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ետ նայել yet nayel

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Das versteht man, selbst wenn der Kopf in den Sternen ist

Unser letzter Tag fängt an mit Astrophysik. So etwas kann passieren, wenn die Reisebüro-Chefin vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion selber Astrophysikerin war. Ein Astronom führt uns durch das Byurakan  Astrophysical  Observatory am Hang des Aragat, zeigt uns das Haus des Begründers Victor Ambartsumian. Wir sehen seine Preise und Medaillen, bewundern das schöne Haus und geben vor den Familienfotos die entsprechenden Geräusche von uns. Da die großen Teleskope computergesteuert und für uns bei Tage uninteressant sind, endet die Führung am kleinsten und ersten Teleskop von 1947. Erst müssen wir an ein paar in der Wand eingelassenen Eisenstufen hochklettern, dann wird von Hand ein Blechdach weg geschoben und schließlich das Teleskop in Position gekurbelt. Wenn es im Betrieb auf einen Stern ausgerichtet war, musste es natürlich dessen Bahn folgen. Dazu wurde im Fuß eine Feder aufgezogen, die dann ablief und das Teleskop bewegte. Das ganze wirkt wie ein riesiges mechanisches Aufziehspielzeug.

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Auf dem Rückweg nach Yerewan meint Soren, wir wären jetzt reif dafür. Wir hätten so viel Grandioses und Schönes gesehen, dass wir stark genug wären für das scheußlichste Haus in ganz Armenien. Erbaut von einem russisch-armenischen Oligarchen, mit erheblich mehr Geld als Verstand und Geschmack. Das Haus ist in zwischen so berühmt-berüchtigt, dass Touristenbusse davor halten, die Menschen aussteigen und sich halb schief lachen. Dem Oligarchen ist es dadurch gründlich verleidet, er bewohnt es nicht mehr. Einzige Bewohner sind die Sicherheitskräfte, deren alleinige Aufgabe es ist, die Busse zu verscheuchen. Auch wir, auf der anderen Seite der Straße, können uns das Lachen nicht verkneifen, zumal Soren meint, die Plastiken wären eben genau das: aus Plastik. Es ist kaum vorstellbar, dass der Oligarch tatsächlich einen Architekten für seine Pläne gefunden hat. Die einzige Möglichkeit, die ich mir vorstellen kann, ist, dass sich ein Architekten-Freundeskreis mal im halbtrunkenen Zustand den Spaß gemacht hat, alle nur möglichen Scheußlichkeiten und Geschmacksverwirrungen aufzulisten. Als sie dann aus dem Lachen und Erschaudern herauskamen und mit Erleichterung feststellten, dass das alles wohl nie wahr werden wird, sagte einer dann nonchalant: „Ooooch, also, ich kenne da jemanden, der wäre durchaus …“

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Natürlich endet unsere Armenienreise nicht mit dieser Scheußlichkeit sondern mit einem Besuch im Matenadaran, dem Mesrop-Maschtoz-Institut für alte Manuskripte. Unsere Führerin erklärt in exzellentem Deutsch nicht nur die kunsthistorischen Schwerpunkte, sie bringt auch überraschende Fakten. Ich wusste bisher nicht, dass Knoblauchsaft ein hervorragender Klebstoff für Blattgold ist. Könnt Ihr Euch die Gerüche in dem 5.-Jahrhundert-Skriptorium vorstellen? Wir sehen Bibeln, deren „Inhaltsverzeichnis“ in Spalten durch Säulen getrennt und unter Türbogen angeordnet ist, das Titelblatt somit fast wörtlich die Haustür zum Buch. Bei all der exquisiten Schönheit öffnet sie uns aber auch die Augen für das unendliche Leid, dass diese Bücher gesehen haben müssen. Fast alle Bücher sind unter großen persönlichen Opfern bei Vertreibungen, durch eine Flucht oder über den Genozid gerettet worden. Das erklärt, dass alle Mitarbeiter eine tiefe persönliche Beziehung zu ihren Exponaten haben. Die wahren Schätze lagern unter optimalen Bedingungen in einem erdbebensicheren Raum. Die Exponate dürfen maximal drei Monate lang den weniger optimalen Bedingungen der Besucherräume ausgesetzt werden. Manchmal auch deutlich kürzer. Denn der Chef der Ausstellung schaut jeden Morgen vor der Öffnung der Türen nach, ob – so erklärt sie wörtlich – seine Buchfreunde sich dort immer noch wohl fühlen.

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Zum Abschluss unserer Reise möchte unsere Reiseveranstalterin uns persönlich kennen lernen. Sie lädt uns deshalb zum Essen ein. Wir hätten es gerne umgekehrt gesehen, aber sie besteht darauf, das sei schließlich ihr Land, ihre Stadt.

 

Jetzt heißt es nur noch Wecker stellen und nicht verschlafen. Um zwei Uhr morgen früh holt uns Soren zum letzten Mal vorm Hotel ab.

Könnte vielleicht einer von Euch um halb zwei mal kurz durchklingeln? Nur um ganz sicher zu sein…

 

 

Alles Zufall?

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Manchmal muss ein Tourist tun, was ein Tourist tun muss. In unserem Fall gleich zwei Monumente zum armenischen Alphabet besichtigen, beide ganz neu, beide offensichtlich emotional hoch belegt. Der Erfinder des Alphabets, Mesrop Maschtoz, entwickelte die Zeichen um 400, um eine Bibel in armenischer Sprache in armenischen Schriftzeichen zu schreiben. Dann gab es ein paar Änderungen, aber der Großteil der heute benutzten 39 Buchstaben geht auf dieses alte Alphabet zurück. Ein amerikanischer Sponsor hat eine Gedenkstätte errichten lassen zum 1600. Geburtstag. Da stehen die Buchstaben nun etwas verloren auf einem Hang in der Landschaft, das „a“, das wie unser u und das „t“, das wie unser s aussieht, erkenne ich wieder. Dann deutet Soren auf zwei Buchstaben, sozusagen Seite an Seite, ganz eng nebeneinander, das Äquivalent für Paonias „P“ und Monsieurs „M“, ach, ist das romantisch.

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Interessanterweise haben die Armenier keine alten Zahlzeichen, es gelten die Plätze im Alphabet. Bei uns wäre dann A=1, B=2, C=3, wie bei den „super geheimen“ Geheimschriften, die wir als Kinder so gerne für Botschaften benutzten, wobei der 11. Buchstabe für 20, der 12. für 30 usw steht. Und hier wird es nun wirklich verblüffend: Nimmt man zum Beispiel für den armenischen Begriff für Gold die Positionen der Buchstaben im Alphabet und addiert sie auf, erhält man genau die Ordnungszahl und damit den Platz des Elements Gold im Periodischen System der Elemente, das Dmitri Mendelejev 1869 veröffentlichte. Und das funktioniert auch mit den wichtigsten der damals bekannten Metalle wie Silber, Kupfer, Quecksilber oder Blei.

