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Sündige Ausnahmen

Regen sollte nicht der einzige Grund sein, ein Museum zu besuchen. Schließlich gibt es da ja noch das Museumscafé. Das im Falle des MANN lockt mit „gesundem Essen mit den notwendigen sündigen Ausnahmen“. Das kleine Wort „notwendig“ in diesem Satz erfüllt mich mit reiner Freude.

Ein Museumscafé, das über solche Einsichten verfügt, vom Sinn für Humor ganz zu schweigen, müssen wir unterstützen. So ist unser erster Plan für Neapel ein Frühstück im MANN, direkt nach dem Eintritt, noch bevor wir uns der Kunst zuwenden.

Ganz ohne Kunst kommen wir allerdings doch nicht da hin, denn in der riesigen Eingangshalle stehen wir vor der Sonderausstellung „House of the Lobster“ von Philipp Colbert. Bilder mit bunt-knubbeligen Szenen, Szenen mit knubbelig-bunte Statuen erfüllen mich mit diesem „Hmm, irgendwie hatte ich das anders in Erinnerung“-Gefühl.

Aber da sind wir schnell durch – mit einem Lächeln – und stehen dann vor unseren ersten Sfogliatelle.

Himmlisch leichter Blätterteig umhüllt eine teuflisch gute Ricottacreme, die nach Orangenblüten duftet, ein wahrlich sündiges Vergnügen. Espresso und frisch gepressten Orangensaft gibt es auch, dazu den Blick auf die blühenden Kamelienbäume im Innenhof – wer braucht da schon Rührei und Speck?

So gestärkt widmen wir uns dem Kunstgenuss, wobei ich einen neuen Begriff kennen lerne. Die hier herumstehenden nackten Herren haben nicht zufällig vergessen sich etwas überzuziehen, nein sie stehen da im Zustand der „heroischen Nackheit“, auf ihren Speer, Bogen oder ähnliches gelehnt, den Blick mit heroischer Langeweile in die Ferne gerichtet. Nett anzusehen sind sie allemal.

Das schaut ihr euch am besten auf den Seiten des Museums an. Deren Bilder sind eindeutig besser fotografiert als meine.

Saal auf Saal ist gefüllt mit den exquisitesten Kunstwerken, von kaum fingergroßen Figürchen zu überlebensgroßen Pferden, mit oder ohne Reiter, in Bronze oder aus Marmor.

An den Wänden Fresken mit Szenen aus der Mythologie oder einfach nur des täglichen Lebens, die Farben frisch und ausdrucksstark.

Das Ganze umtost von vier bis fünf Grundschulklassen, die mit ungeheurem Lärm durch die Ausstellung toben.

Im zweiten Stock ist es etwas ruhiger, was die Schulklassen angeht. Dafür entlädt sich – fast synchron mit dem Vesuvausbruch bei der filmischen Pompeji-Rekonstruktion – ein Gewitter über uns und sorgt für einen durchaus passenden Soundtrack.

Nach all der überwältigenden Schönheit des griechisch-römischen Neapels ist die Einfachheit in den Räumen der Proto- und Prähistorie fast eine Erleichterung für die Augen. Ich finde mein Lieblingsobjekt für heute: den Anhänger, der solch eine Fröhlichkeit ausstrahlt.

Das Museumscafé lädt uns noch zu einem gesunden Mittagessen ein, bevor wir uns gründlich verirren beim Versuch in den 3. Stock zu gelangen. Nachdem wir die Weihgaben dort oben gebührend bewundert haben, verirren wir uns wieder auf dem Weg nach unten. Die Lifte gehen jeweils nur ein Stockwerk weit, die Treppen kommen nicht an der ersten Etage vorbei, sehr verwirrend, aber letztendlich schaffen wir es mit reiner Sturheit nach einigen Dutzend Treppenstufen zu den Mosaiken der „Villa des Fauns“ aus Pompeji. Mosaiksteinchen mit einer Kantenlänge von kaum einem Millimeter sind zusammengefügt zu den erstaunlichsten Kunstwerken, Porträts selbstbewusst dreinschauender Bürger entwerfen ein Bild vom Leben in der Stadt vor fast 2000 Jahren.

Und dann ist da noch im Anschluss das „Gabinetto secreto“, das ich einfach für einen Geheimgang gehalten hatte. Dem ist natürlich nicht so. Nicht das Kabinett ist geheim, sein Inhalt ist – so steht es tatsächlich am Eingang – nicht für Besucher unter 16 Jahren geeignet. Hier wird dann in sehr eindeutigen Bildern, Statuen und Spielzeugen sehr deutlich gemacht, dass exquisite Kunst nicht das einzige war, an dem sich die Bürger Pompejis erfreuten.

So viel Kunst ist einerseits anregend, rein intellektuell natürlich, macht aber auch müde, so dass wir uns eine Siesta wirklich verdient haben. Unter dem wachsamen Blick von Gina führt uns das Labyrinth der Altstadtgassen mit seinen wunderlichen kleinen Läden zu unserem Sträßchen und der Erkenntnis, dass nicht alles, was Monsieur mir beim gestrigen Spaziergang im Abendlicht als Skulptur und moderne Kunst gezeigt hat, das bei Tageslicht auch tatsächlich ist.

Abends wird es dann noch richtig unterirdisch, absolut grottig wird es, als wir uns die 147 Stufen hinab in die Treppen, Höhlen und engen, verwinkelten Tunnel von Napoli Sotterano trauen, in die unterirdischen Tuffsteinbrüche der alten, griechischen Stadt, anschließend umgewidmet zur Wasserversorgung. Tunnel, so schmal, dass ich seitwärts gehen muss, das Handy als Lampe die einzige Lichtquelle, weiten sich in riesige Kavernen, die im 2. Weltkrieg als Luftschutzkeller dienten.

Eine Stunde – und natürlich 147 Stufen aufwärts – später werden wir entlassen ins Halbdunkel des nicht so touristischen Straßengewirrs hinter dem alten römischen Theater.

Die kleine Enoteca kommt uns da gerade recht für einen Apéro und als wir den Speisesaal und dann die Speisekarte sehen, bleiben wir einfach sitzen bei Schwertfisch-Carpaccio und Spinat-Cannelloni zum Fiano di Avellino.

Dass in der Nacht ein Erdbeben mit Stärke 3,4 Neapel „erschüttert“, bekommen wir nicht mit.


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