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Moskau, widerstrebend

Okay, doch noch Text.

p2015_05_23_11h34_13Ich habe mich etwas schwer getan mit Moskau. Es war mir einfach zu „zu“: zu groß, zu laut, zu bunt, zu dominant, zu macho, zu Putin, eben zu „zu“. Ich wollte zurück in mein verschlafenes verträumtes Susdal. Hinzu kam, dass Moskau zu den teuersten Städten der Welt gehört und der Preis unseres Hotel, zugegebenermaßen nur wenige Schritte vom Roten Platz entfernt, selbst an Schweizer Preise Gewöhnten die Tränen in die Augen treiben konnte. Für ein ganz kleines Zimmer, das direkt auf die verkehrsreiche Straße zum Roten Platz geht. Und warmes Wasser gab es auch nur sporadisch. Es hing an der Rezeption ein Zettel, dass es bis zum 27. Mai in ganz Moskau zu Engpässen mit der Warmwasser-Versorgung kommen könnte. Da braut sich die nächste Revolution zusammen. Kein warmes Wasser? Putin ist das sicher egal, der ist bestimmt kein Warmduscher, aber ich sehe schon die verwöhnten Töchterchen der russischen Oligarchen vor mir, wie sie auf die Barrikaden steigen. Nicht „Mehr Freiheit und Gerechtigkeit für alle“, eher „Mehr warmes Wasser für mich“.p2015_05_23_15h41_57

Aber ich will versuchen fair zu sein. Natürlich ist das Machtzentrum Moskaus eine überwältigende Erfahrung. Monsieur und unser Freund kannten die Stadt noch von früher, wo in jedem Hotel auf jede Flur eine Aufpasserin saß, die jedes Kommen und Gehen genau protokollierte. Und wo kein Mensch in Russland Zeit und Geld hatte, so etwas wie Tourismus zu betreiben. Beide sind fasziniert vom Wechsel, der Lebendigkeit der Stadt und verstehen mein ständiges Genörgel so gar nicht. Das einzige, was sich anscheinend nicht geändert hat, sind die Angestellten in den Lokalen oder an den Kassen. Es ist ganz eindeutig, dass sie nicht fürs Lächeln bezahlt werden und dass sie es eher als eine Zumutung betrachten, einen Kunden zu bedienen. Aber das sei gute alte sozialistische Tradition, meint Monsieur.

Wir kaufen in einer ersten Schlange unsere Eintrittstickets für den Kreml, die Waffenkammer sparen wir uns aus Zeit- und Geschmacksgründen. Und stehen dann in einer weiteren Schlange an, bis wir durch die Sicherheitskontrollen sind und den Kreml betreten dürfen.

p2015_05_23_11h56_45Der Kathedralplatz ist abgesperrt, Sicherheitskräfte winken die Besucher durch einen schmalen Korridor, hinter den Barrieren stehen die Menschenmassen mehrere Reihen tief gedrängt. Wir sind eigentlich nicht zum Anstehen hier und umgehen erstmal den Platz mit einem weiteren Mariä Gewandniederlegungskloster. Eine kleine, aber ganz exquisit gestaltete Kirche, die auch zum Teil Museum für Holzskulpturen ist. Als wir etwas später aus der Kirche kommend weiter gehen wollen, stehen wir vor einer Barrikade und mehreren Polizisten. Hier ist es völlig leer, aber man hat einen guten Blick auf die Menschenmassen der gegenüberliegenden Seite. Und die p2015_05_23_11h55_36Militärkapelle, die gerade aufmarschiert und sich mit dem Rücken zu uns platziert. Die Musik lockt weitere Besucher an, plötzlich stehen auch hier mehrere Reihen Zuschauer. Und dann kommen die Pferde – und die Koreaner. Irgendwie quetschen sie sich plötzlich zwischen mich und das junge Paar vor mir. Eine sehr resolute koreanische Dame schiebt ihr Handy zwischen die Köpfe der beiden und filmt, was das Zeug hält. Als das Paar ein Ereignis lachend kommentierend sich einander zuwendet, schiebt sie doch tatsächlich den Kopf der Frau zur Seite, um einen besseren Blickwinkel zu haben. Unglaublich!

Gefilmt und bestaunt wird ein Militärschauspiel erster Güte, Soldaten marschieren im Takt, werfen ihre Bajonette hoch, knien, salutieren, das ganze Spektakel. Die Reiter nehmen daran teil und es erinnert mich sehr an die Weihnachtsquadrille meiner alten Reitschule. Nur, dass wir nicht mit Kandarre reiten durften. Inzwischen ist mir auch klar, warum unser Stehplatz so leer war: hier sieht man nur die Hintern der Pferde.

Das Schauspiel nähert sich dem Ende, die Pferdchen stehen in einer stramme Linie vor uns, die Soldaten haben links Stellung bezogen, Bajonett im Arm, ein Befehl wird gebellt, die Pferde drehen ab und traben an uns vorbei, den schieren Terror in den Augen, Ohren flach gelegt, Schaum vorm Maul. Nun bin ich morgens kurz nach dem Aufstehen gelegentlich schon ein furchterregender Anblick, aber mittags um zwölf? Die Tiere traben an den Soldaten vorbei und in dem Augenblick feuern diese eine Salve in die Luft. Ich atme erleichtert aus, doch nicht meine Schuld, die Pferde, alte Profis, haben natürlich gewusst, was da kommt (und es scheinbar immer noch nicht gemocht).

p2015_05_23_12h32_07Die Barrikaden werden nach dem Schauspiel geöffnet, die Massen strömen über den Platz in die verschiedenen Kirchen. Es folgt ein schönes Beispiel, wie man sich das Leben unnötig schwer machen kann. Natürlich haben diese Kirchen große Türen mit schweren Flügeln, die sind weit geöffnet. Dahinter kommen weitere Türen, aus Holz und Glas, viel schmaler, leichter. Von denen aber nur jeweils ein Flügel zu öffnen ist. So dass man erst wartend steht, bis eine Lücke im ausströmenden Besucherstrom die Gelegenheit zum Reingehen bietet, um dann etwas später, nach ehrfürchtigem Bestaunen der Kunstwerke im Inneren, wieder abzuwägen, ob man es jetzt durch die Tür schaffen kann, bevor die Besuchermassen von außen nach innen drängen. Und es gibt viele Kirchen auf dem Kreml, glaubt mir.

p2015_05_23_16h23_35Unser nächstes Ziel ist das Kaufhaus Gum, direkt neben dem Kreml. Während wir die Arkaden, die Treppen und geschwungenen Brücken bewundern, konnte ich mir gut vorstellen, wie hier vor über hundert Jahren die Damen mit ihren weiten, langen Kleidern durch die selben Arkaden schlenderten.

