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Fliegen mit Maske

Natürlich ist es unangenehm, nervtötend und lästig. Aber leider auch Vorschrift.

An die sich einige nicht halten wollen oder glauben sich nicht halten zu müssen.

Nach Möglichkeiten suchen, das Tragen der Maske im Flieger irgendwie zu umgehen.

Ist verständlich, aber die Phantasielosigkeit der Gruppe älterer Franzosen ärgert mich schon sehr.

Denen rutscht die Maske „auf Halbmast“, sobald der Steward durch ist. Auf dem Rückweg fordert er die Herren jedes Mal mit freundlicher Geste auf die Maske hochzuziehen.

Sekunden später rutscht sie „wie zufällig“ wieder auf Höhe Oberlippe. Finde ich ärgerlich, dass sie glauben, dass wir ihnen das glauben.

Da gibt sich die Dame neben uns etwas mehr Mühe mit ihrer Inszenierung. Sie bestellt, sobald es möglich ist, ein Glas Wasser, zieht die Maske aus und nippt in winzigen Schlückchen für den Rest des Fluges an ihrem Becher.

Die volle Punktzahl, was Phantasie und Einsatz angeht, bekommt das junge Paar vor uns. Während des Steigfluges fangen sie an sich zu streiten, leise, doch sehr intensiv, die Spannungen wabern in der Luft über ihnen. Kaum ist jedoch das Anschnall-Zeichen erloschen, reißen sie sich die Masken vom Gesicht und fallen übereinander her.

Und knutschen leidenschaftlich für den Rest des Fluges…

Bilder im Kopf

Lavabecken in Porto Moniz

„Phänomenale Fotos hast du eingestellt“, schrieb mir vorgestern ein Lieblingsmensch.

Das freut Monsieur und mich, denn es ist jeden Abend ein kleiner Kampf aus all den tollen Fotos die schönsten auszuwählen.

Dazu kommen noch die, die wir gar nicht gemacht haben, von Situationen, Erlebnissen, Begegnungen, Bilder im Kopf sozusagen.

Wie die von der kleinen Eidechse, die sich am Picknicktisch heranschleicht, blitzschnell vorschießt, sich einen Brotkrümel schnappt und abhaut. Dabei in der hastigen Flucht ein paar Dutzend Zentimeter über den Tischrand herausschießt, wild strampelnd in der Luft läuft, um sanft auf einem Farn zu landen.

Forte San Tiago, Funchal

Wie die mit der Dame vom Mietwagenverleih, die uns strahlend den Schlüssel überreicht: „Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn sind 90 km/h.“ Kleine Pause. „Aber wenn die Sonne scheint, dürfen Sie 10 km/h draufschlagen.“ Glauben wir nicht ganz, bis wir an der Autobahnauffahrt das Schild mit der strahlenden Sonne und „+ 10 km/h“ sehen.

Wie die von den Hunderten und Aberhunderten roter und schwarzer Krabben, die zwischen den Felsen am „Strand“ herumhuschen, seitwärts, aufwärts, abwärts, beängstigend schnell. Ich fühle sie förmlich wispern: „Wir warten, bis sie hinfällt – und dann alle auf sie!

Wie die mit dem Fünfjährigen auf der Kap-Wanderung. Es ist so stürmisch, dass es sogar Monsieur gelegentlich von den Füßen hebt und die Mutter hat sehr, sehr gute Gründe, ihren Kleinen fest an der Hand zu halten. Bis es ihr wirklich zu gefährlich wird und sie umdrehen will. Im Vorrübergehen hören wir den Kleinen vorschlagen: „Wenn dir das zu gefährlich ist, Mama, bleib du doch hier stehen. Ich gehe dann alleine weiter.“

Wie die mit dem jungen Hotelangestellten, der plaudernd unsere Koffer durch Korridore zieht, eine Treppe hinunter, über eine kleine Brücke, in einen Aufzug und vor die Zimmertür fährt. Wir hätten sicher schon immer nach Madeira gewollt, meint er zum Schluss. Das kann ich ihm nur bestätigen, einen unserer Wanderführer haben wir 1997 gekauft. Da strahlt er: „Genau in dem Jahr wurde ich geboren, Madame!“

Funchal

Und zum Schluss das eine Bild, das ich eigentlich vergessen möchte. Peixe espada com banana, das Nationalgericht Madeiras. Auf dem Filet des schwarzen Degenfischs liegen zwei gebratene Bananenhälften. Liegen da schlaff, formlos, wie etwas schon lange Verwestes, wie etwas Totes, das man aus dem Wasser gefischt hat – es sieht einfach nur schrecklich aus. Ich bereue meine kulinarische Neugier, die mir eingeredet hat, das doch mal auszuprobieren. Fisch mit Banane – wer kommt auch auf so etwas?

Und dann kommt der erste zögerliche Bissen: Banane und Fisch zerschmelzen im Mund, gehen eine wundersame Geschmacksverbindung ein und sind einfach ein umwerfendes Erlebnis.

Nur Hinschauen mag ich immer noch nicht.

Ut omnes unum sint

Botanische Gärten sind uns lieb und teuer. Das liegt daran, dass die Mensa unserer Universität so grottenschlecht war. „Ut omnes unum sint“ stand über dem Portal zur Mensa, was von uns frech mit „Eintopf für alle“ übersetzt wurde. Es war ja nicht nur die Tatsache, dass das Essen so unsäglich war. Wenn die Damen in der Ausgabe der sportliche Ehrgeiz packte, pfefferten sie die Soße mit so viel Schwung in die vorgesehene Plastikkuhle, dass sie über alles andere spritzte, sei es nun Fleisch, Salat oder Pudding. Der Pudding war ein eigenes Trauerspiel: in einer Vielfalt leuchtender Farben serviert, schmeckte er immer nur nach einem: künstlichem Aroma. Unter uns Studenten ging der Spruch: wie der Pudding heute schmeckt, ist klar, nur wie sie ihn heute nennen werden, das weiß keiner.

