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Für den Lieblingsenkel

Heute Morgen haben wir viel Zeit. Fürs Frühstücken, Packen, Schlendern, für alles Mögliche, nur eben nicht für das, was ich für heute Morgen angeplant hatte: Das sehr kleine Museum in der Sansevero Kapelle mit seinen Kunstschätzen, die von exquisit bis bizarr rangieren. Gestern Abend habe ich noch schnell die Öffnungszeiten nachgeschaut und herausgefunden, dass wir unsere Tickets vor Wochen hätten online reservieren müssen. Ja, hätte ich wissen können, habe ich aber nicht. Für heute ist eh ausverkauft.

Auf dem Weg zu dem netten Café, das ich auf der Piazza San Domenico Maggiore gesehen hatte, kommen wir am Museum vorbei. Die Warteschlange am Einlass geht um zwei Straßenecken, wirklich nicht das, was wir uns für einen entspannten letzten Morgen vorgestellt haben. Stattdessen gibt es Kaffee und luftig leichtes Hefegebäck, Orangensaft und ganz viel Sonne. Vielleicht ganz gut so: die Kunstwerke kann ich mir im Internet anschauen, Sonnenstrahlen im Gesicht tun nur im realen Leben gut.

So gestärkt tauchen wir noch einmal ein in das Gewühl und Gewimmel der Altstadtgässchen und trauen uns am letzten Tag in die Via San Gregorio Armeno, die Gasse der Krippenmacher. Neapels zweite Spezialität neben der Pizza sind die prächtig ausgestatteten Krippen. Aus Korkblöcken wird der Hintergrund gestaltet, der dann mit mannigfachem Personal ausgestattet wird. In den Geschäften kann man sich seine ganz persönliche Weihnachtsszene zusammenstellen. Dass Neapels Fußballverein – im blauen Trikot – nicht in der Weihnachtsgeschichte vorkommt, scheint niemanden zu stören.  Und dann steht neben der Queen noch ein Kerl, der in meinen Augen ganz bestimmt nicht in eine Krippe gehört.

Unser Taxi ist für zwölf Uhr bestellt, da bleibt noch Zeit, sich um etwas Verpflegung zu kümmern. Auf der Via di Tribunali hatte ich einen Laden gesehen, der sehr appetitanregend wirkte.

Ein bärtiger Hüne bastelt sehr konzentriert an kleinen Häppchen, blickt auf und strahlt uns an. Wir bestellen, er nimmt zwei panino, und schneidet sie auf. Dann ist der Mozarella dran, der Hüne reicht uns nonchalant die abgeschnittenen Endstücke und fischt gebratenen Friarielli – eine Art wilder Brokkoli – aus dem Öl. Schichtet beides übereinander und greift nach dem Teller mit dem hauchdünn aufgeschnittenen Braten. Zwei Hände voll davon drapiert er hoch auf das Gemüse, das Fleisch legt sich in üppige Falten, noch etwas Olivenöl dazu – kurzum das ist ein belegtes Brötchen, wie die „Nonna“ es ihrem Lieblingsenkel für den Wandertag mitgibt.

Das erweist sich als gut so. Unser Taxifahrer bringt uns mit lachender Gelassenheit durch teilweise haarsträubende Verkehrssituationen fast pünktlich zum Flughafen. Wo uns erst unsere Airline ihre Verspätung mitteilt und dann der Flughafen ankündigt, dass der Tower ein Computerproblem habe.

Mit mehreren Stunden Verspätung kommen wir in Genf und eine halbe Stunde später zuhause an. Noch immer so satt, dass wir die Cappellini al limone auf morgen verschieben.

Aschenputtels böse Stiefschwester

Pompeji ist für uns eine seltsame Mischung aus staunen, bewundern und ärgern. Sehr anstrengend ist es auch.

Wir treten mit einer Menge anderer Touristen aus dem Bahnhof und stehen vor einem halben Dutzend Buden, die anbieten, die Eintrittskarte hier zu kaufen, um sich Schlangestehen an der offiziellen Kasse zu ersparen. Klingt freundlich, ist aber Nepp. Was sie wirklich verkaufen, ist nicht der Eintritt für 20 Euro, sondern ihre Führung für 40 Euro.

Wir haben uns das gestern Abend lange überlegt. Drei Stunden Führung in Ercolano waren uns schon ein bisschen zu viel Fremdbestimmtheit. Die Pompeji-Führung ist noch länger und das wollen wir dann lieber selber gestalten.

Wir wollen also nur die Tickets kaufen und da werden sie pampig. Behaupten, dass man sich nicht alleine zurechtfinden würde (nun ja), weil es keine Straßennamen gäbe (stimmt nicht!), dass die einzelnen Sehenswürdigkeiten nicht gekennzeichnet wären (stimmt nicht!), dass es keine Erklärungen in den Gebäuden gäbe (stimmt nicht!). Dann verlangen sie noch zwei Euro Vermittlungsgebühr für die Karten. Ich leiste mir noch ihren Pompeji Führer für 12 Euro (Buch und Stadtplan) und stelle erst später fest, dass der Plan fehlt.

Ein ziemlich übler Start.

Es kann also nur besser werden.

Wird es!

Wir lassen die Unterstadt Thermen wörtlich links in ihrer Senke liegen und steigen hoch durch die Porta Marina zum Venustempel und zur Sonne. Unsere gerade erworbene Pizza ist noch warm. Eine junge Frau sitzt kauend auf einem Säulenrest. Wir fragen sie, ob sie dies Restaurant empfehlen kann und sie nickt lachend und deutet einladend auf die Säulenreste neben ihr. Der Blick auf dieser Picknickterrasse geht über die Kehrseite von viel heroische Nacktheit, irgendwie deutlich weniger heroisch von hinten.

Irgendwann lecken wir die Finger ab und versuchen mithilfe der Pläne im Internet und des kleinen Faltblattes, das die Dame an den Budchen doch noch herausgerückt hat, unseren Besuch zu strukturieren. Apollotempel, Jupitertempel und Forum, klar, alles ums Forum herum auch und dann sehen wir mal weiter.

Was wir danach sehen, ist die Erste Hilfe Station des Croce rossa.