Die Prachtstraße hinter dem Kaufhaus führt direkt auf ein weiteres Jugendstil-Kaufhaus zu, das mit einer Terrasse und Blick über den Kreml wirbt. Was wir nicht wussten, ist, dass dieses Haus inzwischen ein Kinderparadies ist. Über sechs Stockwerke wird nur Kinderspielzeug und -kleidung angeboten. Also haben wir uns durch das Gewusel hochgekämpft auf die Dachterrasse, wo man zwischen zwei p2015_05_23_16h16_47Kreml-Turmspitzen die Spitze des schrecklich monströsen Peter-der-Große-Denkmal sehen konnte. Die Männer fassen dann den Entschluss zu einer Bootstour auf der Moskwa bis zu eben diesem Monsterding. Mir ist das zu kalt und ungemütlich und ich bin dann am Bolschoi-Theater vorbei durch ganz ruhige Nebenstraßen zu unserem Hotel zurückspaziert. Aber eins kann ich Euch sagen: auf dem Rückweg durch sechs Etagen konsumberauschter Kinder – da war mir doch etwas mulmig.Pictures_Paul8

Um halb acht kommen die Männer zurück, sehr angetan von ihrer Bootstour und dem Licht der Abenddämmerung am Fluss. Abenddämmerung? Da mussten sie mir gestehen, dass sie erstmal auf der dritten Etage versackt waren, im Lego-Paradies…        p2015_05_23_19h05_02 p2015_05_23_19h14_23 p2015_05_23_19h24_52

Fahren nach Zahlen

Moskau Metro ElektrozavodskayaOkay, irgendwann hat man genug Ikonen und Fresken gesehen. Und auch die x-te orthodoxe Kirche bringt dann nicht mehr so wirklich neue kulturelle Aha-Erlebnisse. Zeit für was ganz anderes. Also, anstatt unseren Blick und unsere Herzen himmelwärts zu richten sind wir abgestiegen in die Unterwelt.

Moskau Metro Prospekt MiraMoskaus Metrostationen sind berühmt. Einige sind richtige Kunstwerke. Die schönsten hatten wir uns rausgesucht. Aber, aber ein Problem gibt es: die Moskauer U-Bahn ist für die Einheimischen. Anders als in Peking laufen die Anzeigen (in den wenigen modernen Wagen, die eine haben) nur auf Kyrillisch, die gesprochenen Ansagen gehen eh im Fahrgeräusch der Wagen unter. Und die Züge halten 30 Sekunden in der Station, da schaffe ich höchstens, Stationen mit weniger als vier Buchstaben zu identifizieren.

Die Lösung heißt “ Fahren nach Zahlen“.

Moskau Metro ElektrozavodskayaVon Okhotny Ryad sind es 4 Stationen bis zur Ringlinie, dann erstmal bis zur Kurskaya jede Station aussteigen. Immer vorausgesetzt, wir sind in der richtigen Richtung eingestiegen. Die Ansagerstimme ist männlich, also richtig. Gegen den Uhrzeigersinn sagt eine Dame die Stationen an. Wir zählen konzentriert mit bis zur vierten Station und stehen dann im Wunder aus rosa und schwarzem Marmor der Belorusskaya Station. Von da an gibt es Sightseeing auf Japanisch: 20 seconds to take a picture. Der Zug fährt ein, wir steigen aus, bewundern 2 Minuten lang die Schönheit der Station, die exquisiten Steine, die Kunstwerke, die Leuchten und mit dem nächsten Zug geht es weiter. Bis auf die Prospekt Mira, wo unser Freund die Zeit doch arg unterschätzt und sich plötzlich außen vor sieht. Er winkt uns fröhlich zu und in der nächsten Station tun wir das selbe für ihn.p2015_05_24_11h39_49

Das Metro-Ticket kostet 50 Rubel, um die 80 Centimes. Und für diese stolze Summe haben wir eine Stunde lang jede Menge Spaß. (Im Flohmarkt, eine Stunde später, zahle ich 25 Rubel für den Toilettenbesuch und ich kann Euch versichern, da hatte ich sehr viel weniger Spaß für mein Geld.)

Izmailovsky Markt/KremelNachdem wir das Leben in vollen Zügen (auweia) genossen haben, bringt uns dann die blaue Linie zu unserem Ziel, dem Flohmarkt (drei Stationen). Alles organisiert von unserem Freund, der über Nacht recherchiert hat. Ich vertraue ihm blind, aber bei dem Gebilde, auf das er uns zuführt, regen sich ganz leise Stimmen des Zweifels. Das soll ein Flohmarkt sein? Wieder mal diese Mischung aus Disneyland und Größenwahn. Drinnen schlendern wir erst durch Reihen hinter Reihen von Matruschkas, wehren mehrere Fellmützen in allen Größen und Farben ab und stehen etwas perplex vor Luchs- und BärenfellenIzmailovsky Markt/Kremel. Dann kommt der „echte“ Flohmarkt, Stände um Stände mit Altem, Schönen oder einfach nur Skurilen. Die Jimi-Hendrix-Platte die ich irgendwo noch im Keller habe, liegt für 200 Rubel auf einem Tisch, neben Silberbesteck und einem verbeulten Samowar. Zwei Reihen weiter ist der Kunstmarkt, die Künstler sitzen essend im Schatten neben den Ständen.

Zwei Stunden später kommen wir aus unserer Metro-Station (vier) und stehen in einer Menschenmenge. Der Zugang zum Roten Platz ist mit Barrieren abgegrenzt, Tausende von Menschen schieben sich für ein Literaturfestival langsam vorwärts, betreut vomosn mehreren Hundertschaften Polizei. Eine Hundertschaft steht sehr diszipliniert parat – vor den Toiletten-Kabinen. Das geht sehr zügig und im Gleichschritt: die Tür geht auf, die erste Reihe tritt ein, die Tür schließt sich, die zweite Reihe rückt auf. Während wir das Ganze fasziniert beobachten, kommt im Marschschritt die nächste Kompanie zum Pieseln. Ich würde doch zu gerne wissen, welchen Befehl ihr Offizier ihnen gegeben hat.

