternd, aber immerhin aufrecht auf unseren zwei Füßen nach unten kommen.

Einmal wieder in der Ebene kommen wir um die Basis des Vulkans herum an ein schwarzes Tuffloch, ideal als geschützter Picknickplatz. Die Tuffwände sind so weich, dass wir mit dem Fingernagel Striche hineinkratzen lassen. Das hat es wohl auch „Klaus“ leicht gemacht, in meterhohen Buchstaben mitzuteilen, dass er 2013 hier war. Eine Information, die die Welt dringend braucht.

Am Fuß der Wände finden wir zwei kleine Säugetierschädel und mehrere Knochen. Das hat wohl nichts mit „Klaus“ zu tun und ist eher ein Hinweis auf den auf vielen Tafeln beschworenen seltenen Lanzarote-Geier.

Die letzten zwei Kilometer fühlen sich dann doch deutlich länger an als nötig, aber wieder am Auto sind wir richtig zufrieden mit unserer Wanderung.

Monsieur will zum würdigen Abschluss „Drink mit Meer“. Meer finden wir im kleinen Fischereihafen La Santa, der Drink kommt nach längerer Wartezeit und das von mir bestellte Essen wird unsere erste schlechte Erfahrung auf Lanzarote. Das „Zicklein auf alte Lanzaroter Art“ entpuppt sich zu 80% als Knochen, die abgeknabbert werden müssen. Ich habe nichts gegen Abknabbern, aber es soll mich doch wenigstens satt machen. Als wir das dem Wirt sagen, wird uns sehr deutlich gemacht, dass wir ja eh nie wiederkehren würden und ihm unsere Zufriedenheit völlig egal sei.

Zum Glück endet der Tag nicht auf dieser Note. Unser Hotelbesitzer ist mit einer Ukrainerin verheiratet und heute findet im Hof der Finca eine Benefiz-Veranstaltung statt, die gut besucht ist. Wir kommen gerade rechtzeitig zur Auslosung der Tombola, Gutscheine lokaler Anbieter. Das Essen für zwei wird bejubelt, die Ayurveda-Massage auch. Das Wochenende „dog-sitting“ ruft bei der Gewinnerin ein Stirnrunzeln hervor. „Ich habe gar keinen Hund. Betreuen Sie auch meinen Mann?“

Zur Verlosung sind wir zu spät, also versuchen wir unser Glück beim „Lucky dip“ und erstehen „Wundertüten“ örtlicher Kitsch- und Kunstanbieter als Mitbringsel für Familie und Freunde.

Die werden sich sicher freuen beim Öffnen der Wundertüten.

Oder sollten es zumindest überzeugend vortäuschen…

Undercover unterwegs

„Seltsam“, nickt die Rezeptionistin, „um diese Jahreszeit regnet es sonst nie!“ Wir nicken auch, verschweigen aber schuldbewusst, dass wir es sind, die den Regen wie magisch anziehen.

Unter einem versöhnlichen Regenbogen „planen“ wir den Tag. Dieser Plan sieht die Ersteigung und Umrundung der Caldera Blanca vor, die Nummer-1-Top-Must-do-Wanderung auf Lanzarote. Allerdings wollen wir keinesfalls in Sturm und Regen exponiert um einen Kraterrand laufen. Das ist der Plan, den wir fürs Scheitern anbieten.

Unter der Hand, undercover sozusagen, arbeiten wir an etwas, dass wir eine Alternative, einen Vorschlag, Option, Dingens nennen, alles nur nicht einen Plan. Dieses Dingens könnte eine Umrundung der Montana Colorada enthalten, weil es da Lavabomben gibt, die Monsieur sehen möchte. Die Wanderung ist kurz, eine knappe Stunde, das trauen wir uns im strömenden Regen zu. Das Hotel hat eine Sauna, da werden wir wieder warm werden zur Not.