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Monsieur schmunzelt – Zufälle gibt es! -, aber Soren ist nicht so ganz vom Zufall überzeugt, schreibt es dem Genie des großen Mesrop Maschtoz zu, weshalb wir nun auch dessen Grab in der etwas nichts sagenden modernen Kirche von Oschakan besuchen müssen. Wir betreten den Komplex und Soren bleibt wie angewurzelt stehen, läuft dann etwas hektisch um einen Aprikosenhain und jammert: „Aber sie waren immer hier!“ Es stellt sich heraus, dass im Aprikosenhain 39 Kreuzsteine in Form der Buchstaben standen und das Ganze ein beliebter Platz für Sonntagsausflüge mit pädagogischem Anspruch war. Und nun ragen nur nach rostige Eisenträger aus Betonsockeln. Soren ist wirklich untröstlich. Zum Glück ist er ja der Landessprache kundig und erfährt bald, dass man – um den Hain vorm Besucherandrang zu schützen – die Kreuzsteine außerhalb des Komplexes aufgebaut hat. Nicht halb so idyllisch wie im Schatten der Bäume, aber nach wie vor sehr beliebt, wie die anwesenden Schulklassen beweisen.

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Aber natürlich gibt es auf unserer vorletzten Tour auch noch zwei wunderschöne Klosteranlagen, wildromantisch am steilen Schluchten gelegen, die eine mit halb verblassten Fresken, die andere mit sehr elaborierter Bauplastik. Die alten armenischen Bildhauer hatten so eine leicht subversive Ader – oder waren frühe Feministen. In der Dreifaltigkeitsdarstellung tritt neben dem Vater und dem Sohn die Taube als der Geist auf, wie in Europa auch oft. Nur ist hier die Taube aus anderen Darstellungen schon besetzt als das Tier Mariens und dadurch als Symbol der Weiblichkeit. Wenn man das jetzt zu Ende denkt, ergeben sich wunderschöne theologische Gedankenspiele.

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Das seit zwei Tagen angekündigte schlechte Wetter kommt nun langsam zur Sache, graue Wolken ziehen sich zusammen. Und so sind wir gar nicht traurig, dass unser heutiges Pensum am frühen Nachmittag beendet ist und Zeit für Faulsein am Swimmingpool bleibt. Monsieur wagt sich sogar an den Outdoor-Pool, wird aber vom konstanten Baulärm auf dem Nachbargrundstück schnell vertrieben. Ich, ich gebe mir noch nicht mal die Mühe, so zu tun, als ob ich das in Erwägung ziehe. Kalt wird mir nächste Woche früh genug, wenn ich so den Wetterbericht von zuhause betrachte.

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Erzengel haben es auch nicht immer leicht!

Oppa erzählt vom Kriech

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Monsieur und Soren tauschen Erinnerungen aus. Klingt ein bisschen wie “ Oppa erzählt vom Kriech“. Es ist etwa zwanzig Jahre her, dass Monsieur zum ersten Mal nach Armenien flog – und es fast nicht schaffte. Das Flugzeug musste in Tiflis notlanden, weil die Airline schlichtweg nicht genug Devisen hatte, um den Flieger in Genf vollzutanken. Die Konferenz fand auf dem Aragat statt, in einem Forschungszentrum der Universität Yerewan. Die Bedingungen müssen hart gewesen sein: Jugendherbergskomfort mit Sammelduschen, die aber nur mit kaltem Wasser, das ganze im April bei winterlichen Verhältnissen auf 2400 m Höhe. Tagsüber wurde diskutiert und abends gab es Wodka als Frostschutzmittel. Soren lacht und steuert seine Geschichte bei: Er war mit einer seiner Outdoor/Offroad-Gruppen im Juni auch auf dem Aragat von einem Schneesturm überrascht worden und konnte sich mit Müh und Not in eine Art Schullandheim retten. Dort waren sie zwar vor dem Zorn des Wetters sicher, nicht aber vor dem der Herbergsleiterin, die ihnen mit barschen Ge- und Verboten das Leben so schwer machte, dass Soren nur von „Sowjet style jail“ spricht. Ich finde diese Geschichten sehr ermutigend, denn wir sind genau auf dem Weg dorthin. An den Hängen des Aragat sollen wir unsere letzten Tage in Armenien verbringen. Zwar verspricht die Hotel-Homepage Pool und Spa, aber ich habe in den letzten Wochen gelernt, wie trügerisch Internetbilder sein können. Diesmal ist es umgekehrt, das Hotel hält mehr als es verspricht. Zwar entgeht mir nicht die feine Ironie, dass keines der Häuser, in denen wir bei Temperaturen von 30° bis 35° übernachteten, einen Pool hatte, dieses hier dafür bei 14° mit einem Outdoor-Pool lockt. Und Liegestühlen. Wenn die jetzt noch bunte Cocktails mit Schirmchen servieren – würde ich mich trotzdem nicht da hinlegen wollen – brrrrr. Bleibt zum Glück das Hallenbad mit Sauna. Aber erst nach der Wanderung.

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Soren fährt uns hoch zum Kari-See auf 3100 m. Monsieur kennt das Physik-Institut hier, heute mit kosmischer Strahlung befasst, noch aus alten Zeiten. Von dort wollen wir – halt, nein, will Monsieur zum Kraterrand des Aragat hochsteigen. Mit dem einfachen Argument, dass er schauen möchte, wie es auf der anderen Seite aussieht. Eine knappe Stunde, bis 3280 m, halte ich mit, in strahlendem Sonnenschein, aber eisigem Wind. Die weiteren 124 Höhenmeter schenke ich ihm. Wörtlich. Wir haben nämlich heute 36 Jahre Liebe, Respekt, Sturheit (wenn auch nicht immer in dieser Reihenfolge) und haben gelernt, dass man nicht immer alles zusammen tun muss. Monsieur freut sich, dass er weiter bergauf stapfen darf, ich freu mich, dass ich bergab stapfen darf.

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Allerdings nicht ganz, denn ich wähle mir meinen eigenen kleinen Gipfel. Der ist schon ein bisschen gespenstisch mit seiner Kombination aus armenischen Kreuzen, einem Turm mit Glöckchen, darunter eine eisenbeschlagene Kiste mit Gebetbüchern und Heiligenbildchen. Und drum herum Dutzende von Steinpyramiden, von ganz kleinen bis zu über vier Meter hohen. Meine Phantasie scharrt schon wieder mit den Hufen und kaut am Zügel. „Schamanen“, flüstert sie mir zu, „uralte geheiligte Stätte, geheime Rituale, Opfer, Feuer…“ Meine Vernunft klopft ihr beruhigend auf die Flanken. „Sommerstudenten“, hält sie dagegen, „Langeweile…“ und „Was soll man hier oben denn sonst tun?“ Trotzdem ist es schon ein sehr spezieller Ort und ich freue mich, diesen kleinen Umweg genommen zu haben.