Und dann lege ich im Sheremetyevo-Airport mein Ticket vor und der Herr am Schalter nickt nur. Ufffff…

Alles so schön bunt hier

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Moscow by night – und by handy 😉

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Die Moskwa

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Stadttor mit Zugang zum Roten Platz, rechts das Historische Museum

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Kaufhaus Gum mit Festbeleuchtung

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Auf dem Weg zum Hotel

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Der Rote Platz

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Auf dem Kathedralplatz im Kreml

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Vor den Absperrungen

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…. und dahinter

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Ein schöner Rücken… Und dann gleich vier! Im Park vor dem Kreml

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Im Kaufhaus Gum

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Blick über Moskaus Innenstadt

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Das monströseste Denkmal Russlands, gewidmet Peter dem Großen

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Moscow by day

KwT – vorerst 😉

Einmal Susdal – Moskau mit dem „Wanderfalken“

Multi Tasking finde ich gut! Die Fest-Zelte zwischen unserem und dem Nachbarhaus konnten das ganz toll. Auf der Rasenfläche stand ein rechteckiges Zelt, so Zwischending zwischen Modell „Baumarkt“ und Modell „Unopiu“, recht groß, mit Seitenwänden zum Zuziehen und Fliegengardinen dazwischen. Etwas entfernt davon stand ein kleineres kuppelförmiges Zelt, Modell „Stadtorchester im Kurpark“. Als wir am Montag hier ankamen war das große Zelt geschmückt mit einem riesigen Plakat. Darauf waren strahlende Veteranen zu sehen, denen von noch strahlenderen Kindern Blumensträuße überreicht wurden, dazu eine Friedenstaube und die Jahreszahlen 1945 – 2015. War ja wohl klar, welche Veranstaltung dort stattgefunden hatte.

p2015_05_21_19h03_23Am Donnerstag gab es einen sogenannten Grillabend für die Konferenzteilnehmer. Dafür hatte man die Veteranen abgehängt und Tische und Stühle in das große Zelt gestellt. In der kleinen Kuppel wurden auf Tischen die Getränke bereitgestellt. Eigentlich ist es ja positiv, wenn man vorausschauend plant und handelt. Aber den Weißwein für eine Feier um 19 Uhr schon um 17 Uhr in die Sonne zu stellen, ist dann eher kontraproduktiv. Also wurde um 19 Uhr ein großer Kübel mit Eiswürfeln herbeigeschafft für diejenigen unter den Gästen, die weder lauwarmen Weißwein trinken noch auf Wodka ausweichen wollten. Mit Einbruch der Dämmerung wurde dann auch die Wichtigkeit der Fliegengardinen ersichtlich. Stechmücken, groß wie Kampfhubschrauber (naja, fast) und genauso aggressiv, setzten zum Angriff an. Und der Physiker, der zu Beginn der Party die Sitzgelegenheiten im Zelt mit den bewusst provokativen Worten: „Das ist was für Frauen und sonstige Behinderte“ abgetan hatte, bekam (zum zweiten Mal) ganz schön was zu hören.

Heute Morgen sind alle Spuren der Grillparty verschwunden, Zelt und Kuppel sind mit festlichen Tüllrosetten in Weiß und „Royalblue“ geschmückt, ein Blumenbogen in den gleichen Farben ist vor dem Zelt aufgestellt, davor einige Reihen mit Stühlen. Während wir uns auf die Abreise vorbereiten, huschen Brautjungfern in Royalblue umher.

p2015_05_21_18h52_15Unsere Abreise ist für 15:00 geplant, erstmal bis Vladimir, dessen Bahnhof auf der Schnellzug-Strecke Nowgorod-Moskau-St. Petersburg liegt. Gestern morgen habe ich ein ganzes Konferenzbüro ungefähr genauso lange, wie wir heute Zug fahren werden, mit der Reservierung der Karten beschäftigt. Auf einer internationalen Seite war es zwar problemlos möglich, Karten und Sitzplätze zu reservieren, aber dann wurden die Passnummern der Fahrgäste verlangt. Also ging es rüber ins Konferenzbüro, die diese Unterlagen ja haben müssten.

Im Büro wurde dann die russische Seite aufgerufen und siehe da, plötzlich kosteten die Karte etwa ein Drittel weniger. Die Passnummern für Monsieur und Kollege hatte das Büro aber auch nicht, beide waren nicht erreichbar. Also runter in die Rezeption, wo Kopien der Pässe aller Gäste gemacht worden waren. Da die Englischkenntnisse der Rezeptionistin ungefähr meinen Russischkenntnissen entsprachen, dauerte es eine Weile, bis mein Anliegen klar und die Kopien gefunden waren.

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Nicht der „Falke“, eher die „Ente“

Im Bahnhof von Vladimir gab es dann erstmal das Problem herauszufinden, auf welchem Gleis der „Sapsan“, der „Wanderfalke“ abfuhr. Mehrere Spalten mit Informationen standen zur Verfügung und anhand der Abfahrzeiten konnten wir unseren Falken schnell identifizieren, dahinter die Zahl 2. Mein Vorschlag war also Gleis 2. Bis Monsieur uns darauf aufmerksam machte, dass andere Züge in dieser Spalte Zahlen von 18 bis 25 stehen hatte, der Vladimierer Bahnhof aber nur über zwei Gleise verfügt. Es wurde beschlossen, dass diese Zahl die Aufenthaltsdauer der Züge hier in Vladimir wiedergibt.

Schließlich haben wir einen sehr grimmig dreinschauenden, schlagstoffbewaffnetem Bahnpolizisten unsere Tickets unter die Nase gehalten und er hat uns sehr freundlich nicht nur das Gleis, sondern auch den Abschnitt unseres Waggons gezeigt.

p2015_05_22_18h42_25Der Falke flog mit uns durch fast unberührte Wälder. Ab und an tauchten ein paar Holzhäuser entlang der Bahnstrecke auf, gelegentlich sah man eine größere Ansammlung von Gebäuden in der Ferne, aber der vorherrschende Eindruck war unbewohnte Weite. Auf die im Prospekt angekündigten 300km/h kam der Falke auf dieser Strecke allerdings nicht. Die Anzeige schwankte zwischen 130 und 160 km/h. Was die Tafel aber auch anzeigte, war ein Sturz der Temperatur. Von 27° in Susdal auf 17° in Moskau. Als wir in die Vororte Moskaus kamen, ging ein sintflutartiger Sturzregen nieder. Wir fuhren über Bahnunterführungen, in denen das Wasser so hoch stand, dass sich die Autos davor und dahinter stauten, weil sie sich nicht hindurch zu fahren trauten.

Ich hatte in Susdal unsere Metrofahrt vorbereitet, alle Haltestellen in Blockschrift auf Kyrillisch und Latein herausgeschrieben und die Zwischenstopps abgezählt. An der richtigen Haltestelle auszusteigen, war dann nicht schwierig. Im strömenden Regen das Hotel zu finden dann schon etwas mehr.

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Kaufhaus Gum auf dem Roten Platz

Abends sind wir dann noch über den Roten Platz geschlendert, begleitet von Gruppen von jungen Menschen, die anscheinend Schuljahresende oder bestandene Prüfungen feierten.

Im Café des Kaufhauses Gum haben wir uns einen Drink gegönnt. Zu Preisen, für die ich in Susdal gleich einen ganzen Schwarm Fellforellen bekommen hätte.