Dann doch lieber mit einem selbst geschmierten Butterbrot oder einer selbst gekauften Zimtschnecke in den Botanischen Garten der Universität, der neben der Vielfalt der einheimischen und exotischen Gewächse eine ebenso große Auswahl an lauschigen Eckchen und versteckten Sitzplätzen bot.

Wie gesagt, wir haben sehr viele, sehr liebe Erinnerungen an botanische Gärten, weshalb ich mich auf den Jardim botanico hier in Funchal sehr gefreut habe. Allein die Fahrt, mit der 31A teleferico ist abenteuerlich. Der Bus stürzt sich völlig furchtlos in enge Gässchen, prescht steilste Sträßchen hoch, weicht um Haaresbreite Gegenverkehr aus. Just in dem Moment, in dem ich denke: das kann er nicht schaffen, biegt er im scharfen Winkel in eine noch engere, noch steilere Straße ein. Schließlich hält er, zwei Stationen vor der Endstation und alle Portugiesen um uns herum werden etwas unruhig, machen wedelnde Handbewegungen, bis einer den Mut aufbringt, uns mit „Jardim botanico! Jardim botanico!“ aus dem Bus zu scheuchen. Um dann noch nachträglich über so viel Touristen-Dummheit den Kopf zu schütteln.

Monsieur ist es nicht ganz zufrieden. Er wäre lieber zur Endstation gefahren, um von dort aus den Garten sozusagen von oben aufzurollen. So stehen wir am Seiteneingang. Auch gut, denn da kommt als Erstes das Naturhistorische Museum. Nun sind wir eigentlich aus dem Alter heraus für diese Art Museum (jeden 2. verregneten Sonntag – gefühlt – mit vier Kindern im „ausgestopften Museum“ in Genf hinterlässt Spuren), andrerseits waren wir seit Monaten in keinem Museum mehr. Also betreten wir die ersten Räume, die wie die Schatzkiste eines 14-Jährigen wirken. Auf Regalen liegen seltsam geformte Steine und Fossilien. Der zweite Raum ist dann ein bisschen unheimlich. Aus den Formaldehyd-Gläsern mit sehr vielen, sehr toten Tieren ist die Hälfte der Flüssigkeit verflogen, was sie nicht weniger unheimlich macht. Viel schlimmer aber ist die kleine Armada ausgestopfter Meeresbewohner, die in geschlossener Formation auf uns zukommen, in den toten Augen immer noch etwas Vorwurfsvolles.

Da hilft nur die Flucht hinaus in den Garten. Die meisten Pflanzen hier gehören der Gattung der „Ja, genau, warte mal, gleich fällt mir das wieder ein“-Gewächse an. Bei den anderen erkennen wir bald ein Muster. Steht da ein Baum, Busch oder Blümchen, das wir kennen, hat es mit Sicherheit ein Schildchen, das es in Latein, Portugiesisch und Englisch vorstellt. Stehen wir aber rätselnd vor etwas Grünem, ist weit und breit kein Schild zu sehen. So kann der Garten meine Erwartungen (die zugegebenermaßen sehr hoch waren) da nicht ganz erfüllen. Was aber wirklich phantastisch ist, ist das riesige Areal der Kakteen und Euphorbien. Die reine Freude an der Biestigkeit, mit der sie ihre Stachligkeit in Szene setzen, fasziniert mich. Dazu kommt, dass ich Kakteen in Baumgröße noch nie in Freiheit gesehen habe, wirklich toll.

Blöd ist allerdings, dass dann das untere Tor geschlossen ist und wir dafür den ganzen langen Weg – natürlich bergauf, war ja klar – zum Eingang zurücklaufen müssen. Dafür steht der 31er Bus wartend genau gegenüber. „Fährt erst in 40 Minuten, Madame“, informiert uns der Taxifahrer, „Ich fahre Sie sofort, 10 Euro.“ Wir diskutieren, da senkt er den Preis erst auf acht, dann auf sechs Euro, bis zum Markt. „Sechs Euro, Madame, der Bus kostet schon vier!“ Ich will aber nicht zum Markt, ich will zum CR7. Fährt er auch, aber – da weiter – für acht Euro.

Hätte mich jemand vor zwei Tagen gefragt, hätte ich bei CR7 auf eine Diskothek oder eine angesagte Bar getippt. Inzwischen weiß ich, dass es ein Museum ist, gewidmet einer Person, die Fußball spielen kann. Nicht, dass ich da jemals das Verlangen zur Besichtigung spüren würde, es liegt nur praktisch für unser Hotel.

Vor dem Museum steht die lebensgroße Bronzefigur des Fußballers im Trikot, in kurzen Hosen. Tausende und Abertausende von Fans haben sie berührt und so die Bronze an bestimmten Körperteilen goldglänzend poliert.

Ich gebe Euch mal einen Tipp: es sind nicht die Hände…

Kabarett

Ab heute sind wir ja keine Wandersleut‘ mehr, ab heute sind wir „nur noch“ Touristen.

Die dann halt so tun, was Touristen halt so tun. Von Örtchen zu Örtchen trödeln, wobei uns die meisten nicht so recht gefallen.