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Monsieur und Soren kommen zurück, voller Begeisterung über den riesigen Kraterschlund, der sich ihnen eröffnet hat.

Amberd, Burg und Kirche, sind dann so etwas wie touristisches Pflichtprogramm im Anschluss. Es drängt uns nicht wirklich, aber wo wir halt schon mal hier oben sind und es im Auto nach dem eisigen Wind so gemütlich ist…

Also, das ist die Kirche

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und wenn Ihr Euch jetzt mal umdreht…

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Zurück im Hotel gibt es natürlich Sauna und Schwimmbad. Nachher ein romantisches Abendessen und dann schauen wir mal, was der Tag sonst noch so bringt…

 

 

 

 

Ganz ungeschickt, das

 

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„Was heißt das?“, frage ich und deute auf den Stern auf meiner Landkarte. „Kaputte Karawanserei“, übersetzt Soren. Ganz ungeschickt, das, großer Fehler. Denn jetzt will ich da natürlich hin, Seidenstraße und so. Soren überlegt hin und her und wir schließen einen Deal: ich darf dahin, aber er entscheidet, wie weit er fährt. Und wenn er beschließt, der Weg ist zu schlecht, darf ich nicht quengeln und drängeln. Dafür darf er, falls wir hinkommen und das ganze sich als simpler Erdhügel in der Landschaft entpuppt, „I told you so!“ sagen.

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Der Feldweg, den wir mit Hilfe von Monsieurs Lebensgefährtin finden, ist auch nicht schlimmer als das, was wir inzwischen als „normal schlechte“ Straße klassifizieren. Und dann kommt das Bonusmaterial. Ein Löcherstein, einsam auf einem Feld. Dahinter, auf einem Busch ein Adler, der sich erhebt und eine Meinungsverschiedenheit mit einem Kollegen austrägt. Zwei Falken, die rüttelnd über einem Feld stehen. Noch mehr Adler. Schließlich rechts etwas, das vielleicht, möglicherweise, eventuell… dann doch nur Felsen sind.

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Aber dann ist sie da, rechts die „Kaputte Karawanserei“, die ihrem Namen auf’s Schönste entspricht, links eine Yurte und drumherum ganz viel Gegend. Wir klettern in dem halbzerfallenen Gemäuer herum, identifizieren die Lagerplätze für Mensch und Tier, erhalten an der abgebrochenen Mauer einen interessanten Einblick in die Bautechnik, strolchen noch ein bisschen im Gelände umher und versuchen aus Mauerresten Nebengebäude hochzuziehen.

Der Eckstein mit wunderbar gearbeiteter Palmette zu meinen Füßen bittet mich förmlich ihn mitzunehmen. Ich würde ja auch soooo gerne, aber ich fürchte, dass das der armenischen Regierung nicht Recht wäre. Mal ganz abgesehen davon, dass Lufthansa einen solchen Basaltbrocken, wie wunderschön gearbeitet auch immer, nicht als Handgepäck anerkennen würde. Soren meint, er will mal in der Yurte vorbei schauen und kurz darauf hören wir wildes Hundegebell. „Hoffentlich fressen die nicht unseren Fahrer“, sinniert Monsieur, „dann haben wir ein Problem.“

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Weil wir Soren, den die Hunde natürlich nicht gefressen haben, etwas Neues gezeigt haben, will er uns nun auch noch etwas Neues zeigen. Wir fahren zurück auf die Hauptstraße und ein paar Kilometer weiter ab auf einer genauso schlechten, aber offiziell als Straße bezeichneten Ansammlung von Schlaglöchern hinab in die Vorotan-Schlucht. Dort liegt auf einem Felsvorsprung, mehr Burg als Kloster, Vorotnavank.

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Die Erklärtafel erzählt, dass dieses Kloster ein berühmtes Heilzentrum für Schlangenbisse war, was uns sehr beruhigt, denn wir streifen durch hohes, welkes Gras durch die Wohnbereiche und entlang der Burgmauer. Im Inneren hat nur ein Fresko das schwere Erdbeben von Anfang 1930 überlebt, das aber von mysteriöser Schönheit. Draußen, vor der Kirche gibt es die Grabsteine mit den typischen Dekoren. Sowjetstern, Hammer und Sichel auf den neueren, Pferde und Ritter auf den älteren, Weinflaschen und Gläser auf beiden.

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Hinter Yeghegnadzor biegen wir von der Hauptstraße ab und beginnen unseren Aufstieg zum Selimpass. Wir folgen – in etwa – der Route einer der alten Seidenstraßen. In Armenia gab es wohl ein ganzes Netz von hier zusammen oder auseinander laufenden Teilstrecken. Das in etwa bezieht sich auf ein paar mittelalterliche Brücken, die nun ein wenig verlassen neben der modernen Straßentrasse stehen.

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Kurz unterhalb des Passes liegt dann die Selim-Karawanserei, unser erstes offizielles Ziel für heute und nicht nur unseres. Gleich zwei deutsche Gruppen, ein großer und ein kleiner Bus, sind da. Der große fährt gerade ab, die paar Leutchen des kleinen Bus‘ lauschen andächtig ihrem Führer, so dass ich schnell alleine in die mächtigen Hallen schlüpfen kann. Schon ein bisschen anders als unsere niedliche kleine „Kaputte Karawanserei“. Aber die lag wohl eher an einer Nebenroute und nicht am wichtigsten Pass nach Yerevan.

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Auch unsere hat ja eine hübsche Inschrift gehabt, die wir leider nicht lesen können. Hier erklärt uns der Erbauer, er und seine Brüder, allesamt „schön wie Löwen“, dass er dieses Haus 1332 nicht nur zur körperlichen Ruhe der Reisenden, sondern vielmehr für den Seelenfrieden seiner Familie erbaut habe. Die Familie, die dieses Friedens so sehr bedurfte, waren die Orbelian-Fürsten. Weshalb Armenier es lieber hören, wenn die Selim-Karawanserei als Orbelian-Karawanserei bezeichnet wird. Das gleiche gilt für den Selim-Pass, der nun Vardenyats-Pass heißt, weil das armenischer klingt.

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Über welchen Pass auch immer klettert unsere Straße in umwerfender Berglandschaft auf 2400 m, um dann zum 1800m hoch liegenden Sevansee abzusteigen. Das ist aber nun der „Große Sevansee“, nicht der Kleine Sevansee, an dem wir vor ein paar Tagen in der Hängematte gefaulenzt haben.