Ein kleines Rätsel

Ein kleines Rätsel: fällt Euch etwas auf?

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Richtig! Und hier?

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5sus3Genau! Sieht alles besser aus im Sonnenschein!

P1130110Der Eintritt in den Klosterkomplex kostete etwas mehr als meine Fellforelle. Dafür sollte es mehr als zehn Museen in den Mauern der einzelnen Gebäude geben. Nun, es gibt Museen und Museen. Und mit mittelalterlichen Schwertern und ähnlichem hatte man mich ja schon gestern gelangweilt. Das erste Museum, im Verkündigungsturm, war dann auch schnell abgehakt. Mein Plan, mir den großen Erlöser-Euthymios-Kloster-Komplex mit Ruhe anzuschauen, scheitert erst mal an zwei Museumsmitarbeitern, die mit ihren Pürierstäben dem sogenannten Rasen ( 90% Löwenzahn) zu Leibe rücken. Statt beschaulicher Stille das hohe Gesirre dieser Maschinen. Aber hinter den meterdicken Mauern der Abtbehausung ist davon dann nichts mehr zu hören. Hier hängt, was mich noch mal nach unserer kurzen Exkursion am Dienstag in dieses Kloster bringt: Ikonen aus mehreren Jahrhunderten. Der Ikonenmaler galt in seiner Zeit nicht als Künstler, eher als Handwerker. Er erlernte ein Standardrepertoire an Heiligendarstellungen, die er dann genauso wiederzugeben hatte. Diese Standardisierung erleichtert heute z.B. bei der Rekonstruktion von Fresken die Arbeit: eine bestimmte Körper- oder Handhaltung identifiziert den Heiligen und der Restaurator weiß, wie das Bild ausgesehen haben muss. In der Darstellung also gab es nicht viele Variationen. Obwohl man schon deutlich sah, dass es mehr oder weniger begabte Darsteller gab. Ich erinnere mich an ein Jesuskind, dass eher wie ein Zwerg mit mörderischen Gedanken aussah. Was natürlich immer anders gestaltet wird, sind die prachtvollen Silberrahmen oder das Geschmeide, dass man z.B. Maria um Haar oder Hals legt. 5sus4

Und dann kam eine Ikone, bei der ich das Fotografierverbot sehr bedauerte. Stellt euch ein Querformat vor, etwa 120 auf 60 cm. Am oberen Bildrand in der Mitte ein UFO. Ja, genau, ein schwarzes Gebilde mit dieser typischen Untertassenform, etwas kompakter, etwas gestauchter, aber eindeutig eine Mischung aus Todesstern und Raumschiff Orion. Am unteren Bildrand rechts und links fliegen entwurzelte Bäume im Sog des startenden Raumschiffes nach oben, in den Zweigen russische Bauern, die sich verzweifelt festhalten und doch weggerissen werden. In der Bildmitte unten eine Gruppe Edelleute auf Pferden. Die Pferde scheuen, weil sie den Boden unter den Füßen verlieren, die Reiter wissen nicht, ob sie sich festhalten oder abspringen sollen, aber der Sog ist stärker, alles ist in Bewegung. Was eigentlich nur noch fehlt, ist die Raumschiff Enterprise-Musik und jener unsinnige Huiiihuiii-Wusch-Laut, den ja laut dieser Serie Raumschiffe im Weltall machen. Ich habe lange vor dem Bild gestanden und die Dynamik dieses spätmittelalterlichen Raumschiffstarts bewundert. Die Dame vom Museum bestand natürlich darauf, dass das Noahs Arche sei. Aber ich glaube, sie hat nur noch nicht richtig hingeschaut.

5sus1Nach diesem Erlebnis war das Museum der naiven Bauernmalerei in dieser Kirche dann doch ein Antiklimax, aber auf dem Weg zwischen den Gebäuden fiel mir plötzlich die wohltuende Stille auf. Die Sonne schien, die Vögel gingen ihrem Job nach, alles duftete nach frisch gemähten nunja Grünzeug, es war richtig meditativ. Da kam die nächste Ausstellung, zum Schicksal deutscher und italienischer Kriegsgefangener, wie ein Faustschlag in den Magen.

Zum guten Schluss bin ich dann im Dormitorium hochgestiegen bis unters Dach. Dort hatte man Zellen der besonderen Art eingerichtet, mit großen Glasfenstern zum Gang hin. Wieder das Fotografierverbotsschild und einige Linien in Russisch, wahrscheinlich etwas im Stil von: Bitte nicht füttern und Nicht an die Scheiben klopfen. Hier saßen die Restauratoren bei der Arbeit. Man konnte zusehen, wie sie an Ikonen oder einem Gewand arbeiteten. An den Wänden hingen Bilder zu den einzelnen Schritten vom halbzerstörten zum restaurierten Kunstwerk. Es roch nach Kleber oder Lösungsmitteln. Mir hat es da richtig gut gefallen.

Vladimir: Katharina die Große, lächelnde Löwen und Meerrettichschnaps

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Der lächelnde Löwe ist das Wappentier von Vladimir, aber ein paar Löwen müssen da wohl noch ein bisschen üben.

Die Exkursion nach Vladimir hat mir gezeigt, wie nahe unendlich schön und unendlich langweilig zusammen liegen können.

4sus1aWir kletterten aus dem Bus auf den Kathedralplatz und die Führerin hielt es für das Beste, uns unter einem Lautsprechermast, aus dem laute Marschmusik dröhnte, zu versammeln, um uns erste Informationen zu geben. Irgendwie merkte sie dann aber auch, dass das nicht der ideale Standort war und führte uns vor die Tore der Kathedrale. Hier zeigte sie als erstes auf den Turm aus dem 18. Jhd und bat uns den wegzudenken. Das gleiche mit der anschließenden Kapelle aus dem – leichtes Schaudern – 19. Jhd. Die Kathedrale aus dem 12. Jhd durften wir stehen lassen und sie erklärte uns anhand des Portals und der Fassade den Einfluss deutscher und italienischer Handwerker auf den Bau. Die Fassade ist aus weißem Sandstein und könnte wirklich so in Italien stehen. Die Kathedrale ist ein lustiges Zwitterwesen. Sie gehört zur Hälfte der russischen Kirche, zur Hälfte dem staatlichen Susdal-Vladimir-Museumskomplex. Das führt dazu, dass sie von 11 – 17 Uhr Museum ist, zu den anderen Zeiten Kirche. Was wiederum bedeutet, dass du sie als Frau nur zu diesen Zeiten in Hosen und ohne Kopftuch betreten darfst, während für die anderen Zeiten strenge Kleidervorschriften gelten

4sus1Betritt man die Kirche, wird es erstmal dunkel. Die Ikonostase, die mit Ikonen geschmückte Wand, die den für die Gläubigen zugänglichen Teil der Kirche von dem den Priestern reservierten Altarraum trennt, ist ein dunkles Geschwurbel aus vergoldeten Rahmen, gedrechselten Säulen, Blätterranken und Bildern auf schwarzem Hintergrund. In einem Seitenflügel wurde uns ein einfacher weißer Sarkophag gezeigt, das „höchst tränenvolle Grabmal“ derjenigen Hunderten von Bürgern Vladimirs, die sich beim Mongolensturm von 1238 in die Kathedrale geflüchtet hatten und dort von den Mongolen mitsamt der damaligen Kirche verbrannt wurden. Im gegenüberliegenden Flügel dann der prunkvolle Sarkophag des Erzbischofs, der auch dabei war. Schönes Beispiel, dass selbst im Tod manche Menschen immer noch gleicher sind als andere.