Ich hatte mich sehr dumm angestellt und es geschafft, mir – trotz Wanderschuhen – einen Zeh blutig anzuschlagen, war aber der Meinung mit Zähne zusammenbeißen ginge das schon. Inzwischen komme ich mir vor wie Aschenputtels böse Stiefschwester: Ruckedigu, Ruckedigu …

In der Station ziehe ich vorsichtig den linken Schuh aus, noch vorsichtiger den Strumpf und die zwei Sanitäter ziehen die Luft ein. „Amputare!“, nickt der eine, während der andere mich zu trösten versucht, dass ich ja noch neun Zehen übrighätte. Dann brechen beide in schallendes Gelächter aus, wahrscheinlich wegen meines Gesichtsausdrucks. Nach so viel Spaß arbeiten sie sehr professionell, bis das Malheur gereinigt, desinfiziert und verbunden ist.

Monsieur hat derweil in der Sonne auf einem Mäuerchen gesessen und eine Menge „Wir könnten doch…“ ausgearbeitet. Seine Vorschläge scheitern gelegentlich an seltsamen Einbahnregelungen, die uns nicht erlauben, ein Haus auf dem gleichen Weg zu verlassen und uns in die Parallelstraße führen. Das führt dann zu langwierigen Umwegen oder aber zu kurzfristigen Planänderungen, wir sind da sehr flexibel. Die Häuser sind meist exquisit ausgestaltet, die oft bepflanzten Innenhöfe vermitteln ein anschauliches Bild des Lebens der Oberschicht.

Natürlich gibt es auch die Häuser mit den erotischen Szenen oder das berühmte Bild des Gottes mit dem Riesen-Phallus auf der Waagschale. Auf der Erklärtafel dazu steht, dass dieses Bild bis vor ein paar Jahrzehnten noch mit einer Holztafel abgedeckt war, die nur auf Anfrage geöffnet wurde und auch nur dann, wenn der Fragesteller männlich und über 21 Jahre alt war.

Irgendwann brauche ich eine Pause und wir steigen hoch zu der Kirche, die auf dem heutigen Niveau über den Ausgrabungen thront. Dort wird ein Besucherzentrum eingerichtet, aber im Augenblick muss ich mich mit den Gartenmäuerchen als Sitzplatz begnügen.

Monsieur will nun noch in das weit entfernte Amphitheater, was ich ihm von ganzen Herzen gönne – genüsslich in der Sonne sitzend und dem Trubel um mich herum lauschend. Ein halbes Dutzend französischer Schulklassen genießt Bildung, Sonne und Freiheit. Ich höre Satzfetzen wie „Eine Sache habe ich heute schon gelernt: also, das Forum…“ oder „Will jemand seine Orange gegen meine Kekse tauschen?“ oder „Madame, Madame, wissen Sie, wo der Abfalleimer steht?“ Die Stimmung ist wunderbar.

Der Weg zur Villa der Mysterien – unser vorletztes Ziel – vorbei an den prachtvollen Villen im Sektor VI ist lang und ab der Porta Ercolana auch recht steil. Die Fresken selber wirken schon fast modern, die Farben noch so frisch und strahlend, die Darstellungen wie aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts. Es gibt Interpretationen, dass hier die Mysterien des Dionysos dargestellt werden, aber die Forschung ist sich nicht einig, so dass die Villa der Mysterien nach wie vor ein Mysterium ist.

Der Weg zurück gehört nicht zu meinen Highlights von Pompeji: lang, steil, heiß, macht er mehr als deutlich, dass wir, nun ja, ich ziemlich müde bin und dass wir seit der kleinen Pizza vor langer Zeit nichts mehr gegessen haben. Das „Restaurant“ am Forum ist aber wenig ansprechend und so verzichten wir gerne auf Sandwichs aus dem Automaten.

Inzwischen sind wir fünf Stunden unterwegs und langsam ist es genug. Nur noch die Terme Suburbane, direkt neben dem Eingang, dann schließen wir „unser Pompeji“ für heute ab.

Leider schließen wir auf einer sehr verärgerten Note ab. Am Forum ist plötzlich der Weg nach unten durch die Porta Marina abgesperrt, Besucher werden durch den Museumsshop und das Antiquarum zwangsumgeleitet. Da gibt es dann keinen Ausgang, wir werden eine Viertelstunde lang von Raum zu Raum, von Etage zu Etage geleitet, nirgendswo gibt es einen Ausgang. „Ja!“, lacht die Museumsangestellte, „das ist jetzt gerade kompliziert mit dem Umbau. Sehen Sie, da ist der Ausgang – aber gesperrt!“ Dann stürzt sie sich in langwierige Erklärungen, die uns in den Kellerräumen fast wieder umkehren lassen, bis wir tatsächlich den hinter mehreren verwinkelten Ecken versteckten Not- und jetzt Hauptausgang finden.

Zu unserer Verwunderung stehen wir fast direkt vor den Drehkreuzen des Ausgangs, keine Möglichkeit, einen Zugang zu den Thermen, quasi auf der anderen Seite des Eingangsbereichs, zu finden.

Wir versuchen jemanden vom Personal zu überreden, uns schnell hinaus und kurz – nur für die Thermen – wir haben ja ganz offensichtlich Eintrittskarten – wir wollen doch nur…

Die Dame wiegelt knallhart ab, das ginge auf gar keinen Fall. Auf unsere Bitte, uns nun einen schnellen Weg in Pompeji selbst zu den Thermen zu erklären, kommt ein ernüchterndes: „Die sind eh seit drei Minuten geschlossen.“ Vielen Dank, Zwangsumleitung.

Der Zug nach Neapel ist ziemlich überfüllt und wir sehen offensichtlich noch nicht so alt aus, dass uns Jüngere ihren Sitzplatz anbieten. Das ist ja eigentlich ein ganz positiver Aspekt, wenn auch etwas anstrengend.

Vor der Porta Nolana zückt Monsieur seine Lebensgefährtin, während ich schnurstracks auf ein Taxi zugehe. Monsieur seufzt und kapituliert.

Ho capito!

Einerseits wollten wir heute nach Pompeji, andrerseits haben wir außer den nächtlichen Altstadtgässchen und dem Bahnhof Porta Nolana noch nicht viel gesehen von Neapel.

Wir beschließen also, uns heute lieber Neapel anzusehen – mit der U-Bahn. Klingt nach einem Plan, nicht wahr?

Auf dem Weg zur Dante-Station liegt der Santa Chiara Kloster Komplex mit seinen wundervollen Bauten. Und einem netten Kloster-Shop, der neben hausgemachten Naturkosmetika auch Kaffee und Pasticcini anbietet zum Frühstück. Der Kreuzgang mit seinem Orangenhain und den Majolikasäulen ist ein sehr friedlicher Ort – im Gegensatz zur Geschichte des Klosters, das im Zweiten Weltkrieg von den Alliierten zerbombt wurde und fast gänzlich ausbrannte, core scuro, das dunkle Herz Neapels bis zum Wiederaufbau in den 1950ern.