Soren betrachtet uns inzwischen mit einer Mischung aus Skepsis und Verwunderung. Seitdem wir in Armenien sind, sind wir nun schon mehrmals durch zum Teil sehr heftigen Regen gefahren, auf dem Pass gab es kirschkerngroße Hagelkörner und vor Noratus fängt es schon wieder an zu regnen. Und das in einem Land, in dem von Mai bis Oktober kein Regen fällt. Eigentlich. Wie gesagt, Soren wundert sich sehr. Wahrscheinlich überlegt er, ob wir Opfer oder Auslöser dieses Phänomens sind. Der Regen ist uns egal, der damit einhergehende Temperatursturz von 29° auf 15° nicht. Aber das passt alles sehr gut zu Noratus, dem riesigen Gräberfeld mit seinen vielen hundert Steinen. Im Regen auf dem Friedhof, noch etwas, das Soren nicht nachvollziehen kann. Unsere Entdeckerfreude ist auch etwas gemindert und so beschränken wir uns auf den ausgeschilderten Rundweg. Die Kreuzsteine werden – bei aller meisterhaften Kunst im Herausschnitzen der Muster – schnell etwas langweilig. Viel spannender sind die „Wiegesteine“ mit den Alltagszenen in oft naiver, kindlicher Darstellung. Manchmal schwer zu erkennen durch Alter, Verwitterung oder Moos und Flechten, muss ich um sie herum gehen, von hier, von dort hinsehen, um überhaupt etwas zu sehen. Da ist ein Pferd (zuerst dachte ich ein Elefant), das einen Wagen schiebt. Da würde ich gerne die Geschichte zu hören. Oder eine Hochzeit auf einem Grabstein. Was mag da wohl passiert sein? Zu den absolut unfotografierbaren Steinen gehört der eines Bauern, der beim Pflügen abgebildet wurde und eines Edelmanns zu Pferde. Da der im 18. Jahrhundert die aufgeklärte Idee hatte, sein Dorf mit einer Wasserleitung zu versorgen, schnitt man eben diese in seinen Stein, mit den Röhren und Verteilern und Dichtungen.

Das ist doch mal ein Nachruf!

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Nicht der Wasserverteiler, aber sicher auch eine interessante Geschichte

 

 

 

Da könnten wir doch

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… 397, 398, 399 und wenn ich mich jetzt verzählt habe, muss ich alle 400 Treppenstufen wieder hoch und von vorne anfangen. Khndzoresk ist unser Ziel, eine Höhlenstadt, mal wieder, aber lauft nicht weg, diese ist anders. Der „normale“ touristische Ansatz ist es, die oben erwähnten 400 Stufen hinunter zu steigen, eine recht wackelige Hängebrücke zu überqueren, drüben in ein paar Höhlen zu schauen, noch einmal unter Aaah und Oooh über die Drahtgitter zu laufen und sich dann an die 400 Stufen aufwärts zu machen. Hört sich anstrengend an und ein bisschen langweilig. Während wir oben am Ausgangspunkt stehen, kommt mir eine andere Idee. Das Dorf auf der anderen Seite liegt wie eine Kartenskizze vor uns. Wir sehen die Häuser, wir sehen die Pfade, wir sehen einen befahrbaren Feldweg und auf der Hochebene etwas, das wie ein moderner Bauernhof wirkt. Da könnten wir doch… Ein bisschen Wandern, ein bisschen Entdecken und deutlich mehr Spaß als stur 400 Stufen hoch zu latschen. Monsieur ist begeistert und verblüfft. Dass ich freiwillig einen Berg hoch gehen mag, das hat er noch selten erlebt. Soren sieht das Ganze pragmatisch. Er weiß, wo er auf der anderen Seite hin fahren muss: „Bis in zwei Stunden dann!“

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Und so beginnen zwei magische Stunden im verlassenen Khndzoresk. Die Höhlen sind wohl schon seit Urzeiten bewohnt, das Dorf war eine Station der Seidenstraße. Im sehr liebevoll eingerichteten, aber winzig kleinen Museum – eben eine Höhle – am „Touristenende“ der Brücke sieht man neben Alltagsgegenständen auch Fotos von Anfang 1920. Kamelkarawanen vor Höhlenstraßenzeilen, Höhlenbehausungen mit russisch angehauchten Balkonen davor, eine alte Frau, die mit Hilfe  einer Strickleiter in ihre Höhle im „zweiten Stock“ klettert, Bilder, über denen eine wunderbare Stimmung  schwebt. In den 1960ern versuchte die sowjetische Regierung die Menschen aus Sicherheitsgründen umzusiedeln. Einige gingen, viele blieben. Als aber die wenigen später in das Dorf zurückkamen und von Wundern wie fließendem Wasser und Strom erzählten, brachen immer mehr Bewohner ihre Holzterrassen ab, um sie dann vor ihren neuen Häusern in Neu- Khndzoresk wieder aufzubauen.

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Die verzauberte Atmosphäre auf dieser kleinen Wanderung (knapp anderthalb Stunden, darin etwa 20 Minuten hin und zurück, weil ein Pfad vor der Canyonwand endet) braucht keine Worte. Genießt Monsieurs Bilder!

 

Spielplatz

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Fehlt nur noch, dass Monsieur mir ein Schäufelchen in die Hand drückt und sag: „Dann geh mal schön spielen!“ Wobei der Spielplatz eine riesige Wind umtoste Hochebene ist. Darauf ein paar „standing stones“ mit – vielleicht – Himmel-guck-Löchern und jeder Menge von Menschenhand geschaffenen Strukturen.

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Wir sind in Zorats Karer, dem Platz der Steinarmee, einer 4000 Jahre alten Begräbnisstätte.

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Für die einen. Für die anderen ist es Karahunj, der Stein-Henge, und ein 7000 Jahre altes Observatorium. Für die einen dienen die Löcher in den Steinen einfach zum Transport der Steine rund um einen – schon lange geplünderten – Steinzeitgrabhügel. Für die anderen ist der Hügel ein Tempel und die Löcher lenken natürlich die Sonnenstrahlen zu einem ganz bestimmten Tag zu einem ganz bestimmten Ziel. Zu den einen gehören Archäologen und Historiker, zu den anderen gehören namhafte Astrophysiker – und die gesamte armenische Tourismusindustrie. Zum Leidwesen der Archäologen wird der Ort inzwischen massiv beworben, aber nur minimalst geschützt.

Ich lasse die anderen Besucher, die Schulklassen und auch Monsieur hinter mir und streife durch das Gelände, weit weg vom Haupttrampelpfad entlang der Löchersteine.

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Gehe vor bis zum Rand der Hochebene und wage einen Blick in den Canyon darunter. Erkenne hier eine kreisrunde Struktur, ganz sicher ein uralter Sonnentempel, sehe dort zwei Mauern im rechten Winkel, bestimmt die Residenz des Sonnenpriesters. Entdecke da hinten zwei hochragende Basaltblöcke, ganz offensichtlich die Deckplatten eines Fürstengrabs, von Grabräubern aufgebrochen, um an die sagenhaften Schätze zu kommen. Und bin glücklich.

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Monsieur hingegen ist unglücklich. Nicht mit mir oder mit Zorats Karer. Mit der Seilbahn Tatev Wings. Soren bringt uns zur Bergstation und da stehen wir vor großen Plakaten, die nicht nur die Daten aus dem Guinessbuch der Rekorde (Längste Doppelseilbahn der Welt) verkünden, sondern auch, dass diese Bahn die 16 km mit 32km/h in zwölf Minuten zurücklegt. Und das macht Monsieur unglücklich, denn das geht nicht. Er rechnet und rechnet und wird ganz wuschig. Bevor es zu schlimm wird, kann ich ihn zum Glück ablenken (ich habe da so meine Tricks) und bald darauf kommt die Seilbahn.