4sus6Nach dem Mongolensturm bauten die guten Leute von Vladimir ihre Kathedrale wieder auf, ließen eine Ikonostasis einbauen, ließen bewunderte Künstler die Wände mit Fresken schmücken, kurzum ihre Kirche wurde so schön, dass sie zum Vorbild für andere Kirchenbauten wurde. Auch Katharina die Große hörte von dieser Schönheit und besuchte die Kathedrale. Nach Jahrhunderten der Andacht voller flackernder Kerzen war der Innenraum vom Ruß dunkel geworden. Das gefiel ihr nicht, das wollte sie „verschönern“. Sie ließ also die Ikonostasis rausreißen und durch das Geschwurbel ersetzen und die kostbaren Fresken aus dem 14. Jhd. übertünchen.

Die Leute von Vladimir mussten es mit ansehen und meinten dazu: Katharina ist eine mächtige Frau, sie hat mehr Verwüstungen hinterlassen als die Mongolen.

4sus4Neben der großen Kathedrale stand der „Kleine Bruder“, die Dimitri-Kirche. Kirchen scheinen also männlich zu sein in Russland. Gestiftet wurde sie von einem Fürsten namens Vsewolod „Großes Nest“. (Ich hatte bei der Führerung immer „Servelat“ verstanden – wahrscheinlich hatte ich Hunger – und den Herrn erstmal im Führer nachschlagen müssen), der als Taufnamen Dimitri erhielt. Dieser Bau von großer Schönheit zeigt im Fassadenschmuck mehrere Szenen mit den zwölf Aufgaben des Herkules. Unsere Führerin konnte sich gar nicht genug wundern über den Mut des Fürsten, diese ikonografisch doch sehr gewagten Darstellungen in Auftrag zu geben. Vielleicht hatte der Fürst aber auch nur einen kleinen Herkules-Komplex und identifizierte sich mit dem mythologischen Helden. Wie dem auch sei, zu Herkules und allerlei Flora gesellten sich andere Gestalten, besonders Löwen. Der lächelnde Löwe ist das Wappentier von Vladimir. Ich habe an diesem Tag viele neue Löwenfreunde gefunden. Das mit dem Lächeln habe ich ihnen jetzt mal geglaubt, ein paar müssen da, glaube ich, noch ein bisschen üben.4sus8

Das Innere dieser Kirche war ein Erlebnis. Zum Leidwesen der Bewohner und zum Glück für uns waren nach der Revolution alle Ikonen entfernt und in die Museen in Moskau und Petersburg gebracht worden. Auch einen Großteil der Fresken hatte man abgeschlagen, so dass in diesem Raum die reine, nackte Schönheit der Architektur wirken konnte. Diesen Raum zu betreten war wie das Anschlagen einer großen Glocke, deren Schwingungen in dir weiter klingen.

Wäre wir nach dieser Kirche in den Bus gestiegen, wäre ich glücklich nach Susdal zurückgefahren.

4sus5Aber nein, es kam noch ein weiterer Höhepunkt, das „Goldene Tor“, Burgtor des Kreml und einer der wenigen Bauten, die den Mongolensturm von 1238 überlebten. Der Bau selber ist sehr schön, aber dann mussten wir uns innen, im Museum, ein heroisches Diaporama zum Mongolensturm mit einer sehr pädagogisch wertvollen Botschaft anschauen, jede einzelne gefundene Mongolen-Pfeilspitze bewundern und anschließend an einer gefühlt endlosen Reihen von Helden des Vaterlandes vorbeiziehen.

Irgendwie hatte meine innere Glocke einen Sprung gekommen.

Auf den letzten Programmpunkt, den Besuch eines Museums für Kristallglas habe ich dann verzichtet und lieber in der Sonne auf den mächtigen Erdwallresten des Kremls der Abfahrt entgegengeträumt.

4sus7Am Abend gab es dann in einem großen Zelt das Konferenzdinner. Mein russischer Sitznachbar erklärte die nicht direkt ersichtlichen Spezialitäten. Wie etwa einen sehr leckeren Salat aus gekochtem Rindfleisch, milchsauer vergorenen Pilzen und eingelegten Gurken, dessen einzelne Bestandteile so fein gehackt worden waren, dass man sie nicht mehr identifizieren konnte. Dann wurde eine kleine Flasche auf den Tisch gestellt und ein anerkennendes Raunen ging durch Menge. Wodka-Gläser erschienen und eine hellgelbe, etwas trübe Flüssigkeit wurde ausgegossen, der Meerrettichschnaps oder Krenowucha. Einige Nicht-Russen, die am Abend zuvor schon die Bekanntschaft gemacht haben, zuckten zusammen, bekamen aber trotz ihrer Proteste ein Glas in die Hand gedrückt. Und dann kam der Toast – und damit gab es kein zurück mehr. Also Augen zu und durch. Der Schnaps riecht tatsächlich scharf nach Meerrettich und schmeckt, als hätte man beim Sushi zuviel Wasabi erwischt. Angeblich heilt er alles, aber ganz besonders Erkältungen, was ich gerne glauben will. Unvorsichtigerweise hatte ich mein leeres Glas rechts neben meinen Teller gestellt, wo mein russischer Nachbar es dann sofort wieder füllte und mit mir anstieß. Ich habe das Glas dann weiter links in Sicherheit gebracht und mich für den Rest des Abends an den Weißwein gehalten.

Sollte ich in den nächsten Tage eine Erkältung bekommen, so ist das mit Sicherheit nicht dem kalten Regen, sondern nur meiner Feigheit angesichts des Meerrettichschnaps zuzuschreiben.

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Zeitziehen

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Das Erlöser-Kloster von der Kamenka aus gesehen

Dieser Beitrag ist Euch Vieren gewidmet.