Auf der Schnellstraße kommen wir endlich mal gut voran. Für touristische Zwecke ist sie allerdings völlig ungeeignet, da sie zu 80% durch Tunnel geht – schnurstracks und damit die einzige Möglichkeit zum Überholen bietet. Das wird auch eifrig genutzt, meist von Einheimischen, die von langsam daher trödelnden Touristen genervt sind. Die restlichen 20% der Schnellstraße sind Kreisel im Freien, an denen unser Navi verzweifelt versucht uns und sich wiederzufinden. An diesen Kreiseln biegen wir ab zu den Küstenorten, wo zwar Katzen Polizeischutz genießen, die geschlossenen Hotels aber eher gepflegte Tristesse ausstrahlen. Zum Glück gibt es keine hässlichen Bettenburgen an der Küste. Die einzige, ziemlich scheußliche Riesenanlage – mit einem eigenen Pier ins Meer – entpuppte sich beim Näherkommen als Zementwerk mit eigener Verladestation. Wobei das scheußlich stehenbleibt.

Ganz anders in Câmara de Lobos, wo ein Dorffest ansteht und jede Seitengasse ihre Nachbarin ausstechen will mit fröhlichem Schmuck. Das ganze Dorf ist eine kleine Kunstausstellung, dazu kommen noch die traditionellen Bilder vom Hafen mit bunten Fischerbooten – was will man als Tourist mehr?

Vielleicht noch ein bisschen Nervenkitzel auf Europas höchster Klippe, wo man – so man sich traut – auf den gläsernen Sky-Walk treten und 589 Meter tiefer das Meer bewundern kann. Allerdings ist der Sky-Walk ein paar Meter breit und hat ein sehr hohes Glasgeländer. Da kommen nach unseren 45 Zentimeter breiten Levadas, mit ihren Abgründen ganz ohne Geländer nicht so richtig die Schauder auf.

Wir fahren dreimal durch Funchal, weil unser Navi nicht schnell genug ist, uns die erste Straße hinter dem Tunnel (schmal, steil, gepflastert, ich hielt die für eine Garagenausfahrt) anzuzeigen.

Abends schlendern wir am Kai zum Hafen und von dort in die Altstadt. Unser Wanderführer hat uns ein kleines Lokal empfohlen, das sich aber als Sandwich-Bar entpuppt. Das nebendran sieht ganz gut aus, ist aber noch geschlossen und das nächste hat eine interessante Karte. Kaum bleiben wir stehen, kommt eine junge blonde Frau angeschossen und meint, sie hätte die Karte auch auf Englisch, kann gerade noch die fotokopierten Blätter wieder einfangen und zeigt auf einen Tisch. Normalerweise mögen wir diese Art von Anmache überhaupt nicht, aber sie wirkt so sympathisch verpeilt, dass wir annehmen.

So beginnt unser Kabarett-Abend.

Monsieur bestellt einen trockenen Madeira, ich Aperol-Spritz. Apero, ja das kenne sie, aber Spritz, nie gehört, was das denn sei. Ich solle doch mal in die Bar gehen und selber nachschauen.

Gut, Aperol haben sie nicht, aber Pernod. Ich gebe genaue Anweisungen, drei Eiswürfel, Wasser daneben zum Selber-Mixen und setze mich wieder. Was kommt, ist ein Longdrink-Glas, halb voll mit Pernod, die mit gelieferte Menge Wasser reicht kaum zum Verdünnen. Unser Essen ist schnell gewählt, etwas Fischiges und etwas mit vielen Armen, Monsieur fragt nach der Weinkarte. Die Schwarzhaarige, die als Kellnerin die Blonde unterstützt, strahlt uns an: „Das ist mein erster Tag heute, ich weiß gar nicht, ob wir so etwas haben.“ Monsieur hebt eine Augenbraue.

Wenig später kommt die Chefin und meint, sie hätten roten und weißen und rosa Wein im Glas, alle sehr süß. Monsieurs andere Augenbraue geht hoch, er fragt nach Weißwein in der Flasche. Ja, da hätte sie drei verschiedene, aber ob die gut wären? Sie kommt mit drei Flaschen Weißwein, meint dieser sei der teuerste, aber den würde sie uns zum selben Preis geben wie die anderen. Im Weggehen ruft sie uns noch zu „Wein ist schließlich Wein, Hauptsache ist doch der Alkohol!“ Das ist der Moment, an dem ich mich unauffällig nach der versteckten Kamera umschaue.

Wir wählen den Wein, dessen Etikette wir wieder erkennen. Der wird mit viel Aplomb geöffnet und Monsieur zum Verkosten eingeschenkt. „Is good?“, fragt sie mit Begeisterung.

Monsieurs Antwort grenzt an hohe Diplomatie: „Er ist hervorragend gekühlt.“

Das Essen ist übrigens sehr gut und der weitere Abend genauso unterhaltsam.

Geschenkt

Irgendwie, irgendwie war mir das schon komisch vorgekommen mit den Wochentagen. Irgendwie, irgendwie wusste ich, dass da irgendetwas nicht übereingeht.

Gestern Abend sitzen wir auf der Terrasse dieses sehr schönen Hotels und überlegen, ob wir nicht statt der drei Nächte in Funchal lieber noch eine hier anhängen und dafür Funchal auf zwei Nächte abkürzen sollen. Wahrscheinlich war es schon recht spät, als wir beschlossen haben, dann doch die drei Nächte Funchal stehen zu lassen und morgen hier auszuchecken.

Heute Morgen schaue ich noch schnell nach der Adresse des Funchal-Hotels und da begrüßt mich die Hotelseite freundlich mit: Hallo Paonia, wir freuen uns dich morgen bei uns…

Moment mal!

Morgen?

Hoppla! Und wo schlafen wir heute Nacht?

Wir fragen an der Rezeption nach, ob wir hier eventuell eine Nacht länger bleiben können, da strahlt die nette Frau uns an: „Aber Sie sind doch ohnehin bis morgen bei uns gebucht.“

So lösen sich manche Probleme wie von selbst.

