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Pompeji-Bashing

Frühstück heute ist eher in die Richtung „to go“, Kaffee der löslichen Sorte im Apartment und ein Sfogliatelle aus der Bäckerei an der nächsten Ecke auf die Hand. Nicht ganz einfach zu essen im Gehen, zumal Monsieur auch noch auf das Tempo drückt, weil wir den 9:40 nach Ercolano Scavi erreichen wollen.

Wir kommen tatsächlich kurz nach halb zehn auf den Bahnsteig, da steht der vorherige Zug noch und wartet darauf, dass wir die letzten Blätterteigkrümel abklopfen vorm Einsteigen.

Die Bahnhofsuhr zeigt 7:25, als der Zug sich knirschend und jammernd in Bewegung setzt, aber beim nächsten Stopp ist es immerhin schon halb zwei. In Ercolano Scavi ist es dann tatsächlich erst kurz nach zehn, Zeit für einen echten Kaffee, bevor wir unseren Führer (Sehen Sie Herculanum mit einem echten Archäologen!) an der Kasse treffen.

Dann geht es los, mit der Führung und dem Pompeji-Bashing. Zuerst beglückwünscht Luciano uns zu unserer Entscheidung, dass wir Ercolano und nicht Pompeji gewählt haben (Wir verraten ihm natürlich nicht, dass wir Pompeji für morgen geplant haben). Pompeji wäre viel zu groß, zu unübersichtlich und zu vulgär. Pompeji, das wäre eine Industriestadt gewesen, wohingegen Ercolano das Miami gewesen wäre, Yachthafen und Sommerfrische der Reichen und Schönen. Ercolano hätte eine funktionierende Kanalisation, kein Bedarf für die riesigen Trittsteine mit Hilfe derer die Bewohner Pompejis über den stinkenden Unrat in ihren Straßen hüpften. Luciano hat noch andere Bashings parat, für die italienische Regierung etwa, alles idioti, imbecille. Italienische Steuern bekommen auch ihren Teil ab und dann ist Plinius der Ältere an der Reihe, der größte idiota und imbecille von allen und Luciano schließt auch noch gleich die gesamte römische Flotte ein.

So geht es eine Zeitlang, bis er dann doch zu den liebenswerten Kleinigkeiten kommt, weshalb man so eine Führung mit Führer unternimmt. Appetithappen des Wissens sozusagen, wie die kleinen Kuhlen im Marmor der Taberna-Theken, die wir sonst sicher übersehen hätten. Der Wirt erkannte am Klang der hineingeworfenen Münze, ob sie echt war oder nicht.

Oder den gruseligen Aspekten: die Skelette, die in den Bootshäusern am Meer gefunden wurden. Das ausgegrabene Boot am Strand, unter dessen Rumpf ein Skelett verborgen lag, den Sack mit Goldmünzen und Juwelen noch fest umklammert. Luciano schildert mit offensichtlicher Faszination, wie der heiße Wind den Menschen förmlich das Fleisch von den Knochen gefräst habe, „gnädiger Weise“ erst, nachdem die Giftgase sie schon längst umgebracht hatten. Er betont immer wieder, dass Ercolano nicht von 10000 Grad („Tausend Grad!“, murmelt Monsieur) heißen Lavaströmen begraben wurde, sondern von genauso unaufhaltsamen 15 Meter hohen Schlammlawinen, die sich vom Berg in die Ebene und über die Stadt wälzten.

Das aber genau das die Holzstrukturen und Dachkonstruktionen erhalten hätte, da der unten einfließende Schlamm quasi die oberen Stockwerke abstützte gegen die nachfließenden Massen. Dass dagegen 10000 Grad („Tausend Grad!“, murmelt Monsieur) heiße Lava alles verbrannt hätte. Wie etwa die farbenfrohen Anschlagtafeln vor einer Taberna, die mit roten und weißen Amphoren ihre Angebote und die Preise zeigten.

Das darunter gezeichnete Bild versprach andere Dienstleistungen. Mit sichtlichem Vergnügen (seinem, nicht meinem) erzählt Luciano, dass ein Kunde beim Wirt seine Goldmünze gegen eine Silbermünze seiner Wahl eintauschen konnte. Eine Münze, 25 verschiedene standen zur Auswahl, auf der die jeweilige Dienstleistung der Damen detailliert und anschaulich wiedergegeben war. Die Damen konnte dann die Silbermünzen beim Wirt wieder zurücktauschen. Notwendig wurde das, weil mit der Goldmünze mit dem erhabenen Bild des Kaisers drauf nicht solch anrüchigen Dienstleistungen bezahlt werden durften.

Der erhabene Kaiser hatte allerdings nichts dagegen, auf diese Transaktion Steuern zu erheben und zwar beide Male, idota, heuchlerischer.

Luciano erklärt uns anhand der Funde von frisch geernteten, verkohlten Walnüssen – vom heißen Wind verkohlt, nicht der nichtexistenten Lava –, dass die Archäologen das Datum der Katastrophe vom 24. August auf den 24. Oktober umgelegt haben, womit dann en passant auch Plinius der Jüngere zum idiota und imbecille degradiert wird.

Irgendwann definiert Luciano die Führung für beendet, wir bedanken uns und strolchen noch ein wenig durchs Gelände und durch das von außen ziemlich hässliche Museumsgebäude mit seinen exquisiten Kunstwerken.

Und dann setze ich meinen Willen durch. Knallhart, unbeugsam und völlig egoistisch. Monsieur kann und weiß so vieles, was er einfach nicht gut kann, ist Taxi fahren. Ich hingegen kann das und ich habe keine Lust, die laute, zugemüllte und sehr uncharmante Straße zum Bahnhof Ercolano Scavi zurückzulaufen, bergauf und nach drei Stunden Führung.

Also organisiere ich mir ein Taxi und lade Monsieur großzügig ein mitzufahren.

Was er widerstrebend tut, weshalb wir gerade noch den verspäteten Zug nach Neapel bekommen.

Am späten Abend sitzen wir in einer Cantina vor einem Gericht, das sich Vesuvio di melanzane nennt: ein Bergspitzen-Gebilde aufgeschichtet aus Auberginenscheiben, über dessen Abhänge glühend heiße Tomatensoße fließt. „Tausend Grad!“, höre ich im Geiste Monsieur murmeln und überlege, wie etwas gleichzeitig so wohlschmeckend und so geschmacklos sein kann.

Die nachfolgenden Fidelini al limone sind dagegen ein solch sahnig-frischer Genuss, dass Monsieur spontan beschließt sie nachkochen zu wollen. Die benötigten Bio-Zitronen hätten wir, das Zitronenbäumchen im Winterquartier trägt fünf prachtvolle Früchte: bio, saisonal und so was von lokal.


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