Früher, als unsere Kinder noch jung und beeinflussbar waren, haben wir Eltern sie zum Zeitziehen gezwungen. Endlose, grausame Stunden lang. Zeitziehen in römischen Ruinen, Zeitziehen unter romanischen Gewölben, Zeitziehen vor gotischen Kirchenfenstern. Erbarmungslos! Wobei dann die pubertäre Variante des Zeitziehens, vier mufflige Jugendliche  im Auto, zwei Erwachsene mit schlechtem Gewissen im jeweiligen Ziel auch nur graduell besser war. Erst als die Englischkenntnisse unserer Kinder heranreiften, erkannten sie, dass das Wort „Sightseeing“ noch eine andere Bedeutung hatte, bestehen aber noch heute darauf, dass ihr „Zeitziehen“ mehr der Wirklichkeit entspricht.

Nun, ich mache eine Mischung aus Zeitziehen und Sightseeing, ein Austesten, wie lange man sich zeitziehend in einem warmen Museum herumtreiben kann, bevor man sich zum nächsten Sightseeing-Ziel aufmachen sollte, durch Kälte, Wind und Regen.

Im Augenblick gibt es eine kleine Pause von beiden, die ich nutze, um noch ein paar Bilder hoch zu laden.

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Für mich: Die Kirche zum vergessenen Heiligen

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Portal in der Kathedrale des Erlöser-Klosters

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Fresken in der Mariä-Geburt-Kirche im Kreml

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Holzkirche im Freiluftmuseum

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Schriftzug in der Kremlkirche

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Bürgerhaus mit zwei Kirchen im Hintergrund

Russisch Roulett

Monsieur hat mich an die Leine gelegt, elektronisch. Das ist natürlich alles nur zu meinem eigenen Besten, sagt er, als er mir den Tracker in die Handtasche steckt. Dieses kleine Gerät zeichnet jeden Schritt auf und zusammen mit dem entsprechenden Computerprogramm zeigt es einem z. B. an, wann man wo war und welche Bilder man dort gemacht hat. Das ist schon sehr praktisch, wenn man nach der fünften blau lasierten Moschee oder Kuppelkirche etwas den Überblick verloren hat. Aber trotzdem fühle ich mich, als hätte ich einen Knopf im Ohr, einen Chip, einen Sender, damit man mich orten kann. Und all meine Schleifen und Umwege werden aufgezeichnet, die Kaffeepausen. Hmmm, vielleicht „vergesse“ ich das Ding morgen einfach.

sus2-3Ich bin ja Rechts-Links-Legasthenikerin und beim Kartenlesen fast Analphabetin. Nein, letzteres stimmt nicht ganz, ich kann Karten lesen, ziemlich gut sogar, nur richtet sich die Wirklichkeit oft eben nicht nach meinen Karten. Und der Stadtplan, den ich vom Hotel bekommen habe, erleichtert das Ganze nicht gerade. Er enthält nur die historischen Gebäude, ist aber, was den Verlauf aktueller Straßen angeht, von großer künstlerischer Freiheit. Unser Hotel sieht zwar teilweise aus wie ein russisches Dorf des 19. Jhd, ist aber quietscheneu, ergo nicht auf dem Plan. Dafür ist das „Restoran“ auf dem Hotelgelände ein Handwerkerhaus aus dem 18. Jhd – bingo!

sus2-1Heute morgen wollte ich zur Abwechslung am Hotelausgang mal rechts gehen. Gestern hieß die Entscheidung für links eine lange Wanderung bis zum Kreml, heute kommt mit dem Erlöser-Euthymios-Kloster mit seinem offensichtlich hohem Sicherheitsbedürfnis die erste Sehenswürdigkeit schon nach ein paar Minuten. Ist dafür aber geschlossen bis um zehn Uhr. Ich schlendere um die massiven Mauern herum bis zu einer Stelle, die einen tollen Blick auf das gegenüberliegende Mariä-Schutz-Kloster bietet ( 1. Bild), aber es ist immer noch nicht zehn Uhr.

sus2-2Also gibt es einen Umweg zum Alexander-Kloster. Meine Karte bietet mir zwei „Straßen“ an. Die eine ist in der Realität eine mit einem Gartentor verschließbare Einfahrt, hmm. Die nächste ein Trampelpfad. Vorsichtshalber gehe ich ein Stück weiter und sehe an einer „echten“ Straße ein Schild, auf dem ich zumindest das „Alexander“ identifizieren kann. Auch dieses Kloster ist von einer hohen Mauer umgeben und durch das schöne, aber unmissverständlich geschlossene Gittertor kann man einen Blick auf die Kirche und den separaten Glockenturm werfen. Als ich enttäuscht wieder gehen will, kommt eine Pope, die lange schwarze Robe im Wind flatternd und erklärt mir etwas auf Russisch. Ich spule meine zwei Sätzchen Russisch runter, er lächelt, winkt und schließt mir ein kleines Holztor in der Mauer auf. Hinter ihm kommt ein Trupp älterer Damen, bewaffnet mit allerlei Reinigungsgerät und so folge ich ihnen unauffällig, als die Kirche aufgeschlossen wird. Während die Damen im Vorraum ihre Gerätschaften und Mäntel deponieren und sich umziehen, schaue ich mich ein bisschen im sehr karge Innenraum um und verschwinde genauso unauffällig, bevor mir jemand ein Staubtuch oder einen Putzlappen in die Hand drücken kann.

Meine Karte sagt, drei Straßenecken weiter gibt es das Haus eines wohlhabenden Bürgers, Museum zur Wohnkultur des 18. Jhd. Der Regen hatte heute Morgen vorm Frühstück zwar aufgehört – wahrscheinlich wollte er seine Kraft für später sparen -, setzte aber mit meinen ersten Schritten ins Freie wieder ein. Nicht so ein stürmischer Regen wie gestern, mehr so ein feines Geniesel, aber genauso ungemütlich. Da kommt das Schild mit der Katze drauf gerade recht. Katzen lieben es trocken und warm – ein gutes Omen, finde ich. Aber leider, leider hat die Katze heute frei, das Museum zu und ich keine Pause im Trockenen.