Zu meiner Rechtfertigung muss ich sagen, dass mir immer bewusst war, dass wir ab dem 15.6. in Funchal sein werden. Nur irgendwie hatte ich völlig aus den Augen verloren, dass der 15. ein Diens- und nicht der Montag ist.

Somit habe ich uns einen weiteren Tag hier geschenkt (gebucht und bezahlt) und damit eine weitere Wanderung. Allerdings nicht die im Programm geplante.

Kleiner Exkurs: im Vorfeld zu dieser Reise hatten wir überlegt, ob wir wohl inzwischen alt genug wären für Gruppenreisen. Hat ja viele Vorteile: man lernt neue Leute kennen, kann sich austauschen und hat einen Reiseleiter, der solche Dummheiten wie oben abfedert.

Was uns abgehalten hat, war der gruppendynamische Zwang, früh morgens gestiefelt und gespornt in der Lobby zu stehen und gut gelaunt zu sein. Oder zumindest eine glaubhafte Version von guter Laune auszustrahlen. Fällt mir umso schwerer je früher es ist.

Und natürlich die Tatsache, dass man nicht schummeln kann. Für heute geplant war nämlich eine Wanderung bei Fontes. Ein Blick auf das Höhenprofil der Wanderung – 500 Höhenmeter steil hoch, einmal oben „Ah“ und „Oh“ und auf demselben Weg 500 Höhenmeter wieder runter – und mir war klar: das möchte ich nicht. Also haben wir geschwänzt und uns diese Wanderung geschenkt. Haben dafür als Tipp von zwei Wanderfrauen den Weg von Wanderparkplatz Bica da Cana zum Pinaculo gemacht.

Eine kurze Wanderung, die aber so viel zu bieten hat. Erstmal die Erfahrung, dass es auf 1500 Metern im dichten Nebel doch etwas kühl ist. Dann die Erkenntnis, dass ein Weg nicht unbedingt an einer Levada entlang führen muss, um links senkrecht ins Nichts zu fallen. Außerdem, dass Ginster und Margeritenbäume einen feinen, schelmenhaften Sinn für Humor haben und gerne die gesammelten Nebeltropfen in Blusenausschnitte abschütteln.

Der Weg führt verwunschen schön über Stock und Stein und Felsen durch moosbärtige Wälder und flechtenverhangene Gebüsche. Wasser ist in der Luft, auf den Ästen, rinnt in den Kragen. Das ist aber nur die Aufwärmübung, denn richtig nass wird es an der Levada. Die hat keine Quelle, ihr Wasser sammelt sie von den Felswänden über ihr. Überall tropft, rieselt und plätschert es, in die Levada, aber hauptsächlich auf den Weg. Wir laufen durch feinen Sprühnebel – so gut für den Teint -, da legt die Levada noch eins drauf mit gleich drei mal Dusche auf dem Weg auf kaum hundert Metern. Natürlich sind wir gerüstet mit Regenponchos, was bedeutet, dass wir beim platschenden Wasserfall zwar mit trockenen Schultern aber klatschnassen Hosenbeinen davonkommen. (Ich kann hier schon verraten: auf dem Rückweg genauso).

Das Ziel dieser Wanderung ist der Pinaculo, eine Lavaspitze vom letzten Ausbruch vor ein paar Tausend Jahren. Den finden wir im dichten Nebel aber nur eher zufällig, weil da ein Weg von der Levada wegführt. Wir sehen nicht wirklich viel von ihm und können also nicht so recht beurteilen, wie oder ob er überhaupt beeindruckend ist.

Nach einem zweiten Duschgang folgen wir links dem Klettersteig auf die Hochebene. Es ist stellenweise mehr Kletterei als Wandern und ich bin jedem Ginstersträuchlein dankbar, dass mir Halt und Unterstützung bietet. Das ist die Art Weg, die ich viel lieber bergauf als bergab nehme.

Auf der Hochebene bekommt der mannshohe Ginster Unterstützung von seinem stachligen Freund, den nicht umsonst so genannten Stechginster. Wir kämpfen uns durch das Gestrüpp, Sichtweite nur ein paar Meter, dafür wildromantisch treibende Nebelschwaden, einfach wunderschön.

Kurz vorm Wanderparkplatz geht rechts ein Weg ab, zum 100 Meter höher liegenden Aussichtspunkt Bica da Cana.

Aussichtspunkt? In dem Nebel?

Haben wir uns geschenkt.

Die Diät-Levada

Ich hätte da noch ein paar alternative Titel wie:

Die Wollen-wir-das-wirklich?-Levada

oder

Die Da-müssen-wir-durch???-Levada

oder

Die Du, ich hab‘-solch-einen-Knoten-im-Magen-das-ist-eine-Diät-Levada

oder

Die Habe-ich-mehr-Angst-davor-zurückzugehen-oder-weiterzumachen?-Levada

oder

Die Halleluja-Da-vorne-gibt es wieder-Geländer-Levada

oder

Die Du-ich-glaube-wir-sind-durch-Levada

oder

Die Ich-bin-richtig-stolz-auf-uns-Levada

Auch bekannt als Levada Nova da Lombada

Das wichtigste Zahlungsmittel Madeiras

Die gute mit der schlechten Nachricht: nicht wir sind abgestürzt, nur das Internet. Sozusagen. Eigentlich ist es noch da, das Internet, nur halt nicht in unserem Häuschen.

Wir sind nämlich umgezogen in diesem schönen Hotel, das heißt wie die Hündin unserer Nachbarin. Das erste Zimmer war sehr schön, Terrasse mit Meerblick, groß und hell, mit phantastischem Badezimmer. Aber da war dieser Tinitus, dieses nervige Geräusch andauernd, Mittelding zwischen Brummen und Zischen. Eine Pumpe? Be- oder Entlüftung? Jedenfalls sehr störend und ganz schlecht wegzuhören.