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Die Bahn fährt 40 Personen vom großzügig angelegten Tatev Wings Gelände mit Busparkplätzen (Soren fährt uns später vom Kloster aus über die offizielle Zugangsstraße hinunter ins Tal. Diese Straße ist eine einzige Aneinanderreihung von Argumenten für den Busparkplatz und die Seilbahnstation), Restaurants und Aussichtsterrassen (5 Adler! Gleichzeitig!) über zwei Canyons zur Talstation oberhalb des Klosters. Dazwischen kommen zwei oder drei Pylone und an jedem Pylon ein Schaukeln und ein Kreischen von seitens einiger Mitfahrerinnen. Das Ganze dauert elf Minuten und das ist eine lange Zeit, um sich Gedanken über die Zuverlässigkeit der Anlage zu machen.

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Tatev ist Kloster und Bischofsitz gewesen, so dass für mich hier die Außenanlage interessanter ist als die Kirche. In den Fels geschlagene und dann aufgemauerte Wohn- und Arbeitsräume mit zum Teil schwindelerregenden Ausblicken ins Tal darunter. Küchen und Weinkeller, Refektorium und Lesesäle mit – zu meinem Leidwesen – sehr niedrigen Türstürzen. Und mit einer skurrilen Wackelsäule. Der Kreuzstein auf der Spitze steht in einem sehr prekären Gleichgewicht. Angeblich würde der Stein wackeln, wenn eine berittene Armee sich Tatev nähert.  Mangels dieser können wir das aber leider nicht austesten.

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Der Rilke-Moment

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Moderne Zeiten in alten Kirchen

Kirchen gibt es natürlich auch an diesem Tag, schließlich sind wir in Armenien. Damit uns nicht langweilig wird, bieten sie heute eine große Vielfalt.

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Etschmiadsin ist armenisch barock und genauso ääähm ja sehr beeindruckend wie manche europäische Barockkirche. Im kleinen Museum in einer Seitenkapelle wird die schon erwähnte Lanze gezeigt und eine Planke der Arche Noah. Ob die echt sind, können wir nicht beurteilen, weil wir es uns verkniffen haben, erst an der Kasse, dann im kleinen Museum Schlange zu stehen, um auf ein Stück Holz zu starren.

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Zvartsnot, im 7. Jahrhundert gebaut, im 9. Jahrhundert durch ein Erdbeben zerstört und erst tausend Jahre später ausgegraben, ist mehr ein christlicher Kultkreis als eine Kirche. Der Ort hat eine sehr starke Ausstrahlung und eine unglaubliche Akustik, wie uns zwei Opernsänger mit ein paar Takten Turandot beweisen.

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Khor Virap ist dann das Kloster, das fast emblematisch für Armenien steht. Es gibt umwerfende Bilder: das Kloster als Schattenriss vor dem Schnee bedeckten Fünftausender. Man weiß nicht so recht, wird das Kloster vor dem Ararat fotografiert oder der Ararat hinter dem Kloster. Die Qual der Wahl haben wir nicht, der Berg verhüllt sich in Dunst und Wolken. Man ahnt, dass er da ist, sieht ihn aber kaum. Was man allerdings sieht, ist die No-Go-Zone zwischen der Türkei und Armenien, ein breiter Landstreifen an der Grenze, von der russischen Armee patrouilliert.

Dann folgt eine lange Fahrt durch grandiose Landschaften. Im September natürlich sonnenverbrannt und in Brauntönen. Wie umwerfend müssen diese Berge im Frühling in Grün sein. Schließlich biegt eine kleine Straße ab in den Canyon, der nach Noravank führt.

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In unserem Plan ist die Besichtigung des Klosters und die anschließende Weinprobe eigentlich für morgen früh eingeplant. Aber selbst wir möchten morgens nach dem Frühstück nicht Wein trinken und so stimmen wir der Planänderung gerne zu. Welch ein Glück! Es ist später Nachmittag und die Sonne beginnt, die Wände des Canyons zu färben. Allein die Fahrt ist traumhaft schön. Und dann erscheint das Kloster auf seinem Bergvorsprung: honigfarbener Tuffstein vor der Kulisse der rot gefärbten Felsen.

Wenig später sitze ich auf der Mauer und lasse das alles wirken. Es ist so ein Rilke-Moment:

Schau, ich will nichts, als Deine Hände halten
und still und gut und voller Frieden sein.

Da wächst die Seele mir, bis sie in Scherben
den Alltag sprengt…

 

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Nur ist der, dessen Hände ich halten will, gerade in irgendeiner Kapelle unterwegs und so ein Rilke-Moment dauert ja nun auch nicht ewig. Also suche ich mir etwas anderes und das liegt genau vor mir. Die Treppe hoch in den ersten Stock sieht nach „Da hab‘ ich Angst so gerne“ aus. Ausgetretene, unebene Stufen, keine zwei Füße nebeneinander breit. Aber das muss jetzt mal sein. Die Stufen rechts sind so ausgebrochen, das wird nichts, aber links geht es ganz langsam und gebückt hoch. Soren, der mich von unten mit Besorgnis beobachtet, ruft mir zu, ich solle mich bloß nicht aufrichten auf dem oberen Absatz vor der Tür. Vor Jahren hätte das ein Tourist gemacht und sich dabei am Türsturz so den Kopf gestoßen, dass er rückwärts zu Tode gestürzt sei. Vielen Dank, Soren, das war genau das, was ich jetzt brauche. Aber immerhin nehme ich seine Warnung wahr und hoppele mit Häschen-Schritten in die obere Kapelle, die dann natürlich in keiner Weise meinen Erwartungen gerecht wird. Was auch daran liegt, dass die Laterne – durch ein Erdbeben zerstört und erst vor kurzem rekonstruiert – funkelnagelneu ist und die Ausstrahlung des Raumes stört. Also bin ich hier oben schnell fertig und muss mich dann natürlich dem altbekannten Problem stellen: hinauf bist du gekommen, aber kommst du auch hinunter. Und von da oben sehen die Stufen schon verdammt schmal und steil aus. Die bewährte Daveed Garecha-Methode kommt zum Einsatz. Zwar bin ich ganz auf meinen „Abstieg“ konzentriert, sehe aber trotzdem aus den Augenwinkeln, wie eine Busladung Koreaner, die auf der Mauer sitzend bis eben wohl ihren Rilke-Moment hatten, hektisch zu Handys und Kameras greifen. Schön, wenn man etwas zur Volksbelustigung beitragen kann. Wenn sie auf Dramatischeres gehofft haben, muss ich sie leider enttäuschen. Oder zum Glück.