Piazza Dante wird umtost vom ganz normalen Verkehrschaos, aber wir wollen ja U-Bahn fahren, genau eine Station weit, bis Toledo, der schönsten U-Bahn-Station Europas. Über 50 Meter unter der Stadt durchfährt man auf Rolltreppen die Schichten und die Geschichte der städtischen Besiedlungen, bis ein meerblauer Lichtschacht den Blick in die Höhe öffnet und uns ein Gefühl dafür gibt, wieviel Erde auf uns lastet. Das ist sehr schön anzusehen, aber schwierig zu fotografieren. Nachdem wir viermal rauf und runter gefahren sind, gibt Monsieur den Versuch auf. Wenn Ihr also schönere Bilder haben wollt, müsst ihr googeln.

Mit der Linie 1 (das klingt toller als es ist, es gibt genau zwei, eine weitere ist zumindest im Bau) fahren wir nach Municipio und damit ins Herz des prächtigen Bourbonen-Neapels. Monsieur hatte mir dazu einen Wikipedia-Artikel vorgelesen (wir nennen das „Bildung to go“), aber als dann der selbe Mann Karl VII. im Königreich Neapel, Karl V. im Königreich Sizilien auch noch König Karl III. von Spanien war, wurde mir das zu unübersichtlich.  Das gleiche gab es auch noch mit einem Ferdinand (III., IV. und I.) und da habe ich dann aufgegeben. Was alle diese Doppel- und Dreifach-Könige gemeinsam hatten, war der Drang zu prachtvollen Bauten.

Aber zuerst schlendern wir zum Castell Nuovo. Für Neapel-Verhältnisse nuovo/neu, weil nicht griechisch, sondern „nur“ von 1279, hat es diesen Drang nicht. Es sagt einfach nur „Don’t mess with me!“, was allerdings durch die gelben Blümchen in den Mauerritzen ein bisschen relativiert wird.

Zwischen Industriehafen, Ausfallstraße und Militärakademie ist nicht wirklich schön schlendern, also biegen wir ab. Dass es da einen Aufzug von der Via Acton hoch zur Esplanade gegeben hätte, sehen wir natürlich erst, nachdem wir zu eben dieser Esplanade hochgelaufen sind, vorbei am prachtvollen Theater, dem noch prachtvolleren Palazzo Reale (nicht mein Geschmack, aber…) und über die prächtige Piazza del Plebiscito.

Langsam wird es Zeit für eine Pause. Monsieur will nun ans Meer und einen Drink mit Meerblick genießen. Es dauert erstaunlich lange, bis wir beim Castel dell Ovo schließlich eine Hafenbar finden. Der Aperol Spritz ist gut, aber die Bedienung so unfreundlich, dass wir nicht lange sitzen bleiben wollen.

Der Blick vom Castel Sant’Elmo sei der schönste über die Stadt, habe ich gelesen, allerdings liegt die Talstation der Seilbahn ermüdend weit weg vom Meer. An der nächsten Busstation krame ich einen Satz hervor, den ich aus meinem Italienisch-Kurs von vor vier Jahren behalten habe und frage zwei Frauen, ob dieser Bus zur Piazza del Plebiscito fahre. Glaube ich jedenfalls. Die Damen schauen mich verständnislos lächelnd an. Ich wiederhole meinen Satz, da springt ein kleiner Junge auf, schreit aufgeregt: „Ho capito! Ho capito!“ und rattert meinen Satz in dreifacher Geschwindigkeit runter. Die Damen strahlen und nicken, meinen dann aber, Piazza del Plebiscito sei nur fünf Minuten zu Fuß, da lohne das Warten auf den Bus eh nicht.

So kommt es, dass wir doch die ganze Strecke zur Funicolare laufen, denn auf der Piazza wartet die prachtvolle, aber recht leere Galleria Umberto I auf uns und von deren Hintertür sind es wiederum nur die berühmten fünf Minuten bis zum Bahnhof der Bergbahn. Wir kaufen vier Tickets für Hin- und Rückfahrt und tuckern mit der Funicolare bis zum Bahnhof Augusteo, wo Neapel mich richtig glücklich macht. Neben den vielen prachtvollen Treppen, die den Berg hinauf zum Castel führen, laufen scale mobili, Rolltreppen, mit denen man, d.h. ich, ganz bequem die Treppen schwänzen kann.

Der Blick aus der Höhe ist wirklich schön, wir erkennen vorne den großen Komplex von Santa Chiara und finden irgendwo da hinten den Duomo. Links unter uns liegen die bunten Gassen des Spanischen Viertels, die wir noch auf dem Rückweg zur Metro Toledo durchschlendern wollen. Mit der Funicolare zwei Stationen bergab, dann sind wir mitten drin. Das jedenfalls war bis eben der Plan, bis wir diese verwinkelten Treppenstufen sehen. Uralt, ausgetreten und sehr steil führen sie bergab ins Viertel und führen und führen und führen…

Vielleicht hätten wir doch die Bahn nehmen sollen, sagen meine Knie so ab etwa der Hälfte. Was machen wir jetzt mit den zwei Fahrkarten? nörgelt eine Stimme im Hinterkopf und dann erweisen sich die Spanischen Viertel als ziemlich gefährlich, verkehrstechnisch. Die engen Gassen sind zugeparkt, aber es gibt Gehsteige, sogar mit hohen Pollern geschützt. Nur können wir die nicht benutzen, weil auf den Gehsteigen die Wäscheständer, die Gartenstühle oder einfach nur der Müll steht. Also schlagen wir uns mit den Autos und dem Hornissenschwarm der Rollerfahrer um ein bisschen Platz auf der Straße.

Ich bin sehr glücklich, als völlig unerwartet ein Metro-Schild auftaucht, das uns weitere Ausweichmanöver ersparen kann. Allerdings gestaltet sich das U-Bahn-Fahren etwas überraschend: wir sind fast eine Viertelstunde unterirdisch zu Fuß unterwegs, auf Rollbändern, in Gängen, auf atemberaubend steilen Rolltreppen bis wir plötzlich und für uns unerwartet in der Toledo-Station stehen – ohne einen Meter gefahren zu sein. Monsieur brummelt, dass er sich unseren Spaziergang durch die Spanischen Viertel etwas anders vorgestellt hatte.

Abends, nach einer tollen Parmigiana und einer langweiligen Pasta schlendern wir an Maradona vorbei nach Hause. Da kommt mir Monsieur abhanden. Aber das war ja abzusehen.