Nach einer Stunde haben wir nachgefragt, ob das abzustellen sei und nach zwei Stunden haben wir einen anderen Schlüssel bekommen. Zu einem kleinen Häuschen, nicht ganz so groß, sowohl Zimmer als auch Terrasse, aber ohne Brummen. Allerdings auch ohne Internet, da etwas abseits gelegen im Bananenhain. Ideal zum Entspannen, nach einer Wanderung.

Alsooooo, Monsieur hat sie gefallen, die Wanderung, besonders dass es eine Rundwanderung war, also nicht Levada rauf, Levada runter. Für mich fängt sie schon mal gut an: aus dem Auto, kaum die Wanderstiefel festgeschnürt, geht es steil erstmal anderthalb Kilometer, ein paar Hundert Höhenmeter stur den Berg hinauf, auf Asphalt. Mag ich überhaupt nicht, so etwas. Die Levada selber, die dann kreuzt gehört zu der gemütlicheren Sorte. Wir treffen bei der Plakette „Km 34,4“ auf sie. „Mit großem „k“, stöhnt Monsieur auf, „völlig falsche Einheit!“ Die nächste Plakette „Km 35,8“, zeigt uns, dass „unsere“ Levada heute schon deutlich mehr Kilometer zurückgelegt hat als wir. Der Weg direkt daneben ist ein netter Waldweg, wenn denn da Wald wäre. Wir laufen durch ein Gebiet, in dem vor zwei Jahren schwere Waldbrände gewütet haben. Farne überwuchern schon die schlimmsten Narben am Boden, aber die schwarzen Gerippe einstmals mächtiger Bäume, die gespenstischen schwarzen Äste verbrannter Gebüsche wirken sehr traurig. An manchen Stellen stehen die schwarzen Mahnmale in unmittelbarer Nähe von Häusern. Ich mag mir gar nicht vorstellen, welche Ängste die Menschen da ausgestanden habe.

Kurz nach „Km 39,6“ verlassen wir die Levada und es kommt eine weitere Nörgelstrecke auf mittäglich-heißem Asphalt, bergrunter bis zur Kapelle des guten Todes, den wir uns ja sicher alle wünschen, nur bitte schön nicht sofort, sondern lieber erst in weiter Ferne.

Die Kapelle bietet neben schöner Aussicht noch eine eher unerwartete Dienstleistung. Dazu muss man wissen, dass das wichtigste Zahlungsmittel auf Madeira das Fünzig-Cent-Stück ist.

Denn nur es erlaubt Zugang zu bestimmten Örtlichkeiten an bestimmten Örtlichkeiten. Mit dem mürrischen Herrn, der am Casa do Sardinha das Absperrseil fest- und die Hand aufhielt, hätte ich ja eventuell noch reden können, aber diskutiert mal mit einer Stahltür mit Münzeinwurf. Völlig überwältigend, wenn auch genauso unerbittlich, ist der Fäkaltempel unterhalb des Forsthauses Rabaçal. Im weiß gekachelten Vestibül erwartet dich ein Geldautomat, der Fünzig-Cent-Münzen – und nur genau die – annimmt. Dafür spuckt er ein Ticket mit Barcode aus, den du dann im nächsten Schritt an einem Drehkreuz scannen musst. Erst dann eröffnet sich der Weg zu den ersehnten Örtlichkeiten.

Nach diesen Erfahrungen stehen wir etwas verblüfft vor dem grauen Häuschen unterhalb der Kapelle. Eine Tür rechts, eine Tür links – und alles kostenfrei. Soviel Großzügigkeit ist man von der katholischen Kirche eher nicht gewohnt. Monsieur will sich erkenntlich zeigen und sucht alle – bis dato nicht einsetzbaren – kleinen Münzen zusammen für den Opferstock. „So wandert es sich viel leichter“, sagt er zufrieden, als er den Geldbeutel wieder einsteckt und mir ist nicht so ganz klar, worauf er sich nun genau bezieht.

Der Weg läuft auf rotsandigen breiten Waldwegen mit Ausblicken aufs Meer und auf die alten Terrassenmauern, die immer noch erahnen lassen, welche Mühe und Arbeit in ihnen stecken.

In dem Moment aber, in dem wir auf das kleine Dorf stoßen, verbimst er leider wieder mein Wohlwollen mit seinen steilen Straßen erst ins Tal und dann wieder hoch zum Ausgangspunkt. Es ist heiß, es ist steil, es ist bergauf – und weit und breit kein Café in Sicht.

Ganz schlechte Streckenführung, das!

Warnung!

Diese Wanderung ist für Personen über 165 cm Körpergröße nur bedingt geeignet.

Ich bin ganz begeistert über die Vielfalt, die die Levada-Wanderungen bieten. Jeden Tag sturheil an einem Bächlein entlang zu trappsen, das kann ja schnell mal langweilig werden. Deshalb bietet jede Levada ihre Eigenheit: vorgestern ein bisschen Dramatik, gestern die Blumenpracht und heute ist es der Märchenwald. Alte knorrige Bäume lehnen sich schattenspendend quer über Bächlein und Weg, bizarr geformt durch Wind und Wetter. Wunderschön verwunschen und geheimnisvoll, nur eben nicht unbedingt für den etwas größeren Wanderer ausgelegt.

