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Hügelinchen

Bahrom erwartete uns auf der tadschikischen Seite der Grenze, unser Führer für die Tage in Tadschikistan. Es ist also Bahrom, den ich frage, wie sie die Berge im Hintergrund nennen. Es ist Bahrom, der darauf grinsend antwortet: „Diese Berge nennen wir Hügel.“ Denn in Tadschikistan gilt alles unter 3000 Metern Höhe nicht als Berg.


Würde mich mal interessieren, was Bahrom zu unseren deutschen Mittelgebirgen sagen würde. Die Eifel ein Gebirgelchen, der Hunsrück ein Hügelinchen?


In dieses Hunsrück-Hügelinchengewirr tief eingeschnitten sind Täler, die so viel mehr zu bieten haben als schroffe, kahle Berggipfel.


Wir haben uns die Ehrbachklamm ausgesucht. Als Rundwanderung, weshalb sie zur Ehrbachklamm-Traumschleife wird. Über die Traumsteige und -schleifen habe ich schon genug gelästert, aber hier ist der Zusatz Traum wirklich verdient.

Wenn man denn schwindelfrei ist und keine Höhenangst hat, sonst wird es schnell zum Alptraum.


Unsere Traumwanderung beginnt auf den Hunsrückhöhen inmitten von blühenden Ackerstreifen. Zwischen die Monokulturen von Mais und Rüben hingetupfte bunte Pinselstriche erfreuen das Auge und die Insekten: Ringelblume, Borretsch, Phacelis, klar, auch eine Menge Disteln und Habichtskraut. Solange das nicht in meinen Beeten blüht, finde ich es ganz hübsch.


Am Anfang der Schleife stehen viele Hinweisschilder, zur Streckenführung, zum Wert der Schleife, des Wanderns allgemein und ganz klein unten drunter das Höhenprofil. An einem Punkt, etwa zur Hälfte der Wegführung, muss es einen Aufzug geben. Anders ist es nicht zu erklären, dass die Linie (fast) senkrecht nach oben geht. Nunja, davor fürchte ich mich, wenn wir da sind.


Zuerst lockt der Rundweg mit bergab auf breiten Wegen. Im Tal wird es dann schnell abenteuerlicher. Kleine Leitern sind die Aufwärmübung, dann kommen Seilpassagen und wandern wird stellenweise zu klettern. Das alles eingebettet in die lichtflirrende grüne Märchenwelt der deutschen Laubwälder. Die Begleitmusik bietet der Ehrbach, mal fast lautlos, mal durchaus lebhaft. Sehr selten hört man eine menschliche Stimme, wenn der ein oder andere Mensch uns entgegenkommt. Die meisten mit diesem leicht verschämt wirkenden Grinsen reiner Freude auf dem Gesicht.


Die Klamm ist gut erschlossen und unterhalten, mit Stegen, Brücken, Seilen, Leitern. Das hilft besonders mir bei etwas delikateren Passagen, weil die Seile mir sagen, dass nicht nur ich hier ein bisschen weiche Knie bekomme. An einer Stelle allerdings wirkt der fünf Meter bachaufwärts liegende Steg so marode, dass wir lieber über die Steine durch den Bach hüpfen. Außerdem fünf Meter Umweg? Bergauf? Dann lieber durch den Bach!


Wir machen Rast an der Abzweigung zur Rauschenburg. Monsieur muss da hoch – ich nicht.

Er kommt zurück mit Bildern für mich und der Erkenntnis: „Steht nicht mehr viel!“ für sich.

Die Rast mit Stullen und Gurkenscheiben soll uns Kraft geben für das Aufzug-Stück. Es ist tatsächlich atemberaubend – wortwörtlich. Steil, steinig, rutschig, mit Seilen versehen ist es mir bei all meiner Flucherei und Schimpferei doch hundertmal lieber bergauf als bergab.


Irgendwann komme ich oben an, Monsieur wartet wie immer auf seine Nachzüglerin, nur um zu sehen, dass die freundlicherweise dort hingesetzte Bank schon besetzt ist, von einem Paar, das genauso erschöpft aussieht wie ich mich fühle.

Kein Problem, nur ein paar hundert Meter weiter (bergauf, aber nur noch „orange“ auf der App, nicht mehr „rot“) steht eine andere Bank mit berauschender Aussicht und einer Tafel. „Die Peedsches-Trampler“ informieren uns, dass sie es sind, die Pfade und Bänke unterhalten. Vielen Dank dafür!


Wir laufen auf der Höhe weiter, sehen auf der anderen Seite die Rauschenburg – das, was noch steht -, genießen das Gesamtkunstwerk der Natur. Die Weite des Landes, die Farben der Bäume, das Rauschen der Wälder und der Gesang der Vögel, der Geruch des Waldes an einem sommerheißen Tag, ein vielfältiges Feuerwerk an Eindrücken.


Tja, und dann verbimst die Natur es, indem sie uns zwei weitere Seitentäler in den Weg schiebt. Ich hasse es, einmal mühsam erklommene Höhenmeter wieder absteigen zu müssen, im Wissen, dass es auf der anderen Seite wieder hoch geht. Und das gleich zweimal hier.


Dafür gibt sich die Natur besondere Mühe, die Anstrengung lohnend zu gestalten. Die reine Vielfalt der Eindrücke ist überraschend: auf breiten Waldwege laufen wir durch lichte Laubwälder, kurz darauf klettern wir über klitschig-feuchte Felsstufen direkt im engen dunklen Bachtal.

Am Talgrund locken grüne Wiesen, gerahmt von hüfthohem Springkraut. Das Wasser reflektiert die Sonnenstrahlen und zaubert Bewegung auf die Moosflächen am Uferhang, aber bald müssen wir uns auf schroffe Felsspalten konzentrieren, um die Füße richtig zu setzen.

Ich komme vor lauter Schauen und Staunen fast nicht zum Mosern und Schimpfen ob der Höhenmeter.


Schauen und Staunen und Mosern und Schimpfen bringt uns hoch zum Winkelholzberg, Waldkindergarten der Gemeinde. Wie wundervoll muss es sein, hier seine Kindheit zu verspielen!

Wenig später kann ich am Auto die Wanderschuhe ausziehen. Ziemlich erschöpft, aber auch ziemlich glücklich.


Im Kopf schon das Menü für heute Abend: als primo mache ich Raddicchio-Risotte, secondo wird Saltimbocca sein mit ganz viel Salbeibutter. Den Nachtisch habe ich schon heute morgen vor der Wanderung gemacht: Espresso-Mousse, stilgerecht in kleinen Tassen serviert.
Haben wir uns verdient, das Menü.

Die Fakten

Die Traumschleife Ehrbachklamm wurde durch das Deutsche Wanderinstitut mit 98 Erlebsnispunkten bewertet. Länge 8,9 km, 390 Höhenmeter.


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