Übrigens: Ich hätte da noch zwei Fahrkarten für die Funicolare Centrale. Hat jemand Interesse?

Pompeji-Bashing

Frühstück heute ist eher in die Richtung „to go“, Kaffee der löslichen Sorte im Apartment und ein Sfogliatelle aus der Bäckerei an der nächsten Ecke auf die Hand. Nicht ganz einfach zu essen im Gehen, zumal Monsieur auch noch auf das Tempo drückt, weil wir den 9:40 nach Ercolano Scavi erreichen wollen.

Wir kommen tatsächlich kurz nach halb zehn auf den Bahnsteig, da steht der vorherige Zug noch und wartet darauf, dass wir die letzten Blätterteigkrümel abklopfen vorm Einsteigen.

Die Bahnhofsuhr zeigt 7:25, als der Zug sich knirschend und jammernd in Bewegung setzt, aber beim nächsten Stopp ist es immerhin schon halb zwei. In Ercolano Scavi ist es dann tatsächlich erst kurz nach zehn, Zeit für einen echten Kaffee, bevor wir unseren Führer (Sehen Sie Herculanum mit einem echten Archäologen!) an der Kasse treffen.

Dann geht es los, mit der Führung und dem Pompeji-Bashing. Zuerst beglückwünscht Luciano uns zu unserer Entscheidung, dass wir Ercolano und nicht Pompeji gewählt haben (Wir verraten ihm natürlich nicht, dass wir Pompeji für morgen geplant haben). Pompeji wäre viel zu groß, zu unübersichtlich und zu vulgär. Pompeji, das wäre eine Industriestadt gewesen, wohingegen Ercolano das Miami gewesen wäre, Yachthafen und Sommerfrische der Reichen und Schönen. Ercolano hätte eine funktionierende Kanalisation, kein Bedarf für die riesigen Trittsteine mit Hilfe derer die Bewohner Pompejis über den stinkenden Unrat in ihren Straßen hüpften. Luciano hat noch andere Bashings parat, für die italienische Regierung etwa, alles idioti, imbecille. Italienische Steuern bekommen auch ihren Teil ab und dann ist Plinius der Ältere an der Reihe, der größte idiota und imbecille von allen und Luciano schließt auch noch gleich die gesamte römische Flotte ein.

So geht es eine Zeitlang, bis er dann doch zu den liebenswerten Kleinigkeiten kommt, weshalb man so eine Führung mit Führer unternimmt. Appetithappen des Wissens sozusagen, wie die kleinen Kuhlen im Marmor der Taberna-Theken, die wir sonst sicher übersehen hätten. Der Wirt erkannte am Klang der hineingeworfenen Münze, ob sie echt war oder nicht.

Oder den gruseligen Aspekten: die Skelette, die in den Bootshäusern am Meer gefunden wurden. Das ausgegrabene Boot am Strand, unter dessen Rumpf ein Skelett verborgen lag, den Sack mit Goldmünzen und Juwelen noch fest umklammert. Luciano schildert mit offensichtlicher Faszination, wie der heiße Wind den Menschen förmlich das Fleisch von den Knochen gefräst habe, „gnädiger Weise“ erst, nachdem die Giftgase sie schon längst umgebracht hatten. Er betont immer wieder, dass Ercolano nicht von 10000 Grad („Tausend Grad!“, murmelt Monsieur) heißen Lavaströmen begraben wurde, sondern von genauso unaufhaltsamen 15 Meter hohen Schlammlawinen, die sich vom Berg in die Ebene und über die Stadt wälzten.

Das aber genau das die Holzstrukturen und Dachkonstruktionen erhalten hätte, da der unten einfließende Schlamm quasi die oberen Stockwerke abstützte gegen die nachfließenden Massen. Dass dagegen 10000 Grad („Tausend Grad!“, murmelt Monsieur) heiße Lava alles verbrannt hätte. Wie etwa die farbenfrohen Anschlagtafeln vor einer Taberna, die mit roten und weißen Amphoren ihre Angebote und die Preise zeigten.

Das darunter gezeichnete Bild versprach andere Dienstleistungen. Mit sichtlichem Vergnügen (seinem, nicht meinem) erzählt Luciano, dass ein Kunde beim Wirt seine Goldmünze gegen eine Silbermünze seiner Wahl eintauschen konnte. Eine Münze, 25 verschiedene standen zur Auswahl, auf der die jeweilige Dienstleistung der Damen detailliert und anschaulich wiedergegeben war. Die Damen konnte dann die Silbermünzen beim Wirt wieder zurücktauschen. Notwendig wurde das, weil mit der Goldmünze mit dem erhabenen Bild des Kaisers drauf nicht solch anrüchigen Dienstleistungen bezahlt werden durften.

Der erhabene Kaiser hatte allerdings nichts dagegen, auf diese Transaktion Steuern zu erheben und zwar beide Male, idota, heuchlerischer.

Luciano erklärt uns anhand der Funde von frisch geernteten, verkohlten Walnüssen – vom heißen Wind verkohlt, nicht der nichtexistenten Lava –, dass die Archäologen das Datum der Katastrophe vom 24. August auf den 24. Oktober umgelegt haben, womit dann en passant auch Plinius der Jüngere zum idiota und imbecille degradiert wird.

Irgendwann definiert Luciano die Führung für beendet, wir bedanken uns und strolchen noch ein wenig durchs Gelände und durch das von außen ziemlich hässliche Museumsgebäude mit seinen exquisiten Kunstwerken.

Und dann setze ich meinen Willen durch. Knallhart, unbeugsam und völlig egoistisch. Monsieur kann und weiß so vieles, was er einfach nicht gut kann, ist Taxi fahren. Ich hingegen kann das und ich habe keine Lust, die laute, zugemüllte und sehr uncharmante Straße zum Bahnhof Ercolano Scavi zurückzulaufen, bergauf und nach drei Stunden Führung.

Also organisiere ich mir ein Taxi und lade Monsieur großzügig ein mitzufahren.

Was er widerstrebend tut, weshalb wir gerade noch den verspäteten Zug nach Neapel bekommen.

Am späten Abend sitzen wir in einer Cantina vor einem Gericht, das sich Vesuvio di melanzane nennt: ein Bergspitzen-Gebilde aufgeschichtet aus Auberginenscheiben, über dessen Abhänge glühend heiße Tomatensoße fließt. „Tausend Grad!“, höre ich im Geiste Monsieur murmeln und überlege, wie etwas gleichzeitig so wohlschmeckend und so geschmacklos sein kann.