Was diese Levada außerdem von anderen unterscheidet, ist die Tatsache, dass „man“ auf 1300 Meter Höhe parkt und dann etwa zwei Kilometer und 300 Höhenmeter ins Tal steigt, wo man auf das Forsthaus Rabaçal trifft. Wollten wir uns sparen und ein paar Kilometer vorher an der ER211 parken, um durch den „Reitertunnel“ zum Forsthaus zu kommen. Durch diesen 900 Meter langen, hohen Tunnel zu laufen erschien mir spannend, die gesparten Höhenmeter habe ich mal unterschlagen. Nur ist die ER211 gesperrt (mit Baustelle, wirklich unpassierbar, selbst für Fahrer aus Frankreich), da müssen wir kurzfristig umdisponieren.

Nun ist die steile Straße zum Forsthaus aber erst der Anfang. Weil wir doch unbedingt diesen Tunnel sehen wollen, nehmen wir den linken Weg zur Levada, etwas länger, aber das ist es uns wert, denke ich da noch. Auf einer der nachfolgenden 500 ausgelatschten Treppenstufen (500? Ganz ehrlich? Bei 375 habe ich aufgehört zu zählen und da lagen noch einige vor mir) geht mir irgendwo der Spaß am Laufen verloren. Wahrscheinlich, weil mir nur zu klar ist, dass ich die alle irgendwann wieder hochsteigen muss.

Einmal unten angekommen, stehen wir nach ein paar Hundert Metern vorm Tunnel: gesperrt. Es hat halt nicht sein sollen. Natürlich laufen wir aus reinem Trotz ein paar Schritte weit hinein, drehen aber doch recht schnell wieder um.

Und beginnen die eigentliche Wanderung entlang der Levada des 25 fontes. Was hatten wir nicht alles gelesen dazu. Überschwängliches wie: absolutes Must, die Top-Wanderung, unumgänglich, aber ebenso Hasstiraden auf die völlig überlaufene Strecke. Horrorstories von Todesstürzen beim Ausweichen, von Reiseleitern, die hektisch mit zackig gebrüllten Befehlen das Tal erfüllen oder von einer von Wandergruppen „zugeparkten“ Levada, weil Omi an der engsten Stelle zehn Minuten braucht, um das Blümchen zu fotografieren oder Opa all seinen Rentnerkollegen am Engpass irgendetwas Offensichtliches zeigen und erklären muss. Für mich der absolute Höhepunkt des Levada-Bashings ist die TripAdvisor-Kritik eines sprachlich wohl nicht sehr trittsicheren Amerikaners, der die ganze Wanderung als einen „rip off“, reinsten Nepp, bezeichnet, weil es am Ende noch nicht einmal einen „fountain“ gäbe, geschweige denn 25 davon.

Ich finde die Wanderung – nachdem meine Freude am Laufen wieder da ist – verwunschen schön.

Ja, es sind einige Menschen unterwegs, aber keinesfalls Horden. Die wenigen Gruppen, denen wir begegnen, sind unter 12 Personen stark und bis auf den einen amerikanischen Führer alle eher ruhig unterwegs. Da sind die vereinzelten Handy-Künstler schon deutlich störender.

Ja, es ist stellenweise sehr eng, aber immer gut gesichert. Wenn wir an Engpässen die anderen kommen sehen, dann warten wir halt an der breiteren Stelle, bis sie durch sind. Wenn das nicht möglich ist, weicht man so gut es geht aus. Wie der junge Mann, der beherzt auf den 60 cm hohen Levadarand springt, um uns durchzulassen, von seiner Freundin mit Ausrufen der Bewunderung unterstützt. Monsieur, der das Gleiche, allerdings mit etwas mehr Ächzen, ein paar Engpässe weiter vollbringt, ist sehr enttäuscht, als ich nicht die entsprechenden Laute produziere.

Wir kommen also mit sehr viel, sehr höflichen obrigadas und de nadas weiter, bis zum dann doch sehr überlaufenen Bergsee – sehr kurze Pause – und dann bis zu der Stelle, wo es wieder hochgeht zum Forsthaus. Das ist der kürzere, der einfachere Weg, der, der es auf nur 300 Stufen bringt. Ich bin schon wieder am Schimpfen über diese „flachen“ Levada-Wanderungen, da landet ein kleiner Fink drei Stufen vor mir auf der Treppe. Legt den Kopf schräg, schaut mich an und hüpft eine Stufe höher. Wartet auf mich und hüpft wieder höher. So lockt er mich Stufe für Stufe weiter, bis ich dann doch stehen bleiben und ein bisschen Luft schnappen muss. Da fliegt er weg, wahrscheinlich auf der Suche nach jemandem, der seine Hilfe nötiger hat.

Oben angelangt, geht es fast eben an einer kleinen, sehr faulen, fast stehenden Levada zum Risco-Wasserfall, der ein prächtiges Schauspiel bietet. Die Levada und ihre Tunnel verlaufen dahinter. Bevor wir uns ein bisschen fürchten können, sehen wir zum Glück, dass der Eingang zum Tunnel mit einem massiven Gitter versperrt ist.

Der Rückweg zum Forsthaus Rabaçal ist dann doch nicht so eben, wie Monsieur mir weismachen will, aber die paar Hundert Treppenstufen ziehe ich dann noch durch, reine Sturheit.

Da wir weder Bären noch Schlangen wollen, gehen wir links, wo dann Quiche und Joghurttorte angesagt sind.

Dann bleibt nur noch auf den Shuttle-Bus zu warten. Der fährt die steilen Kilometer bergauf für zwei Euro pro Person.

Dafür laufe ich die doch nicht!

Die heiter-verspielte Levada

Heute kommt das Kontrastprogramm zum doch stellenweise recht dramatischen Weg gestern.

Die Levada de Ribeira Janela gibt sich auf den ersten Kilometern als heiteres, blumengeschmücktes Band. Hortensien nicken uns von links zu, Agapanthen auch mal von der rechten Seite der Levada. Rosa Passionsblumen häkeln sich die Wände hoch und kleine Überlebenskünstler klammern sich in Felsspalten.