sus2-4Dafür hätte der Nachmittag die Dame der Weltbank sehr glücklich gemacht. Zwei Busse, einer mit englischsprachiger, einer mit russischer Begleitung, voller wissenshungriger Physiker, die sich als Touristen ausgeben. Der erste Exkursionspunkt ist das Erlöser-Euthymios-Kloster, wo sich das Rätsel der hohen Mauer löste. Das jetzige Museum war in seiner langen Geschichte neben Kloster auch Militärlager, Gefängnis und „Irrenanstalt“ gewesen. Der letzte Punkt löst einige zynische Bemerkungen aus, da die Führerin Geisteskranke und Politiker in einem Atemzug als „Insassen“ nennt. Wir besichtigen die Kathedrale, deren Bilderfülle doch sehr überwältigend ist. In Reihe über Reihe über Reihe ziehen sich die Bilderzyklen aus dem Leben Jesu die Wände hoch. Vor der Kathedrale müssen wir noch eine Kopie bewundern. Anscheinend war der polnisch-litauischen Überfall von 1600tobak sehr traumatisierend, denn unsere Führerin hatte ihn in der letzten Viertelstunde schon mehrfach erwähnt. Jedenfalls gelang es einem Susdaler Heerführer ihn zurückzuschlagen, wofür man ihm später ein Mausoleum baute. Das die Sowjets abreißen und die Russen nach 2000 aus Privatspenden wieder aufbauen ließen. Natürlich nicht auf dem tatsächlichen Grab des Helden, da man ja durch das Getrampel der Bauarbeiten seine Ruhe hätte stören können, sondern ein paar Meter neben dran. Das Gebäude an sich ist schon nicht sehr faszinierend, die Geschichte bewegt unsere nicht-russischen Herzen auch nicht sonderlich und der stetig strömende Regen tut das seinige dazu, das Erlebnis unvergesslich – ach vergessen wir’s.

sus2-6Im Bus geht es dann warm und trocken die Strecke entlang, die ich gestern im Regen zu Fuß getrapst war, zum Susdaler Kreml und auch zum Freiluftmuseum. Wieder so ein seltsames Gefühl von Déjà-Vu… Aber da diesmal Monsieur die Fotos machte….

Abends haben wir dann unsere Version von  Russisch Roulett gespielt: in einem russischen Restaurant mit russischer Bedienung und russischer Karte ohne ein Wort Russisch zu sprechen Essen bestellt.

Wir haben es alle überlebt. Sehr gut sogar.

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Forelle im Pelzmantel

Russland nickt. Auf den ersten Teil meiner gesammelten Russisch-Kenntnisse. Dieses verständnisvolle „Ja, manche Menschen haben schon ein schweres Los zu tragen“-Nicken. Und zuckt dann mit den Schultern beim zweiten Teil. So geschehen vor mehreren der schönen alten, aber leider geschlossenen Kirchen, wo mich Leute ansprachen, weil ich wohl einen hilflosen Eindruck machte.

sus2Paonia proudly presents: Susdal im Regen. Es regnet nicht nur, es schüttet und stürmt. Aber was soll’s, ihr wollt was lesen, also muss ich raus. Raus auf die ulitza lenina. Mein Stadtplan hat keinen Maßstab und so wirkt Susdal auf den ersten Blick kompakt. Das täuscht aber. Da auch die dritte Querstraße rechts noch nicht zum Kreml führt, hilft nur Sturheit. Kurz danach stehe ich vor etwas, das ich zwar identifizieren kann (Mariä-Gewandniederlegungs-Kloster, die Namen, die Namen!), mir aber auch zeigt, dass ich erst etwa ein Drittel des Weges zurückgelegt habe. Vorbei an den Kirchen der Heiligen Nikolaus, Antipius und Lazarus finde ich vorübergehend Unterschlupf unter den Arkaden dessen, was man Anfang 1800 als ein Einkaufszentrum gebaut hat.

sus3Susdal hat Dutzende von Kirchen, obwohl viele die Säuberungsaktionen nach der Revolution nicht überlebt haben. Dazu kommen einige weltberühmte Klosterkomplexe. Die Kirchen sind Stiftungen reicher Kaufleute, die damit begangene Sünden sühnen und etwas für ihr Seelenheil tun wollten. Entweder waren die Popen hier besonders drastisch mit der „schlechtes-Gewissen-machen-“ Methode oder der Beruf des Kaufmannes ist doch viel aufregender als ich mir das vorgestellt habe. Die Kloster dienten meist dazu, in die Jahre gekommene Ehefrauen einflussreicher und mächtiger Fürsten zu entsorgen. Dazu wurde ein Kloster gestiftet und gebaut. Und kaum war es fertig, wurde – schwupps – Ehefrau 1.0 ausgelagert, um für Lebenspartnerin 2.0 Platz zu machen. Monsieur hat keine Baupläne, also scheine ich in Susdal sicher zu sein, für’s Erste.

In der Nähe der Arkaden halten dann zwei Busse und zwei Gruppen Koreaner steigen aus, untrügliches Zeichen dafür, dass etwas Sehenswertes in der Nähe sein muss. Die Koreaner spannen gegen den Regen ihre Schirme auf, die der Sturm ihnen in fünf Sekunden ruiniert. Ich habe die Jacke an, die ich mir 2012 in Island aus Notwehr gegen den isländischen Sommer gekauft und seither als „viel zu warm“ nie wieder getragen habe, und brauche keinen Schirm. Das ärgert den Sturm dermaßen, dass er immer wieder versucht, mir die Kapuze vom Kopf zu reißen. Mit diesen Spielchen beschäftigt, kommen wir zwei, der Sturm und ich, zum Kreml. Oder, wie ein italienischer Kollege von Monsieur ihn gestern nannte, zum „Kremelino“. Das klingt nach einem niedlichen fluffigen Tierchen. Niedlich ist er, dieser Kreml, eigentlich „nur“ der Erzbischöfliche Palast und die Muttergottes-Geburts-Kathedrale, umgeben von einem Wall. Aber! sus4Aber diese Kathedrale ist ein Wunderwerk von Blau und der Palast beherbergt ein Museum. Beides begeistert mich, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Die Kuppeln der Kathedrale bilden mit goldenen Sterne auf blauem Hintergrund den Himmel nach und sind ein Wahrzeichen der Stadt. Und das Innere mit seinen Ikonen und Fresken macht mich erstmal sprachlos. Das Gold der Ikonen wird betont durch die blauen Flächen zwischen den Heiligen. Aber genauso gilt das Gleiche umgekehrt. Ich kann nur stehen und staunen. Meine Versuche, etwas davon im Foto einzufangen, scheitern kläglich…

Der Palast mit seinem Museum bietet mir Wärme und weitere Wunder. In einem der hinteren Räume steht der so genannte Jordan-Baldachin, ein tragbares Holzdach mit wunderbaren Schnitzereien und Gemälden. Dieser Baldachin wurde im Winter auf dem zugefrorenen Fluss, der Kamenka, aufgestellt und der Erzbischof schlug in der Mitte ein kreuzförmiges Loch ins Eis. In dieses Loch wurde ein silbernes Kruzifix getaucht, was das Wasser automatisch zu Weihwasser machte. Und dann wurde getauft. Und da beschwere ich mich über ein paar Regentropfen!