Die nachfolgenden Fidelini al limone sind dagegen ein solch sahnig-frischer Genuss, dass Monsieur spontan beschließt sie nachkochen zu wollen. Die benötigten Bio-Zitronen hätten wir, das Zitronenbäumchen im Winterquartier trägt fünf prachtvolle Früchte: bio, saisonal und so was von lokal.

Sündige Ausnahmen

Regen sollte nicht der einzige Grund sein, ein Museum zu besuchen. Schließlich gibt es da ja noch das Museumscafé. Das im Falle des MANN lockt mit „gesundem Essen mit den notwendigen sündigen Ausnahmen“. Das kleine Wort „notwendig“ in diesem Satz erfüllt mich mit reiner Freude.

Ein Museumscafé, das über solche Einsichten verfügt, vom Sinn für Humor ganz zu schweigen, müssen wir unterstützen. So ist unser erster Plan für Neapel ein Frühstück im MANN, direkt nach dem Eintritt, noch bevor wir uns der Kunst zuwenden.

Ganz ohne Kunst kommen wir allerdings doch nicht da hin, denn in der riesigen Eingangshalle stehen wir vor der Sonderausstellung „House of the Lobster“ von Philipp Colbert. Bilder mit bunt-knubbeligen Szenen, Szenen mit knubbelig-bunte Statuen erfüllen mich mit diesem „Hmm, irgendwie hatte ich das anders in Erinnerung“-Gefühl.

Aber da sind wir schnell durch – mit einem Lächeln – und stehen dann vor unseren ersten Sfogliatelle.

Himmlisch leichter Blätterteig umhüllt eine teuflisch gute Ricottacreme, die nach Orangenblüten duftet, ein wahrlich sündiges Vergnügen. Espresso und frisch gepressten Orangensaft gibt es auch, dazu den Blick auf die blühenden Kamelienbäume im Innenhof – wer braucht da schon Rührei und Speck?

So gestärkt widmen wir uns dem Kunstgenuss, wobei ich einen neuen Begriff kennen lerne. Die hier herumstehenden nackten Herren haben nicht zufällig vergessen sich etwas überzuziehen, nein sie stehen da im Zustand der „heroischen Nackheit“, auf ihren Speer, Bogen oder ähnliches gelehnt, den Blick mit heroischer Langeweile in die Ferne gerichtet. Nett anzusehen sind sie allemal.

Das schaut ihr euch am besten auf den Seiten des Museums an. Deren Bilder sind eindeutig besser fotografiert als meine.

Saal auf Saal ist gefüllt mit den exquisitesten Kunstwerken, von kaum fingergroßen Figürchen zu überlebensgroßen Pferden, mit oder ohne Reiter, in Bronze oder aus Marmor.

An den Wänden Fresken mit Szenen aus der Mythologie oder einfach nur des täglichen Lebens, die Farben frisch und ausdrucksstark.

Das Ganze umtost von vier bis fünf Grundschulklassen, die mit ungeheurem Lärm durch die Ausstellung toben.

Im zweiten Stock ist es etwas ruhiger, was die Schulklassen angeht. Dafür entlädt sich – fast synchron mit dem Vesuvausbruch bei der filmischen Pompeji-Rekonstruktion – ein Gewitter über uns und sorgt für einen durchaus passenden Soundtrack.

Nach all der überwältigenden Schönheit des griechisch-römischen Neapels ist die Einfachheit in den Räumen der Proto- und Prähistorie fast eine Erleichterung für die Augen. Ich finde mein Lieblingsobjekt für heute: den Anhänger, der solch eine Fröhlichkeit ausstrahlt.

Das Museumscafé lädt uns noch zu einem gesunden Mittagessen ein, bevor wir uns gründlich verirren beim Versuch in den 3. Stock zu gelangen. Nachdem wir die Weihgaben dort oben gebührend bewundert haben, verirren wir uns wieder auf dem Weg nach unten. Die Lifte gehen jeweils nur ein Stockwerk weit, die Treppen kommen nicht an der ersten Etage vorbei, sehr verwirrend, aber letztendlich schaffen wir es mit reiner Sturheit nach einigen Dutzend Treppenstufen zu den Mosaiken der „Villa des Fauns“ aus Pompeji. Mosaiksteinchen mit einer Kantenlänge von kaum einem Millimeter sind zusammengefügt zu den erstaunlichsten Kunstwerken, Porträts selbstbewusst dreinschauender Bürger entwerfen ein Bild vom Leben in der Stadt vor fast 2000 Jahren.

Und dann ist da noch im Anschluss das „Gabinetto secreto“, das ich einfach für einen Geheimgang gehalten hatte. Dem ist natürlich nicht so. Nicht das Kabinett ist geheim, sein Inhalt ist – so steht es tatsächlich am Eingang – nicht für Besucher unter 16 Jahren geeignet. Hier wird dann in sehr eindeutigen Bildern, Statuen und Spielzeugen sehr deutlich gemacht, dass exquisite Kunst nicht das einzige war, an dem sich die Bürger Pompejis erfreuten.

So viel Kunst ist einerseits anregend, rein intellektuell natürlich, macht aber auch müde, so dass wir uns eine Siesta wirklich verdient haben. Unter dem wachsamen Blick von Gina führt uns das Labyrinth der Altstadtgassen mit seinen wunderlichen kleinen Läden zu unserem Sträßchen und der Erkenntnis, dass nicht alles, was Monsieur mir beim gestrigen Spaziergang im Abendlicht als Skulptur und moderne Kunst gezeigt hat, das bei Tageslicht auch tatsächlich ist.

Abends wird es dann noch richtig unterirdisch, absolut grottig wird es, als wir uns die 147 Stufen hinab in die Treppen, Höhlen und engen, verwinkelten Tunnel von Napoli Sotterano trauen, in die unterirdischen Tuffsteinbrüche der alten, griechischen Stadt, anschließend umgewidmet zur Wasserversorgung. Tunnel, so schmal, dass ich seitwärts gehen muss, das Handy als Lampe die einzige Lichtquelle, weiten sich in riesige Kavernen, die im 2. Weltkrieg als Luftschutzkeller dienten.

Eine Stunde – und natürlich 147 Stufen aufwärts – später werden wir entlassen ins Halbdunkel des nicht so touristischen Straßengewirrs hinter dem alten römischen Theater.

Die kleine Enoteca kommt uns da gerade recht für einen Apéro und als wir den Speisesaal und dann die Speisekarte sehen, bleiben wir einfach sitzen bei Schwertfisch-Carpaccio und Spinat-Cannelloni zum Fiano di Avellino.