Dazu bietet sie wunderschöne Ausblicke auf die gegenüberliegenden Hänge mit ihren Weinterrassen. Immer mal wieder sieht man auch das Meer im Hintergrund. Wir kommen nur langsam voran, zu vielfältig ist die Blumenpracht und sind damit die Fotomotive rechts und links.

Ich behalte ein bisschen mein Fitbit im Auge, denn die Levada spielt vom Anfang an ein Rätselspiel mit uns. Eigentlich ist sie gesperrt. CAUTION PERIGO steht auf einem großen gelben Schild, bezeichnenderweise erst auf Englisch, dann auf Portugiesisch, und darunter eben, dass die Levada gesperrt sei.

Nun kommen wir aus Frankreich, einem Land, in dem eine Straßensperrung meist als freundliche Herausforderung angesehen wird nachzuschauen, ob man nicht doch irgendwie… Wäre auch jetzt und hier mein erster Ansatz gewesen, zumal auf dem Schild handschriftlich und dreimal korrigiert steht, dass sie nach 1,5 km, nach 3,5, nach 4,5 km gesperrt sei. Was gilt denn nun? Es sieht doch fast so aus, als ob die Levada uns zum Spiel herausfordert. Fischer, Fischer, wie weit dürfen wir gehen? Schon allein, um das herauszufinden, müssen wir da jetzt durch.         

 

Nach anderthalb Kilometern kommt von der Hangseite ein breites Zementgebilde, das wie eine überdimensionierte Schütte aussieht, fünf, sechs Meter lang, abschüssig, um das Wasser eines jetzt trockenen, kreuzenden Baches abzuleiten. Gut, es ist abschüssig, ohne Geländer, aber auch über zwei Meter breit, das kann es ja wohl nicht gewesen sein.

Geländer ist hier auch eher heiter-verspielt, mal ist es da, mal nicht. Meist besteht es aus einem dünnen Draht, gespannt zwischen windschiefen Pfosten, eigentlich mehr Psychologie als wirklicher Schutz. Verrostete Maschinen stehen am Wegesrand neben schrägen Pfosten. Es sieht alles aus nach: Das machen wir nächstes Jahr – und das seit 20 Jahren.

An einer Stelle allerdings ersetzt ein neuer Holzzaun die alte Psychologie und da grinst die Natur nur, denn alle Holzpfosten haben schon ausgeschlagen und tragen grünen Blattschmuck.

Nach dreieinhalb Kilometern wird es nass und rutschig, da müssen wir unter einem kleinen Wasserband hindurch. Wir laufen auf den breiten Platten, die hier die Levada abdecken, da ganz offensichtlich – aus welchem Grund auch immer – das Wasserfallwasser in der Levadarinne unerwünscht ist. Ja, ist etwas ungemütlich unter dem Wasser zu laufen, aber wenn man die Wahl hat zwischen ein bisschen nass zu werden oder ein bisschen abzustürzen, ist es ganz einfach zu wählen. Das kann es auch nicht gewesen sein.

Den wahren Grund finden wir tatsächlich nach viereinhalb Kilometern. Durch den Wasserfall trauen wir uns noch – wir haben ja jetzt die Erfahrung. Das nächste Stück Levada-Rand beäugen wir schon sehr skeptisch. Die diesseitigen Metallpfosten lehnen trunken in den Wind, der Draht ist weg und ein paar Schritte weiter ist dann Schluss für uns. Der Levada-Rand ist zur Hälfte weggebrochen, die Pfosten baumeln am jenseitigen Draht ein paar Meter weiter unten in der Luft. Auf nassem, rutschigen Grat, kaum zwanzig Zentimeter breit, zu balancieren, das ist dann doch ein bisschen zu viel Abenteuer für unseren Geschmack.

„Wir drehen um!“, sagt Monsieur und ausnahmsweise widerspricht seine Frau ihm nicht.

Fischer, Fischer, wie weit dürfen wir gehen? Nun ja, soweit, wie ihr euch traut…

Abenteuerspielplatz

Gestern, zum Nistplatz der Luftwaffe, da ging die Luftwaffenstraße in ordentlichen Serpentinen hoch auf 1800 Meter. Das kennen wir aus den Alpen, das können wir. „Normale“ Sträßchen in Madeira betrachten Kurven als völlig überflüssig und streben schnurstracks den Berg hoch, im senkrechten Winkel zu den Höhenlinien und ebenso – gefühlt – senkrecht nach oben. Unser kleines Mietauto ist ein bisschen schwach auf der Brust, so rührt Monsieur meist in den ersten beiden Gängen herum. Gelegentlich packt uns die Angst, dass der kleine Wagen mit einem Seufzer aufgibt und wir einfach nur noch rückwärts wieder bergrunter rollen.

Diese winzigen Straßen werden gesäumt von einem Feuerwerk an Blumenpracht. Von rechts und links nicken Agapanthen in blau und weiß, unterstützt von den Schneebällen weißer Hortensien, überschattet von den Blütenkerzen des Natterkopfes. Ein Fest für die Augen, Abblenkung vom Steigungswinkel des Sträßchens vor uns, das uns zum Wanderparkplatz – „Bist du dir da ganz sicher?“, fragt Monsieur mehrmals – führen soll. Nach dem winzigen Sträßchen ist der riesige Parkplatz, mit offener Schranke und Leuchtschrift „libre“, eine große Überraschung.

Wir sind nicht die Ersten und schon gar nicht die Einzigen, die ihre Wanderschuhe anziehen. Zwei Wege starten hier, einer die „Levada für alle“, ein breit angelegter, Kinderwagen-geeigneter Spazierweg und der andere unser Abenteuerspielplatz für heute, die Levada Caldeirão Verde. Im 18. Jahrhundert aus dem Felsen geschlagen, lässt sie uns heute staunen – und gelegentlich erschaudern – ob des schieren Durchhaltevermögens, das solch ein Projekt erforderte.