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Während ich noch ein bisschen stolz auf mich bin, kommt Monsieur um die Ecke geschlendert und fragt mich, ob ich auch die wunderbaren Reliefs in der Seitenkapelle gesehen habe. So ist das Leben: Halb Südkorea wird inzwischen meinen Abstieg auf You-tube gesehen haben – und mein eigener Mann verpasst ihn.

Die Weinprobe ist dann ein schöner Abschluss eines ganz besonderen Tages. Wir probieren lokale Weine, aber auch einen Rotwein aus Nagorny-Karabach, dessen Trauben auf über 1400 m Höhe wachsen.

Wein

Handy-Foto, sorry

 

Im B&B werden wir von der Großmutter begrüßt, weil die Mutter noch in der Küche unser Abendessen vorbereitet. Die zwölfjährige Enkeltochter hilft mit sehr gutem Englisch bei der Verständigung. Und als während des Essens noch die halb blinde Urgroßmutter vorbeikommt, ist die Idylle perfekt.

 

 

Subtile Symbolik

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Monsieur und ich, wir können das. Wir können uns richtig, richtig toll freuen über ein paar olle halb zerfallene Mauern und ein paar obskure Ritzungen im weichen Tuffgestein. Soren hält uns wahrscheinlich für bekloppt. Harmlos zwar, aber definitiv verrückt.

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Wir sind auf einer fact finding mission. Soren kennt Metsamor nicht. Auch seine Chefin kennt Metsamor nicht, nur ich, ich habe da mal wieder etwas gelesen und will dahin. Meine Armenienkarte bestätigt, dass die Ausgrabungsstätte existiert, Monsieurs Lebensgefährtin schließt sich der Meinung an und Sorens Handy schließlich auch. Allerdings will es uns partout nicht über die Hauptstraße fahren lassen, sondern lotst uns durch die Schlaglöcher der Jesidendörfer landeinwärts. Schließlich taucht ein großer Hügel auf, darin etwas, was durchaus ein Museum sein könnte. Um fünf vor zwölf fahren wir dort auf dem Parkplatz vor. Im Kopf das nicht unwahrscheinliche Szenario, dass wir Karten lösen, um dann zu erfahren, dass das Museum in drei Minuten schließt. Es passiert fast so. Die Frau an der Kasse sagt nur, wir sollen uns beeilen. Um dann nachzusetzen, die Archäologen würden gerade eine Stunde Mittagpause machen, so dass wir in der Zeit ungestört im Ausgrabungsbereich herumstromern können, ohne uns einen Rüffel einzuhandeln. Wir stromern in schattenloser Gluthitze herum, während die Archäologen ein paar hundert Meter weiter im Schatten einer riesigen Trauerweide picknicken.

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Metsamor war vor über 4000 Jahren ein großes Zentrum der Metallverarbeitung, das dann auch erfolgreich den Sprung von der Bronze- zur Eisenverarbeitung schaffte. Das wiederum machte seinen König reich, was dann dazu führte, dass dieser nicht nur Tempel bauen konnte, sondern sich dachte, dass es besser sei, das Ganze durch eine große Mauer zu schützen. Das kann man alles im Gelände sehen, die Öfen, Hausstrukturen mit seltsamen kreisrunden Löcher, die – wie wir später erfahren – Amphoren aufrecht halten sollten. Aber das wirklich Besondere ist das Observatorium. Und da stehen wir dann, vor ein paar Strichen, gegraben ins weiche Tuffgestein. Aaaah jaaaa… Diese Ritzungen, zusammen mit ein paar Kreisen, genügten den Archäologen darin ein Bild der Sirius-Laufbahn zu erkennen und hier einen Siriuskult zu etablieren. Gönnen wir ihnen, und uns gönnen wir dann das Museum. Zuerst mit einem Hauch Skepsis, dass hier wohl a) nicht viele Artefakte gefunden und b) die schönsten eh im Museum in Yerewan sein werden. Tickets müssen wir erst jetzt lösen, dann dürfen wir die etwas surrealistische Welt dieses kleinen, aber exquisiten Museums betreten. Unten, am Fuß der Treppe sitzen zwei Männer, Kerle wäre das bessere Wort, in Tarnklamotten, die in jeder Russendisko den Rausschmeißer geben könnten. Hinter der Kasse zwei Frauen, eine dritte kommt irgendwann dazu. Und alle fünf – wenn auch in wechselnder Besetzung – strolchen auffällig unauffällig mit uns durch die Ausstellung, so als könnten sie es kaum fassen, so viele Besucher gleichzeitig zu haben. Natürlich passen sie auch ein bisschen auf, dass wir uns an die Spielregeln halten – keine Fotos! – und uns nicht in Versuchung führen lassen von den Schätze. Denn Schätze haben sie wirklich. Aber irgendetwas ist ja immer: hier wabert durch alle Ausstellungsräume das Aroma von Bratkartoffeln, die ganz offensichtlich gerade im Personaltrakt zubereitet werden. Am Ende führt uns die Jüngste in ein Kellergeschoss, wo, wie in einem Tresorraum, der Goldschmuck der lange verstorbenen Fürsten ausgestellt wird. Soren ist inzwischen richtig aufgedreht, sieht das Potential: wenig Touristen, ein bisschen Abenteuer, vor allem mal keine Kirche, überlegt, wie er seine Chefin dazu überreden kann, Metsamor in ihr Programm aufzunehmen und was er mit seiner Pfadfindergruppe hier alles Tolles organisieren kann. Ich überlege, wie viel Prozent Vermittlungsgebühr ich dafür verlangen soll…

Und dann stehen wir vor einem fast zwei Meter hohen schmalen Stein, mit Rillen und sanft gerundetem Kopf und ich frage die Museumsdame, ob das einer der Vishpars sei, der sagenumwobenen Drachensteine Armeniens. Sie schaut mich schräg von unten an und meint dann abwertend: „Das? Ach was! Das ist nur ein Phallus!“

Draußen vor der Tür stehen sie dann Schlange, viel kleiner, viel eindeutiger und ganz sicher nicht Schneewittchens sieben Zwerge.