sus5Aber irgendwann hatte ich alle Schätze des Museums bestaunt und keinen wirklich guten Grund mehr zum Bleiben. Mein nächstes Ziel lag auf der anderen Seite des Flusses und versprach so richtig schön nass und ungemütlich zu werden: Das Freilichtmuseum zur Holzarchitektur. Die Brücke über die Kamenka war dann schon ein eher wackeliges Beispiel selbiger Architektur. Im Holzhaus, das den Zugang bildete, saß an der Kasse eine Katze, die meine Transaktion beobachtete, dann herab sprang und mit mir zur Tür lief. Ein Blick hinaus in Sturm und Regen genügte ihr, um wieder kehrt zu machen.

sus6Ich fand die Kirchen und Bauernhäuser, zum Teil aus ganzen Baustämmen, zum Teil aus kaum geglätteten Planken gebaut, sehr beeindruckend. Aber, das, was ich am liebsten gesehen hätte – ein Haus mit dem Schild „Kafe“ -, gab es leider nicht. Im Schutz einer alten Scheune plante ich meinen weiteren Weg. Erst die Uferstraße entlang zur Eliah-Kirche, dann durch die Wiesen zur Auferstehungskirche und der der Geburt von Johannes dem Täufer (diese Namen). Und von dort irgendwie über den Fluss und auf dem schnellsten Weg zum Hotel.

sus7Zum Glück lag vor der ersten Kirche ein Restaurant. Sah gut aus, besonders, wenn man durchnässt und durchgefroren ist. Als ich eintrat, war ich die einzige Besucherin, aber ein großer Tisch für 14 Personen war schon eingedeckt. Ich bekam die Karte und fing an zu buchstabieren, Soljanka und Borscht hatte ich schon „gelesen“, als die Bedienung kam. Sie sprach etwas Englisch und begann mir die Hauptgerichte zu übersetzen. Sehr weit kam sie nicht. Bis zu „trout in a fur coat“. Da hatte sie mich, das wollte ich haben: eine Forelle im Pelzmantel. Es kam eine Forelle, eingewickelt in ein Zopfgeflecht aus Blätterteig, gefüllt mit Gemüse-Julienne, sehr lecker.

sus8Während ich noch mit meinem Borscht beschäftigt war, war die Tür aufgegangen und eine Gruppe kam herein. Eine große Blonde stürzte auf mich zu „Are you a tourist?“, was ich nur bejahen konnte. Worauf sie mir begeistert erzählte, dass sie zu einer Delegation der Weltbank gehöre, die mit russischen Offiziellen ein Konzept zur Tourismusförderung erarbeiten solle.

Sie schien so überglücklich zu sein, hier und jetzt tatsächlich ein lebendes Exemplar dieser offensichtlich raren Spezies eingefangen zu haben, dass ich ihr nicht erzählt habe, dass auf der anderen Flussseite ganze Busladungen freilaufender Koreaner anzutreffen seien.

Kyrillisch für Anfänger

Morgens um kurz nach sieben ist die Welt noch in Ordnung – sogar auf deutschen Autobahnen. Und so ein frisch geputzter Sonntagmorgen hat ja auch seinen ganz eigenen Charme. Der Regen hatte aufgehört, die Luft war sauber, die Bäume frisch gewaschen, die Sonne schien. Die Freude und Beschwingtheit, die gestern das großartige Fest geprägt hatten, klang in uns nach und so waren die fast zweihundert Kilometer bis Hamburg wie ein Katzensprung. Fuhlsbüttel durften wir dann auch noch ein bisschen kennen lernen, da wir uns auf der Suche nach der Tankstelle zum Volltanken ziemlich verfahren hatten, was unser armes Navi schier zur Verzweiflung brachte. Es witterte sozusagen schon seinen Mietwagenstall, und wir bogen immer wieder in die falsche Richtung ab, weil Monsieurs Lebensgefährtin behauptete, dort gäbe es Benzin.

Dann – endlich, endlich – standen wir fröstelnd in der Warteschlange zur Autorückgabe. Der Oldenburger Sonnenschein war in Hamburg stürmischem Regen mit Hagelschauern gewichen. Nach einer gründlichen Inspektion war der junge Mann zufrieden, dass mein Sicherheits- oder vielmehr Unsicherheitspotential sich nicht auf den Wagen ausgewirkt hatte und wir konnten wenig später auch den dritten Punkt meiner Kontrollliste abhaken: Flug nach Moskau.

Ein paar Stunden später trafen wir vor der Passkontrolle auf die italienischen Kollegen, in der Halle standen schon die russischen und französischen und das Warten auf die letzten Mitglieder unserer Busgruppe aus China und Serbien begann

Nun ist es so, wenn mehr als zwei Physiker zusammenstehen, haben sie schnell nur noch ein Thema. Das ist für Nicht-Physiker dann oft langweilig. Also habe ich mich in der Halle umgesehen und mein Kyrillisch angetestet. Vor langer, langer Zeit hatte ich in der Schule Russisch-Unterricht. Ganze sechs Monate, dann ging der Schule das Geld und uns der Lehrer aus. In dieser Zeit hatte ich das kyrillische Alphabet gelernt und die Fähigkeit erworben, fast fehlerfrei zu sagen: „Ich spreche kein Russisch. Sprechen Sie Deutsch oder Englisch?“ Meine Kyrillisch-Kenntnisse erlebten eine kurze Renaissance, als unsere beiden Ältesten in die Schule kamen. Ich hatte die Angewohnheit, Geschenkideen für Weihnachten oder Geburtstage auf der großen Merktafel in der Küche festzuhalten. Das kollidierte natürlich mit der zunehmenden Lesefertigkeit der Kinder. Also habe ich meine Ideen Buchstabe für Buchstabe ins Kyrillische übertragen. Ein Jahr später gaben mir die Kinder taktvoll zu verstehen, dass es ja nun nicht so schwierig sei, diesen Code zu brechen und dass ich mir doch bitte etwas Anspruchvolleres ausdenken sollte, wenn ich nicht wollte, dass sie ihre Geburtstagsüberraschungen schon Wochen im Voraus kennen würden. Das war’s dann mit Kyrillisch.

Aber die Halle bietet Übungsmöglichkeiten. Die Toiletten, das war jetzt nicht wirklich schwierig, da waren die Piktogramme daneben. Lernzielkontrolle sozusagen mit eingebaut.

„Restoran“ klingt fast lautmalerisch und die Sushi-Bar war wirklich einfach. Ich schwöre, da war kein Bild neben dran, das habe ich ganz allein geschafft.

Gut, ich weiß jetzt also, wo ich etwas zu essen bekomme und auch wo ich – nun ja. Und den Rest, den werde ich ja auch noch schaffen. Also, ich fühle mich gewappnet für ein Woche Russland.

(Mal sehen, was Russland morgen so dazu sagt…)

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