Sollte der Regen ein Einsehen haben, geht hinter dem Vulkan eine zweite Wanderung los, die nicht eine, nicht zwei – nein ganze vier Vulkanumrundungen anbietet und an die drei Stunden erfordert. Mal sehen, was das Wetter uns ermöglicht. Monsieur hat schon die GPS-Tracks auf Handy geladen, für die Caldera Blanca natürlich – und heimlich auch für die Dingens-Alternative.

Wenig später stehen wir in Regen und Sturm auf dem Lehrpfad um die Montana Colorada und lesen, dass Lanzarote so karg sei, weil es hier keine Niederschläge gebe, nur die Luftfeuchtigkeit der Passatwinde. Wir schauen in die prasselnde Luftfeuchtigkeit und kommen uns schon etwas verschaukelt vor. Monsieur fotografiert seine Lavabomben und verstaut dann den Fotoapparat im Rucksack, um ihn vor der Nässe zu schützen.

Der Regen lässt etwas nach und wir entscheiden uns die Alternative zu wagen. Damit ändert sich vieles: wir verlassen den breit angelegten Lehrpfad und laufen über ein fast Weg-loses scharfkantiges Lavafeld. Der Sturm beutelt uns, bläst aber auch den Regen fort. In die Landschaft getupftes Grün zeugt vom Überlebenswillen der Natur und zeichnet schöne Kontraste zu den abweisenden Lavafeldern. Der Weg ist kaum noch zu erkennen, wir orientieren uns an Steinmännchen. Zweimal müssen wir umkehren und es anders versuchen, weil sich die angepeilten Steinmännchen als hochkant erstarrte Lavagebilde entpuppen.

Dann kreuzt unter dem nächsten Vulkan plötzlich ein breiter Fahrweg, Zugang zu den Steinbrüchen, die der Mensch großflächig in die Flanke des Berges gerissen hat, um den in deutschen Gärten so beliebten (oder verhassten, je nach Standpunkt) Kiesschotter abzubauen.

Die Wege bringen uns um Vulkan drei und vier herum, bis wir vor der Caldera de Santa Catalina wieder etwas ratlos auf eine riesige zerrissene Ebene schauen. Der erste „gefundene“ Weg entpuppt sich als Sackgasse, der zweite auch, der dritte Versuch gelingt Monsieur, Handy in der Hand. Vorwärts kommen wir dann doch nicht, zu häufig bremsen wir uns selbst aus mit einem „Hast du das gesehen?“ oder „Schau dir mal die Farbe an!“

Einen Kilometer vor dem Ende stoßen wir wieder auf Weg und Spuren, große Pfeile aus Lavabrocken gelegt, die den Einstieg in die Einöde zeigen, aus der wir gerade kommen. Sieht so aus, als seien wir die Wanderung „falsch herum“ gelaufen.

So, das war die Dingens für heute.

Und morgen, da machen wir die Caldera Blanca Wanderung.

Das ist der Plan.

Offiziell jedenfalls…

Grandios gescheitert

Zum Glück gibt es da ja so ein Internet. Mit dessen Hilfe und ein paar erinnerten Stichworten finden wir eine der Wanderungen aus dem verschollenen Führer, ansatzweise zumindest. Diese geht von einer Busstation an der Marina von Playa Blanca los, vorbei an riesigen Hotelkomplexen und geklonten Ferienhausreihen zum Playa des mujeres, folgt der Küstenlinie bis zur Punta del Papagayo, um auf dem gleichen Weg kehrt zu machen. Wir haben ein Mietauto und beschließen bis zum ersten Strand zu fahren und dafür etwas länger der Küste zu folgen, ein paar Strände und Buchten weiter bis zur Caleta Larga, von wo ein Fahrweg quer über die Hochebene zurück zum Parkplatz führt. Wieder an der Punta angekommen gibt es eine Pause mit Mittagessen in einer der zwei kleinen Bars dort. So ist zumindest der Plan. Aber wir sind da offen, denn unsere Pläne haben die Tendenz, sich nicht an unsere Pläne zu halten.