Dass in der Nacht ein Erdbeben mit Stärke 3,4 Neapel „erschüttert“, bekommen wir nicht mit.

Überraschung

Als Monsieur sein Handy wieder einschalten darf, erhält er als erste Nachricht eine Unwetterwarnung für Neapel.  „Überraschung!“, kann ich nur sagen, schließlich haben wir sie, bzw. ihre Auswirkung in der letzten halben Stunde durchfliegen dürfen. Die Ausläufer prasseln noch gegen die großen Fensterscheiben des Flughafens.

Unser Taxifahrer bringt uns in das Gassengewirr der Altstadt von Neapel, wo er an einer Kreuzung zu unserer Überraschung stehen bleibt und die Hände in die Luft streckt. „Zona pedonale“, meint er und schiebt dann die Hände eng zusammen. „Impossibile!“ Also stehen wir kurz darauf, zwar versorgt mit einer Menge „a sinistra“ und „a destra“, im sprichwörtlichen Regen. Dass Monsieurs Lebensgefährtin in den hohen engen Straßen sich nicht orientieren kann, ist nicht wirklich überraschend, dass mein eher analoger Ansatz mit „Scusi, signore…“ uns immerhin in die richtige Straße bringt, schon eher.

Straße hätten wir, also befragen wir zwei alte Damen zum Namen des Appartiemento-Hotels. Beide haben den noch nie gehört. Sie stehen Schutz suchend unter den hohen mächtigen Torbögen eines alten Stadtpalazzos. Genau so etwas hatte ich mir ausgesucht im Internet: mitten in der Altstadt, außen alte, verblasste Grandezza, innen kühle italienische Eleganz. Klang gut im Internet, wenn es denn nur zu finden wäre.

Wir laufen zweimal an der Hausnummer vorbei, bis wir tatsächlich an der angegebenen Nummer unter einem Dutzend anderer Klingelknöpfe auch unsere „Palazzo“ Adresse finden. Weitere 10 Minuten vergehen mit Klingeln und Telefonieren, dann öffnen sich die sicherlich fünf Meter hohen Torflügel wie von Geisterhand und wir dürfen in den Hof.

Wo die letzte Überraschung auf uns wartet: das Appartiemento liegt im 2. Stock, die hier sechs Meter Deckenhöhe haben. Und natürlich heißt es: „Old house, signora, no lift.“ Das sind dann 52 ausgetretene Stufen bis zur Tür und weitere 14 Stufen bis zur Mezzanine, die in luftigen drei Metern Höhe Bad und Bett trägt.

Dass wir danach als Stärkung erstmal eine Pizza brauchen kommt nicht wirklich als Überraschung, oder?

… und hoffentlich nicht …

Der Herr Geheimrat Goethe ist ja ganz nett herumgekommen in der Welt, wenn man all die Plaketten mit „Hier hat Goethe am … übernachtet“ bedenkt.

Allerdings hat uns ein Stadtführer mal erklärt, dass da eigentlich draufstehen müsste: „Auch hier hat sich der Herr Geheimrat Goethe unter Hinweis auf seinen VIP-Status mal wieder ein Bett und eine warme Mahlzeit erschnorrt.“ Das passt natürlich nicht auf so eine kleine Plakette.

Wir reisen also ins Land, wo die Zitronen blühen, in eine Stadt, der der Herr Geheimrat wahrscheinlich keinen Gefallen getan hat mit seinem Slogan „Vedi Napoli e poi muori“.

 „Vedi Napoli e poi muori – Neapel sehen und sterben“ – fand ich schon immer seltsam als Werbung für einen Städtetrip, nicht wirklich ermutigend, irgendwie kontraproduktiv.

Inzwischen habe ich gelesen – im Internet, nicht bei Goethe -, dass es in der Nähe von Neapel ein sehr hübsches Dörfchen namens Muori gegeben haben soll. Dass man also dem Herrn Geheimrat geraten habe, Neapel zu besuchen – „e poi Muori“ – und dann Muori. Aber dem Herrn Geheimrat war wohl mehr nach Drama zumute.

Keine Ahnung, ob das stimmt, wir trauen uns auf jeden Fall mal nach Neapel.

Neapel sehen und hoffentlich nicht…

Sonntagabend geht es los.

Und jetzt ratet mal, ab wann Regen vorher gesagt ist für Neapel…

Genau!

Ich hasse Aidas Vater!

So ein mieses kleines Pünktchen Pünktchen Pünktchen. Ähmja, also, Menschenwesen, ja, das war das Wort, das ich gesucht hatte.  Selbstsüchtig und arrogant, manipulativ und erpresserisch ist er als Vater ein Totalversager. Allerdings auch als König nicht so richtig erfolgreich im Leben. Einen Feldzug hat Amonasro ja wohl schon verloren, sonst wäre Aida nicht in Gefangenschaft in Ägypten. Der zweite, um Aida zu befreien – der einzige Punkt, der für ihn spricht – geht nun auch vollkommen daneben, er wird mit seiner Armee gefangen genommen. Kaum wird ihm von Radames zugestanden, dass seine Soldaten frei gelassen werden, schmiedet er schon wieder Pläne für einen Rachefeldzug. Dabei hängt von seinem Wohlverhalten als königliche Geisel der wackelige Frieden Ägyptens mit seinem Königreich ab. Aber das scheint ihm egal zu sein, genauso wie die unmögliche Situation, in die er Aida bringt. Er zwingt sie unter übelster emotionaler Erpressung dazu, ihren Geliebten zu verraten. Unter dem Druck des angedrohten Liebesentzugs gibt sie nach und verleitet die große Liebe ihres Lebens zum Verrat militärischer Geheimnisse.  Das geht natürlich – schließlich sind wir in der Oper – spektakulär schief. Radames wird zum Tode verurteilt, Aida kommt freiwillig mit in die Todeskammer und wir in den Genuss der herzzerreißenden Schlussarie.

Und Amonasro taucht in dem ganzen Durcheinander einfach unter, sicherlich fest überzeugt davon, dass das alles nichts mit ihm zu tun hat, dass er völlig schuldlos ist. Er wollte doch nicht … Er hatte doch keine Ahnung, dass…

Wie gesagt, ich hasse den Typen.

Die Inszenierung hingegen fand ich wunderschön, mit klitzekleinen Abzügen in der B-Note.