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Auf dem Rückweg irgendwo im Nirgendwo in den jesidischen Dörfern um Metsamor kommt uns eine Autokalvakade entgegen. Die Straße ist kaum breit genug für einen Wagen, aber sie kommen zweispurig daher, mit Hupe und Lichthupe. Im ersten Wagen jemand, der ein großes, bunt geschmücktes Messer aus dem Fenster hoch hält, darauf aufgespießt ein Apfel. Der Apfel symbolisiere die Jungfräulichkeit der Braut, erläutert Soren beim ganz rechts heran Fahren. Während ich noch über die äußerst subtile Symbolik nachdenke, erklärt er, wie es weitergeht: „Sie holen die Braut ab.“ Er selber, obwohl fast vierzig, ist zum großen Leidwesen seiner Mutter noch nicht verheiratet, hat aber schon für viele Freunde, Auslandsarmenier, Hochzeiten hier organisiert. Das fängt im Haus des Bräutigams an, den seine Freunde abholen. Dann geht es zum Haus der Braut, der Bräutigam schwenkt sein Apfelschwert, damit auch kein Zweifel aufkommt, was er zu tun gedenkt. Die Freunde tanzen um ihn herum und halten dabei die Geschenke hoch, die sie mitgebracht haben. Irgendwann kommt der Vater – oder der Bruder – der Braut und übergibt dem Bräutigam ein Gegengeschenk, verschließt aber gleichzeitig die Haus- oder Hoftür. Dann beginnt das – heute nur noch symbolische – Feilschen um die Braut. Erst, wenn der Vater mit der Anzahl und dem Wert der Geschenke zufrieden ist, wird die Tür geöffnet, der Bräutigam darf eintreten und darauf warten, dass seine Braut im Kreise ihrer Freundinnen erscheint. Alle fahren gemeinsam zur Trauung in die Kirche. Bis auf die Mutter der Braut, die zuhause auf die Rückkehr des nun getrauten Paares wartet und ihnen auf der Türschwelle Lavash-Brot überreicht und sie mit Honig und Walnüssen füttert. Anschließend fahren dann wirklich alle zur Feier in ein Restaurant oder wie Soren es ausdrückt: „And then – oh boy, do we party!“

My big fat

 

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Armenian road trip.

Soren ist zwar noch unter vierzig – knapp -, ähnelt aber in vielem dem griechischen Vater in dem berühmten Film, nur ohne Glasreiniger. Alles, was es gibt in der Welt, also, alles Gute und Schöne, stammt irgendwie aus Armenien, wurde von Armeniern erfunden, gemacht oder verbessert oder hat – wie entfernt auch immer – mit Armenien zu tun. Fast jeder berühmte Mensch der Gegenwart ist Armenier, wie Charles Aznavour, hat armenische Vorfahren, wie Giorgio Armani oder war zumindest schon mal in Armenien, wie George Clooney. Nur bei Kim Kardashian ist er etwas zögerlich. Eigentlich findet er sie und ihr Tun und Treiben ja ganz schrecklich, aber da sie armenische Wurzeln hat, schwierig, schwierig…

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Inzwischen, wissen wir, was er meint, wenn er von West-Armenien spricht und Stalin verflucht, der den identitätsstiftenden heiligen Berg Ararat wegschenkte an jenes Land, dessen Namen man nicht ausspricht. Oder der Bergkarabach zu allem Unglück mitten in Aserbaidschan beließ. Das ist ein fast noch heißeres Thema als die Türkei. Als Monsieur nach all dem Pulverkaffee endlich mal einen echten Kaffee haben möchte, fragt Soren nach „Espresso or Turkish coffee?“, um sich sofort zu verbessern, dass das hier natürlich Armenian coffee heiße. Das Ergebnis ist das gleiche: ein auf dem Kaffeepulver aufgekochter dickflüssiger Kaffee. Der Kaffeesatz, auf eine blutende Wunde gegeben, stoppt die Blutung und desinfiziert. Uraltes armenisches Heilmittel, ist ja klar.

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Säulen, da guck ich ja meist schon gar nicht mehr hin, besonders bei römischen. Diese sind nun hellenistisch und dem Mithraskult gewidmet, was die Sache nicht einfacher macht. Aber eigentlich ist das ganze ein  einziges Über- und Miteinander von Kulturen. Von der Zyklopenmauer, die die einstige Verteidigungsanlage vor 2500 Jahren umschloss, über den römischen Bäderkomplex, von Soren konsequent als „die Sauna der Prinzessin“ tituliert, zur Kirchenruine auf den urartischen Palastruinen. Eines muss man den urartischen, griechisch-römischen, armenischen und christlichen Bauherren zu Gute halten. Sie hatten ein Auge für „location! – location! – location!“.

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Unsere „location“ ist fast genauso gut, wir sitzen auf der Terrasse eines zugegebenermaßen sehr einfachen B&B mit direktem Blick auf den Tempel und die grandiosen Berge gegenüber. Zwischen den Zeilen könnte man jetzt das Gemeinschaftsbad herauslesen, aber im Augeblick konzentrieren wir uns mal auf das Positive und genießen die Aussicht. In einer Stunde wird uns die Hausherrin ein sicher wieder viel zu großzügiges Abendessen servieren. Dabei sind wir fast noch satt von der „Kleinigkeit“, die es heute Mittag gab.

Ein bisschen haben wir die Kalorien abgelaufen in der Schlucht unterhalb von Garni. Basaltsäulen bilden bizarre Kunstwerke. Schaffen sechseckig „geflieste“ Böden, schwingen sich im Halbkreis über Bergwände, stehen wie Orgelpfeifen nebeneinander. Nur die Organistin wirkt etwas gelangweilt.

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Als Fast-Franzose ist man ja schnell überzeugt, beinahe alles über Käse zu wissen. Tja, bis Soren Käse bestellt, den es nur in Armenien – wo sonst? – gibt. Der eine ist eine Art bröckeliger Blauschimmelkäse, bei dem die Milch in kleinen Tonkrügen mehrere Wochen (oder mehrere Monate, Soren will sich da nicht festlegen) in der Erde vergraben wird und dann eben als siehe oben wieder hoch befördert wird. Sehr interessant in Aussehen und Geschmack, aber nicht so interessant wie der Fadenkäse oder eher Stöckchenkäse. Käsemasse wird geschlungen und gezogen und geschlungen und gezogen, bis ganz dünne Käsefäden entstehen, die dann getrocknet werden. So entstehen Knabbersticks aus Käse, ein zumindest für mich ganz neues Käse-Erlebnis.

Der Käse bildet mit Tomatensalat die Vorspeise, ist aber eigentlich nur ein Vorwand, um zwei Töpfchen Joghurt und Sauerrahm zum Lavash zu bestellen. Das Brot wird vor unseren Augen im Restaurant gebacken. Eine Knochenarbeit für die zwei älteren Frauen, ein tolles Spektakel für uns. Der Wasser-Mehl-Teigklumpen wird von der einen auf einem Holzbrett auf Pizzagröße ausgewalkt und dann schwungvoll zur Kollegin geworfen. Die hat ein ca 40×80 cm großes gepolstertes Kissen vor sich, auf dem sie den Rohling hauchdünn auszieht. Dann kommen ein paar scharfe Messerschnitte in die Oberfläche und der Fladen wird mit einem gekonnten Schwung vom Kissen an die Wand einer großen eingemauerten Amphore befördert, in deren Inneren ein Holzfeuer brennt. Kurze Zeit später löst die Werferin einen leicht gebräunten aufgeplusterten Fladen von der Wand und das Ganze geht von vorne los. Und auf diese frischen, heißen Fladen einen Klecks Sauerrahm…

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Das haben wir uns verdient nach Geghard. Geghard ist ein bisschen Indiana Jones und ganz viel Betrieb. Im Kloster wurde lange Zeit die Lanze des Legionärs aufbewahrt, der Jesu Seite öffnete. Das Problem ist nur, dass es gleich drei davon gibt, eine angeblich ehemals sowohl in Napoleons als auch in Hitlers Besitz. Die einzig Wahre, das ist ja schon klar, ist natürlich die, die sich in Armenien  befindet, am Sitz des Patriarchen, in einem so toll verzierten und vor allem verschlossenen Holzkasten, dass kein Betrachter mit Sicherheit sagen kann… Aber lassen wir das.