Der Anfang ist englischer Parkweg vom feinsten. Breite Waldwege, über die Jahrhunderte alte Baumriesen das Netz ihrer knotigen Wurzeln weben, wunderschön. Es wird zunehmend enger und dann kommt, was Levada-Wandern etwas speziell macht. Wir kleben an der nackten Felswand. Links das Bett der Levada, über uns der gewölbte Fels, aus dem es gehauen wurde und rechts ein paar Hundert Meter nichts. Dazwischen ein Stahlseil, gespannt zwischen grünen Pfosten. Das Nichts ist hübsch begrünt mit Orchideen und Farnen, aber nichtdestotrotz sehr beeindruckend leer. Der Steg der Levada ist etwa 35 Zentimeter breit, gerade weit genug, um zwei Füße (Schuhgröße 41, zugegebenermaßen) nebeneinander zu setzen. Auf den Teilstücken, an denen ein Pfad neben der Levada verläuft, laufen wir auf dem Rand, ohne Probleme und ohne Schaudern. Aber da, wo das Geländer andeutet, dass nur es zwischen uns und Hunderten von Metern Nichts ist, da sind wir doch ganz dankbar für diese psychologische Unterstützung.

Aber die Strecke bietet noch mehr Abenteuerspielplatz. Etwa in der Mitte des Weges kommen die Tunnel. Man solle eine Taschenlampe mitnehmen, war der erste Tipp. Damit das Tunnelabenteuer etwas lustiger wird, steht in den Tunneln Wasser. Manchmal nur kleine Pfützen, manchmal große Pfützen und manchmal weiß ich nicht, wie tief das Wasser ist. Das ist nämlich der zweite Tipp: die Lampe nicht auf die Füße richten.

Damit das Tunnelabenteuer noch spannender wird, variiert nämlich die Deckenhöhe, von bequemen zwei Metern Höhe auf knappe 1,60m und allem, was so dazwischen liegt. Natürlich ohne Vorwarnung, weshalb man die Lampe auf die Decke richten soll, um alle kantigen Felsvorsprünge rechtzeitig zu sehen. Wir kommen unbeschadet durch, aber beim Rückweg sehe ich an einer Felsnase ein Büschel Haare kleben. Das tut schon vom Hinsehen weh.

Zuviel Abenteuerspielplatz sind die zwei Wasserfälle, die die Levada kreuzen. Im donnernden Wasserfall auf glitschigen, moosüberwachsenen Steinen zu balancieren, das traut uns – zum Glück – niemand zu. Da gibt es dann kleine „Umleitungen“, die eine über 52 Treppenstufen (der größte Höhenunterschied für heute) rauf und runter durch das Bachbett unterhalb des Wasserfalls, die andere eine bequeme kleine Brücke über den Bach. Apropos Brücke, die gibt es auch für das Wasser. An einer Stelle führt eine „Wasserbrücke“ das Levada-Wasser quer über einen anderen Bach. Wie gesagt, man kann nur bewundern, welche Mühe und Arbeit in diesen Wasserleitungen steckt.

Nach gut zwei Stunden sind wir am Ziel, dem „grünen Kessel“ mit Bergsee und Wasserfall. Aus der Ferne sieht es aus wie der Brutfelsen einer Vogelkolonie. Auf jedem Felsvorsprung hockt ein Wandervogel (oder natürlich auch eine Wandervogelin), die Beine ausgestreckt, das Gesicht der Sonne zugewandt. Die meisten mampfen fröhlich etwas Mitgebrachtes und genießen glücklich und still das majestätische Schauspiel. Bis irgendein Idiot seine Drohne auspackt und alle anderen damit nervt.

Der Rückweg ist vorgegeben, aber trotzdem spannend und anregend. Die Ausblicke auf das Tal sind anders, das Licht fällt im anderen Winkel auf die schroffen Spalten der Vulkanberge. Was gleich bleibt, ist die musikalische Untermalung. Die Levada selber fließt so gleichmäßig und still, die hört man kaum. Aber die Wasserharfe der aus den moosgrünen Hängen fallenden Tropfen bildet eine stete Begleitung, gelegentlich schwillt sie an, wenn wir unter einer kleinen willkommenen Dusche durchmüssen. Die Wasserfälle steigern dann das sanfte Lied zu einem mächtigen Crescendo.

Es geht uns richtig gut, als wir wieder zum Parkplatz zurückkommen, wo wir mit Erstaunen sehen, dass nun die Schranke geschlossen ist und Autofahrer Parktickets in die Säule stecken. Ein „Parkranger“ sieht unser Problem und winkt uns in sein Office. Bis 12 Uhr sei der Parkplatz kostenfrei, ab Mittag müsse man bezahlen, meint er und händigt uns ein Ticket für die verbleibende Zeit aus. Was er nicht sagt, was aber deutlich in der Luft steht, ist, dass echte Wanderer natürlich so früh losgegangen wären, dass sie vor zwölf Uhr schon wieder zurück wären.

Das haben wir uns jeden Morgen überlegt, aber bis jetzt war es immer so kalt gewesen, dass uns zehn Uhr immer noch früh genug erschien.

In unserem heutigen Hotel angekommen – mit beheiztem Pool, eine Wohltat für müde Muskeln – wird uns mitgeteilt, dass Corona-bedingt Frühstück in zwei Schichten serviert wird und der frühe, der Acht-Uhr-Termin schon ausgebucht sei.

Sieht so aus, als ob das morgen wieder nichts wird mit dem früh loskommen.

Glück gehabt.