Die gestern so gelangweilt hinter der Arena stehenden Pharonen, sitzen nun auf den oberen Rängen, über den Hof in Theben wachend und wirken imposant und – nunja – immer noch ein bisschen gelangweilt.

Auf der Bühne steht eine riesige Pyramide – mit Schiebetüren auf zwei Ebenen. Das entspricht sicher nicht den letzten archäologischen Funden, ist aber ungemein praktisch, um Soldaten und Hofdamen auf die Bühne zu bekommen. Hatte ich gestern noch unendliches Mitleid mit dem Chor in den schweren, warmen Kleidern, bin ich heute erleichtert. Die Soldaten tragen kniefrei und ärmellose Westen, die Hofdamen so gut wie transparente weiße Schleiergewänder, alles wirkt sehr leicht und luftig.

Nachdem gestern ein gutes Dutzend Pferde über die Bühne galoppiert war, habe ich für heute Elefanten oder zumindest Kamele erwartet. Die kommen nicht, dafür aber Balletttänzer in Tierkostümen.

Im zweiten Akt dreht die Pyramide sich weg und wird zum sehr eindrucksvollen Tempelportal auf dessen Stufen dann Hofdamen und „wilde Tiere“ zum Vergnügen des Pharaos tanzen, bis sie zum Schluss alle in diesen Profilposen erstarren, die man aus den ägyptischen Friesen kennt.

Dazu kommen dann die machtvollen Verdi-Chöre und die berühmten Arien. Wie man so schön sagt: ganz große Oper.

Mit klitzekleinen Abzügen in der B-Note. Es ist nicht nur eine bewegende Oper, es ist ein bewegtes Publikum, in mehrerlei Hinsicht. Dauernd latscht jemand durch die Ränge, kommt mit einem Glas Bier zurück. Setzt sich, weil er seinen Platz nicht wiederfindet auf die Treppenstufen am Ausgang und wird von den Ordnern (Sicherheit, Fluchtwege) wieder aufgescheucht. Das junge britische Paar hinter uns kommt erst einmal eine Viertelstunde zu spät, Sektgläser in der Hand und klettert kichernd und flüsternd auf seine Plätze, wo sie den ganzen ersten Akt hindurch weiter flüstern und kichern. Zum Glück verschwinden sie in der Pause. Auf der anderen Seite des Ganges kommt es fast zu einer Schlägerei, als ein Zuschauer zum dritten Mal an den unter ihm Sitzenden vorbeidrängelt. Auf dem Rückweg tritt er einem der anderen fast auf die Hände und verschüttet dabei sein Bier. Es kommt zu einem kleinen – aber sehr, sehr leisen – Tumult und die Ordner haben alle Hände voll zu tun, die Streithähne zu trennen.

Das alles kann nur minimal vom Zauber der Darbietung ablenken. Es sind immer noch über 40° in Verona, aber mit der Dämmerung kommt ein kühlender Wind auf. Der Himmel wird dunkler, ich sehe erste Sterne über mir und ab und an, sehr weit, weg das einsame Blinken eines Flugzeuges.

Mitternacht kommt und die Mauern der Arena stehen schwarz vor schwarzer Nacht, gehen über in die Unendlichkeit des Nachthimmels über uns. Es ist, als ob wir in einer kleinen samtig-dunklen Sphäre geborgen sind, im strahlenden Mittelpunkt die Bühne. Ich darf nur nicht aus Versehen die Hände auf die immer noch glühendheißen Steinränge legen, das holt mich sehr schnell aus dieser Glückseligkeit wieder in die Realität.

Radames hält die sterbende Aida in seinen Armen und ihr „Sehnen schwingt sich empor zum Licht der Ewigkeit.“

Die letzten Töne verklingen, es ist totenstill in der Arena.

Da schneuzt sich jemand sehr geräuschvoll hinter uns. Der Bann ist gebrochen und der Applaus brandet auf.

Kaputt inszeniert

Das ist Monsieurs Urteil zu der Nabucco Aufführung. Ich kann ihm nur zustimmen. Den Aufstand der Hebräer gegen Nebukadnezar (Nabucco auf italienisch) zu inszenieren mit italienischen Freischärlern als Hebräer und dem österreichischen Kaiser als Bösewicht ist ein bisschen viel der pädagogischen Keule. Wohl, damit auch der naivste Opernbesucher, etwa aus der tiefsten französischen Provinz, nun auch wirklich versteht, welchen Freiheitskampf Verdi damit meinte.

Am Anfang galoppiert die italienische Kavallerie über die Bühne, aber nach der ersten Schlacht laufen alle Hebräer-Italiener nur noch in den dunklen tristen Klamotten des 19. Jahrhunderts herum. Das macht es natürlich nicht leichter, die handelnden, singenden, kämpfenden, sterbenden Personen auseinanderzuhalten.

Selbst die Gebäude sind grau, der „Tempel“ in Jerusalem ein graues Verwaltungsgebäude. Der Palast und die Hängenden Gärten in Babylon werden dargestellt als das graugrüne Innere einer Wiener Bel-Etage und als Innenansicht der Wiener Oper. Vor diesen Opernrängen mit gut gekleideter Wiener Haute Volée steht dann der Gefangenenchor und schmettert der besseren Gesellschaft sein „Va, pensiero“ entgegen. Und es springt so gar nichts über.

Aber die Oper selber ist ja nur ein Teil des Erlebnisses.

Durch kleine italienische Orte Verona entgegenzutrödeln, ist die reine Vorfreude. Wir schlendern in Soave durch die alten Gässchen, genießen in einer kleinen Bar Teller mit lokalen Wurst- und Käseproben. „Nein, signora, wir machen keine Pizza“, wird einer Familie mit kleinen Kindern gegenüber bedauert. „Nein, auch keine Spaghetti.“

Einen kleinen Abstecher nach Monteforte durchzusetzen, meinerseits, weil ich doch mal schauen wollte, wo die Stammburg von Sir Rise-a-lot de Montefort ist. Nunja, vielleicht wohnt er wirklich lieber in meinem Kühlschrank.

Sich in Verona so oft zu verfahren, bis uns ein letztes „alla rotonda gira a destra“ doch noch zum Parkhaus bringt.

Auf dem Weg zur Arena mit Schaudern die Anzeige „43°“ an einer Apotheke zu sehen, was bei Monsieur und unseren Freunden natürlich sofort zu Diskussionen über die Zuverlässigkeit der angewandten Messmethoden führt.