 

Es ist Feiertag in Armenien und die Menschen drängen aus dem über 30° heißen Yerewan in die Berge. Geparkt wird äußerst phantasievoll unterhalb des Klosterkomplexes, wir steigen die gepflasterte Straße hoch und schieben uns durch die Menge. Indiana Jones hatte es da deutlich einfacher mit seinen paar Bösewichtern. Ansonsten ist das ganze Inventar da. Höhlen mit geheimnisvollen Symbolen, schmale Tunnel, die  zu weiten Kammern führen, weite Kammern, die ein Felsenguckloch in die darunter liegende Felsenkirche haben. Unabdingbar die heilige Quelle im letzten der verschachtelten Räume und natürlich der Raum, der nach einem Erdbeben keinen Zugang mehr hat. Ich schaue und staune und genieße. Monsieur schaut und staunt und fotografiert. Und es gibt viel zu schauen und zu staunen!

Was ihn aber wirklich umhaut, ist die Steckdose im Flur unseres B&Bs: zwei blanke Drähte rechts und links kommen ohne Stecker aus den Löchern. Sicher auch eine uralte armenische Technologie!

Muttertag

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Tiflis hat seine Mutter Kartli, Yerewan die Mutter Armenia. Erbaut an der Stelle eines viermal so großen Stalindenkmals. Als das den Säuberungen der 1960er anheim fiel, riss der Diktator, d.h. seine fallenden Trümmer, etliche der Soldaten in den Tod, die mit an Panzer gespannten Trossen seinen Sturz herbeiführten. Die Mutter Armenia – zu Ehren der im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten – sollte eigentlich ein Denkmal für misshandelte Frauen sein. Denn so, wie sie geplant war, auf den Handflächen der angewinkelten Arme ein Schwert tragend, gefiel sie den sowjetischen Machthabern nicht. Aus der weiten Ferne wirkten Figur und quer liegendes Schwert wie ein großes Kreuz – und das durfte natürlich nicht sein. So wurden in einer Nacht- und Nebelaktion Mutter Armenia ein Arm gebrochen, Schulter, Ellbogen und Handgelenk ausgekugelt und irgendwie wieder zusammen gebastelt. Die Statue wirkt dadurch unnatürlich verdreht und verkrümmt, aber nicht mehr wie ein Kreuz. Mission erfüllt.

 

In Zizernakaberd empfängt uns die Musik Komitas, die uns durch den ganzen Denkmalkomplex begleitet. Während Besuchergruppen auf Fotomöglichkeiten warten, leicht verärgert über zwei Damen, die selbst an der Flamme des Denkmals, unter den eindrücklichen Steinbögen nur an Selfies denken können, marschiert draußen, unter der Nadel, ein Armeemusikkorps auf. Die Formation steht endlich, der Dirigent gibt ein Handzeichen und ein jeder Musiker senkt sein Instrument, dreht sich zu seinem Nachbarn und kontrolliert und richtet noch einmal schnell dessen Goldtressen und Orden. Dann hebt der Dirigent den Taktstock und eine wehmütige Melodie beginnt. Das Ganze wäre aber deutlich emotionaler gewesen, wenn er nicht im selben Moment mit links sein Handy aus der Tasche gezogen und mit der Nasenspitze über die Oberfläche gewischt hätte, während er mit rechts weiter dirigiert.

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Wir gehen durch den Gedenkwald zurück. Ein jeder offizielle Staatsbesucher wird zum Genozid-Denkmal geführt, ob er das so geplant hatte oder nicht. Wahrscheinlich, damit keiner hinterher behaupten kann, er hätte das nicht gewusst. Und jeder Besucher pflanzt – oder lässt pflanzen – einen Baum. Der Wald ist inzwischen beträchtlich.

 

Soren fährt uns zum Hotel und wir machen uns auf, die Stadt zu erkunden. Yerewan ist eine recht junge Stadt, um 1900 aus dem Boden gestampft. Allerdings wurde viel davon nach dem Ende der Sowjetunion abgerissen, um neuen Hochhäusern Platz zu machen. Manchmal hat man versucht, das, was noch an ältere Bausubstanz da war, in die Fassade neuerer Bauten einzugliedern.

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An neuen Attraktionen sticht die „Kaskade“ hervor, außen eine gigantische Blumen geschmückte Treppe, drinnen Kunstgalerie – mit Rolltreppe. So fährt man gemütlich an Kunstwerken vorbei hoch zum obersten Treppenabsatz, merkt sich schon mal vor, welches Objekt man beim Hinunterfahren noch einmal näher in Anschein nehmen will und genießt oben den Blick auf Yerewan und den Ararat. Vor der Kaskade liegt ein Park mit weiteren, von der Familie Cafesjian gestifteten Kunstwerken. Botero scheint ihr Lieblingskünstler zu sein. Und so grinst am Ende des Parks eine riesige fette Katze mit frech heraus gestreckter Zunge.

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Das Nationalmuseum am Platz der Republik ist eine Herausforderung. Ich betrete es und komme nicht aus dem Staunen heraus. Das erste – eher ungläubige – Staunen gilt der barschen Art, mit der ich als Besucherin daran gehindert werde, die Ausstellungsräume zu betreten. Die Ausstellung ist streng chronologisch geordnet und dieser Ordnung habe ich bitte schön gefälligst zu folgen. Sobald man auch nur die Nasenspitze in einen Nebenraum stecken will, ist jemand da: Not this way! Und die Aufpasserinnen wirken durch die Bank so, als ob sie dieses Not this way! ohne Weiteres mit Körpereinsatz durchsetzen würden. Dann kommt das zweite überraschte Staunen über 5000 Jahre alte Bestattungswagen für Clanchefs und dann das reine entzückte Staunen über die kunstvollen Figuren in Bronze. Ich finde es unendlich schade, dass man im Museum nicht fotografieren darf, bin aber gleichzeitig heilfroh darüber. Wenn Monsieur hier und jetzt auch noch fotografieren dürfte, wird das nichts mit dem Frühstück morgen. Vom Abendessen ganz zu schweigen…

Das Entzücken hält an durch das gesamt obere Stockwerk.

Bis wir im nächsten Stockwerk die Tür zum Jahr 1915 öffnen.

 

Nachtrag

Wen es intressiert:

Franz Werfels: Die vierzig Tage des Musa Dagh war in den 1930ern das Werk, das Europa über den Genozid informierte.

Charles Aznavours Ils sont tombés singt gegen das Vergessen an.

 

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