Deshalb stoppen wir auch erst einmal bei einem freundlichen Dinosaurier, um zu erstehen, was ein asiatischer Führer „mother Nature’s packed lunch“ nannte. Unter dem Logo eines grinsenden Sauriers im HyperDino-Mercado erstehen wir hygienisch vorgepackte gelbe Kraftpakete, eine Handvoll Bananen. Wenig später stehen wir, Ende März und Vorsaison, in der Warteschlange vor der Mautstelle zum Strandparkplatz. Drei Euro werden kassiert für die Nutzung des Schotterweges zu den diversen Stränden. Ich weiß nicht, wofür sie die drei Euro einsetzen, für den Erhalt der Straße bestimmt nicht. Wir haben einen Kleinwagen gemietet und einige der Schlaglöcher sind schon beängstigend groß und tief. Monsieur kurvt und kurbelt, ich schimpfe. Wir sind so konzentriert auf die „Straße“, dass wir die Abzweigung zum Strand zu spät sehen. Wenden ist in der langsamen Karawane, in der wir uns bewegen, nicht möglich, also fahren wir, kleine Planänderung, direkt zum Parkplatz an der Punta.

Wenig später stehen wir auf dem Aussichtspunkt an der Spitze Lanzarotes, in den Wind geneigt, mit knatternden Jacken und bestaunen die riesigen Sandstrände. Nicht die der Punta, die sind eher niedlich. Direkt vor uns liegt Fuerteventura, zum Greifen nah. Ein Kreuzfahrtschiff und eine riesige Autofähre begegnen sich kurz in der Meeresenge, bevor ein jedes Schiff langsam seiner Wege zieht.

Wir ziehen nun auch unserer Wege, wie geplant kurz an den Klippen entlang, dann hinunter ans Meer zum Strand, wo uns  die Ebbe es leicht macht, über den Sand zu stapfen. Der Weg steigt wieder an auf die Klippen (59 Meter über dem Meer steht auf einem einsamen Wegweiser) und dieser Rhythmus setzt sich fort, bis zur Caleta Larga. Die Hochebene ist von schroffer öder Schönheit, kein Baum, kein Strauch, nur graubraunes Lavageröll. Was sich an Grün festklammern kann in dieser Einöde, wird vom Wind in bizarre Formen gepeitscht. Es erinnert in seiner strengen Anmutung an japanische Zen-Gärten.

Die Fahrstraße entpuppt sich als in der Natur fast nicht sichtbare Spur, der wir eine Weile folgen, bis wir am Horizont die Straße sehen, auf die wir stoßen wollen, Auto an Auto, Staubwolke an Staubwolke. Das sieht nicht sehr verlockend aus. Also schneidet Monsieur kurz entschlossen links durch Geröll und Gestrüpp ab, auf den nächsten Strand zu. „Und wieder ein Plan, den wir grandios scheitern lassen,“ murmele ich. Monsieur dreht sich um und nickt strahlend: „Da sind wir richtig gut drin, nicht?“

Der nächste Plan scheitert an den beiden Bars. Die eine gewährt Einlass nur mit vorgezeigter Anmeldung, vor der anderen steht schon eine lange Warteschlange. Also statt des geplanten Mittagessens ein kleines gelbes Kraftpaket.

Dafür haben wir nun natürlich viel Zeit, neue Pläne zu schmieden. An der Küste entlang zu trödeln, bis eine Vollsperrung uns zum Umkehren zwingt. Die Salinen zu bewundern, von oben nur. Nicht herunter zu steigen, das ist nicht der Plan.

An sturmumtosten Klippen den rechten Moment für ein spektakuläres Gischt-Foto abzupassen. Um Sekunden später lachend und nass zurückzuspringen, weil das Meer eine Zugabe gibt.

 In dem kleinen Restaurant dort drüben auf der Terrasse einen Kaffee zu trinken.

Das zumindest ist der Plan. Der grandios scheitert, als wir die phantastische Speisekarte sehen.