Auf dem Platz vor der Arena einen Aperol Spritz zu trinken, das gehört dazu. Bei über 40° im Schatten auf ein Picknick auf den glühendheißen Sitzrängen zu verzichten, dieses Jahr leider auch. Vom Kellner des kleinen Restaurants in der Nebenstraße gesagt zu bekommen, dass es selbst für Einheimische zu heiß ist, um draußen zu essen, tröstet uns ein wenig.

Beim Rückweg zur Arena an den gelangweilt wirkenden Pharaonen und Sphinxen für morgen, Aida, vorbei zu spazieren, bringt ein Lächeln.

Hinter der Arena zuzuschauen, wie sich zwei junge Frauen, schon in Uniform, mit aufgemalten Schnurrbärten in Soldaten verwandeln, auch.

Unbedingt dazu gehört für uns auf den Steinrängen zu sitzen, wie die alten Römer. Die Steine sind natürlich knallheiß, aber wir sind gut gerüstet mit Kissen. Eins für den Po und eins für den Rücken. Das letztere kommt nicht zum Einsatz, denn da, wo wir uns anlehnen könnten, stehen schon die Füße der Gäste im Rang über uns. Da hilft nur, sich irgendwie zu arrangieren.

Dann beginnt das Spektakel vor dem Spektakel: zu beobachten, wie die Verkäufer sich mit ihren durchdringenden „Wasser-Wein-Bier? Kissen-Fächer-Libretti?“-Schreien hochbeladen durch die Menge schieben. Den Familien zuzusehen, die ihre Plätze organisieren oder den Zuschauern, die mit hilflosem Lächeln den Ordnern ihre Tickets hinstrecken. Die Ordner zu bewundern, die charmant, aber hart durchgreifen: „Ziehen Sie bitte Ihre Schuhe wieder an, signore. Sie sind in der Oper, nicht am Strand.“ Die unterschiedlichen Ansätze zur Kleiderordnung zu beobachten. Unten, im Parkett, bei den Sesseln, überwiegen Cocktail- und Abendkleider, allerdings trägt nur der Chef der Security tatsächlich ein Jackett. Hier oben ist alles vertreten, von Shorts bis Flatterkleider. Sogar ein extravagantes Abendkleid kommt an unserem Sitzplatz vorbei, mit Vollbart.

Schließlich schlägt auf der Bühne zum dritten Mal der Gong, der Dirigent wird zum Pult geleitet und ringsum braust der Applaus auf. Die Oper beginnt.

Und endet zwei Pausen und dreieihalb Stunden später.

Es sind immer noch 36°.

Cultura è cultura

Nabucco hin und Aida her, Italien hat natürlich noch viel mehr zu bieten an Kultur.

Weshalb unsere Freunde drei Tage auf dem Weingut eines Freundes im Valpolicella für uns organisieren.

Wir lernen viel über italienische Weinkultur. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass die Trauben für den Amarone erst ein paar Wochen trocknen müssen nach der Ernte, bevor sie gekeltert und vergoren werden. Früher geschah das auf dem großen, mit riesigen Steinplatten ausgelegten Hof des Gutes, heute natürlich in elektronisch klimageregelten Räumen.

Unsere Freunde und wir werden zum Abendessen an den Familientisch geladen, das Essen zelebriert Garten und Weinberg. Ein jeder Gang kommt mit Gemüse aus dem eigenen Garten, dazu natürlich die eigenen Weine. Einen leichten spritzigen Rosé als Apero, einen gut gekühlten Valpolicella zu den Antipasti und dann werden die Amarone immer schwerer und gehaltvoller.

Luigi führt uns ein in italienische Erzählkultur: dass sein Großvater als Junge stolz allen Dorfbewohnern sein Abschlusszeugnis zeigte. Überall eine acht – otto – von zehn. Außer in Religion, da war es nur knapp ausreichend. Weil er so mit seinen Noten angab, hieß er danach nur noch Pepe Otto. Genauso heißt heute der Grappa, den das Weingut destillieren lässt.

Dass viel später das Pferdchen von Pepe Otto immer wieder ausbüxte, um immer wieder auf der selben Wiese zu grasen. Dass Pepe Otto sich dachte, da muss etwas dran sein und die Wiese in einen Weinberg verwandelte. Der natürlich den Namen des Pferdchens bekam, wie konsequenterweise auch die aus den Trauben gekelterten Weine.

Als Abschluss tauchen wir ein in italienische Gelati-Kultur mit einem farbenfrohen Mix bunter Eiskugeln der örtlichen Gelateria. Das begeistert ganz besonders Monsieur, der in den letzten Tagen eigentlich nur dann an einer Gelateria vorbeigehen konnte, wenn er noch die Eiswaffel der letzten in den Fingern hielt.

Es ist lange nach Mitternacht, aber nun will uns Luigi noch seinen Keller, seine Schätze zeigen. Es wird offensichtlich, dass es keine Vertrauenskultur gibt in Italien, jedenfalls nicht, was die Steuerbehörden angeht. Jede Traube wird vom Rebstock über die Kelter bis zum Fass genau erfasst und ihr Weg verfolgt, bis hin zu dem Moment, wo sie auf Flasche gezogen, verkorkt und mit einer Steuerbanderole versiegelt wird. All das wird von einem Prüfer genauestens überwacht, kontrolliert und protokolliert. Das treibt gelegentlich seltsame Blüten: im kleinen privaten Schatzkämmerlein stellt Luigi die Weine von vor fast 70 Jahren aus, nur als Schaustücke und natürlich unverkäuflich, wie ein Aushang betont. Der Steuerprüfer meckert als Steuervergehen an, dass die uralten Weine (gekeltert, bevor es dieses Gesetz überhaupt gab) keine Banderole tragen. Dass sie nicht für den Verkauf bestimmt seien, will er auch nicht akzeptieren, so ein kleines Aushängeschild wäre schnell geschrieben, und überhaupt hätten sie das sicher nur dahingehängt, um ihn, den Beamten zu täuschen und ihre Steuervergehen zu vertuschen.

Dann kommt es fast noch zum clash of cultures, als Luigi uns noch voller Stolz seine Preise zeigt, eine ganze Wand voller Auszeichnungen und Medaillen. Was ihn jedoch besonders freut, betont er mit kleinem Augenzwinkern in Bezug auf unseren französischen Wohnsitz, ist, dass seine Amarone gleich dreimal, in Paris, Straßburg und Lyon, mit der Goldmedaille als bester Wein des Jahres prämiert wurden – und das vor der gesamten französischen Konkurrenz.

Wir freuen uns mit ihm, schließlich können wir beides genießen, französische und italienische Weine.

Und wo wir gerade dabei sind: deutsche Weißweine auch…